INV-GEB916 Kosthaus Limmatstr. samt Waschhaus, 1873 (ca.) (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-GEB916
Signatur Archivplan:GEB916
Titel:Kosthaus Limmatstr. samt Waschhaus
Bezirk:Baden
Gemeinde:Gebenstorf
Ortsteil / Weiler / Flurname:Vogelsang
Adresse:Limmatstrasse 57, 59, 61, 63
Versicherungs-Nr.:4
Parzellen-Nr.:20
Koordinate E:2660542
Koordinate N:1261309
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2660542&y=1261309

Chronologie

Entstehungszeitraum:approx. 1873
Grundlage Datierung:Schätzung

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Kosthaus
Epoche / Baustil (Stufe 3):Biedermeier

Dokumentation

Würdigung:Kosthaus der Spinnerei in Vogelsang, das wohl nach Übernahme der Fabrik durch den Windischer Konkurrenten Kunz im Jahr 1873 entstand. Der charakteristisch nüchtern gestaltete spätklassizistische Bau entspricht einem in Windisch und Gebenstorf von ca. 1865 bis 1875 mehrfach ausgeführten Kosthaustyp mit meist vier quer zum First geteilten Abschnitten, in denen jeweils drei Geschosswohnungen von einem eigenen Treppenhaus erschlossen wurden. Das Kosthaus in Vogelsang lässt sich so trotz seiner räumlichen Trennung im Bezug auf seine Entstehung dem einzigartigen industriegeschichtlichen Ensemble der Windischer Spinnerei Kunz mit ihren Bauten in Windisch und im Gebenstorfer Weiler Reuss zurechnen (Kantonale Denkmalschutzobjekte WIN018-022, Bauinventarobjekte WIN909-914, GEB906-909, 912). Mit seiner landschaftlich exponierten Lage nahe dem Zusammenfluss der Limmat und der Aare kommt ihm zudem ein erheblicher Situationswert zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die Brüder Johann Jakob und Heinrich Wanger, Unternehmer aus Zürich, erwarben ab 1860 über ihren Agenten Johann Jakob Stelzer, einen in Turgi zu Vermögen gelangten Tuch- und Spezereihändler, verschiedene Liegenschaften und liessen durch Stelzer im Frühling 1861 beim Regierungsrat ein Wasserrechtskonzessionsgesuch einreichen [1]. Mit der Genehmigung im August 1861 erhielten sie etwas weniger als die Hälfte des Limmatwassers zugeteilt, während der grössere Teil an die in Turgi tätigen Gebrüder Bebié ging. Diese hatten als Konkurrenten offenbar von dem Vorhaben Wind bekommen und gleichzeitig ein Konzessionsgesuch für das gegenüberliegende Limmatufer eingereicht. 1862 wurde die Spinnerei Vogelsang durch die Gebrüder Wanger in Betrieb genommen, wobei sie mit rund 20'000 Spindeln unter allen schweizerischen Spinnereien etwa an 15. Stelle lag. Die Pläne der Gebrüder Bebié hingegen blieben schliesslich unrealisiert. Knapp zehn Jahre nach der Gründung gelangte die hochverschuldete Firma zur Steigerung und ging mit allen Gebäuden, Grundstücken, Kraftwerk sowie einer „vollständigen Dampfheizung und Gasbeleuchtung“ an die Schweizerische Kreditanstalt über. Diese konnte die Anlage bereits 1873 mit einigem Gewinn an die Kunz’sche Spinnerei in Windisch weiterverkaufen, die unter den neuen Teilhabern Hans Wunderly-von Muralt, Paul Wunderly und Ernst Zollinger in kräftiger Expansion begriffen war.
Wohl erst kurz nach dem Übergang der Firma an die Spinnerei Kunz dürften die ehemals drei Kosthäuser in Vogelsang entstanden sein, zumal zwei von diesen typologisch wie gestalterisch den vom selben Unternehmen in Windisch und Gebenstorf-Reuss erbauten Kosthäusern entsprachen (vgl. Bauinventarobjekte WIN910B-D, GEB907/908) [2]. Mit den Gebäuden in Vogelsang verfügte die Spinnerei schliesslich über insgesamt 99 Wohnungen in eigenen Kosthäusern, welche den meist auswärtigen Arbeitern eine wenngleich sehr bescheidene Unterkunft boten, die Arbeiter aber gleichzeitig auch umso stärker an die Fabrik banden [3].
