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INV-UNS929C Poliergebäude/Spulerei Stroppel, 1870 (ca.) (Dossier (Bauinventar))
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Chronologie |
Entstehungszeitraum: | approx. 1870 |
Grundlage Datierung: | Literatur |
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Typologie |
Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.): | Teil einer Baugruppe |
Weitere Teile der Baugruppe: | Bauten der Nähfadenfabrik Stroppel (Bauinventarobjekte UNS929A-B, D-M) |
Nutzung (Stufe 1): | Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten |
Nutzungstyp (Stufe 2): | Fabrikgebäude, Manufakturgebäude |
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Dokumentation |
Würdigung: | Das zwischen der stattlichen Zwirnerei und der quer zur Limmat gerichteten alten Färberei (Bauinventarobjekte UNS929A und D) stehende Polier- und spätere Spulereigebäude bildet mit diesen zusammen die gründungszeitlichen Produktionsbauten der Nähfadenfabrik Stroppel. Der eingeschossige Flachdachbau ist über die ganze Länge mit einem schmalen, übergiebelten Aufbau versehen, der ehemals zur Belichtung vollständig verglast war, heute in seiner ursprünglichen Funktion jedoch nicht mehr lesbar ist. Limmatseitig hat sich die ursprüngliche axialsymmetrische Fassadengestaltung intakt erhalten. Sie zeigt am Erdgeschoss Segmentbogenlichter und dieselbe Gliederung durch Lisenen und Zahnschnittfriese wie an den Nachbargebäuden, wodurch eine optische Verklammerung der unterschiedlich konzipierten Volumen erreicht wird. Als architektonisches und in Bezug auf den einstigen Herstellungsprozess funktionales Bindeglied ist das Poliergebäude ein wichtiger Bestandteil der Anlage. |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | Fabrikanlage allgemein: Pläne von alt Ammann Johann Baptist Umbricht und "Löwen"-Wirt Josef Leonz Müller aus Untersiggenthal, im Stroppel am rechten Limmatufer eine Baumwollspinnerei und -weberei zu eröffnen, wurden trotz der 1864 regierungsrätlich erteilten Konzession für ein Wasserrad nicht umgesetzt. 1867 erwarb der Zürcher Unternehmer Emil Escher-Hotz sowohl Land als auch Radrecht und nahm 1869 in der neu erstellten mechanischen Nähfadenfabrik die Produktion auf [1]. Gemäss Brandkataster von 1875 umfasste das Fabrikareal damals folgende Gebäude: "1. Färberei- und Bleichereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929D], einstöckig, von Stein erbaut mit Dampfkamin und zwei gewölbten Räumen im Erdgeschoss; 2. Zwirnereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929A], dreistöckig, von Stein erbaut; 3. Poliergebäude [Bauinventarobjekt UNS929C, hier beschrieben], einstöckig, zwischen dem 1. und 2. Gebäude eingebaut, mit Blech- und Glasdach; 4. Turbinenhaus [Vorgängerbau des heutigen Kraftwerks von 1908/1932, Bauinventarobjekt UNS929B], einstöckig, von Stein, Riegel und Holz; 5. Sägegebäude [Bauinventarobjekt UNS929G], an das Werkstattgebäude angebaut, einstöckig, von Stein, Holz und Riegel, mit Anbau, 1 Vertikalsäge, 2 Zirkularsägen, 1 Bandsäge nebst Getriebe; 6. Werkstattgebäude [Bauinventarobjekt UNS929H], zweistöckig; 7. Ökonomiegebäude mit angebauter Stallung [Bauinventarobjekt UNS929I] [2]." Zur Anlage gehörten ausserdem ein unmittelbar neben dem Ökonomiegebäude stehendes zweistöckiges Wohnhaus mit drei Wohnungen (sog. "Meisterhaus", Bauinventarobjekt UNS929J) und im Roost zwei zweistöckige Arbeiterwohnhäuser (beide abgebrochen). Um das Einzugsgebiet für auswärts wohnende Arbeitskräfte auch auf die andere Uferseite erweitern zu können, unterhielt Escher-Hotz 1869-72 eine Fähre und 1872-1881 einen Fussgängersteg über die Limmat [3]. Mit 259 Arbeiterinnen und Arbeitern erreichte die Fabrik 1883 einen Spitzenwert [4]. 