INV-GRA936 Bienstelstrasse 21, 18. Jh. (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-GRA936
Signatur Archivplan:GRA936
Titel:Bienstelstrasse 21
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Nordwesten (2018)
Bezirk:Aarau
Gemeinde:Gränichen
Ortsteil / Weiler / Flurname:Bienstel
Adresse:Bienstelstrasse 21
Versicherungs-Nr.:272
Parzellen-Nr.:888
Koordinate E:2651117
Koordinate N:1245053

Chronologie

Entstehungszeitraum:18th cent.
Grundlage Datierung:Schätzung

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Landwirtschaftliche Bauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Bäuerlicher Vielzweckbau

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2018

Dokumentation

Würdigung:Ehemaliges Strohdachhaus kleinbäuerlicher Prägung, das im Kern vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammt und in der Folge 1823 verlängert und zu einem Doppelhaus ausgebaut wurde. Von erheblichem konstruktionsgeschichtlichem Zeugenwert ist die durchgehend rauchgeschwärzte Hochstud-Dachkonstruktion, welche sich in unterschiedlicher Ausprägung der beiden Bauphasen weitgehend noch im Originalzustand befindet. Trotz erheblicher baulicher Eingriffe an den Fassaden sind noch aussagekräftige Teile der alten Bohlenständerkonstruktion vorhanden. Der heutige Grundriss mit zwei aussenseitigen Wohnteilen und mittigem Tennbereich dürfte noch den Nutzungsverhältnissen nach dem Ausbau zum Doppelbauernhaus entsprechen. Mit seinem allseitig abgewalmten, geschlossenen Dach bildet das in einer kleinen Baugruppe stehende Gebäude ein prägendes Element der bäuerlichen Kulturlandschaft.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Im ersten Brandkataster von 1809 wird das Gebäude als "Haus und Scheuerwerk von Holz aufgebauwen, mit Stroh gedeckt", in den Händen von Kaspar Widmer, Zimmermann, aufgeführt [1]. In den damaligen Verhältnissen handelte es sich um ein geringer dimensioniertes Kleinbauernhaus mit ostseitigem Wohnteil und westseitigem Scheunentrakt, welcher wohl aus dem heute noch vorhandenen Tenn und einem seitlich anschliessenden Stallbereich bestand. Die Ausmasse des Kernbaus sind an der original erhaltenen Dachkonstruktion noch gut nachvollziehbar. Diese besteht aus zwei Hochstüden (Firstständern), wobei der eine in der Trennwand zwischen Wohnteil und Tenn bis auf die Grundschwelle geführt und der zweite auf Dachbodenniveau über dem Wohnteil abgefangen ist. Den Konstruktionsformen nach zu schliessen, dürfte der Kernbau im früheren 18. Jh. entstanden sein.
1823 ist im Brandkataster eine Erweiterung verzeichnet, verbunden mit einer deutlichen Erhöhung des Versicherungswertes von vormals 650 Franken auf 1300 Franken. Zugleich fand eine eigentumsrechtliche Aufteilung unter Kaspar Widmer und seinem Sohn Hans Ulrich Widmer statt, welche nun über je die Hälfte des Hauses verfügten. Die nach Westen erfolgte Erweiterung ist durch Ansatzstellen im Dachgebälk anschaulich bezeugt. Die ebenfalls noch rauchgeschwärzte Dachkonstruktion der Bauphase von 1823 zeigt eine zeittypische, reduzierte Form der Hochstudkonstruktion mit auf Dreieckstreben und Hahnenbalken abgefangenen Firstsäulen.
