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Newsletter "Für die Menschen im Aargau"

"Grenzräume sind Chancenräume"

Der Landkreis Waldshut zählt rund 175'000 Einwohnerinnen und Einwohner und ist von der Fläche her nur ein Fünftel kleiner als der Kanton Aargau. Der Weg von der Kreisstadt Waldshut-Tiengen nach Aarau ist 40 Kilometer lang, derjenige in die Landeshauptstadt Stuttgart 175 Kilometer. Alleine schon deshalb ist es naheliegend, dass der Landkreis Waldshut und seine politische Führung enge Beziehungen zur Schweizer Nachbarschaft, insbesondere zum Kanton Aargau pflegen. Landrat Dr. Martin Kistler nimmt zu diesem in einem Interview Stellung.

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Der Landkreis Waldshut liegt am Hochrhein und grenzt dabei im Süden und Osten an die Kantone Aargau, Zürich und Schaffhausen. Wie widerspiegelt sich diese Nähe zur Schweiz im Alltag und im Leben der Menschen im Landkreis?

Die Nähe findet sich in allen alltäglichen Lebensbereichen der Bürgerinnen und Bürger beidseits des Rheins wieder. Wir sind ein Lebens- und Wirtschaftsraum, was auch in zwei Zahlen deutlich wird: die Länge der gemeinsamen Grenze des Landkreises Waldshut mit der Schweiz beträgt 148 Kilometer. Etwa 15'000 Grenzpendler aus dem Landkreis Waldshut fahren täglich zur Arbeit in die Schweiz, die meisten davon in den Aargau. Viele Schweizer kaufen bei uns ein oder kommen als Tagestouristen in unsere wunderschönen Orte am Rhein und im Schwarzwald. Deswegen spielen auch die Themen der Mobilität eine große Rolle: Bus, Bahn, zu Fuß oder mit dem PKW. Ein wichtiges Ziel ist es daher auch, die Infrastruktur zu verbessern, z. B. durch die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke, die Verknüpfung von Mobilitätsangeboten, weitere Rheinquerungen oder den Ausbau der A98. Nicht zuletzt werden Kultur- und Freizeitangebote grenzüberschreitend genutzt. Beidseits des Rheins unterwegs zu sein, ist unser Alltag.

Sie sind bereits seit 2014 Landrat des Landkreises Waldshut. Haben Sie in dieser Zeit einen persönlichen Bezug zur Schweiz und zum Kanton Aargau entwickelt?

Den persönlichen Bezug zur Schweiz habe ich schon allein aus dem Grund, weil ich ein Kind dieser Region bin – Dogern ist meine Heimat- und mein Wohnort. Ich habe zeitweise in Basel studiert und dort auch promoviert. Politische Verbindungen hatte ich auch schon als Gemeinderat in Dogern zu den Gemeinderatskollegen in Leibstadt – der jährliche Austausch und viele Besuche, auch über Vereine, brachten eine Vielzahl enger persönlicher Verbindungen mit sich, die bis heute bestehen. Seit ich Landrat bin, haben sich viele weitere Anknüpfungspunkte und Kontakte ergeben – mit den Mitgliedern der Regierungsräte der Grenzkantone, aber auch vielen Mandatsträgern, Behördenmitgliedern und der Zivilgesellschaft, insbesondere im Aargau. Zwei Punkte möchte ich noch besonders erwähnen: so betrachte ich es etwa als grosse Ehre, dass mich immer wieder Aargauer Gemeinden als 1.-August-Redner eingeladen haben. Jedes Jahr freue ich mich auch besonders über die Begegnungen mit den Schweizer Nachbarn am Slow-up Hochrhein.

Während die klassische Aussenpolitik zwischen Staaten erfolgt, findet am Hochrhein die sogenannte "kleine Aussenpolitik" auf subnationaler Ebene statt. In welchen Bereichen ist der Landkreis Waldshut Teil dieser kleinen Aussenpolitik mit den Schweizer Grenzkantonen und wie nehmen Sie den Kanton Aargau dabei in seiner Rolle als Partner wahr?