1885 beschäftigte sie noch 225 Personen – zu drei Viertel Frauen und Mädchen – und war damit die achtgrösste Fabrik im Kanton [5]. 1906 wurde die Firma von den Erben Eschers an die weltweit tätige schottische Unternehmergruppe für Nähfaden und Handarbeitsgarne, J. & P. Coats Ltd. in Glasgow verkauft und 1907 in die "Zwirnerei Stroppel AG" umgewandelt. Es folgten ein Umbau und eine Modernisierung der Anlagen, wobei das Turbinenhaus zu einem Kraftwerk (Bauinventarobjekt UNS929B) umgebaut und die Fabrik elektrifiziert wurden [6]. Neu hinzu kamen in dieser zweiten Bauetappe zwischen 1907 und 1911 flussaufwärts die neue Färberei (Bauinventarobjekt UNS929E), die Mitte 20. Jh. ein Sheddach erhielt, das Kesselhaus mit Hochkamin (Bauinventarobjekt UNS929F) und das Wasseraufbereitungsgebäude am südöstlichen Ende des Areals (nicht Bestandteil des Bauinventars). Ausserdem wurden in nordwestlicher Verlängerung der Anlage eine Direktorenvilla, ein Angestelltenwohnhaus und ein Arbeiterinnenheim mit Waschhaus (Bauinventarobjekte UNS929K-M) errichtet. Nach einem Brand im Jahr 1932 musste das Maschinenhaus des Kraftwerks neu gebaut werden [7]. Im Laufe der 1980er Jahre stellte Coats Stroppel AG die Produktion ein (Aufgabe der Zwirnerei 1985) und fokussierte sich auf den Handel mit Merceriewaren, was mit einer Stilllegung auch des Wasserkraftwerks einherging [8]. 1995 erwarb die Proma Energie AG das Kraftwerk und die historische Fabrikanlage. Nach einer sanften Nachrüstung und Automatisierung setzte sie das Kleinkraftwerk wieder in Betrieb. Seit 2011 wird es von der Axpo betrieben, welche die verbliebenen alten Maschinengruppen (Turbinen und Generatoren) auswechselte. Die anderen technischen Einrichtungen blieben mehrheitlich museal vor Ort erhalten. Im Industrieareal entwickelte sich währenddessen ein Gewerbezentrum. Heute sind in den Gebäuden der ehemaligen Nähfadenfabrik verschiedene Nutzungen vereinigt, vom Kleingewerbe und Büroarbeitsplatz über Kunstateliers und Kulturbetriebe bis zu Wohnungen.
Poliergebäude, später Spulerei: Das Poliergebäude, das ab 1908 als Spulerei diente, gehört wie die Zwirnerei und die alte Färberei (Bauinventarobjekte UNS929A und D) zwischen die es gestellt ist, zu den frühesten, um 1870 errichteten Bauten der Fabrik. Die hofseitige Erweiterung bis zur Mauerflucht der alten Färberei stammt wohl aus der Umbau- und Erweiterungsetappe um 1908. Der eingeschossige, flach gedeckte Bau trug ursprünglich ein Blechdach mit originellem, vollständig in Glas errichtetem Lichtgaden (gemäss Kurzinventar von 2002, vgl. Bilddokumentation) [9]. Bei der letzten Renovation wurde der gläserne Aufbau, der sich durch seine Transparenz und Leichtigkeit vom gemauerten Erdgeschoss abhob, durch ein wellblechernes Dach und die teilweise Verschliessung der Längsseiten in Materialität und Ausdruck wesentlich verändert. Hofseitig ersetzte man zwei Rechteckfenster durch ein breites zweiflügliges Holztor mit Teilverglasung. |
