Ein Dachstuhl und einige Dachreiter
Vier Jahre nach dem Brand der Notre-Dame in Paris ragt endlich wieder der in traditionellem Handwerk und mit den authentischen Materialien gefügte Vierungsturm in den Pariser Himmel. Ein nicht ganz so bekannter aber ebenfalls imposanter Dachreiter zeigt sich auf der Klosterkirche Königsfelden – derzeit in eingerüstetem Zustand. Glücklicherweise war die Klosterkirche in Windisch nie von einem Brand betroffen, der Dachreiter indes wechselte gleich mehrfach sein Kleid.
Im Rahmen der grossen Restaurierung der Klosterkirche Königsfelden 1891–1900, unter Leitung des Kunsthistorikers Johann Rudolf Rahn, wurden damals nicht nur die europaweit bedeutenden Glasmalereien restauriert, auch die Klosterkirche selbst verdankt ihr heutiges Bestehen massgebend der damaligen Instandsetzung. Wie der Spitzturm in Paris geht auch der Dachreiter in Königsfelden auf eine Rekonstruktion zurück. Gemäss einer früheren Darstellung der Klosteranlage von Albrecht Kauw von 1669 und nach Plänen des bekannten Badener Architekten Robert Moser von 1893 erhielt die Kirche damals wieder einen würdevollen, hochaufragenden Dachreiter. Der ursprüngliche Turm wurde 1808 abgebrochen und durch einen viel zu kurz geratenen ersetzt, wie nachfolgender Vergleich zeigt.
Mit der Gestaltung eines neu zu errichtenden Turms beschäftigte sich offenbar schon der damalige Kantonsbaumeister Johannes Schneider, der 1806 gleich mehrere Varianten unterschiedlichster Stilrichtungen für das Türmchen entwarf. Dem gestalterisch reichen Bestreben hat auf politischer Ebene der Kleine Rat Einhalt geboten. "Das Türmli auf der Kirche zu Königsfelden sollte auf die möglichst simpelste Art erbaut werden, mit Ausnahme der vier Hauptpfosten nicht aus Eiche, sondern aus Tannenholz, die Eindeckung zudem nicht aus Blech, sondern aus Holzschindeln".
Auch von der stilistischen Vielfalt ist nicht viel übriggeblieben. Der wohl aus Spargründen etwas kümmerlich geratene Turmstummel fand 90 Jahre später offenbar keinen Gefallen beim Kunsthistoriker Johann Rudolf Rahn, der zusammen mit dem Architekten Robert Moser für die umfassende Restaurierung der Klosterkirche in den Jahren 1891 bis 1900 verantwortlich zeichnete. Gestützt auf das Aquarell von Kauw (1669) und nach Plänen von Moser wurde wieder ein Dachreiter geschaffen, welcher der Bedeutung der Königsfelder Klosterkirche gerecht wird und noch heute den Dachfirst ziert. Eine weniger wechselvolle Geschichte hat der Dachstuhl der Klosterkirche selbst hinter sich, dieser zeigt seit 700 Jahren immer noch die originale Konstruktion des frühen 14. Jahrhunderts.
Nach rund 130 Jahren bedarf der Turm wieder einer erhöhten Aufmerksamkeit. Auch heute noch stellen sich besondere Ansprüche an verschiedene Gewerke. So war bereits das Erstellen des Baugerüstes an dieser exponierten Lage eine besondere Herausforderung.
Die Glocke wird demontiert und in der Glockengiesserei Rüetschi restauriert. Die in Eiche konstruierte Tragwerkskonstruktion zeigt sich glücklicherweise in insgesamt gutem Zustand, ebenso die Blecheinkleidung in Kupfer, für deren Instandsetzung die Kunstspenglerei Kunz in Zofingen gewonnen werden konnte.
Respektvoll blickt man auf die Leistung der heutigen und damaligen Handwerker, welche den Turm unter nicht minder schwierigen Bedingungen errichtet haben.
Die Restaurierung der Klosterkirche Königsfelden ist die letzte Etappe auf dem Klosterareal. In den vergangenen Jahren konnten bereits die Bauten des ehemaligen Frauenklosters sowie die sogenannten Bernerbauten aus Zeiten der bernischen Landvogtei renoviert werden. Nebst der Instandsetzung der Dächer unter Wiederverwendung der historischen Ziegel wurden sämtliche Fassaden mit einem neuen Deckputz versehen und in traditioneller Manier "al fresco" gekalkt.
Man darf schon jetzt gespannt sein auf den Gesamteindruck des Ensembles, wenn die Restaurierungsarbeiten an der Klosterkirche im Jahr 2025 abgeschlossen sein werden. (Heiko Dobler)