Dokumentation |
Autorschaft: | Robert Gerwig (1820–1885), Ingenieur, Karlsruhe |
Würdigung: | Eiserne Gitterfachwerkbrücke von 1858/59, die nach Projekt von Ingenieur Robert Gerwig durch die grossherzoglich badische Staatsbahn in Abstimmung mit der schweizerischen Nordostbahn erbaut wurde. Zusammen mit der Strecke Turgi-Koblenz verband die Waldshut-Koblenzer Rheinbrücke Zürich rechtsrheinisch mit Basel und dem deutschen Eisenbahnnetz, wodurch für die Schweiz wie auch das damalige Grossherzogtum Baden die erste grenzüberquerende Eisenbahnlinie zustandekam. Ihr Urheber Robert Gerwig gilt als einer der wichtigen Vertreter des frühen Eisenbahnbaus und ist neben der Brücke vor allem für seine Rolle bei der Trassierung der Schwarzwaldbahn und seine Vorarbeiten für die Gotthardbahn bekannt. Praktisch vollständig im bauzeitlichen Zustand erhalten, ist die Brücke heute die älteste aus Eisenfachwerk erstellte, noch als solche genutzte Eisenbahnbrücke in Europa. Sie stellt damit ein erstrangiges ingenieurbauliches und technikgeschichtliches Denkmal dar, dem für die Flusslandschaft und das Ortsbild von Koblenz zudem ein ausserordentlich hoher Situationswert zukommt. |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | In den 1850er Jahren nahmen die Anstrengungen zu, die zunächst inselartig entstandenen Eisenbahnlinien auch über Landesgrenzen hinweg zu einem eigentlichen Netz zusammenzuschliessen [1]. Eine rheinquerende Eisenbahnverbindung zwischen Waldshut und Koblenz sollte die Verbindung von Zürich über Turgi nach Basel und ins badische Eisenbahnnetz herstellen. Die badischen Staatsbahnen konnten 1856 die Rheintalbahn zwischen Basel und Waldshut dem Betrieb übergeben, deren Fortsetzung Richtung Schaffhausen bereits geplant war; auf der schweizerischen Seite baute die Nordostbahn die Linie von Turgi nach Koblenz. Für den Zusammenschluss der beiden Linien fanden seit 1857 Gespräche zwischen den technischen Kommissaren der beteiligten Bahnen statt, deren Resultate 1858 in einen Staatsvertrag zwischen dem Grossherzogtum Baden und der Eidgenossenschaft geregelt wurden. Beteiligt waren Ingenieur Robert Gerwig für die badischen Staatsbahnen sowie der Oberingenieur der schweizerischen Nordostbahn, August von Beckh. Nachdem die Baustelle der Rheinbrücke zwischen Koblenz und Waldshut Anfang 1858 eingerichtet worden war, konnte die Brücke bereits am 18. August 1859 offiziell dem Betrieb übergeben werden. Damit war für die Schweiz wie auch für Baden die erste durchgehende internationale Eisenbahnverbindung entstanden. Erst etwas später wurde 1861 die von den badischen Staatsbahnen gleichzeitig begonnene Rheinbrücke zwischen Kehl und Strassburg eröffnet, deren Bau durch technische Schwierigkeiten verzögert worden war. Eine Verbindung zwischen Zürich und Basel war hingegen schon ein Jahr vor der Eröffnung der Waldshut-Koblenzer Brücke 1858 über Olten und die von der Schweizerischen Centralbahn erbaute Hauensteinlinie geschaffen worden, doch bestand in Basel noch bis 1873 keine Verbindung zwischen dem linksrheinischen schweizerisch-französischen und dem rechtsrheinischen deutschen Eisenbahnnetz. Während sich die beiden beteiligten Bahngesellschaften die Baukosten der Brücke teilten, lag die Zuständigkeit für die Realisierung bei den badischen Staatsbahnen. Projektierung und Bauleitung waren dem Ingenieur Robert Gerwig (1820–1885) anvertraut, der nach einem Studium in Karlsruhe mit Unterbrüchen sein ganzes Berufsleben lang in der Badischen Oberdirektion für Wasser- und Strassenbau tätig war; als seine