INV-THA909 Polenstrasse, 1941-1942 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-THA909
Signatur Archivplan:THA909
Titel:Polenstrasse
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Anfang der Strasse im Unterdorf (2019)
Bezirk:Aarau
Gemeinde:Thalheim (AG)
Ortsteil / Weiler / Flurname:Unterdorf, Zwüscheflüe
Adresse:Polenstrasse
Parzellen-Nr.:2, 347
Koordinate E:2650405
Koordinate N:1254496

Chronologie

Entstehungszeitraum:1941 - 1942
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Verkehrs- und Infrastrukturbauten

Dokumentation

Inschriften:"1941 erbaut von internierten polnischen Soldaten" (hangseitige Stützmauer)
Würdigung:1941/42 durch internierte polnische Soldaten und Flüchtlinge eines Arbeitslagers erbaute Strasse, die als Teilstück einer schliesslich nicht ausgeführten Verbindung von Thalheim nach Oberzeihen konzipiert war. Von der Armee zur Zeit der «Grenzbesetzung» in den ersten Kriegsjahren in Angriff genommen, sollte mit dem Strassenausbau ein für Truppenverschiebungen geeigneter zusätzlicher Juraübergang geschaffen werden. Bei den für den Strassenausbau verpflichteten Internierten handelte es sich zum einen um polnische Soldaten, die in Frankreich gekämpft hatten und 1940 kurz vor der Niederlage in die Schweiz fliehen konnten, zum anderen um Insassen eines Arbeitslagers für Flüchtlinge in der Bruggmatt. Nachdem das Projekt bereits im Zeichen des Rückzugs ins «Réduit» an Dringlichkeit verloren hatte, geriet es in der Nachkriegszeit ganz ins Vergessen, so dass die ausgebaute Strasse bis heute kurz oberhalb der Schenkbergerhöfe endet. Die von sorgfältig angelegten Stützmauern gefasste Strasse stellt als sprechendes Zeugnis für den von den Internierten und den Flüchtlingen unter Strapazen geleisteten Arbeitseinsatz im Zweiten Weltkrieg ein wichtiges historisches Dokument dar.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Zur Zeit der «Grenzbesetzung», als in den grenznahen Landesteilen eine grosse Zahl von Soldaten stationiert war, begann die Armee im April 1940 mit dem Bau einer für Truppenverschiebungen geeigneten, d.h. ausreichend breiten und nicht allzu steilen, Strassenverbindung von Thalheim nach Oberzeihen [1]. Für den Strassenbau wurden zunächst Schweizer Soldaten herangezogen, von denen allerdings berichtet wird, dass sie eher wenig motiviert waren. Bereits im Juni 1940 wurden die Arbeiten mit der teilweisen Demobilisierung der Armee nach der Niederlage Frankreichs eingestellt und von der Armee im darauffolgenden Herbst lediglich für wenige Tage noch einmal aufgenommen.
Vielleicht als Antwort auf die Aufforderungen durch die Gemeinde, die in den Anfängen steckengebliebenen Arbeiten wieder aufzunehmen, wurden in der Folge die Insassen zweier Arbeitslager für die Fertigstellung der Strasse herangezogen. Im Herbst 1940 wurde zunächst ein Arbeitslager für «Emigranten» in der Bruggmatt eingerichtet. Mit diesem Begriff bezeichneten die Bundesbehörden Flüchtlinge, die nur ein vorläufiges Aufenthaltsrecht genossen und bei Kriegsende sofort die Schweiz zu verlassen hatten. Darunter fielen etwa die wenigen jüdischen Flüchtlinge, denen es überhaupt gelungen war, in das Land einzureisen. Ab 1940 wurde die Internierung der «Emigranten» in zivil geführten Arbeitslagern praktiziert, womit diese zu Arbeiten im Landesinteresse herangezogen werden sollten; gleichzeitig lag darin natürlich auch ein Instrument der Kontrolle und Disziplinierung [2]. Auch aus dem Thalheimer Lager werden Zustände berichtet, welche die Haltung der Behörden wie auch der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen in einem sehr schlechten Licht erscheinen lassen [3].
