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Villmergerkrieg / Landfrieden Aarau 1712

Schauplätze 1712

Der Zweite Villmergerkrieg war ein vielschichtiger Konflikt mit zahlreichen Schauplätzen und Deutungsebenen. Einige historische Aspekte werden hier detaillierter beleuchtet.

Untertanenkonflikt im Toggenburg

Toggenburger Wirren

Gemischtkonfessioneller Freiheitskampf: Manifest des Toggenburger Landrats "beyder Religionen" vom 12. April 1712 (Bestand Aargauer Kantonsbibliothek)

Mit dem Beschluss von 1698, die Strasse über den Rickenpass auszubauen, um eine direkte Wegverbindung in die Innerschweiz herzustellen, verschärfte der St. Galler Fürstabt Leodegar Bürgisser (1640-1717) den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt mit seinen nach Unabhängigkeit strebenden Untertanen im Toggenburg. Unter Berufung auf ihre verbrieften Freiheiten weigerten sich katholische und reformierte Untertanen aus Wattwil, beim Strassenbau mitzuwirken.

Zürich und Schwyz - mit Luzern und Glarus Schirmorte der Fürstabtei St. Gallen - unterstützten den Widerstand gegen den Herrschaftsausbau des absolutistischen Klosterstaats. Gleichzeitig suchte der Fürstabt Hilfe beim habsburgischen Kaiser und schloss mit dem "Erbfeind" der Eidgenossen ein Schirmbündnis.

Lokaler Machtkampf weitet sich aus

1707 kamen die "Toggenburger Wirren" vor die Tagsatzung. Der lokale Machtkampf nahm eidgenössische Dimensionen an. Trotz ausländischem Diplomatieaufwand konnte der Konflikt nicht beigelegt werden. Die Parteien spalteten sich zunehmend entlang der konfessionellen Frontlinien.

Eskalation 1712

Im April 1712 eskalierte das Zerwürfnis. In der Nacht vom 12. auf den 13. April besetzten reformierte "Alttoggenburger" die äbtischen Güter und plünderten die Klöster Magdenau und Neu St. Johann. Ein am Tag zuvor verfasstes Manifest des Toggenburger Landrats hielt fest, dass der Angriff nicht gegen die katholische Religion gerichtet war. Den Aufständischen ging es um die Sicherung ihrer "best begründeten, und von Unsern lieben Vor-Eltern genossnen Freyheiten".

Kriegserklärung

Zürich und Bern unterstützen den Toggenburger Freiheitskampf. In ihrem Manifest vom 13. April 1712 erklärten sie dem Fürstabt den Krieg. Für die reformierten Orte - die Verlierer des Ersten Villmergerkriegs - schien die aussenpolitische Lage günstig, um ihren politischen Machtanspruch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Noch waren die europäischen Grossmächte in die Beilegung des Spanischen Erbfolgekriegs verstrickt. Mit 20'000 Mann marschierten die Zürcher in den Thurgau ein und brachten die katholischen Stützpunkte unter ihre Kontrolle. Gleichzeitig mobilisierten Bern und die reformierten Teile Graubündens ihre Truppen.

Berns Mobilmachung

Die militärische Überlegenheit Berns

Kriegsbedingte Transportdienste der Gemeinde Kirchleerau : "was die gmein kirchlerauw für kösten und schaden erliten wägen des krieges im jahr ano 1712" (Staatsarchiv Bern, B II, Nr. 366)

Der Erste Villmergerkrieg von 1656 war als schmähliche Niederlage in die Geschichte Berns eingegangen. Schlecht organisiert und übermütig vom Rauben, Plündern und "Wyn zapfen" waren die Berner Soldaten von den zahlenmässig unterlegenen Innerschweizer Truppen in die Flucht geschlagen worden. Der militärische Ordnungs- und Führungsmangel sollte sich nicht wiederholen. Im Zweiten Villmergerkrieg verfügte der Stadtstaat Bern über die am besten ausgerüsteten und ausgebildeten Milizen. Ein Berner Späher, der Ende April 1712 die Gegend von Willisau inspizierte, berichtete: Die rund 600 Mann auf der gegnerischen Seite seien "schlecht bewafnet, haben alte schlechte musqueten und fusil, auch seyen viel, die nur halbarten [Hellebarden] und spiessen haben" (Steiner 2007, S. 3).

