INV-BRG916 Ev.-ref. Pfarrkirche, 1899-1900 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-BRG916
Signatur Archivplan:BRG916
Titel:Ev.-ref. Pfarrkirche
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Bremgarten (AG)
Ortsteil / Weiler / Flurname:Obere Vorstadt
Adresse:Zugerstrasse
Versicherungs-Nr.:369
Parzellen-Nr.:2233
Koordinate E:2668510
Koordinate N:1244789

Chronologie

Entstehungszeitraum:1899 - 1900
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Sakrale Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Kirche (ev.-ref.)
Epoche / Baustil (Stufe 3):Historismus

Dokumentation

Autorschaft:Julius Kelterborn (1857-1917), Architekt, Basel
Würdigung:In neugotischen Formen des Späthistorismus gehaltene reformierte Pfarrkirche, die 1899/1900 nach Plänen des renommierten Basler Architekten Julius Kelterborn errichtet wurde. Der Hausteinbau evoziert mit dem wuchtig und massiv gestalteten Baukörper des Kirchenschiffs und dem seitlich aufgestellten, gedrungen proportionierten Flankenturm das Vorbild englischer Landkirchen. Den kurzen, von spitzbogigen Masswerkfenstern erhellten Saal überspannt ein hölzerner Sprengwerksdachstuhl nach englischer Art, der ebenso wie die Empore seine farbliche Akzentuierung aus der Bauzeit bewahrt. Vor dem spitz aufragenden Giebel der Hauptfassade wendet sich ein Portalvorbau mit axialer Erschliessung über eine Freitreppe zur Zugerstrasse, wodurch der Kirchenbau trotz seiner für Diasporakirchen charakteristischen Vorstadtlage prominent in Erscheinung tritt.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Nachdem in Bremgarten bereits seit 1845 reformierte Gottesdienste abgehalten worden waren, erfolgte 1874 die Gründung einer reformierten Kirchgemeinde, die sich stets auch in der Nachfolge des aus Bremgarten stammenden, bedeutenden Reformators Heinrich Bullinger (1504-1575) sah [1]. 1898 veranstaltete man unter fünf eingeladenen Architekturbüros einen Wettbewerb für einen Kirchenbau, aus dem der Beitrag des renommierten Basler Architekten Julius Kelterborn (1857-1915) als Siegerprojekt hervorging [2]. Unterlegen waren unter anderem die damals in Karlsruhe tätigen Architekten Curjel & Moser. Diese hatten zwei Beiträge eingereicht, darunter einen typologisch moderneren Entwurf mit einem querovalen Zentralraum, der im Sinn der damals aktuellen Reformströmungen eine grössere Nähe zwischen Prediger und den Predigtteilnehmern anstrebte [3]. Nach Kelterborns Entwurf wurde der Neubau in den Jahren 1899/1900 ausgeführt. Die Finanzierung erfolgte über lokale Spenden sowie eine landesweite «Reformationskollekte», die speziell für Kirchenbauten in der protestantischen Diaspora eingerichtet worden war. Am 30. September 1900 wurde der Neubau eingeweiht. Anfänglich diente er den Protestanten im ganzen Freiamt; erst sukzessive erfolgte die Gründung weiterer Kirchgemeinden.
1935 wurde die ursprüngliche Schieferbedachung des Turmhelms durch eine Kupferhaube ersetzt. 1954 schenkte die Stadt Bremgarten der Kirchgemeinde eine Bronzebüste von Heinrich Bullinger, die mit «Werner Romang, 1940» signiert ist und von der Kunstgiesserei Stutz in Zürich gegossen wurde [4]. Um 1965/70 erfolgte eine Innenrenovation, wobei man die nun als zu monumental und autoritär empfundene axiale Anordnung der Kanzel durch eine ebenerdige und näher zur Gemeinde gerückte Aufstellung ersetzte.
1999/2000 fand eine Gesamtrenovation statt (Architekt Ernst Stahel, Zürich). Am Äusseren wurden einige Steinmetzarbeiten erneuert. Einen Magazinraum wurde mit Rücksicht auf den bestehenden Bau in einem abgesetzten Volumen realisiert und über eine filigrane, überdachte Stahlkonstruktion mit der Kirche sowie dem Pfarrhaus verbunden. Im Inneren gestaltete man den seit der Entfernung der ursprünglichen Kanzel leeren Chorraum mit einem neuen Rundfenster des Künstlers Jan Dudesek (*1946) um, der auch Abendmahlstisch und Rednerpult entwarf. Der gesamte Fussboden wurde erneuert und die Kirchenbänke im Interesse einer höheren Flexibilität durch eine Einzelbestuhlung ersetzt.
Beschreibung:Der vergleichsweise bescheiden dimensionierte Kirchenbau erhebt sich in einer für Diasporakirchen charakteristischen, städtebaulich nicht besonders herausgehobenen Vorstadtlage quer an der Ausfallstrasse Richtung Zug. Es handelt sich um einen noch ganz dem Späthistorismus verpflichteten, schwer und massiv in Erscheinung tretenden Hausteinbau, der in Formen einer englisch inspirierten Neugotik gestaltet ist. Er besteht aus einem kurzen Saal, einem eingezogenen Polygonalchor und dem an die linke Schiffsflanke gestellten, fassadenbündigen Glockenturm mit Achtkant-Spitzhelm. Die Fassaden sind aus Othmarsinger und Mägenwiler Muschelkalk in flächigem, unregelmässigem Quaderverband aufgemauert und werden an den Kanten von grob bossierten Eckquadern gefasst. Für die Fenstergewände verwendete man Sandstein, im Sockelbereich wohl Granit. «Durch das Sichtmauerwerk und die grob behauenen Eckquader, den geduckten Turm und die eigenwillig proportionierten Strebepfeiler mit ihren dominanten, schräg verlaufenden Wasserschlägen verlieh Julius Kelterborn der Bremgarter Kirche etwas Rustikales, wie es in ähnlichem Stil auch an diversen kleinen englischen Pfarrkirchen anzutreffen ist. Der Blick nach der englischen Neugotik, die im Urteil der Fachleute ‘malerischer’ und ehrlicher war als die Vorbilder aus Deutschland und Frankreich, war gerade im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts modisch.» [5] Eher auf regionale Vorbilder griff hingegen der hochragende Turmhelm zurück.