Im Februar 1941 wurde in Thalheim zusätzlich ein kleines Lager für internierte polnische Soldaten eingerichtet. Kurz vor der Niederlage Frankreichs konnte sich im Juni 1940 ein französisches Armeekorps, dem neben 29‘000 Franzosen auch 12‘000 Soldaten und Offiziere der polnischen Exilarmee angehörten, in die Schweiz absetzen [4]. Während die Franzosen bald wieder zurückgeführt wurden, blieben die Polen bis nach Kriegsende in der Schweiz. Zunächst beschloss die Armee, die Soldaten und Offiziere zentral in möglichst grossen Lagern zu internieren, um sie zu versorgen und zu überwachen und den Kontakt mit der Bevölkerung zu unterbinden. Mit der wachsenden Unzufriedenheit der Internierten, die zur Untätigkeit gezwungen waren, erwies sich dies aber schon bald als Fehlkonzeption, weshalb man die Internierten schliesslich auf eine ganze Anzahl kleinerer Lager verteilte. Auch wurden sie nun für die im November 1940 beschlossene «Anbauschlacht» und für Arbeitseinsätze in Industrie, Strassenbau oder auch Waldwirtschaft herangezogen.
Das Thalheimer Lager bestand lediglich aus zwei Baracken zu beiden Seiten des damaligen Schulhauses sowie einigen Räumen im Schulhaus selbst und umfasste wohl nicht mehr als etwa dreissig polnische Soldaten. Die Flüchtlinge aus dem Arbeitslager und die polnischen Internierten setzten 1941/42 den begonnen Strassenbau fort, wobei der jeweilige Anteil nicht eindeutig geklärt ist. Es scheint, dass die Flüchtlinge aus dem Arbeitslager auch für die «Polenstrasse» herangezogen wurde [5]. Gleichzeitig entstand eine Strasse von den Schenkenbergerhöfen zur Bruggmatt. Dass den Flüchtlingen, darunter vielen Juden, die Erinnerung auf der entsprechenden Inschrift am Ausgangspunkt der Strasse verwehrt blieb, fügt sich zum allgemeinen Bild, dass sie von den Behörden wie auch der Bevölkerung sehr viel misstrauischer beäugt und schlechter behandelt wurden als die polnischen Soldaten.
Im Februar 1943 wurden die polnischen Internierten nach Oberzeihen verlegt, und fast gleichzeitig wurde offenbar auch das «Emigrantenlager» aufgelöst, womit der Strassenausbau kurz oberhalb der Schenkenbergerhöfe im Wald steckenblieb. Man kann wohl annehmen, dass das Interesse der Armee an der Strassenverbindung bereits mit dem Rückzug ins «Réduit» stark nachgelassen hatte, bevor es in der Nachkriegszeit ganz verschwand. 1948 ging das realisierte Strassenstück von der Eidgenossenschaft gegen eine Entschädigung in das Eigentum der Gemeinde über.
Beschreibung:Die «Polenstrasse» beginnt im Thalheimer Unterdorf, von wo sie ungefähr auf dem Verlauf einer älteren Wegverbindung in einem grossen Bogen um den fast kegelförmigen Abhang des Schenkenbergs bis zum Geländeeinschnitt im Stalten führt. Im folgenden Teilstück bis oberhalb der Schenkenbergerhöfe ersetzte man 1941/42 den älteren Verlauf durch drei weite, gut befahrbare Serpentinen. Oberhalb der Serpentinen schliesst ein kurzes gerades Stück durch den Wald an, bevor die ausgebaute Strassenverbindung im Elmhard endet. Besonders im untersten Strassenstück sowie unterhalb des Stalten zeugen neben der Trassierung und Streckenführung auch sorgfältig gestaltete Stützmauern und Geländer aus lokal gebrochenem Muschelkalk vom Strassenausbau. Am Anfang der markanten Steigung ist in einem Feld der hangseitigen Stützmauer eine grosse Inschrift in zeittypischer Typografie angebracht: «1941 erbaut von internierten polnischen Soldaten».
Anmerkungen:[1] Geschichtliches, soweit nicht anders angegeben, nach Belart 2006.
[2] Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg 2002, S. 111f.
[3] Knauer / Frischknecht 1983, S. 178-183.
[4] Vgl. zur Internierung polnischer Soldaten in der Schweiz allg. etwa [Ruben Mullis], Die Internierung polnischer Soldaten in der Schweiz, 1940-1945, hrsg. von der Militärakademie an der ETH Zürich, Au ZH 2003; Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg. Schlussbericht, Zürich 2002, S. 113f.
[5] Vgl. Knauer / Frischknecht 1983, S. 178-183.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Literatur:- Caroline Belart, Viele von ihnen weinten. Polnische Internierte in der Schweiz und insbesondere in der Gemeinde Thalheim (AG) während des Zweiten Weltkriegs, in: Argovia, Bd. 118 (2006), S. 47-63.
- Mathias Knauer / Jürg Frischknecht, Die unterbrochene Spur. Antifaschistische Emigration in der Schweiz von 1933 bis 1945, Zürich 1983, S. 178-183.
Quellen:- Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS), AG 587.0.1 (1995), regionale Bedeutung.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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