Dokumentation |
Würdigung: | Die katholische Pfarrkirche von Wittnau wurde 1765-76 anstelle eines spätgotischen Vorgängerbaus, unter Einbezug der alten Sakristei, neu erbaut und 1865 um zwei Fensterachsen verlängert. Es handelt sich um eine spätbarocke Saalkirche mit eingezogenem Polygonalchor und eingestelltem Frontturm von 1865. Der radikalen Purifizierung des Kircheninneren fielen 1952 unter anderem Stuckaltäre des renommierten Laufenburger Stuckateurs Lucius Gambs zum Opfer. Die Kirche mit dem ummauerten Friedhofareal nimmt aufgrund ihrer leicht erhöhten Lage nördlich der historischen Häuserzeilen eine beherrschende Stellung im Ortsbild ein. |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | Geschichtliches. Die Kirche von Wittnau bestand schon im 12. Jh. als Gründung der Frickgaugrafen. Zusammen mit den Leutpriestern von Herznach, Oeschgen und Wölflinswil hatte der Pfarrer von Wittnau die um 1185 gestiftete Jahrzeit der Homburger Grafen zu feiern. 1316 gelangte deren Patronatsrecht an das Benediktinerkonvent von Beinwil im solothurnischen Lüsseltal (1648 nach Mariastein verlegt). Seit 1462 versah ein Mönch von Beinwil die zeitlichen und geistlichen Belange der Pfarrei und führte den Titel "Propst". Nach langen Verhandlungen ging die Kollatur 1873 an die Kirchgemeinde Wittnau über [1].
Baugeschichte. Das erste Gotteshaus von Wittnau brannte 1462 nach einem Blitzschlag vollständig nieder [2]. 1462 vergabte der Abt des Klosters Beinwil der Gemeinde 200 Gulden zum Wiederaufbau der Kirche. Der Chor wurde zwischen 1463 und 1491 auf dem alten Kirchplatz neu errichtet, nachdem sich ein Bauplatz ausserhalb des Dorfs als ungeeignet erwiesen hatte. In der Folge eines Visitationsberichtes von 1760, welcher das Gotteshaus als sehr alt und klein bezeichnete und eine Erneuerung anregte, bewilligte der Bischof von Basel 1761 den Neubau des Gotteshauses von Wittnau. Treibende Kraft war der in Wittnau geborene Pfarrer Laurentius Schmid [3]. Zur Finanzierung des Kirchenneubaus wurde mit Einwilligung der geistlichen und weltlichen Obrigkeit bei den vermögenderen Kirchen im Herrschaftsgebiet eine Beisteuer erhoben. Vom 18. Februar 1765 datiert der Bauakkord mit dem Mauermeister Hans Georg Bader von Schwörstadt. Dieser verspricht, "dieses Kirche Gebäu mit 10 bis 12 Maurer Gesellen innert drei Monathen under das Dach ohne Anstadt [ohne Unterbruch] herzustellen" [4]. Akkorde wurden im selben Jahr auch mit Zimmermeister Egidi Häuser von Magden, Ziegler Josef Bösch von Frick und Schlossermeister Johann Winterlin von Degerfelden (Kreis Lörrach, Baden) für die Herstellung von sechs Fenstern im Langhaus und drei Fenstern im Chor, sowie mit Glasermeister Gregory Lutz von Rheinfelden abgeschlossen [5]. Chor und Schiff der alten Kirche samt dem Beinhaus wurden 1765 abgerissen. Bestehen blieben der Turm und die Sakristei [6]. Die Grundsteinlegung erfolgt am 12. Juli 1765. Den Neubau segnete der Basler Weihbischof Johann Baptist Gobel am 1. Juli 1776 ein. Die Kirche besass drei Altäre: Der Hochaltar war dem Hl. Martin, die beiden Seitenaltäre der Muttergottes und den Hl. Stephan und Wolfgang, später St. Jakob, geweiht [7]. 1864/65 wurde zum 100. Jahresfest der Kirche der alte Turm abgebrochen. Das Schiff wurde um zwei Fensterachsen verlängert und darüber der neue Turm erstellt. Als Geläute erstand man vier neue Glocken von der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau. Über dem Geläute hängt heute noch eine kleinere Glocke aus dem Jahr 1663 mit der Inschrift: "AVE MARIA GRATIA PLENA DOMINUS TECUM / ZU WEIDNAV MDCXIII". Um 1904/05 erfolgte eine Innenrenovation durch Karl Mesmer und Söhne, Basel [8]. 1925 Aussenrenovation und neuer Turmhelm mit Kupferbedachung. 1952 fand eine Purifizierung des Kircheninneren unter der Leitung von Architekt Alois Moser, Baden, statt. Dieser gestaltete einen modernen, schlichten Innenraum [9]. 2001 wurde die Kirche einer erneuten Innenrenovation durch Architekt Hans Böller, Wölflinswil, unterzogen. |