Moderne Ausrüstung

Im Unterschied zu den Innerschweizer Truppen, die an den alten Hieb- und Stichwaffen und an den bewährten Haufenformationen festhielten, hatte Bern seine Streitkräfte Ende des 17. Jahrhunderts radikal modernisiert. Erstmals rückte ein eidgenössisches Heer in einheitlicher Montur und linearer Aufstellung aus. Nach niederländischem Vorbild hatte man die Zahl der Feuerwaffen vermehrt und die Ausbildung der Soldaten verbessert. Oberbefehlshaber Jean de Sacconay (1646-1729), ausgebildet in französischen, niederländischen und preussischen Diensten, setzte auf das moderne Steinschlossgewehr und auf Bajonette, die sich auf die Flinten aufsetzen liessen. Beständiges Üben und Exerzieren sollte für Ordnung und Disziplin sorgen.

Organisierte Brotversorgung

Nicht zuletzt hing die Truppendisziplin von einer funktionierenden Material- und Verpflegungslogistik ab. Das Fussvolk campierte mehrheitlich in den mitgebrachten Zelten. Eine organisatorische Herausforderung stellte die Verpflegung von mehreren Tausend Soldaten dar. Das militärische Hauptnahrungsmittels, das „Kommisbrot“, verlangte eine entsprechende Infrastruktur. Wo staatliche Kornhäuser vorhanden waren, richtete die bernische Verwaltung Backzentren ein. Fuhrleute transportierten das Brot zu den Truppen und brachten Holz zu den Backstuben. Auch wenn Qualität und Menge der Brotlieferungen wiederholt zu Klagen Anlass gaben: Quittungen und Rechnungen, die aus Zweiten Villmergerkrieg überliefert sind, dokumentieren das Bemühen um eine kontrollierte Versorgungsorganisation.

Schutz erkauft: das Kloster Muri

Das Kloster Muri zwischen den Fronten

Schirmbrief für das Stift und Kloster Muri, unterzeichnet und besiegelt am 7. Juni 1712 von den Berner Kommandanten Kilchberger und de Sacconay (Staatsarchiv Aargau, AA/6088)

"Wihr Sitzen alhier in einem leydigen und betrüebten Ruohstand [Ruhestand]", schrieb der Dekan des Klosters Muri am 8. Juni 1712 an den Zuger Landeshauptmann Beat Jakob II. Zurlauben. Nachdem die katholischen Fünf Orte in der „Staudenschlacht“ vom 26. Mai 1712 den Stützpunkt Bremgarten verloren hatten, war der Grossteil der Murianer Klosterbelegschaft nach Luzern geflohen und hatte im dortigen Franziskanerkloster Aufnahme gefunden. Auch Abt Plazidus Zurlauben hatte sich in der Innerschweiz in Sicherheit gebracht.

Plünderungen

Zurückgeblieben waren lediglich der Dekan, sechs Patres und drei Klosterbrüder, schwankend zwischen "geringer Hoffnung" und "grosser forcht". Nach gewonnener Schlacht hätten die Berner Soldaten in Muri "gewüetet wie die wilde Bestien". Etliche Zimmer des Klosters wurden aufgebrochen und geplündert. In den Kellern sei der Wein "schuh tieff" gestanden, Vorräte wurden geraubt und viel Geschirr zerschlagen (Zurlaubiana AH, 83/159).

Reformierter Schutzbrief

Um weiteren "Ruin" zu verhindern, suchte die Abtei Muri Schutz bei den Befehlshabern der reformierten Truppen. Höflich und freundlich diktierten die Berner Kommandanten dem Gotteshaus den Tarif. Unter der Bedingung, alle zwei Tage 1000 Rationen Kommisbrot - zur Versorgung der in Bremgarten lagernden Berner Truppen - zu liefern, erhielt das Kloster am 7. Juni 1712 einen Schutzbrief der Berner Generalität.

