INV-BES910 Seestrasse 11, 18. Jh. (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-BES910
Signatur Archivplan:BES910
Titel:Seestrasse 11
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Beinwil am See
Ortsteil / Weiler / Flurname:Hinterdorf
Adresse:Seestrasse 11
Versicherungs-Nr.:291
Parzellen-Nr.:328
Koordinate E:2657858
Koordinate N:1235827
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2657858&y=1235827

Chronologie

Entstehungszeitraum:18th cent.
Grundlage Datierung:Schätzung

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Landwirtschaftliche Bauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Bäuerlicher Vielzweckbau

Dokumentation

Inschriften:"12. Dezember 1772" (Fenstersturz am rückwärtigen Stock)
Würdigung:Wohl im frühen 18. Jahrhundert entstandenes, ehemals strohgedecktes Hochstudhaus, das im Obergeschoss einen ursprünglich auch von aussen zugänglichen Saal besitzt. Dieser diente den Beinwiler Herrnhutern, einer protestantischer Brüdergemeinde, die im ausgehenden 18. Jahrhundert grossen Zulauf hatte, als Versammlungslokal und wurde wohl gleichzeitig auch als Schulstube genutzt. Ausserdem soll der Ökonomieteil des mächtigen Hauses als Zehntenscheune gedient haben. Wohn- und Ökonomieteil zeigen trotz beträchtlicher baulicher Eingriffe noch wesentliche Merkmale ihrer ursprünglichen Erscheinung. Die konstruktionsgeschichtlich und bautypologisch interessante Hochstudkonstruktion des Daches ist bei einer Renovation 2014 allerdings vollständig verschwunden.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Nach seinen bautypologischen und konstruktiven Merkmalen lässt sich der ehemals strohgedeckte bäuerliche Vielzweckbau wohl ins frühe 18. Jh. datieren. 1772 wurde dem Haus gemäss einer Bauinschrift eine ummauerter Raum an der Nordseite angefügt, der ursprünglich vielleicht als „Stock“ und später als Werkstatt diente. 1785 gelangte die Liegenschaft als "ein gantzes Haus mit Kraut- und Baumgarten in der Nähe der Kapelle“ – gemeint ist die 1852 abgebrochene Kapelle im Hinterdorf – in den Besitz von Lehrer Hans Jakob Eichenberger.
Zeitweilig diente das Gebäude als Versammlungsort der Beinwiler Herrnhuter. Seit der Mitte des 18. Jh. hatte die protestantische Brüdergemeinde, deren schweizerisches Zentrum sich in Aarau befand, auch in Beinwil Fuss gefasst [1]. Ihr gehörte damals nebst dem Untervogt Christoffel Merz auch Johann Rudolf Eichenberger an, der lange Jahre einziger Dorflehrer gewesen war und 1785/86 zum Nachfolger des Untervogts bestellt wurde. Die in den 1780er Jahren weithin bekannten Herrnhuter-Versammlungen fanden sicherlich ab 1785 im Obergeschoss-Saal des hier beschriebenen Bauernhauses statt, wo möglicherweise bereits vor 1785 Johann Rudolf Eichenberger seine Schulstunden abgehalten hatte. Nach diesem wurden seine im Haus wohnenden Nachkommen noch im 19. Jh. mit dem Beinamen „Schuelmeisterruedis“ bezeichnet. Nach Gautschi handelt es sich beim Ökonomieteil des Hauses zudem um die letzte erhaltene Zehntenscheune Beinwils [2].
Im ersten verfügbaren Brandkataster von 1829 wird das Gebäude als „Wohnhaus mit Bescheuerung und Schopf von Holz mit Strohdach“, im Besitz des Rudolf Eichenberger, erwähnt. Vor 1850 erhielt es einen Ziegelfirst, den man 1887 auf 1/4 der Dachfläche erweiterte; erst 1926 erfolgte aber die vollständige Umdeckung auf Ziegel [3]. Im Lauf des 19. Jh. wurden die alten Holzbohlenwände des Wohnteils durch verputztes Fachwerk mit zeittypischen Einzelfenstern ersetzt.
1991/92 fand eine Aussen- und Innenrenovation des Wohnteils statt, die einige Veränderungen in der Raumaufteilung des Erdgeschosses mit sich brachte. Der Obergeschoss-Saal blieb hingegen praktisch unverändert bestehen. 2014 wurde das Dach vollständig erneuert, wodurch die wertvolle russgeschwärzte Hochstudkonstruktion bedauerlicherweise wohl weitgehend verlorenging; gleichzeitig nutzte man den Ökonomieteil zu Wohnräumen um [4].
Beschreibung:Das ehemals strohgedeckte Hochstudhaus steht an der Kreuzung zwischen der Plattenstrasse, die zur Entstehungszeit als Landstrasse nach Birrwil diente, und der ebenfalls schon alten Seestrasse. Der langgestreckte Baukörper ist nach dem Schema des Mittertennhauses in der Nutzungsabfolge Wohnteil-Tenn-Stall-Futtertenn gegliedert und quer in den zum See hin abfallenden Hang gestellt, so dass der zweigeschossige Wohnteil auf der Seeseite liegt und sich mit der Stubenfront nach Süden wendet. Das für den Bautypus charakteristische, hochragende Vollwalmdach ist heute vollständig erneuert. Im ursprünglichen Zustand dürfte es sich um einen reinen Holzbau in Bohlenständerkonstruktion gehandelt haben, dessen