Hauptwerke gelten neben der Brücke und anderen Strassen- und Eisenbahnprojekten die Schwarzwaldbahn mit der erstmaligen Verwendung von Kehrtunneln sowie die darauf fussenden Vorarbeiten für die Trassierung der Gotthardbahn [2]. Die Ausschreibung für die Eisenbauarbeiten gewann die im Brückenbau führende Eisengiesserei und Maschinenfabrik der Gebrüder Benckiser in Pforzheim. Die Gründungsarbeiten der Pfeiler boten vergleichsweise geringe Schwierigkeiten, da der Rhein dank der geringen Wassertiefe trockengelegt werden konnte. Für die Erstellung des eisernen Brückenträgers kam das „Hinüberwalzen“ des fertigen Brückenträgers zur Anwendung, wie es die Firma Benckiser in der Schweiz zwischen 1856 und 1858 beim Bau der Brücken über die Thur in Andelfingen und über die Emme in Derendingen erstmals erprobt hatte und mit dem man auf die Errichtung eines aufwendigen Leergerüsts verzichten konnte. Dabei wurde die gesamte Konstruktion in einer provisorischen Werkhalle auf der Waldshuter Seite montiert und anschliessend in mehreren Schritten auf die bereits fertig erstellten Brückenpfeiler gerollt [3]. Wohl wegen der Neuartigkeit dieses Verfahrens dokumentierte man die verschiedenen Phasen des Baufortschritts im damals noch jungen Medium der Fotografie und schuf damit gleichzeitig sehr frühe Beispiele für die später geläufig gewordene Anwendung der Fotografie in der Baudokumentation (vgl. Bilddokumentation) [4]. Seit den 1980er Jahren wurden von Seiten des baden-württembergischen Landesamts für Denkmalpflege und der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Waldshut-Tiengen sowie den SBB Anstrengungen zum Erhalt der Brücke unternommen [5]. Auch wurde das Bauwerk vom Landesdenkmalamt und der Universität Karlsruhe im Rahmen eines frühen Forschungsprojekts über historische Eisenbrücken untersucht [6]. 1991 nahm die Deutsche Bundesbahn (DB) Sanierungsarbeiten vor, wobei das Gitterfachwerk mit einem Korrosionsschutz versehen und neue Gleise verlegt wurden. 1994 attestierte eine Untersuchung der EPFL Lausanne der Brücke im Hinblick auf den geplanten S-Bahn-Verkehr mit schweren Zugskompositionen die nötige Ermüdungssicherheit [7]. 1999 wurde die bis dahin von der Deutschen Bahn (DB) betriebene Strecke Koblenz-Waldshut elektrifiziert und der Betrieb in der Folge von den SBB übernommen. 2009 wurde die Brücke, deren Zukunft immer wieder ungewiss war, in das Inventar der Kulturgüter von nationaler Bedeutung der Schweiz, 2012 in das Denkmalbuch des baden-württembergischen Regierungspräsidiums Freiburg i.Br . eingetragen. Die Zuständigkeit für den Unterhalt des flussüberquerenden Brückenteils liegt bei der DB. Auf der Koblenzer Seite wurden 2008–15 die aus Grauguss bestehenden originalen Geländer der Vorbrücke im Auftrag der SBB denkmalgerecht restauriert und auf der Innenseite durch neue Sicherheitsgeländer ergänzt. |
Beschreibung: | Die Waldshut-Koblenzer Rheinbrücke besteht aus einem eisernen Gittertäger, der auf zwei Flusspfeilern abgestützt ist und auf der deutschen Seite auf einem Widerlager aufliegt, während auf der schweizerischen Seite eine sechsbogige, steinerne Vorbrücke anschliesst. Nach beiden Seiten schliessen daran hohe Bahndämme an. Der charakteristische kleinmaschige Gitterträger folgt einer Konstruktionsweise, die sich in Anlehnung an englische Eisenbrücken wie auch hölzerne amerikanische Lattenträgerbrücken entwickelt hatte und zuerst 1851–57 an der preussischen Ostbahn mit der Weichselbrücke bei Dirschau und der Nogatbrücke bei Marienburg Anwendung gefunden hatte [8]. Sie