Kriegssteuern

Im Zweiten Villmergerkrieg konnte das Kloster Muri massive Zerstörungen abwenden. Der reformierte Schutzbrief und die Verluste, die Muri in seinen Herrschaften zu verzeichnen hatte, kamen allerdings teuer zu stehen. Die Gesamtsumme, die das Kloster für Kriegssteuern, Beschlagnahmungen und Schäden aufbringen musste, wird auf 100 000 Gulden geschätzt (Meier 2011, S. 89).

Baden unter Beschuss

Artilleriebeschuss der Zürcher und Berner

Belagerung und Eroberung der Stadt Baden durch die beiden Stände Zürich und Bern. Kupferstich nach einer Zeichnung von J. Meier aus dem Jahr 1712 (Grafische Sammlung Historisches Museum Baden)

Unter dem Artilleriebeschuss der Zürcher und Berner gab sich die katholisch besetzte Stadt Baden am 1. Juni 1712 geschlagen. Die Kapitulationsbedingungen waren hart: Die Sieger nahmen sämtliche Waffen, das städtische Bargeld und Silbergeschirr sowie Kunstgegenstände in ihren Besitz. Von den Bürgern verlangten sie einen unterwürfigen Huldigungseid. Die bis anhin dominanten katholischen Orte wurden gänzlich aus der Verwaltung der Grafschaft Baden ausgeschlossen und die Stadt musste Machtbefugnisse an die Landvögte abtreten.

Ein Zeichen der Niederlage ist bis heute sichtbar. Die Festung Stein, welche die Badener nach dem Ersten Villmergerkrieg eigenmächtig ausgebaut hatten, wurde geschleift. Dafür liessen die neuen Herren eine reformierte Kirche errichten.

Nicht zuletzt verlor Baden die Tagsatzung. Fast 200 Jahre lang hatte Baden eine Sonderstellung als Tagsatzungsort der Eidgenossenschaft und als Drehscheibe des diplomatischen Verkehrs genossen. Nach 1712 weigerten sich die katholischen Orte, am Ort der Niederlage zu tagen. Die Tagsatzung wurde nach Frauenfeld verlegt.

Revolte in Zug

Bauernunruhen in der Innerschweiz

Militärerfolg der Innerschweizer Kriegspartei: Gefecht von Sins am 20. Juli 1712 (Ölgemälde von Johann Franz Strickler). Publikation mit freundlicher Genehmigung der Gemeinde Sins.

Den katholischen Streitkräften fehlte im Zweiten Villmergerkrieg eine geeinte militärische Führung. Über Wochen lavierten die Regierungen der Fünf Orte zwischen Kriegs- und Friedenspolitik, zwischen offensivem und defensivem Kurs. Die Spannungen spitzten sich zu, als die katholischen Truppen im Mai und Juni 1712 die Stützpunkte Mellingen, Bremgarten und Baden verloren. Nachdem bekannt wurde, dass die Gesandten Luzerns und Uris in den ersten Landfrieden von Aarau eingewilligt hatten, kam es in der Innerschweiz zu empörten Volksaufständen. Die kapitulationsbereiten "Herren" wurden als "Ketzer" beschimpft, als Verräter von Vaterland und katholischem Glauben. Der Kampf für die "wahre" Religion und die bereits traditionsreichen Emanzipationsbestrebungen der Landschaft verbanden sich zu einer bäuerlichen Kriegspropaganda (vgl. Merki-Vollenwyder 1995).

Tumultöse Landsgemeinden

In tumultösen Landsgemeinden verwarfen Zug, Unterwalden und Schwyz den Friedensschluss und entschieden sich für einen militärischen Befreiungsschlag. In der Aktensammlung der Zuger Magistratenfamilie Zurlauben im Bestand der Aargauer Kantonsbibliothek ist eine Beschreibung der ausserordentlichen Landsgemeinde überliefert, die am 5. Juli 1712 in Baar stattfand. Nicht nur waffenfähige Untertanen aus Zug hatten sich eingefunden, sondern auch Wortführer aus den angrenzenden Orten, die mit Drohungen und "frechen Reden" die Stimmung anheizten. Der Verlust Bremgartens wurde als obrigkeitliches Versagen ausgelegt.