Wandkonstruktion am Wohnteil vermutlich erst im späteren 19. Jh. durch verputztes Fachwerk ersetzt wurde. Gleichzeitig führte man auf der Ostseite des Gebäudes eine massive Stirnmauer auf, um die südliche Haushälfte um ca. 1.5 Meter nach Osten erweitern zu können. Der Wohnteil ist an der Stubenfront mit einer Einzelbefensterung des 19. Jh. versehen, deren fünf Achsen vor Stube und Nebenstube zu dreien, resp. zweien gruppiert sind. Der dem Tenn benachbarte Hauseingang bewahrt noch ein Türblatt des ausgehenden 19. Jh. Hinter einer Laube im nördlichen Teil der Stirnseite liegt der ehemalige Versammlungssaal der Herrnhuter. Die Fassaden des Wohnteils sind durch eine Aussenwärmedämmung von 1991/92 erheblich verändert.
Im Unterschied zum Wohnteil hat der Scheunentrakt noch wesentliche Teile der alten Bohlenständerkonstruktion bewahrt. Bemerkenswert ist die hölzerne Stallwand mit Schwelle, Ständer und den liegenden Bohlenfüllungen sowie den alten Tür- und Fensteröffnungen. In die darüber liegende Heubühnenwand sind vom Vorschermen kaschierte, grossformatige Fenster für die neu eingebauten Wohnräume eingefügt. Nordseitig ist das Dach über zwei nachträgliche Anbauten weit herabgeschleppt. Beim älteren, massiv gemauerten Gebäudetrakt, der später als Werkstatt genutzt wurde, handelt es sich möglicherweise um einen sogenannten „Stock“, einen feuersicheren Raum, wie er in Strohdachhäusern mitunter zu beobachten ist [5]. Er zeigt am Sturz des dreiteiligen holzgerahmten Fensters das Datum „12. Dezember 1772“.
Das Grundrissschema des Kernbaus aus dem frühen 18. Jh. zeigte neben einem dem Tenn entlang durchlaufenden Gang mit Treppe ins Obergeschoss die übliche Vierteilung in Stube und Nebenstube auf der Südseite sowie Küche und Hinterstube auf der Nordseite. Lediglich die Hinterstube war unterkellert und früher über einen Treppenabgang von der Küche her zu betreten. In der Stube des gänzlich modernisierten Erdgeschosses findet sich ein spätbarockes eichenes Einbaubuffet mit der Jahrzahl 1764.
Bemerkenswertester Bauteil des Hauses ist ein recht grosser, einst als Versammlungssaal der Brüdergemeinde der Herrnhuter und wohl auch als Schulstube dienender Obergadenraum, dem an der Ostfassade eine Laube vorgesetzt ist. Der dreiseitig von Wandbänken umgebene Saal bewahrt noch die ursprüngliche, mit bleiverglasten Scheiben versehene Reihenbefensterung. Vorhanden sind auch noch das originale stehende Brettertäfer, das mittels profilierter Deckleisten in Felder unterteilt wird, und eine sich zum seitlichen Laubengang öffnende Füllungstür mit Rollband-Beschlägen. Hingegen musste die Sichtbalkendecke teilweise erneuert werden. Der Versammlungsraum konnte über die Treppe im Hausinneren betreten werden oder über eine Stiege und den Dachboden des nördlichen Anbaus.
Die noch in den 1990er Jahren weitgehend intakt vorhandene, stark russgeschwärzte Dachkonstruktion bestand aus drei Hochstüden (Firstständern), von denen zwei beidseits des Tenns angeordnet und einer über dem Wohnteil abgefangen war. Anlässlich der Umdeckung auf Biberschwanzziegel wurden zur Verstärkung von Pfosten gestützte Mittelpfetten eingezogen. Gleichzeitig schnitt man das Vollwalmdach auf der Südseite über dem Wohnteil etwas zurück und hob es leicht an. 2014 wurde die Dachkonstruktion vollständig erneuert (Inneres gemäss Kurzinventar 1992; Zustand nach 2014 nicht gesehen).
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
Anmerkungen:[1] Nach Gautschi 1985, S. 65-70.
[2] Gautschi 1985, S. 41.
[3] Staatsarchiv Aargau, BA.05/0067, Bezirksamt Kulm, Brandkataster Gemeinde Beinwil am See, 1829-1850; CA.0001/0220-0223, Brandkataster Gemeinde Beinwil am See, 1850-1938.
[4] Baueingabepläne.
[5] Vgl. Pius Räber, Die Bauernhäuser des Kantons Aargau, Bd. 2, Baden 2002, S. 214f.
Literatur:- Peter Steiner et al., Pfarrei Reinach: Kirchenbuchdaten (1549-1820), Häuserfotos (1872-2012). Reinach, Leimbach, Menziken, Burg, Beinwil am See, CD-Rom, Hrsg.: Historische Vereinigung Wynental, 2012 (histor. Ansicht).
- Karl Gautschi, Beinwil am See. Das Dorf im Wandel der Zeit, verf. im Auftrag des Gemeinderats Beinwil am See, Beinwil am See [1985], S. 41, 65-70, 79.
Quellen:- Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau, Fachstelle Ortsbild, Siedlung, Städtebau (OSS): Umbaupläne 2013/14.
- Staatsarchiv Aargau, BA.05/0067, Bezirksamt Kulm, Brandkataster Gemeinde Beinwil am See, 1829-1850; CA.0001/0220-0223, Brandkataster Gemeinde Beinwil am See, 1850-1938.
 

URL for this unit of description

URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=29772
 

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