bedeutete eine klare Materialersparnis gegenüber den vollwandigen Kastenträgern der berühmten Britannia-Brücke in Nordwales von 1846–50, wurde aber ihrerseits wenig später durch grobmaschigere Fachwerkkonstruktionen abgelöst [9]. Nachdem die beiden im heutigen Polen gelegenen Brücken nur noch fragmentarisch bzw. gar nicht mehr erhalten und auch andere frühe Eisenbrücken zerstört sind, gilt die Waldshut-Koblenzer Brücke nicht nur als besterhaltene Brücke ihrer Bauart, sondern als älteste in Eisenfachwerk erstellte und noch für den Bahnverkehr genutzte Eisenbahnbrücke Europas überhaupt. Der Gitterträger, der in drei Stücken vormontiert und schliesslich zu einem Durchlaufträger von insgesamt 129.3 Metern Länge zusammengefügt wurde, überspannt zwischen den beiden Flusspfeilern eine Mittelöffnung von 51.87 Metern sowie zwei Seitenöffnungen von 34.3 Metern. Wie die gesamte Brücke und die anschliessende Eisenbahnlinie war der Träger von Anfang an auf doppelspurigen Ausbau angelegt, der freilich nie erfolgte. Er besteht aus Profileisen aus sogenanntem Puddelstahl, die aus dem Eisenwerk angeliefert und in der provisorischen Werkhalle auf der Waldshuter Seite vernietet wurden. Ober- und Untergurte bestehen aus Winkeleisen; dazwischen bilden gitterartig verbundene Flacheisen, in grösserem Abstand ergänzt durch vertikale Winkeleisen, die tragenden Elemente, wodurch der Träger sein feinmaschiges und filigranes Aussehen erhält. Mit Querstäben sind die beiden im Abstand von 5 Metern angeordneten Seitenwände zu einem torsionssteifen Kasten verbunden. Pfeiler und Widerlager sind im Fluss wie auch auf beiden Landseiten auf hölzernen Pfählungen fundamentiert. Die beiden Flusspfeiler, die Widerlager an beiden Enden des Gittertägers sowie das Widerlager am landseitigen Ende der Vorbrücke sind in rötlichem Sandstein gemauert und durch Gesimsprofile in Muschelkalk gegliedert. Die Widerlager weisen dabei als verbindendes Gestaltungselement je zwei, resp. am mittleren vier zinnenbekränzte, polygonale Ecktürmchen in Formen der sogenannten Burgenromantik auf. An den Kunstbauten der schweizerischen Eisenbahnen aussergewöhnlich, sind diese Gestaltungselemente vielleicht von den aufwendigeren, in den Formen aber ähnlichen Portalen und Widerlagern der Weichselbrücke von Dirschau von Friedrich August Stüler inspiriert. Die Vorbrücke, welche auf der schweizerischen Seite unmittelbar neben dem alten Dorfkern von Koblenz die Flussniederung überquert, ist in gestalterischer Differenzierung aus Muschelkalk gemauert und in klassizistisch reduzierten, auffällig feingliedrigen Formen gehalten. Die sechsjochige Rundbogenbrücke ruht auf leicht geböschten Mauerpfeilern mit gefaster Kante und stark betonter Kapitellzone. Zwischen diese spannen sich schlank proportionierte Bogengewände, die sich mit ihrem etwas dunkleren Stein vom glatt behauenen Mauerwerk absetzen; die Bogenzwickel sind wiederum mit dunkleren Tondi besetzt. Abgeschlossen wird die Vorbrücke von einem filigranen, rautenförmigen Geländer, dessen Pfosten aus Grauguss gefertigt wurden. Die Fahrleitungsmasten sind auf der gesamten Brücke in Übereinstimmung mit der Jochteilung jeweils über den Pfeilern plaziert. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - Schweizerisches Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung, Einstufung A (nationale Bedeutung). - Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung. - Denkmalbuch des baden-württembergischen Regierungspräsidiums Freiburg i.Br., Deutschland. - Schweizer Bahnbrücken, Hg.: SBB, Fachstelle für Denkmalpflege u. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK (Architektur- und Technikgeschichte der Eisenbahnen in der Schweiz, Bd. 5), Zürich 2013, S. 110–115. |