Blutige Landesfahne

Es kam zu gewaltsamen Attacken gegen die anwesenden Kommandanten. Der Zuger Landesfähnrich Karl Joseph Brandenberg wurde "mörderischerweiss" am Kopf verletzt, so dass das "landtssfendtlein ganz bluetig worden". Auch Hauptmann Beat Jakob II. Zurlauben, der dem Verletzten zu Hilfe eilen wollte, erhielt "ein loch mit einem fusil in kopff geschlagen" (Zurlaubiana AH, 184/156).

Putsch der Opposition

Unter dem Druck des Volkszorns kam es in der ausserordentlichen Baarer Landsgemeinde zur Machtablösung. Der Zuger „Kantonskriegsrat“ sowie der Stadt- und Amtsrat wurden abgesetzt. Aus bäuerlichen Kreisen stammende Verfechter des Kriegskurses übernahmen die Landesämter. Die Herrschaft der Oppositionellen währte jedoch nicht lange. Schon zwei Tage nach der Niederlage vom 25. Juli 1712 tagten die politischen Gremien wieder in der alten aristokratischen Zusammensetzung (Brändle 2005, S. 170).

Niedergang der Privilegienwirtschaft

Nach Kriegsende wurde zahlreichen oppositionellen Wortführern der Prozess gemacht. Vor allem die Stadt Luzern bestrafte die Rebellen hart und liess vor den Häusern der Anführer Schandsäulen errichten. Kurzfristig kehrte die patrizische Elite an die Macht zurück. Längerfristig aber markierte der Landsgemeindeputsch von 1712 den Niedergang des oligarchischen Herrschaftssystems. Demokratische Teilhabe an Pensionen und Privilegien wurde auch in der traditionsverbundenen Innerschweiz zu einem unumgänglichen Thema (vgl. Brändle 2005).

Der Krieg der Pamphlete

Der Krieg der Spottlieder und Streitschriften

"Ein schönes neues Lied über gegenwärtiges faul/ falsch und schändliches Kriegswesen": Titelblatt einer Streitschrift von 1712 aus dem Bestand der Aargauer Kantonsbibliothek

"Die Zürcher und Berner die stehen zusammen,/ sie wöllen sich machen einen Ewigen Namen,/ sie wollen vertillgen die München [Mönche] und Pfaffen,/ die closter zerstören, smess [Messe] läsen abschaffen", heisst es in einem 1714 veröffentlichten "kurtzen und kurtzweiligen, lustigen und listigen" Gesang über den "Zürcher und Bärner Krieg".

Der Zweite Villmergerkrieg wurde nicht nur auf den Schlachtfeldern geführt. Neben dem Krieg der Schwerter, Büchsen und Kanonen fand ein Krieg der Spottlieder und Pamphlete, der Bilder und Predigten statt. Reformierte wie katholische Streitschriften beschworen ihre Treue zum eidgenössischen Bündnis und beschuldigten die Gegner des Rechtsbruchs. In der ersten Kriegsphase blieben konfessionelle Beleidigungen weitgehend aus.

Kampfrhetorik konfessionalisiert

Erst nachdem die Innerschweizer Landsgemeinden im Juli 1712 den ersten Friedensvertrag von Aarau abgelehnt hatten, verschärfte sich der Ton der publizistischen Polemik. Wie der Historiker Thomas Lau in seinem Vortrag vom 31. Mai 2012 in der Veranstaltungsreihe "Schicksalsjahr 1712" im Historischen Museum Baden ausführte, wurde die Kampfrhetorik beider Lager zunehmend konfessionalisiert. Reformierte Flugschriften machten die papsttreuen katholischen Priester für die Fortsetzung des innereidgenössischen Blutvergiessens verantwortlich. Derbe Verse verspotteten den "abergläubischen" Bauernstand und die Unfähigkeit der Katholiken, ihr Eigentum vor Plünderungen zu schützen.