Als der Spinnereikonzern Kunz gegen Ende des 19. Jh. in eine Krise geriet, wurde der Betrieb in Vogelsang 1899 an den Metallwarenfabrikanten Wilhelm Egloff verkauft, der ihn 1909 in seine mit weiteren Teilhabern gegründete „Schweizerische Broncewarenfabrik A.-G.“ mit Hauptsitz in Turgi einbrachte (ab 1919 „BAG Turgi“) [4]. Deren Nachfolgerin, die nach der Einstellung des Produktionsbetriebs 1998 in „BAG Immobilien“ umbenannt wurde, ist bis heute Eigentümerin des Kosthauses [5]. Von den beiden anderen, am Südende der Halbinsel gelegenen Kosthäusern von Vogelsang wurde das erste wohl bereits in den 1970er Jahren, das zweite (ehem. Kurzinventarobjekt GEB917) 2011 abgebrochen.
1990 wurde das hier beschriebene Kosthaus an der Limmatstrasse bei einer eingreifenden Renovation mit einer Aussenwärmedämmung versehen. Renovationen im Inneren wurden kontinuierlich vorgenommen [6].
Beschreibung:Das Kosthaus ist nördlich des Fabrikareals mit seinem langgestreckten Volumen parallel an das Limmatufer gestellt, wo es in exponierter Lage auf dem äussersten Punkt der Halbinsel von Vogelsang und kurz vor dem Zusammenfluss mit der Aare prominent in Erscheinung tritt. An der rückwärtigen Eingangsseite steht quer zum Hauptgebäude und axial auf dieses ausgerichtet das bauzeitliche Waschhaus.
Das Kosthaus entspricht in Grund- und Aufriss einem Typus, der von der Windischer Spinnerei Kunz mit kleineren Abwandlungen mehrfach wiederholt wurde, so mit den Kosthäusern 2-4 in Windisch (Bauinventarobjekte WIN910A-D), den ehemals drei Kosthäusern in Reuss (vgl. zu den erhaltenen beiden Bauinventarobjekte GEB907/908) und zwei der drei Kosthäuser in Vogelsang. Merkmal ist die Gliederung in meist vier, zu einem durchgehenden Baukörper zusammengefassten Abschnitte, die jeweils drei übereinanderliegende Geschosswohnungen mit eigenem Treppenhaus enthalten. In der Nachfolge älterer, reihenhausartig organisierter Kosthäuser in Gebrauch gekommen, taucht dieser Geschosswohnungs-Typus erstmals mit dem 1840 errichteten Kosthaus der Spinnerei Wild & Solivo in Baden auf [7].
Wie die übrigen beschriebenen Beispiele präsentiert sich das Kosthaus in Vogelsang als dreigeschossiger verputzter Mauerbau, der entsprechend der Bauaufgabe in charakteristisch nüchternen spätklassizistischen Formen gehalten ist und von einem flach geneigten Giebeldach abgeschlossen wird. Seit der Aussenrenovation von 1990 sind die ursprünglichen Oberflächen von einer vollständigen Aussenwärmedämmung verdeckt, auf die Tür- und Fenstergewände lediglich aufgemalt wurden. Die östliche Traufseite zur Limmat zählt acht Fensterachsen, von denen beidseitig die drei äusseren mit Doppelfenstern, die inneren mit Einzelfenstern versehen sind. Jeweils zwei Achsen mit Zwillingslichtern gliedern die Stirnseiten; darüber belichten zwei Einzelfensterchen und eine Lünette (Halbrundfenster) das Dachgeschoss. Die südliche, rückwärtige Trauffassade ist siebenachsig gegliedert, wobei die mittlere und die beiden äusseren Achsen von den Treppenhäusern eingenommen werden, die jeweils von den kleinen Abortfensterchen begleitet werden; dazwischen liegen zweimal zwei Achsen von Doppelfenstern.