Die zur Strasse gerichtete Hauptfassade beherrscht eine Portalädikula, die mit ihrem Giebel ein breites Spitzbogenfenster überschneidet und die Kreuzblume vom hochragenden Hauptgiebel wiederholt. Das einspringende Portal wird von einem Tympanon (Darstellung im Bogenfeld) überhöht, das im Relief einen von einem Rosenstock mit Zweigen und Blüten ausgefüllt wird. Die Türblätter werden von grossen, astwerkartig wuchernden Eisenbeschlägen akzentuiert. Darüber öffnet sich in der Strassenfassade ein spitzbogiges Masswerkfenster. Die von Strebepfeilern rhythmisierten Seitenfassaden sind mit je drei analog gestalteten Spitzbogenfenstern besetzt, wobei das äusserste Fassadenfeld im Bereich der Empore leer blieb. Vor dem Turm ist seit 1954 strassenseitig eine Büste des aus Bremgarten stammenden Reformators Heinrich Bullinger aufgestellt.
«Durch einen kleinen Vorraum betritt man die Kirche unter der Empore. Die Halle wird von einem offenen Dachstuhl im Stile der englischen Gotik [sog. «Hammerbeam roof»] überspannt. Die gegebenen Träger werden mittels Bögen auf die Konsolen der Seitenwände abgestützt. Blaue und rote Filets schmücken die gebrochenen Kanten der Dachkonstruktion. Im Osten wird die Halle durch einen eingezogenen trigonalen Chor mit Fächergewölbe abgeschlossen. Im Westen fügt sich die hölzerne Empore, die die Konstruktionsweise des Dachstuhls übernimmt, harmonisch in den Raum ein. Die breiten, spitzbogigen Fenster werden durch schlichte Glasmalerei (Eichenlaub, Rose, Reben) geschmückt.» [6] Letztere stammen aus dem Basler Glasmalereiatelier Kuhn. Die heutige Chorgestaltung samt dem kreisrunden Stirnfenster, der Fussboden aus grünlichen Zementplatten sowie die Einzelbestuhlung sind ein Resultat der Renovation von 1999/2000. Ursprünglich war die Chornische von einer erhöhten Kanzel mit axialsymmetrischem hölzernen Aufbau ausgefüllt, die allerdings bereits in den 1960er Jahren verschwunden ist.
Der als Grünfläche gestaltete, leicht erhöhte Vorbereich der Kirche besitzt zur Strasse hin noch seine bauzeitliche Einfriedung mit einem Schmiedeeisenzaun über einer Futtermauer aus grob bossierten Hausteinquadern. Eine in die Terrasse einspringende Freitreppe ist in axialer Ausrichtung auf den Eingang von zwei kreuzförmig überdachten Steinpfosten gerahmt, die ein grosses Schmiedeeisentor tragen.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Anmerkungen:[1] Baugeschichte zusammenfassend nach Reformierte Kirchen im Aargau, Art. ‘Kirche Bremgarten’ (Matthias Walter).
[2] Zu den Gebrüdern Gustav und Julius Kelterborn, die aus Hannover stammten, dort, resp. in Stuttgart studiert hatten und seit 1889 zusammen in Basel ein erfolgreiches Architekturbüro führten vgl. Isabelle Rucki / Dorothee Huber (Hg.), Architektenlexikon der Schweiz. 19./20. Jahrhundert, Basel 1998, S. 310f. (Romana Anselmetti). Im Kanton Aargau sind die beiden Architekten auch als Erbauer des Burgmatt-Schulhauses (1909/10) in Laufenburg und als ausführnde Architekten der vom Berliner Architekten Johannes Vollmer (1845-1920) entworfenen ref. Kirche von Rheinfelden (vgl. Kurzinventar Rheinfelden Nr. 901) bekannt.
[3] Vgl. Reformierte Kirchen im Aargau sowie Oechslin / Hildebrand 2010, S. 349f.
[4] Zum Wirken Bullingers vgl. Immanuel Leuschner, Die wechselvolle Geschichte der Reformierten von Bremgarten, in: Bremgarter Neujahrsblätter 1997, S. 70-86.
[5] Reformierte Kirchen im Aargau.
[6] Bürgisser / Grunder 1990, S. 101.
Literatur:- Reformierte Kirchen im Aargau, Art. ‘Kirche Bremgarten’ (Matthias Walter): http://www.ref-kirchen-ag.ch/kirchen/bremgarten/ (Zugriff 21.11.2018).
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. d. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 110.
- Frieder Tamer, Erhalten und Verändern. Zum 100-jährigen Jubiläum der Reformierten Kirche in Bremgarten, in: Bremgarter Neujahrsblätter, 2001, S. 44-50.
- Eugen Bürgisser/Karl Grunder, Bremgarten. Heimatführer, Bremgarten 1990, S. 100f.
- Werner Oechslin u. Sonja Hildebrand (Hg.), Karl Moser. Architektur für eine neue Zeit. 1880 bis 1936, 2 Bde., Zürich 2010, Bd. 2, S. 349f. (WV 102).
 

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