Die Bereiche sind vielfältig und umfassend. Wir sind nicht nur Gründungsmitglied der Hochrheinkommission und der Randenkommission, sondern arbeiten in vielen Themen mit den Grenzkantonen zusammen. Das beginnt bei A wie Abfallbeseitigung und geht über B wie Bildung bis hin zu Tourismus und Verkehr. Mit dem Schweizer Tiefenlager, dem Flughafen Zürich und den grenznahen Kernanlagen haben wir natürlich auch herausfordernde Themen. Zunehmend wichtiger wird der Bereich Gesundheit, die Corona-Pandemie hat uns das eindrücklich vor Augen geführt. Die Herausforderungen in Pflege und Medizin, die wir sowohl in Deutschland wie in der Schweiz spüren, erfordern meines Erachtens gerade im Bereich der stationären Gesundheitsversorgung eine noch viel engere Zusammenarbeit. Mit den Interreg-Programmen steht auch ein EU-Förderinstrument für grenzüberschreitende Projekte zur Verfügung. Nicht zuletzt wollen wir die Begegnungen der Menschen unterstützen und ermöglichen. Das Großprojekt Sisslerfeld wird starke Auswirkungen auf meinen Landkreis haben.

Den Kanton Aargau nehme ich dabei als sehr engagierten und aktiven Partner war und freue mich über den grundsätzlich sehr guten Austausch und die enge Nachbarschaft. Ich bin auch der Auffassung, dass der Kanton Aargau und der Landkreis Waldshut sich gemeinsam in vielen Themen noch viel stärker gestaltend einbringen könnten. Nicht zuletzt sollte das gegenseitige Verständnis gestärkt werden – im Aargau für Waldshuter Themen in der Schweiz, bei uns für Aargauer und Schweizer Themen in Baden-Württemberg und Deutschland.

Sie sind seit Januar 2023 und bis Ende 2024 auch Vorsitzender der Hochrheinkommission. Was ist die Hochrheinkommission, wie funktioniert sie und wie trägt sie zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ihrer Mitglieder bei?

Die Hochrheinkommission ist ein Beispiel für gelungene bi-nationale Zusammenarbeit. Sie zeigt, wie durch gemeinsame Anstrengungen die kommunalpolitische sowie zwischenmenschliche Vernetzung zwischen Bürgerinnen und Bürgern in der Region intensiviert werden kann, oft schon mit einfachen Mitteln. Gegründet wurde sie im Jahr 1997 mit dem Ziel, die grenzüberschreitende Arbeit zu intensivieren. Sie fördert und organisiert den Kontakt und Erfahrungsaustausch zwischen ihren Partnern, Institutionen, Verwaltungen sowie Bürgerinnen und Bürgern. Unsere Mitglieder sind die Kantone Schaffhausen und Aargau, die Landkreise Waldshut und Lörrach, das Land Baden-Württemberg, der Regionalverband Hochrhein-Bodensee sowie die Planungsverbände Fricktal Regio und Zurzibiet. Der Kanton Zürich hat Beobachterstatus. Unser Vorstand besteht aus 12 Personen, die zweimal im Jahr tagen. Die Präsidentschaft der HRK wechselt alle zwei Jahre – die nächste Präsidentschaft wird ab 2025 beim Kanton Schaffhausen liegen mit Herrn Regierungsrat Patrick Strasser als Präsidenten. Die HRK ist ein Motor für die Zusammenarbeit dies- und jenseits des Rheins. Sie bringt die Politikerinnen und Politiker ins Gespräch. Sie baut durch Veranstaltungen menschliche Brücken, sie nimmt Ideen von Bürgerinnen und Bürgern auf und versucht, bei deren Umsetzung zu unterstützen. Die HRK vernetzt und berät. Sie initiiert und koordiniert Projekte in den Bereichen Wissenstransfer, Bildung, Mobilität und Umwelt – dies sind die Schwerpunktthemen, die in der Strategie 2024-2028 verankert wurden. Es sind alles Themen, die das Leben in unserer Region direkt betreffen.