Mobilisation des Kampfgeists

Auf katholischer Seite war es eine Allianz von Geistlichen, Bauern und aufstrebenden Familien, die mit radikalen Tönen zur Wiederherstellung der katholischen Ehre aufrief. Zum Held der katholischen Flugschriftenliteratur wurde insbesondere der Nidwaldner Landammann und Truppenführer Johann Jakob Achermann (1665-1737) stilisiert. Der militärische Erfolg bei Sins wurde als "Ackermannisches Bärenrupfen" verherrlicht und für die Mobilisation des Kampfgeists eingesetzt.

Eingang ins populäre Liedgut

Die "listigen" Verse beider Parteien reimten sich meist auf bekannte Melodien. Einige der Spottlieder wurden noch Jahrzehnte nach Kriegsende gesungen. Sie gingen ins populäre Liedgut ein und verloren in der Regel ihre politische Brisanz. Von Verliererseite allerdings konnte die Schmach noch lange nachempfunden werden.

Heldentod in Villmergen

Heldenmut auf dem Schlachtfeld

Bitte um Almosen für die Hinterbliebenen des Kriegshelden Uli Gloor: Schreiben des Lenzburger Landvogts Berseth vom 24. August 1712 (Staatsarchiv Aargau AA/0799)

Der Staat Bern hatte im April 1712 auch das gesamte Unteraargauische Regiment mobilisiert. Die Männer aus dem "Berner Aargau" kämpften auf der Seite der reformierten Stadtstaaten gegen die vornehmlich aus der Innerschweiz stammenden katholischen Truppen. Auf Berner Seite befand sich auch Uli Gloor, Kleinbauer und Familienvater aus Dürrenäsch. In der Entscheidungsschlacht von Villmergen habe Gloor heldenhafte Tapferkeit bewiesen, berichtete der Lenzburger Landvogt Beat Ludwig Berseth am 24. August 1712 an den Berner Rat.

Fünf Gegner erschlagen

Das landvögtliche Schreiben, überliefert in den im Staatsarchiv Aargau einliegenden Aktenbüchern des Oberamts Lenzburg, führt aus: Gloor habe sich "so heldenmütig gehalten, daß nach ihme [nachdem ihm] sein eigen und ein von seinem gefallenen Cameraden auffgehobenes gewehr in der hand zerschossen worden, hatt er sich auf die Lucerner geworfen, und mit gewalt einem die Halparten [Hellebarde] auß der Hand gerissen und denselbsten sambt noch Vier andern tod geschlagen; ist aber auch darüber erschossen worden". Der Landvogt stilisierte Gloor zu einem Kriegshelden in der Art des Winkelriedmythos.

Bitte um Almosen

Da "der gleichen tapfere thaten" in der ganzen Welt belohnt würden, bat Berseth um Almosen für die hinterbliebene Witwe und die Halbwaisen. Der Gefallene hinterlasse eine Frau und neun minderjährige Kinder, die "durch Vatters tod in grossen mangel und elend gesetzt worden". (Richner 2004)

Organisiertes Dankesschreiben

Im gleichen Brief empfahl Landvogt Berseth dem Berner Rat, der Stadt und Bürgerschaft von Lenzburg ein Dankesschreiben zukommen zu lassen für die treuen Dienste im Villmergerkrieg. Das Schloss Lenzburg, seit 1444 Sitz der Berner Landvogteiverwaltung, diente zeitweise als Hauptquartier der Berner Truppen. Mit seinem grossen Kornlager war es zudem ein zentraler Stützpunkt der Truppenversorgung. Die Stadt Lenzburg habe sich sowohl der Berner Generalität wie auch den Verletzten gegenüber "willig, treü und eyfrig" verhalten und dafür hohe Kosten in Kauf genommen. Aus der Antwortnotiz ist zu schliessen, dass beide Anliegen des Landvogts in Bern Gehör fanden.

Landfrieden von Aarau

Vierter Landfriede vom 11. August 1712

Der Vierte Landfrieden von Aarau, 1712. Das Exemplar des Staatsarchivs Bern trägt die Siegel der 13 Orte sowie der beiden zugewandten Städte St. Gallen und Biel. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Merker im Effingerhof Lenzburg.

