INV-LEN918 Bezirksschulhaus, 1929-1930 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-LEN918
Signatur Archivplan:LEN918
Titel:Bezirksschulhaus
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Lenzburg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Angelrain
Adresse:Angelrainstrasse 18, 19
Versicherungs-Nr.:1159, 1160 (Saal)
Parzellen-Nr.:489
Koordinate E:2655578
Koordinate N:1248705

Chronologie

Entstehungszeitraum:1929 - 1930
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:LEN916, 917
Nutzung (Stufe 1):Öffentliche Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Schulhaus
Epoche / Baustil (Stufe 3):Konservative Moderne

Dokumentation

Autorschaft:Brenner & Stutz (Albert Brenner, 1860-1938, und Walter Stutz, 1878-1955), Architekten, Frauenfeld
Würdigung:In strengen neoklassizistischen Formen gehaltenes Bezirksschulhaus, das 1929/30 von den Frauenfelder Architekten Brenner & Stutz erbaut wurde. Aus einem Wettbewerb war 1923 zunächst der bekannte Architekt Hans Schmidt mit einem avantgardistischen Projekt für einen Betonskelettbau mit Flachdach als Sieger hervorgegangen. Dieses zog allerdings eine teilweise heftige öffentliche Debatte nach sich, die nach mehreren Zwischenschritten im schliesslich ausgeführten, traditionalistischen Entwurf mündete. Mit seiner langwierigen Entstehungsgeschichte spiegelt der Bau den Gegensatz zwischen dem Neuen Bauen und dem architektonischen Traditionalismus, wie er sich Ende der 1920er Jahre rasch akzentuierte. Gleichzeitig stellt er ein formal wie handwerklich sorgfältig gestaltetes Beispiel dieser Architekturrichtung dar. Als Teil des prominent gelegenen Ensembles von Schulhausbauten, zu dem ausserdem das Gemeindeschulhaus Angelrain von 1902/03 sowie die Turnhalle von 1909 gehören (Bauinventarobjekte LEN916/917), kommt dem Gebäude zudem erheblicher Situationswert zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Ein Neubau für die Bezirksschule, die damals noch das seit 1788 als Schulhaus eingerichtete ehemalige Hünerwadelsche Handelshaus nutzte, war schon seit längerem als dringlich erschienen, als die Stadt 1922 eine Baukommission einsetzte [1]. Diese wandte sich zur Vorbereitung eines Wettbewerbs an den bekannten Architekten und ETH-Professor Karl Moser. Ein im Januar 1923 ausgeschriebener Wettbewerb für einen Neubau neben dem 1903 bezogenen Gemeindeschulhaus Angelrain erbrachte nicht weniger als 49 Projekte und wurde in der Fachpresse ausführlich dargestellt. Der erste Preis ging an Emil Ehrsam, Zürich, je ein zweiter Preis ex aequo an Hans Schmidt, Basel, sowie Wessner & Labhardt in Aarau, der dritte Preis an Walter Stutz in Frauenfeld. Dem Preisgericht gehörten neben Behördenmitgliedern und Karl Moser der aus Lenzburg stammende Architekt Theodor Hünerwadel, Basel, sowie Friedrich Widmer, Bern, an [2]. Wegen der unerwartet hohen Bausumme geriet die Angelegenheit ins Stocken.
1926 gab die Gemeindeversammlung ihre Zustimmung zur Ausführung eines Neubaus, worauf der Gemeinderat (der heutige Stadtrat) eine neue Baukommission einsetzte, die ein bereinigtes Programm für einen zweiten Wettbewerb unter den Preisträgern der ersten Konkurrenz sowie den Lenzburger Architekten Häusler und Richard Hächler ausarbeitete. Die im Februar 1927 eingereichten Projekte zogen eine heftige, öffentlich ausgetragene Kontroverse nach sich, welche den Gegensatz zwischen dem Neuen Bauen und dem architektonischen Traditionalismus zum Ausdruck brachte. Auf durchaus bezeichnende Art und Weise umschrieb der Autor der Festschrift von 1930 diesen damals noch neuen Konflikt: „In der Architektur war nämlich inzwischen eine neue Richtung in Erscheinung getreten, die in Fachkreisen und in den Tageszeitungen schon zu lebhaften Auseinandersetzungen Veranlassung gegeben hatte. Es handelt sich dabei um die sog. ‚sachliche Bauweise‘, wie sie von ihren Anhängern bezeichnet wird. Die sich ablehnend verhaltenden Kreise bezeichnen die Erscheinung als eine Krisis der Architektur.“ [3]