Im Grundriss gliedert sich das Gebäude auf allen drei Etagen in zwei spiegelbildlich identische äussere Wohnungen mit jeweils drei Kammern und Küche sowie eine mittlere Wohnung mit einer zusätzlichen Kammer (vgl. die Grundrisse der typengleichen Windischer Kosthäuser 2-4 in der Bilddokumentation) [8]. Mit Ausnahme jeweils einer gefangenen Kammer waren ursprünglich sämtliche Räume ausschliesslich direkt vom Treppenhaus erschlossen, was mit dem Verzicht auf Korridore eine Platzersparnis bedeutete; zudem eigneten sich die direkt vom Treppenhaus aus erschlossenen Kammern auch zur Untervermietung. Bereits ursprünglich war auf jeder Etage ein Abort vorhanden, was gegenüber älteren Kosthäusern immerhin einen wohnhygienischen Fortschritt darstellte. Direkt vom Treppenpodest aus erschlossen, griffen diese fensterseitig in die Grundfläche der Küche ein. Ursprünglich war jeweils nur die Stube mit einem Kachelofen heizbar.
Während die Raumstruktur des Inneren und der Ausbau der Treppenhäuser erhalten sind, zeigen sich die Wohnungen durch sukzessive Umbauten stärker verändert. Im Bezug auf den ursprünglichen Zustand lässt sich übertragen, was von den typengleichen Kosthäusern bekannt ist: Der Eisenherd in der Küche hatte zwei Löcher und ein Wasserschiff. Lediglich die Stuben der äusseren Hausteile wiesen Täfer auf, während alle anderen Räume lediglich verputzt und geweisselt waren. Der Bauplan von 1875 zeigt auch die Möblierung mit zwei Betten in den grösseren und einem in den kleineren, gefangenen Kammern. Dabei macht die aus Volkszählungen bekannte Belegung der Kosthäuser deutlich, dass die Anzahl der Betten keinesfalls der Anzahl der Bewohner entsprach, sondern die Betten im Schichtbetrieb oft mehreren Familienmitgliedern und Untermietern diente.
Das westlich des Kosthauses erhaltene Waschhaus ist ein einstöckiger Giebeldachbau mit quer zum Hauptbau gerichtetem First. Es hat sich weitgehend intakt erhalten und birgt im Inneren noch einen vermutlich bauzeitlichen Waschkessel mit Holzfeuerung und Reste eines Kachelofens [9].
Anmerkungen:[1] Geschichtliches nach Sauerländer / Steigmeier 1997, S. 75-77.
[2] Kurzinventar 1998 und Dobler 2016; überholt die Datierung Hoegger Kdm AG VII 1995, S. 47f.
[3] Dobler 2016; Baumann 1983, S. 567-574.
[4] Sauerländer / Steigmeier 1997, S. 93-95.
[5] Dobler 2016.
[6] Dobler 2016; Umbaupläne 1990 im Baugesuchsarchiv der Gemeinde.
[7] Vgl. Dobler 2016 u. Steinmann 1980.
[8] Inneres nach Dobler 2016.
[9] Nach Dobler 2016.
Literatur:- Max Baumann, Geschichte von Windisch vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Brugg 1983, S. 507-594 (zur Geschichte der Spinnerei allgemein, darin S. 567-575 zu den Kosthäusern).
- Heiko Dobler, Leben für die Fabrik. Kosthäuser der frühen Industrialisierung im Kanton Aargau, MAS-Arbeit, BFH Burgdorf, Fertigstellung 2016.
- Peter Hoegger, Die Landgemeinden des Limmattals, des Surbtals, des Aaretals und des Unteren Reusstals sowie das Kloster Fahr (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Band VII), Basel 1995, S. 37f., 47f.
- Dominik Sauerländer / Andreas Steigmeier, „Wohlhabenheit wird nur Wenigen zu Theil“. Aus der Geschichte der Gemeinde Gebenstorf, Gebenstorf 1997, S. 75-77, 93-95.
- Martin Steinmann, Die Kosthäuser. Einleitung zu einer Typologie von Arbeiterhäusern in ländlichen Gebieten der Schweiz, in: Archithese, 10. Jg. (1980), Nr. 5, S. 48-52.
Quellen:- ETH Zürich, Bibliothek, Bildarchiv, Sammlung Comet Photo AG, Com_F64-03157.jpg (histor. Luftaufnahme).
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=35178
 

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