Am 11. August wurde in Aarau der Vierte Landfrieden geschlossen. Der Vertrag regelte die unmittelbaren Kriegsfolgen: Mit einer Amnestie für die Kriegshandlungen, einem Gefangenenaustausch und einem Verzicht auf Kriegskostenrückerstattungen wurde der militärische Konflikt beigelegt.

Religiöses Toleranzedikt

In religiöser Hinsicht stellte das Friedensabkommen ein bemerkenswertes Toleranzedikt dar. In den gemeinsam regierten Gebieten galt nun die Gleichstellung der Konfessionen. Für die Schlichtung religiöser Konflikte wurde ein paritätisch besetztes Schiedsgericht geschaffen. Dank der allgemein gewährten Religionsfreiheit konnten die konfessionellen Rivalitäten entschärft werden.

Grundsatz der Parität

In politischer Hinsicht beendete der Vierte Landfrieden die Vormachtstellung der Katholiken. Die katholischen Orte mussten Herrschaftsrechte abtreten, die Wirtschaftsmächte Bern und Zürich setzten ihre Forderungen durch. In der Tagsatzung und bei der Besetzung der Landvogteien galt nun der Grundsatz der Parität. Die obrigkeitlichen Ämter wurden entsprechend der tatsächlichen konfessionellen Bevölkerungsverhältnisse vergeben.

Im Unteren Freiamt, in der Grafschaft Baden sowie in Rapperswil wurden die katholischen Orte gänzlich aus der Regierung verdrängt. Statt des "katholischen Korridors" wurde eine Verbindung zwischen dem Zürcher und dem Berner Territorium gesichert. Die Innerschweizer Orte taten sich schwer mit dem erzwungenen Machtverlust. Mit Frankreich schlossen sie ein geheimes Unterstützungsabkommen ab, den so genannten "Trücklibund" von 1715. Bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft forderten die Verlierer des Zweiten Villmergerkriegs wiederholt, aber vergeblich eine Wiedergutmachung.

Geteiltes Freiamt

Territorialverbindung zwischen Bern und Zürich

Grenzlinie zwischen den Oberen und Unteren Freien Ämtern, festgelegt durch Vertreter der Stände Zürich, Bern und Luzern am 22. und 23. August 1712. Plan für die Platzierung der Marksteine (Staatsarchiv Aargau P.01/0164)

Durch den Aarauer Landfrieden vom 11. August 1712 wurde das von den eidgenössischen Orten gemeinsam regierte Herrschaftsgebiet der Freien Ämter in zwei unabhängige Landvogteien unterteilt. Die Unteren Freien Ämter, denen auch die beiden Reussstädtchen Mellingen und Bremgarten zugeschlagen wurden, kamen unter die alleinige Herrschaft der Stände Zürich, Bern und Glarus. Die katholischen Orte waren nur noch an der Regierung der Oberen Feien Ämter beteiligt, in die neu auch der Stand Bern Einsitz nahm. Aus dem Unteren Freiamt wie auch aus der Grafschaft Baden wurden die katholischen Stände gänzlich ausgeschlossen. Der erzwungene Territorialverlust entsprach nicht dem Modus der bisherigen eidgenössischen Landfriedensschlüsse und blieb für die Verliererseite eine Provokation.

Imperialer Federstrich?

Die von den Siegern diktierte Trennungslinie glich einem imperialen Federstrich. Wie im abgebildeten Plan aufgezeichnet, verlief die "Marchlinie" zwischen dem Oberen und dem Unteren Freiamt vom Kirchturm von Oberlunkhofen schnurgerade über die Dörfer Boswil und Bettwil bis an den Hallwiler Markstein bei Fahrwangen. Die neue Landesgrenze war aber nicht ganz so willkürlich, wie es den Anschein macht. Die Freien Ämter waren erst mit der Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen im 15. Jahrhundert als zusammenhängendes Territorium geschaffen worden. Die Teilungslinie von 1712 nahm spätmittelalterliche Herrschaftsgrenzen wieder auf und entsprach grosso modo dem Grenzverlauf der österreichischen Ämterstruktur (vgl. Dubler, Argovia 119 (2007), S. 18)

