Einer verschwundenen Kirche auf der Spur
In Aarau begleitet die Kantonsarchäologie derzeit die Aushubarbeiten eines Neubauprojekts am Philosophenweg. Hier stand im Mittelalter eine Kirche.
Seit Anfang November begleitet die Kantonsarchäologie die Aushubarbeiten eines Neubauprojekts am Philosophenweg 26. Dabei kamen die bereits in den 1960er-Jahren ergrabenen Fundamente einer mittelalterlichen Kirche erneut zum Vorschein. Zudem wurden südlich der Kirche mehrere sogenannte Grabschatten dokumentiert. Die dunklen Verfärbungen zeigen an, dass sich hier Bestattungen im Boden befinden. Bisher legte das Grabungsteam die Überreste eines Schädels und mehrere Rippen frei.
Verschwunden und wiederentdeckt
Die mittelalterliche Kirche wurde schon 1936 durch den Bezirkslehrer Dr. Amman-Fehr entdeckt, als in der Flur Telli beim Bau von Einfamilienhäusern 24 beigabenlose Körpergräber und Reste eines West-Ost orientierten, rechteckigen Steingebäudes zum Vorschein kamen. Eine gezielte Sondierung der Kantonsarchäologie unter der Leitung von Alfred Lüthi ermöglichte es 1959, den Gebäudegrundriss als eine rund 13 x 27 Meter grosse, mittelalterliche Saalkirche mit eingezogenem Rechteckchor an der Ostseite zu identifizieren. Dazu wurden südlich und südwestlich der Kirche weitere neun Bestattungen freigelegt.
Ungeklärt blieb bei der Grabung, wohin die Kirche gehört. Hinweise auf eine zeitgleiche, mittelalterliche Siedlung sind in der Flur Telli nicht vorhanden. Grund für den Standort könnte die flussnahe und entsprechend hochwassergefährdete Lage sein. Die Kirche stand damals mutmasslich auf einer Aareinsel, die später verlandete. Auch die Gräber, die allesamt ohne Beigaben waren, lieferten keinen konkreten Hinweis auf die Datierung der Kirche.
Auf Spurensuche
Erst vor einigen Jahren wurde ein Kartenblatt mit dem Titel "Aarefurt" veröffentlicht. Das 40 x 29 cm grosse Kartenblatt gehört zu einer sechsteiligen Serie teils unveröffentlichter Karten von Ingenieur Johann Heinrich Albertin (1713−1785). Dieses Kartenblatt sichert die Vermutung, dass die Überquerung der Aare in der Telli unterhalb des Tellirains lag. Die Kirche in unmittelbarer Nähe der Aarefurt macht also Sinn. Denn möglicherweise handelte es sich bei der Kirche um eine "Schutz- und Landkirche" im Bereich des Flussübergangs. Da die Querung eines Flusses durch eine Furt stehts mit Gefahren verbunden war, sollten Kirchen und Kapellen am Ufer Sicherheit bringen.
Ein Beispiel hierfür ist die Schutzkirche St. Martin unterhalb des Dorfs Zillis in Graubünden, die in ihren Grundmauern der Telli-Kirche sehr ähnlich ist. Das wiederum führt zur Vermutung, dass es sich bei der Telli-Kirche um ein frühes romanisches Bauwerk handeln könnte.
Weshalb die Telli-Kirche aufgegeben wurde, ist unklar. Die Kirchenfundamente und die Gräber wurden bei den Ausgrabungen 1936 in einem ordentlichen Zustand angetroffen. Die Kirche scheint also nicht wahllos abgerissen oder zerstört, sondern vielmehr mit Sorgfalt abgebaut und abtransportiert worden zu sein. Möglicherweise führte die Gründung der Stadt Aarau und der dazugehörigen Stadtkirche zur Aufgabe der Telli-Kirche. Ob sich diese Thesen bei der aktuellen Untersuchung bestätigen lassen, bleibt abzuwarten.
Eine Wintergrabung mit vielen Fragen
Die baubegleitende Ausgrabung erstreckt sich über den Winter 2023/2024. Im Zentrum steht die Frage nach der Datierung der Kirche. Weiter soll geklärt werden, ob sich unter dem in Stein gebauten Grundriss der Saalkirche ein älterer Vorgängerbau befindet. Die bislang noch nicht untersuchte Grabungsfläche im Inneren der Kirche kann zudem Hinweise auf gebäudeinterne Installationen liefern. Wie viele weitere Gräber und Befunde noch aufgedeckt werden und ob sie eine abschliessende Datierung der Telli-Kirche ermöglichen, sind die spannenden Fragen der aktuellen Grabung.