Das siegreiche Projekt von Hans Schmidt (1893-1972), der in jenen Jahren zu den Hauptvertretern des Neuen Bauens in der Schweiz gehörte, sah einen avantgardistisch modernen Flachdachbau mit Betonskelett vor [4]. Mit der Hoffnung auf eine Kompromisslösung beauftragte man Schmidt in der Folge, zusammen mit dem zweitrangierten Richard Hächler ein neues Projekt auszuarbeiten. Weil sich dieses allerdings in architektonischer Hinsicht nicht wesentlich vom ersten unterschied, bestellte die Kommission in Abweichung vom üblichen Wettbewerbsverfahren bei Walter Stutz ein weiteres Projekt, von dem man wünschte, dass es sich „an die herkömmliche und in der Praxis bewährte Bauweise halte und zugleich auch den Wünschen der Kommission in Bezug auf die Anpassung des Baues an das Stadtbild entspreche.“ [5] Der vor allem in Bezug auf die Grundrisslösung sehr gelobte Entwurf von Schmidt und Hächler fand sowohl in der Baukommission als auch im Gemeinderat eine knappe Mehrheit. Die Gemeindeversammlung hingegen entschied sich mit November 1928 deutlich zugunsten des bei Walter Stutz eingeholten konventionelleren Projekts, wobei vor allem die Frage nach dem Flachdach oder Satteldach den Ausschlag gab.
1929/30 wurde der Bau von Walter Stutz (1878-1955) zusammen mit seinem Compagnon Albert Brenner (1860-1938) ausgeführt und im Oktober 1930 eingeweiht. Von den beiden bekannten Architekten, die von 1907 bis 1938 mit ihrem gemeinsamen Büro in Frauenfeld unter dem Firmennamen Brenner & Stutz auftraten und in Lenzburg seit 1909 durch verschiedene Bauten für die „Hero“ in Erscheinung getreten waren, besass allerdings nur Stutz mit einem aargauischen Bürgerort die Teilnahmeberechtigung für den Wettbewerb, so dass man den Beitrag, wie es allgemein üblich war, nur unter seinem Namen eingereicht hatte [6].
Um 1980 wurden die Fassaden mit grossformatigen Rollladenkästen versehen. Aktuell (2017) wird das Gebäude einer Gesamtrenovation unterzogen.
Beschreibung:Das Bezirksschulhaus präsentiert sich als wuchtiger Grossbau in strengen neoklassizistischen Formen der Zwischenkriegszeit. Der Hauptbaukörper, der von einem knappen, geknickten Walmdach abgeschlossen wird, ragt in hangparalleler Anordnung viergeschossig am Angelrain auf, wo er sich im Anschluss an das ältere Gemeindeschulhaus (Bauinventarobjekt LEN916) mit seiner breitgelagerten, stark durchfensterten Längsseite nach Osten zur Altstadt und zum Schloss wendet. Nach Westen springen in streng symmetrischer Disposition zwei ebenfalls von Walmdächern abgeschlossene Treppenhausrisalite vor. Quer zum Hauptbau erhebt sich entlang dem Bleicherain ein niedrigerer Nebentrakt mit der Aula, der zusammen mit dem Hauptbau und der nordwestlich gelegenen Turnhalle von 1909 (Bauinventarobjekt LEN917) den Turnplatz an der Westseite des Schulhauses begrenzt.
Die streng regelmässig gegliederten Putzfassaden des Hauptbaus sind an den Schulzimmerfronten der Obergeschosse in enger Reihung mit schlanken Einzelfenstern besetzt, die von schmalen Gewänden gerahmt werden. Im ersten und dritten Obergeschoss setzen sie auf umlaufenden Sohlbankgesimsen auf, welche im Kontrast zur vertikalen Struktur der Fensterachsen und zu den als Gestaltungsmittel rhythmisch angeordneten Fallrohren die horizontale Gliederung des Baukörpers betonen. An der östlichen Längsseite verstärken die beiden unbefensterten, massiv erscheinenden Eckpartien – es handelt sich um die Seitenflanken der stirnseitigen Schulzimmer – in einer für den Neoklassizismus charakteristischen Weise die Monumentalität des Bauwerks. Einen die Symmetrie durchbrechenden gestalterischen Akzent bildet die prominent an der nördlichen Gebäudeecke, knapp unterhalb der Dachkante, angeordnete Uhr. Von den uniform befensterten Obergeschossen deutlich geschieden ist das Erdgeschoss, das sich nach Osten und Norden mit Pfeilerhallen auf die Pausenplätze öffnet. Eine