Verdoppelung des Verwaltungsaufwands

Durch die neue Machtverteilung sicherten sich Bern und Zürich eine Verbindung ihrer Territorien. Potenziellen Handelsblockaden wurde damit der Boden entzogen. In wirtschaftlicher Hinsicht erwies sich die Zweiteilung der Gemeinen Herrschaft aber als wenig profitabel: Sie führte zu einer Verdoppelung des Verwaltungsaufwands bei gleichzeitiger Halbierung der Herrschaftseinnahmen. Insbesondere Bern bemühte sich, die neuen Landvogteien durch effiziente Bewirtschaftung zu Einnahmenüberschüssen zu bringen. Im Geschichtsbild der Freiämter nährte dies einmal mehr den Topos der "ausbeuterischen Fremdherrschaft" (vgl. Dubler, Argovia 119 ( 2007)).

Villmerger Denkmalstreit

Villmerger Erinnerungsbrunnen

Mahnmal gegen Bruderzwist und Glaubenskrieg. Einweihung des Schlachtendenkmals von Villmergen am 20. Mai 1960 (zVg).

Denkmäler und Gedenkanlässe erschliessen sich nicht zuletzt aus den Bedürfnissen der Gegenwart. Schon in den 1930er Jahren hatte die Villmerger Schützengesellschaft die Idee eines Schlachtendenkmals aufgebracht. Realisiert wurde das Denkmalprojekt aber erst in den späten 1950er Jahren, auf Initiative des Villmerger Verkehrsvereins. Veränderungen im Ortsbild hatten Platz für einen "Erinnerungsbrunnen" geschaffen. Zudem hatten die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und das Bedrohungsszenario des Kalten Kriegs dem Mahnmal Auftrieb verschafft.

Dreiteiliges Denkmal

Die Gedenkanlage nach Plänen des Zürcher Bildhauers Franz Fischer setzte sich aus einem Brunnen, einer Sitzbank und einer Stele mit Inschrift zusammen. Umrahmt von Böllerschüssen, Musikdarbietungen und Festansprachen wurde die Gedenkstätte am 20. Mai 1960 offiziell eingeweiht.

Bruderzwist und Glaubenskrieg

Das von lokalen Initianten und kantonalen Experten jurierte Denkmal vertrat eine ausschliesslich konfessionelle Lesart der Schlachten von Villmergen. Es deutete die innereidgenössischen Konflikte als Glaubenskriege und hob den Versöhnungsgedanken hervor. Nach den in Stein gemeisselten Worten des Freiämter Mundartdichters Robert Stäger schlugen sich "eidgenössische Brüder" in den Jahren 1656 und 1712 "um ihres Glaubens willen". Die Inschrift ermahnte "zu versöhnen, wo immer Entzweiung droht". Als Hauptredner des Festakts waren Feldprediger beider Konfessionen eingeladen. Diese lobten die "vom Glauben her gestaltete" Lebenseinstellung der Vorfahren und erinnerten daran, dass aktuelle Bedrohungen "aus dem Osten" ähnlichen Mut erforderlich machten.

Lokale Versöhnungsgeschichte

Der Gedenkbrunnen, der das Wasser symbolisch zu einem Strahl vereinte, verkörperte auch eine lokale Versöhnungsgeschichte. Das Denkmalprojekt hatte mehrfach für "Entzweiung" gesorgt. Zum einen hatten die kantonalen Experten der Gemeinde Villmergen den Entwurf eines ortsfremden Künstlers nahezu aufgezwungen. Zum anderen hatte die an Gott appellierende Schlusszeile der Inschrift, die dem Text Robert Stägers nachträglich beigefügt wurde, in der Denkmalkommission zu "unharmonischen" Sitzungen geführt. Schliesslich kam die Gedenkstätte mit zahlreichen privaten und gewerblichen Spenden zustande und verankerte sich als lokales Friedenssymbol.