Beschreibung: | Das südöstlich der Zwirnerei (Bauinventarobjekt UNS929A) angegliederte Gebäude bildet den mittleren Teil des gründungszeitlichen Produktionskomplexes der Nähfadenfabrik Stroppel. Dieser bestand um 1870 aus einer parallel zum Limmatkanal gestellten Gebäudezeile mit Zwirnerei, Poliergebäude (ab 1908 Spulerei) und alter Färberei (ab 1908 Winderei). Eine Werkstatt mit angebauter Schreinerei und ein Ökonomiegebäude waren der Fabrik im dahinter liegenden Bereich zugeordnet. Zwischen dem stattlichen Bau der Zwirnerei und der sich zweigeschossig präsentierenden, giebelständigen alten Färberei tritt das flach gedeckte, eingeschossige Poliergebäude, dem einzig durch den übergiebelten ehemaligen Lichtgaden eine Richtung gegeben ist, optisch als Verbindungselement zurück. Dies kommt auch im - ursprünglich sowohl land- als auch flussseitig vorhandenen - Fassadenrücksprung gegenüber den beiden flankierenden Gebäuden zum Ausdruck (hofseitig durch eine spätere Erweiterung aufgehoben). Das verputzte Mauerwerk zeigt dieselbe Gliederung mittels Lisenen und Zahnschnittfries, wie sie die Zwirnerei und in ähnlicher Form auch die alte Färberei aufweisen. Weitergeführt ist auch die aus grossen, grob behauenen Kalksteinquadern gebildete Sockelzone. Die dem Limmatkanal zugewandte Fassade hat sich in ihrer ursprünglichen Gestaltung mit vier sandsteingefassten gekuppelten Stichbogenlichtern erhalten. Zum Hof hin ist die von einer Erweiterung um 1908 stammende, schlicht verputzte Fassade mit hochrechteckigen Einzelfenstern ausgestattet, die ohne Gewände, nur mit einem Blockgesims, ins Mauerwerk eingelassen sind. Neben einer steingefassten Tür befinden sich auf dieser Seite des Gebäudes in unregelmässiger Verteilung zwei weitere Durchgänge, darunter ein vor wenigen Jahren ergänztes zweiflügliges Tor. Da der schmale Längsanbau etwas niedriger ausgebildet ist als der Kernbau, ist das Flachdach auf dieser Seite abgestuft. Dadurch blieb von der alten Fassade der obere Streifen mit Zahnschnittfries erhalten. Ehemals in der Mitte des Poliergebäudes positioniert, führt von der Zwirnerei bis zum Dach der alten Färberei der ehemals gläserne Lichtgaden, der heute ein Blechdach trägt und zum Hof hin bis auf ein schmales Lichtband verschlossen ist. Limmatseitig ist die ganze Front mit Storen versehen, davor ist auf dem Flachdach eine Terrasse eingerichtet. |
Anmerkungen: | [1] Hoegger 1995, S. 175-176. [2] Boner 1983, S. 188. Die abweichenden Bezeichnungen der Gebäude auf der Schautafel des Industriekulturpfads 1996 beziehen sich auf die Zeit nach dem Umbau und der Modernisierung der Bauten 1907-09. [3] Lang/Steigmeier 1995, S. 23. [4] Meier/Steigmeier 2008, S. 130. [5] Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss 1996, S. 21. [6] Lang/Steigmeier 1995, S. 5-6; Hoegger 1995, S. 175. [7] Meier/Steigmeier 2008, S. 132 (Bildlegende Abb. 10) [8] Hoegger 1995, S. 175-176; Lang/Steigmeier 1995, S. 6-7; AZ vom 22. Juni 2012, S. 31; Meier/Steigmeier 2008, S. 131. [9] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung BLN, BLN 1019 Wasserschloss beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat (Schutzziel 3.8 Die kulturhistorischen Zeugen der Wasserkraftnutzung und der frühen industriellen Entwicklung erhalten). |
Literatur: | - Georg Boner, Die Geschichte der Gemeinde Untersiggenthal, Baden 1983, S. 186-190. - Peter Hoegger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 7, Basel 1995, S. 175-177. - Der Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss im Raum Turgi-Untersiggenthal-Vogelsang (Dokumentation 5), Baden 1996, S. 19-21. - Norbert Lang/Andreas Steigmeier, Fabrikanlage und Kraftwerk Stroppel (Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss, Dokumentation 2), Baden 1995. - Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 135. |
Quellen: | - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938. |
Reproduktionsbestimmungen: | © Kantonale Denkmalpflege Aargau |
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URL: | http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=130276 |
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