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Chronologie |
Entstehungszeitraum: | 1851 - 1852 |
Grundlage Datierung: | Brandkataster; Literatur |
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Typologie |
Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.): | Einzelobjekt |
Nutzung (Stufe 1): | Landwirtschaftliche Bauten |
Nutzungstyp (Stufe 2): | Ländlicher Oberschichtbau |
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Dokumentation |
Inschriften: | "1850"? (Türsturz Hauseingang); "R G 1851" (Pfosten Treppenhaus und Kachelofenfuss untere Stube) |
Würdigung: | Herrschaftliches, spätklassizistisch-biedermeierliches Landhaus mit strenger Achsenbildung und aufwändig gestalteter Schaufassade, das 1851-52 zusammen mit einem grosszügigen Gutsbetrieb als Alterssitz für den Bauwollfabrikanten Rudolf Gautschi errichtet wurde. Das weitgehend intakte Gebäude zeichnet sich durch sorgfältige Hausteinarbeiten in Muschelkalk und ein reich verziertes Gusseisengeländer am Balkon aus. Von hoher handwerklicher Qualität sind auch das beschnitzte Haustürblatt und der von einem filigranen Geländer begleitete Treppenaufgang im Innern. Das Gebäude ist prägender Bestandteil des mit der Bauwoll- und späteren Tabakindustrie verwobenen Wohn- und Fabrikensembles im Alzbach. Es bewahrt noch die originale Zugangssituation mit Gartenmauer, axialem Tor und Freitreppe und hat als Gesamtanlage einen hohen Situationswert. |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | Das Landhaus, das samt zugehörigem Gutsbetrieb 1851-52 errichtet wurde, diente dem Baumwollfabrikanten Rudolf Gautschi (1789-1868) bis zu dessen Tod als Alterssitz [1]. Gautschi stammte aus einer führenden Reinacher Fabrikantenfamilie, die mit der Verarbeitung (insbesondere dem Färben und Ausrüsten) und dem Handel der in Heimarbeit hergestellten Baumwollprodukte zu Wohlstand gekommen war. Als Standort wählte Rudolf Gautschi, der zuvor in Menziken gewohnt hatte, das Gelände nordöstlich des sogenannten Gautschi-Stammhauses von 1808-12 (Bauinventarobjekt REI917). Er kehrte damit an den Wohnort seiner Eltern zurück, deren Haus er abbrechen und durch ein herrschaftliches Landhaus mit separater Scheune ersetzen liess [2]. |
Beschreibung: | Ländlicher Oberschichtbau von stattlichen Proportionen, der als zweigeschossiger Mauerbau unter geradem Satteldach (Pfettenrafendach auf liegendem Stuhl mit Kniestock) auf einem hohen, mit Muschelkalkplatten verkleideten Kellersockel errichtet wurde. Die nach Süden gerichtete, fünfachsige Hauptfront dominiert ein dreiachsiger Mittelrisalit mit einem die Traufe durchschneidenden Giebelaufbau. Der nur um Mauerstärke vorkragende Mittelrisalit ist mittels eines schmalen Gurtgesimses und Kranzgesimses bzw. Sohlbankgesimses optisch in die Fassade zurückgebunden. Den Hauptakzent bildet im Obergeschoss ein auf sorgfältig behauenen Muschelkalkkonsolen aufliegender Balkon mit reich verziertem Biedermeier-Gusseisengeländer. Dem Erdgeschoss ist eine über drei Achsen ausgebreitete Freitreppe vorgelagert. Sie führt zum strassenseitigen Haupteingang, der die östlichste der drei Achsen am Risalit einnimmt. Das reich profilierte Türgewände ist aus Muschelkalk gefertigt und trägt am Sturz die stark verwitterte Jahreszahl „1850“ (?) und Initialen, die nicht mehr zu entziffern sind. Die zweiflüglige Füllungstür aus der Bauzeit zeigt eine elegante dreiteilige Gliederung, in zierlicher Säulchenform beschnitzte Schlagleisten sowie Messingbeschläge. Das Oberlicht wird von bogenförmigen Sprossen unterteilt. Aus demselben Gesteinsmaterial wie der Eingang sind auch sämtliche Fenstergewände gefertigt, die mit profilierten Gesimsen und – am Erdgeschoss des Mittelrisalits – mit kassettierten Brüstungsfeldern ausgestattet sind. Sowohl die Giebel auf den vierachsigen Schmalseiten als auch derjenige am Risalit sind unter dem First von einem zeittypisch gekuppelten Rundbogenfenster besetzt, das sorgfältig gehauene kapitellartige Bogenanfänger aufweist. Auf der rückwärtigen Traufseite zeugen