INV-TUR904 "Langhaus", 1828 (ca.) (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-TUR904
Signatur Archivplan:TUR904
Titel:"Langhaus"
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Südosten (2015)
Bezirk:Baden
Gemeinde:Turgi
Adresse:Langhausstrasse 1, 3
Versicherungs-Nr.:64, 562, 62
Parzellen-Nr.:69, 665, 70
Koordinate E:2661314
Koordinate N:1260644
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2661314&y=1260644

Chronologie

Entstehungszeitraum:approx. 1828
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Kosthaus
Epoche / Baustil (Stufe 3):Biedermeier

Dokumentation

Würdigung:Um 1828 errichtetes ehemaliges Kosthaus der Spinnerei Bebié, das durch seine ungewöhnliche Länge auffällt. Beim sogenannten „Langhaus“ handelt es sich nicht nur um das erste Kosthaus im Kanton Aargau, sondern überhaupt um eines der ältesten erhaltenen Kosthäuser dieser Grösse in der Schweiz, womit es als herausragender Zeuge der Industriegeschichte gelten kann. Auch typologisch gehört der langgestreckte, schlicht gestaltete dreigeschossige Biedermeierbau, der zwanzig reihenhausartig angelegte Wohneinheiten vereinigt, zu den frühesten Vertretern seiner Gattung. Im Ortsbild von Turgi kommt dem grossmassstäblichen Gebäude zudem eine prägende Rolle zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Als die Gebrüder Bebié 1826 in Turgi ihre Spinnerei gründeten (vgl. Bauinventarobjekt TUR906), war die Unterbringung der auswärtigen Fabrikarbeiter in der abgelegenen Lage des zuvor weitgehend unbesiedelten Limmatknies eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit [1]. So stammten die Arbeiter teils wie die Fabrikanten aus dem Zürcher Oberland, teils aus dem Oberaargau. Dort hatten die Gebrüder Bebié mit einzelnen Gemeinden Verträge geschlossen, nach denen der Lohn der Fabrikarbeiter direkt in die Heimatgemeinde floss, während die Arbeiter in der Fabrik selbst zur „Kost“ wohnten. In diesem Sinn hatte der Bau von „Kosthäusern“ auch die Funktion, die Belegschaft in besonderem Mass an die Fabrik zu binden. Nur kurz nach dem Bau des ersten Fabrikgebäudes 1826/27 errichteten die Gebrüder Bebié mit dem „Langhaus“ deshalb das erste Arbeiterwohnhaus, nachdem man die Belegschaft kurzfristig im zuerst erstellten Wohn- und Bürogebäude (Kurzinventarobjekt TUR907) untergebracht hatte. Es handelte sich damit gleichzeitig um das erste Kosthaus im Kanton Aargau, das Spinnereibesitzer Heinrich Kunz später in Windisch zum Vorbild nahm (vgl. Bauinventarobjekte WIN910A). Seinen Namen verdankte das Gebäude wohl nicht nur der ungewöhnlichen Länge als solcher, sondern auch dem Gegensatz zum „Hochhaus“, der heute nicht mehr bestehenden Fabrikantenvilla der Gebrüder Bebié. Nach der Firmenteilung 1842 wurden die zehn östlichen Wohnungen (Vers.-Nr.62) dem Betrieb von Heinrich, die zehn westlichen (Vers.-Nr.64) dem Betrieb von Rudolf Bebié zugeteilt.
Gerade auch wegen der schlechten Wohnverhältnisse der Arbeiterschaft war das abgelegene Turgi bald ein Schreckbild unter den zeitgenössischen Spinnereibetrieben, gab doch die äusserst dürftige Einrichtung der Kosthäuser ebenso Anlass zur Klage wie das als unsittlich empfundene Verhalten ihrer Bewohner. Im Lauf des 19. und 20. Jh. wurden die äusserst einfach eingerichteten Häuser sukzessive an einen zeitgemässen Wohnkomfort angepasst. Der Anschluss an Kanalisation und Wasserversorgung zog sich dabei teilweise bis in die 1980er Jahre hin. 1982 wurde zum Zweck der Erhaltung des Gebäudes die Genossenschaft „Langhuus“ gegründet, welche die Einzelhäuser 5-10 der östlichen Gebäudhälfte erwerben konnte. Ebenfalls noch in den 1980er Jahren verkaufte die BBC (Brown Boveri & Co.) als letzter gesamtheitlicher Eigentümer der westlichen Gebäudehälfte die Einzelhäuser an Private. In der Folge wurden verschiedentlich Renovationen und Umbauten in den einzelnen Wohnungen vorgenommen.