Anmerkungen: | [1] Geschichtliches nach Boeyng 1990 und ders. 2009. [2] Zu Robert Gerwig vgl. Badische Biographieen 1891, Neue Deutsche Biographie 1964 sowie Wikipedia. [3] Boeyng 1990, S. 137–139 und ders. 2009, S. 155. [4] Boeyng 2014. [5] Akten und Zeitungsausschnitte seit 1986 im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege. [6] Vgl. den aus dem Projekt hervorgegangenen Artikel von Boeyng 1990. [7] Verfasser Andreas Keller und Eugen Brühwiler, im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege. [8] Boeyng 1990. [9] Vgl. etwa Schweizer Bahnbrücken 2013, S. 19–21, Marti / Monsch / Laffranchi 2001, S. 30–35. |
Literatur: | - Claudio Affolter, Station Koblenz. Erster Grenzbahnhof der Schweiz (Schweizerische Kunstführer GSK, Nr. 853), Bern 2009, S. 4-11. - Neue Deutsche Biographie, Bd. 6 (1964). S. 338, s.v. „Gerwig, Robert“, Digitalisat: http://www.deutsche-biographie.de/pnd132086557.html (über den Projektverfasser). - Badische Biographieen [sic], Bd. 4, Karlsruhe 1891, s.v. „Robert Gerwig“, Digitalisat: urn:nbn:de:bsz:31-16275 (über den Projektverfasser). - Ulrich Boeyng, Die Eisenbahnbrücke über den Rhein zwischen Waldshut und Koblenz. Ein Denkmal der Technikgeschichte, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 19. Jg. (1990), Nr. 3, S. 135–140 (Digitalisat: http://dx.doi.org/10.11588/nbdpfbw.1990.3). - Ulrich Boeyng, 150 Jahre Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Waldshut. Zum Jubiläum der ersten internationalen Eisenbahnverbindung, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 38. Jg. (2009), Nr. 3, S. 153–156 (Digitalisat: http://dx.doi.org/10.11588/nbdpfbw.2009.3). - Ulrich Boeyng, Schatzfunde im Archivregal. Früehe Fotografien aus der Bauzeit der Rheinbrücke bei Waldshut, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 43. Jg. (2014), Nr. 3, S. 200–202 (Digitalisat: http://dx.doi.org/10.11588/nbdpfbw.2014.3). - Denkmalpflegerischer Umgang mit Brücken, Hg.: SBB Infrastruktur. Fachstelle für Denkmalschutzfragen, 2012, S. 34, 69, 73. - Frank Peter Jäger, Exportartikel Denkmalerhaltung. Erfahrungen mit der Norm SIA 269, in: TEC21, 2015, Nr. 16, S. 16f. - Peter Marti / Orlando Monsch / Massimo Laffranchi, Schweizer Eisenbahnbrücken, hrsg. von der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst, Zürich 2001, S. 98f. - Schweizer Bahnbrücken, Hg.: SBB, Fachstelle für Denkmalpflege u. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK (Architektur- und Technikgeschichte der Eisenbahnen in der Schweiz, Bd. 5), Zürich 2013, S. 110–115. - Werner Stadelmann, Historische eiserne Brücken, in: Schweizer Ingenieur und Architekt, 107. Jg. (1989), Nr. 50, S. 1375–1383, hier S. 1376. - Wikipedia, Art. „Robert Gerwig“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Gerwig Seite, Zugriff 5.3.2016). |
Quellen: | - Kantonale Denkmalpflege Aargau, Denkmalschutzakten: Akten seit 1986, - Robert Gerwig, Die Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Waldshut, in: Allgemeine Bauzeitung, 1862, S. 243–257 u. Pläne S. 523–527 (Digitalisat: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=abz&datum=1862&size=45&page=279). - Christophe Seiler, Geschichte von Koblenz im 20. Jahrhundert, Koblenz 1990, S. 87 (histor. Ansicht). - ETH-Bibliothek, Zürich, Bildarchiv: Fel_004125-RE (histor. Postkarte). |
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