Befensterung mit deutlich grösserer Laufweite besitzt die Westfassade, an der Korridore, Nebenräume sowie Treppenhäuser liegen. Als Haupteingang gestaltet ist der im Sockelgeschoss gelegene, heute nicht mehr benutzte Zugang vom Bleicherain, der von zwei quadrierten Gewändekanten gefasst wird; weitere, funktional gleichwertige Eingänge öffnen sich im Bereich der beiden Treppenhäuser zur Pausenhalle und zur Angelrainstrasse. Rolläden mit aussenliegenden Kästen beeinträchtigen heute die Wirkung der Fassaden. Im Rahmen der aktuellen Renovation ist ihr Ersatz durch eine gestalterisch besser integrierte Lösung vorgesehen.
Südwestseitig vermittelt ein Zwischentrakt mit überbauter Durchfahrt zum Aulagebäude, das als rechteckiger Walmdachbau mit längsseitig je sechs schlanken, hohen Saalfenstern gestaltet ist. Kleinmassstäblicher gegliedert ist die Abwartwohnung, die auf der Südostseite als Walmdachbau an den Hauptbaukörper anstösst. Integraler Bestandteil des Baus sind auch die markanten Terrassierungen an der Ostseite, die im abfallenden Hang des Angelrains von grosszügigen Freitreppen erschlossen werden. Konstruktiv bestehen die Fundamente und Kellermauern der Gebäude aus Beton; darüber wurden die tragenden Umfassungsmauern aus verputztem Backsteinmauerwerk aufgeführt. Fenstereinfassungen und Bauplastik bestehen aus Kunststein. Die Deckenkonstruktionen sind aus armiertem Beton mit Ziegel-Hohlsteinen ausgeführt [7]. Die Dächer sind mit Biberschwanzziegeln eingedeckt.
Das Innere gliedert sich um die beiden westseitig gelegenen Treppenhäuser, an die auf allen Geschossen durchlaufende Korridore als grosszügige Erschliessungsflächen anstossen. Eine Flucht von Schulzimmern erstreckt sich über die östliche Längsseite; jeweils zwei einzelne Zimmer nehmen die nördliche und südliche Stirnseite ein. Die Treppen aus armiertem Beton sind mit Granit aus dem Maggiatal belegt. Korridore und Vorhallen besitzen einen Belag aus braunen Lausener Klinkerplatten, die Schulzimmer Eichen- bzw. Buchenparkett. Dekorativ behandelt sind nur die Türen, die eine Verkleidung aus Marmor-Mosaik zeigen.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung, Erhaltungsziel A.
Anmerkungen:[1] Baugeschichte nach der detaillierten Schilderung in Festschrift 1930, S. 25-32.
[2] Ausführliche Darstellung der prämierten Projekte in Schweizerische Bauzeitung 82 (1923), S. 86-89 u. 101-104.
[3] Festschrift 1930, S. 30. – „Krisis der Architektur“ ist ein damals aktueller Buchtitel des aus der Schweiz stammenden, vor allem durch seine aktive Rolle in der Architekturpropaganda des Nationalsozialismus zu zweifelhafter Bekanntheit gelangten Architekten Alexander von Senger. Der Begriff wird hier im Lenzburger Zusammenhang aber als reines Schlagwort und sicherlich ohne politischen Beiklang verwendet, wie aus dem Text der Festschrift deutlich wird.
[4] Zu Hans Schmidt vgl. Isabelle Rucki / Dorothee Huber, Architektenlexikon der Schweiz, 19./20. Jahrhundert, Basel 1998, S. 484f.
[5] Ebd., S. 31.
[6] Zu Brenner & Stutz vgl. Gabriela Güntert, Sie bauten den Thurgau: Die Architekten Brenner, hrsg. v. Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau (Denkmalpflege im Thurgau, Bd. 6), Frauenfeld 2004. Zu den weiteren Bauten von Brenner & Stutz in Lenzburg vgl. Bauinventarobjekte LEN923, 926, 952.
[7] Materialangaben gemäss Festschrift 1930, S. 36f.
Literatur:- Wettbewerb für eine Bezirkschule [sic] Lenzburg, in: Schweizerische Bauzeitung 82 (1923), S. 86-89 u. 101-104.
- Festschrift zur Einweihung des neuen Bezirksschulhauses in Lenzburg 26.10.1930, Lenzburg 1930.
- Hans Maurer et al., Lenzburg AG (Schweizerische Kunstführer, Nr. 429/430), Bern 1988, S. 11.
- Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. 19. und 20. Jahrhundert [Geschichte der Stadt Lenzburg, Bd. III], Aarau 1994 (auch erschienen als: Argovia, Bd. 106/1), S. 368-370 (mit Abb.).
 

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