Beschreibung: | Die nach Nordosten gerichtete Kirche, die ihre heutige Gestalt im Wesentlichen in zwei Etappen erhielt (vgl. Baugeschichte), ist ein Saalbau mit eingezogenem Polygonalchor und eingestelltem Frontturm in neuromanischem Stil. Die Chornordwand und die unter einem Pultdach anschliessende kreuzgewölbte Sakristei stammen noch vom Vorgängerbau aus dem späteren 15.Jh. Das in der Nordmauer des Chors gefundene Sakramentshäuschen wurde bei der Innenrenovation von 1952 wieder freigelegt. Das Schiff zeigt rundbogige Lichter mit Gewänden aus Muschelkalk. Im Chorscheitel hängt das sogenannte Wittnauer Kreuz, ein monumentales spätgotisches Kruzifix aus dem 15.Jh. Die Leihgabe stammt aus der Martinskapelle im Kehr, in der es zusammen mit drei spätgotischen Plastiken aus dem frühen 16.Jh. (Hl. Martin, Anna mit Maria auf dem Arm sowie die Hl. Katharina von Alexandrien mit Palmwedel und Buch) aufbewahrt wurde (Denkmalschutzobjekt WIT003). Der aus gelblichem Solothurner Marmor gefertigte Altar ist ein Werk des Bildhauers Josef Rickenbacher, Zug. Das Relief stellt die Kundschafter aus dem gelobten Land dar. Den vergoldeten Tabernakel mit den biblischen Motiven Brot und Fische schuf Maria Häfeli-Flüeler, Küsnacht ZH. Die 14 Stationenbilder aus Lindenholz schnitzte Beat Gasser, Lungern. Die Glasfenster für das Langhaus wurden von Willy Helbling zwischen 1954 und 1965 geschaffen. Dargestellt sind auf der Nordseite Schutzbilder für unser Leben: Bruder Klaus als Landesvater, die Schutzpatrone Notburga und Isidor sowie der Schutzengel Rafael mit Tobias. Die Südfenster haben Auferstehungsszenen zum Thema: der vom Grossen Fisch ausgespuckte Jonas, Mariä Himmelfahrt und die Auferweckung des Jünglings von Naim [10]. Die 1984 eingebaute Orgel von Armin Hauser, Kleindöttingen, weist 18 Register und ein Gehäuse aus massivem Eichenholz auf; die Schnitzereien stammen von Joseph Brühlmann, Muri AG. Patrick Bircher aus Wölflinswil hat 1998/2001 auf Skizzen die vier liturgischen Gegenstände für den Chorraum entworfen; gefertigt wurden sie durch Schreiner Leo Schmid, Wittnau, aus einheimischem Kirschenholz. Zur Einweihung der renovierten Kirche 2002 wurde durch den Wittnauer Holzbildhauer Stefan Hort eine Holzstatue des Kirchenpatrons Martin von Tours geschaffen. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung. - Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), Einzelelement, Erhaltungsziel A. |
Anmerkungen: | [1] Vgl. Haas 1972, S. 5-6. [2] Bei den Renovationsarbeiten von 1953 fand man Fundamentreste des Turms und des Langhauses. Ferner traten zahlreiche römische Funde sowie ein frühmittelalterliches Grab zutage. Vgl. ZAK 14 (1953), S.112. [3] Der 1744 in Wittnau geborene Laurentius Schmid, seit 1750 Pfarrer in Wittnau und seit 1775 auch Probst (Verwalter der weltlichen Güter des Konvents), starb 1778 und wurde in der Vorhalle der Kirche beigesetzt. Vgl. Haas 1972, S.7. [4] Bader verpflichtete sich, die Kirche in Höhe, Breite und Länge und mit sechs Lichtern nach einem von ihn selbst gezeichnete Riss zu errichten. Die Gemeinde hatte die benötigten Baumaterialen wie Stein, Kalk, Sand, Holz usw. auf den Platz zu liefern und dem Maurermeister eine bestimmte Anzahl Fronarbeiter zur Verfügung zu stellen. Vgl. Egloff 1972/74, S.106 nach Akte Staatsarchiv Aargau, Nr.6439. [5] Vgl. Egloff 1972/74, S.107-109 mit detaillierten Angaben zum Inhalt der Akkorde und zur Bezahlung. [6] Maurermeister Bader musste die Mauern der Sakristei erhöhen und eine Schneckenstiege anfertigen. Vgl. Egloff 1972/74, S.114. [7] Es handelt sich dabei um die 1768 geschaffenen Werke des Vorarlberger Stuckateurs Lucuis Gambs, der sich längere Zeit in Laufenburg aufhielt. Von ihm stammen unter anderem auch die prächtigen Stuckaturen in der Pfarrkirche von Mettau (1773/75), die Rokokostuckaturen am Gerichtsgebäude von Laufenburg (1771) und Arbeiten in den Kirchen von Zurzach, Obere Kirche (1763) und von Oberlunkhofen (1778). [8] Neuvergoldung der Altäre, neuer Aufbau des Hauptaltars, Ausmalen von Chor und Schiff. Vgl. Müller 1984, S.26. [9] Die damals entfernten Altäre und die zugehörigen Statuen werden auf dem Dachboden des Pfarrhauses verwahrt. [10] Zu den Glasfenstern vgl. Christian Holliger 1996, S. 148f. |
Literatur: | - Christoph Benz. Die Altbachmühle - ein Familienbetrieb mit Tradition, in: Adlerauge 1988, S. 2-5. - Otto Mittler. Katholische Kirchen des Bistums Basel, Bd.5: Kanton Aargau, 1937, S.91-92. - Anton Egloff. Der Wittnauer Kirchenbau von 1765, in: Vom Jura zum Schwarzwald 1972/74, S.101-114. - Pater Hieronymus Haas. Die Mariasteiner Klosterpfarrei Wittnau, in: Mariastein 1972, Nr.1/2, S.6ff. - Gottfried Müller-Weiss. Aus Wittnaus kirchlicher Vergangenheit. Festschrift anlässlich der Erbauung der neuen Orgel 1984. - Christian Holliger. Aargau, Wanderungen durch Kultur und Geschichte, Aarau 1996, S.148f. - Kleiner Kirchenführer, Informationsschrift zur Kirche St. Martin Wittnau. |
Quellen: | - Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv. |
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