Um Bürgerengagement zu fördern, verfügt die HRK über den Begegnungsfonds als eigenen kleinen Fördertopf. Daraus werden jährlich ca. 8 bis 10 Projekte mit einer maximalen Förderung bis zu 2500 Euro umgesetzt. Eine weitere Stärke der HRK liegt bei der konkreten Beratung und Begleitung von größeren Projekten mithilfe der Interreg-Förderung. Im Gegensatz zum Begegnungsfonds sind Interreg-Projekte sehr große, zeitintensive und grenzüberschreitende Projekte mit einem Gesamtkostenvolumen von mindestens 50.000 Euro und einer durchschnittlichen Projektdauer von 2 Jahren. Unter Beratung der HRK kam beispielweise die „Laufenburger Acht“ zu Stande, ein grenzüberschreitender Rundwanderweg.

Gegenwärtig setzt sich der Vorstand mit dem Thema „Flusswärme aus dem Rhein“ auseinander. Die Geschäftsstelle der HRK wurde beauftragt, ein grenzüberschreitendes Gespräch zwischen den Fachämtern der Kantone und Landkreise zu organisieren. Der Impuls hierfür geht auf einen engagierten Bürger zurück, der das Potential der Wärmegewinnung aus dem Rhein an einer HRK-eigenen Veranstaltung äußerte und in einer kleinen Workshopgruppe weiter vertiefte. Die HRK ging dieser Idee nach und lotete in diversen Vorgesprächen ihr Potential aus. Ein nächster Schritt hin zu einer gemeinsamen Strategie für die Nutzung dieser Technologie könnte eine Machbarkeitsstudie sein.

Gibt es Schlüsselmomente in der Vergangenheit, die aus Ihrer Sicht die Art und Weise der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Hochrhein nachhaltig geprägt haben?

Ein Schlüsselmoment war sicher das Nein in der Schweiz in der EWR-Abstimmung (Eidgenössische Abstimmung über den Europäischen Wirtschaftsraum 1992). Der damalige Aargauer Regierungsrat Thomas Pfisterer und mein Vorgänger Landrat Dr. Bernhard Wütz haben als Reaktion – jetzt erst Recht – die Gründung der Hochrheinkommission betrieben. Der damalige Auftritt von Thomas Pfisterer im Waldshuter Kreistag ist auch nach nunmehr 30 Jahren noch nicht vergessen. Aber auch die Grenzschließung in der Pandemie muss ich erwähnen: wir haben gesehen, dass nichts selbstverständlich ist. Gemeinsam haben wir als Grenzregion Ausnahmeregelungen erreicht, weil deutlich wurde, wie eng verflochten Leben und Arbeiten im Grenzraum sind. Ohne Einander geht es nicht. Das müssen wir uns meines Erachtens immer wieder vor Augen führen – gerade dann, wenn wir in einzelnen Themen einmal unterschiedlicher Auffassung sind. Es braucht gemeinsame Lösungen!

Welche Chancen und Risiken sehen Sie für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Kantonen in der Zukunft?

Grenzräume sind Chancenräume. Wir haben durch die Grenzlage Möglichkeiten, die es im Inland nicht gibt. Der Austausch bereichert, wir profitieren voneinander. Wir stoßen aber immer wieder auch an Systemgrenzen – etwa bei Tarifstrukturen im ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr) oder auch im Gesundheitswesen. Diese müssen wir aufbrechen und für den Grenzraum gangbar machen. Das erfordert das Bohren dicker Bretter. Und wir müssen auf das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen achten – Nutzen und Lasten, Chancen und Risiken müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Das müssen die politischen Verantwortungsträger im Auge behalten. Eine gute Kommunikation und eine Sensibilität für die Belange des Nachbarn sind daher wichtig. Wie gesagt, ohne einander geht es nicht und miteinander geht es besser.