steinerne Konsolen und ein ausgeprägter Dachvorschermen von der früheren Existenz einer Holzlaube. Heute wird die östliche Gebäudehälfte von einem gemauerten Anbau von 1962 eingenommen. Der inneren Erschliessung des grosszügig konzipierten Doppelwohnhauses dient ein durchlaufender Flur mit nordseitigem Treppenhaus [3]. Neben der Treppe beherbergte das Hinterhaus westseitig die Küche und ein Zimmer, das Vorderhaus Stube und Nebenstube, während an der Ostseite pro Geschoss zwei bis drei weitere Räume zur Verfügung standen. Den mit Muschelkalkplatte ausgelegten Hausgang zierte ehemals eine Gipsdecke mit reichen Stuckprofilen und einem rosettenförmigen Mittelmotiv (2013 entfernt). Das bauzeitliche Treppenhaus ist mit einem hölzernen Treppenlauf und einem filigran gearbeiteten Biedermeiergeländer in Form gekreuzter Spitzbogen gleich gestaltet wie dasjenige im Gautschi-Stammhaus gegenüber (Bauinventarobjekt REI917). An einem Pfosten verweisen die Initialen „R G“ und die Jahreszahl „1851“ auf den Bauherrn und das Baujahr. Dieselbe Inschrift trägt ein Kachelofen an den Ofenfüssen in der unteren Stube. Es handelt sich dabei um einen für die Biedermeierzeit charakteristischen Kastenofen mit Sitzkunst aus blauen Füll- sowie weissen Frieskacheln. Ein zweiter Ofen dieser Art findet sich in der oberen Stube, die dazu noch schlichtes Täfer mit Felderteilung und einen aus der Bauzeit stammenden „Berner Boden“ mit Hartholzfriesen bewahrt. Der obere Gang ist mit Jugendstil-Fliesen aus dem frühen 20. Jh. ausgelegt. Das Haus besitzt drei imposante Gewölbekeller, von welchen der grösste die gesamte südliche Gebäudehälfte einnimmt. Sie sind innen über das Treppenhaus und aussen über einen nordseitigen Zugang erschlossen. Zur Hofanlage gehört im Westen eine von der Strasse zurückversetzt stehende Stallscheune von 1852 (Alzbachstrasse 20). Das typologisch interessante Ökonomiegebäude integriert im östlichen Bereich eine zweistöckige Wohnung. Diese verfügt im Erdgeschoss über einen repräsentativen, von Fenstern flankierten und in Stein gefassten Haupteingang, während das Obergeschoss über einen Hocheingang mit Holztreppe auf der östlichen Giebelseite erschlossen ist. Zur Strasse hin hat sich die ursprüngliche schmiedeeiserne Einfriedung mit reich verziertem axialem Portal erhalten. Den weiten gepflästerten Hofplatz beschatten zwei grosse Bäume. Unter dem östlichen steht ein langgestreckter Laufbrunnen aus Muschelkalk (Bauinventarobjekt REI936C). |
Anmerkungen: | [1] Steiner 1963/64, S. 19. [2] Der 1850 abgebrochene Vorgängerbau war 1685 von Melchior Erismann erbaut worden und befand sich seit ca. 1760 im Besitz von Heinrich Gautschi, Alt-Müller, und seinen Nachkommen, vgl. Steiner 1995, S. 627 (Vers.Nr. 61). [3] 1867 wurde das Wohnhaus an Rudolfs Söhne Jakob und Hermann vererbt, welche im Brandlagerbuch von 1876 eine getrennte Verzeichnung ihrer Anteile veranlassten. Demnach waren zwei Stockwerkswohnungen vorhanden, während Dachgeschoss und Keller geteilt wurden, vgl. Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0261-0264: Brandkataster Gemeinde Reinach 1850-1938. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Reinach 4141-10. - Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung. - Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 51-52. |
Literatur: | - Peter Steiner, Reinach. Die Geschichte eines Aargauer Dorfes, Reinach 1964, Taf. XVII. - Peter Steiner, Reinach. 1000 Jahre Geschichte, Reinach 1995, S. 394-395, 627 (Vers.Nr. 61). - Peter Steiner, Die Baumwollfabrikation der Familie Gautschi in Reinach und Menziken, in: Jahresschrift der Historischen Vereinigung Wynental 1963/64, S. 1-35. |
Quellen: | - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0261-0264: Brandkataster Gemeinde Reinach 1850-1938. |
Reproduktionsbestimmungen: | © Kantonale Denkmalpflege Aargau |
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URL: | http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=121958 |
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