Im ausführlich gehaltenen Brandkatastereintrag von 1875 werden die nach dem Umbau von 1823 entstandenen Nutzungsverhältnisse wie folgt beschrieben: "Wohnhaus, 2-stöckig mit 2 Wohnungen, Tremkeller und Scheune, von Stein, Rieg, Holz, mit Strohdach". Die beiden Wohnungen waren rechts und links der Scheune angeordnet, wobei zu jedem Hausteil ein Stall und ein Anteil Keller gehörten.
Eigentumsrechtlich ging der alte, östliche Wohnteil 1837 an Samuel Keller und 1846 an Jakob Läuppi, Posamenter, über; der jüngere, westliche Hausteil gelangte 1843 an Rudolf Stirnemann und 1878 an Vinzenz Suter, Schuster. Aus den Berufsbezeichnungen lässt sich schliessen, dass die Hausbewohner ihr Auskommen wohl nicht in erster Linie von der Landwirtschaft, sondern hauptsächlich von ihrer handwerklichen Tätigkeit bestritten.
Der Wechsel von der traditionellen Stroheindeckung auf Ziegel fand gemäss Gebäudeversicherung erst im 20. Jh., vermutlich 1927, statt. Denkbar ist, dass zur gleichen Zeit die Holzfassade der südlichen Stubenfront durch die heutige Backsteinmauer mit grossen Fensteröffnungen ersetzt wurde. Im Verlauf des 20. Jh. fanden diverse weitere Eingriffe am Äussern und auch Modernisierungen im Innern statt, so dass das Gebäude heute etwas uneinheitlich in Erscheinung tritt.
Beschreibung:Das Gebäude ist Bestandteil einer kleinen historischen Baugruppe im Bientel (frühere Bezeichnung "Bietschthal"), welche südöstlich von Gränichen am Hangfuss der Wynaebene gelegen ist. Unter charakteristisch abgewalmtem Dach mit Firstrichtung Nordwest-Südost schmiegt es sich an einen steil ansteigenden Geländesporn, die südwestliche Stubenfront hangabwärts auf die Ebene gerichtet.
In der heutigen Nutzungskonstellation, welche wohl seit der baulichen Erweiterung und eigentumsrechtlichen Aufteilung von 1823 besteht, weist das Haus zwei stirnseitige Wohnteile und einem mittig gelegenes, von beiden Parteien genutztes Tenn auf. Wo genau sich die heute nicht mehr existierenden Ställe befanden, ist nicht mehr mit Sicherheit festzustellen; möglicherweise waren sie in der Art der gestelzten Bauweise im Sockelbereich des westlichen Hausteils eingerichtet [2].
Obschon das Haus im Laufe der Zeit erhebliche bauliche Eingriffe erfahren hat, blieben aussagekräftige Elemente der hölzernen Grundkonstruktion aus den beiden Hauptbauphasen erhalten. Vom Kernbau aus dem 18. Jh. sind dies die intakte Bohlenständerwand an der südöstlichen Stirnseite, die weitgehend noch bestehende Trennwand zwischen Wohnteil und Tenn sowie wesentliche Teile der hölzernen Binnenwände samt Deckenbalkenlagen im Obergeschoss. Demgegenüber wurde die gesamte südliche Stubenfront im frühen 20. Jh. als Backsteinmauer mit grossen, in Anlehnung an die früheren Verhältnisse unregelmässig angeordneten Fensteröffnungen neu erstellt. Im Bereich der nordwestlichen Hauserweiterung von 1823 sind Teile der originalen Ständerkonstruktion mit Eichenschwelle insbesondere an der Tennwand und an der südlichen Stubenfront noch erhalten. Ebenfalls zum Bestand von 1823 zu rechnen sind die nordwestliche Stirnfront aus massivem Mauerwerk und die mit waagrechten Holzsprenzeln ausgefachten Binnenwände im Obergeschoss.
Im Unterschied zur fragmentarisch erhaltenen Wandkonstruktion präsentiert sich das durchgehend rauchgeschwärzte Dachgerüst in weitgehend intaktem Zustand, wobei die beiden Bauphasen vom 18. Jh. (Kernbau) und von 1823 (nordwestliche Erweiterung) geradezu lehrbuchmässig ablesbar sind. Über dem Kernbau erhebt sich eine klassische Hochstudkonstruktion in der Kleinvariante mit zwei Firstständern (Hochstüden), wovon der eine zwischen dem nordwestlichen Hauptwohnteil und dem Tenn aufgeführt und der zweite über dem Wohnbereich abgefangen ist. Mit Firstpfette, Unterfirst, querversteifenden Sperrrafen und längsversteifenden Windstreben verfügt das Dachgerüst noch über sämtliche Konstruktionselemente, und selbst die originalen Rafen sind in wesentlichen Teilen noch erhalten. Eine deutlich erkennbare Ansatzstelle an der Firstpfette und am Unterfirst markiert die nordwestliche Hauserweiterung. Hier nun ist die Hochstudkonstruktion in zeittypisch reduzierter Form, mit kräftigen Dreieckstreben, versteifenden Hahnenbalken und darauf gesetzter, kurzer Firstsäule, ausgebildet. Diese Art der Dachkonstruktion ist bei jüngeren und kleinformatigen Strohdachhäusern in der Region recht verbreitet [3].
Der östliche Wohnteil des Kernbaus aus dem 18. Jh. zeigt ein gängiges Grundrissmuster mit den Hauptwohnräumen Stube und Nebenstube (heute zusammengelegt) auf der Südseite sowie Küche und Kammer im nördlichen, rückwärtigen Bereich. Der Hauszugang dürfte seit jeher über eine laubenartige Vorzone unmittelbar in die Küche erfolgt sein. Von der ehemals wohl zweigeschossigen offenen Rauchküche führt eine Stiege hinauf ins auffallend niedrige Obergeschoss, welches einfache, als Schlaf- und Lagerräume genutzte Kammern enthält. Ein ähnliches vierteiliges Raummuster weist auch der jüngere, westliche Wohnteil aus der Erweiterungsphase von 1823 auf. Allerdings sind hier die Raumhöhen im Obergeschoss grösser bemessen als beim Kernbau. Unter der südwestlichen Stube befindet sich ein alter Kellerraum mit Balkendecke. Von der historischen Wohnungsausstattung sind in der Stube des alten, östlichen Hausteils ein grüner Kachelofen mit Sitzkunst (späteres 19. Jh.) und in der Küche ein eiserner Sparherd erhalten.
Anmerkungen:[1] Staatsarchiv Aargau, ZwA 1936.0001/0209-0211: Brandkataster Gränichen 1809-1899.
[2] Unter "gestelzter Bauweise" versteht man eine vertikale Nutzungsanordnung, bei welcher der Ökonomieteil eines Bauernhauses (Ställe) nicht seitlich an die Wohnräume anschliesst, sondern auf einem tieferen Niveau angeordnet ist. die gestelzte Bauweise kann insbesondere bei Kleinbauernhäusern mit engen Raumverhältnissen beobachtet werden.
[3] Als Vergleichsbeispiele in der Gemeinde Gränichen können die ehemaligen Strohdachhäuser Lochgasse 7 (Bauinventarobjekt GRA906; Baujahr um 1800), Hochspüelstrasse 63 (Bauinventarobjekt GRA913; Baujahr um 1800), angeführt werden. Ein gut dokumentiertes Belegbeispiel für diese Konstruktionsform ist auch das Kleinbauernhaus Erlenstrasse 6 in Riken, Gemeinde Murgenthal (Kantonales Denkmalschutzobjekt MUT003; Baujahr 1809). Vgl. Hierzu Räber 2002, S. 309-313).
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
Literatur:- Pius Räber, Die Bauernhäuser des Kantons Aargau, Bd. 2, Baden 2002.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, ZwA 1936.0001/0209-0211: Brandkataster Gränichen 1809-1899; Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0016: Brandkataster Gränichen 1899-1938.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=134063
 

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