Beschreibung:Das „Langhaus“ ist mit seinem namengebenden, langgestreckten Baukörper quer zur Bahnhofstrasse gestellt. Zu seiner Entstehungszeit stand es noch weitgehend frei auf der erst spärlich bebauten Turgemer Halbinsel, wodurch die Parallelität mit dem an der Limmat stehenden Fabrikgebäude, dem zweiten Grossbau in der Umgebung, umso deutlicher ins Auge gefallen sein dürfte (vgl. Michaeliskarte um 1840). Mit seiner Grossmassstäblichkeit setzt das Gebäude auch in der heutigen dichteren Bebauung einen deutlich wahrnehmbaren Akzent.
Der dreigeschossige Baukörper mit einer Gesamtlänge von 84 Metern liegt unter einem durchgehenden Giebeldach. Er teilt sich in zwanzig Wohneinheiten, die quer zum First reihenhausartig aneinandergefügt sind. Das „Langhaus“ vertritt damit einen frühen Typus von Kosthäusern, für den die vertikale Auslegung der Wohnungen mit Küche und Stube im Erdgeschoss sowie zugehörigen Kammern im Obergeschoss charakteristisch ist. Nicht selten waren zur besseren Ausnützung des Wohnraums in den oberen Kammern ledige Arbeiterinnen und Arbeiter als „Kostgänger“ untergebracht. Typologischer Vorläufer waren wohl die sogenannten „Flarzhäuser“, die im Zürcher Oberland in der frühen Industrialisierung als Wohnungen der Heimarbeiter entstanden. Ein direktes Vorbild war das 16 Wohnungen zählende, zweigeschossige Kosthaus in Oberengstringen, das 1822 ebenfalls im Auftrag der Gebrüder Bebié für ihre dort seit 1816/17 bestehende erste Spinnerei entstand. Mit 20 aneinandergereihten Wohnungen von jeweils drei Stockwerken ist das Kosthaus in Turgi allerdings noch grösser als die ersten Bebié’schen Arbeiterhäuser [2].
Das Gebäude ist in Grund- und Aufriss so gegliedert, dass sich mit Ausnahme der beiden Eckhäuser immer paarweise die benachbarten Wohneinheiten spiegelbildlich gegenüberliegen. „Ihre individuellen Rechteckportale und die damit benachbarten Küchenfenster auf der Strassenseite ergeben ein neunfaches nebeneinander des Schemas a-b-b-a. Dasselbe gilt in Bezug auf die Rechteckfenster und die ovalen Abortlichter am ersten Obergeschoss, während die durchwegs gleichartigen Fenster am zweiten Stock durch den einfachen Wechsel grösserer und kleinerer Zwischenräume rhythmisiert sind. Die beiden äussersten Wohnungen zeigen gleichartig disponierten Grund- und Aufriss, sind jedoch geräumiger und mit einem geschlossenen Stiegenhaus versehen.“ [3] Lediglich die Giebelfelder zeigen mit jeweils einem Rundbogenlicht sehr zurückhaltende, zeittypisch biedermeierliche Schmuckformen. Die Wohneinheiten der westlichen Gebäudehälfte sind mit zusätzlichen Fenstern in der Nordfassade äusserlich stärker umgestaltet. Das Dach weist einen hochliegenden Knick auf. Es ist heute mit Falzziegeln anstelle der ursprünglichen Biberschwanzziegel eingedeckt, hat aber seine geschlossene Form ohne Dachaufbauten bewahrt.
Die Erschliessung der Wohnungen ist denkbar einfach. Man tritt von aussen direkt in die Küche und von dieser in die Stube. Über einen Treppenlauf in der Küche gelangt man in das erste Obergeschoss, das zwei Kammern umfasst, was auch für das zweite Obergeschoss gilt. Unter der östlichen Hälfte des Langhauses erstreckt sich ein durchgehender, 4 m hoher Keller mit mächtigen Muschelkalkpfeilern, der ursprünglich vielleicht als zusätzlicher Produktionsraum diente [4]. Jeder Wohnung ist südseitig ein Nutzgarten vorgelagert, der heute über eine Fenstertüre in der Stube zugänglich ist.
Konstruktiv handelt es sich in den Aussenwänden um einen verputzten Mauerbau, während die Binnenwände in Ständerbauweise mit verputztem Flechtwerk erstellt wurden. Gemauert waren in den einzelnen Wohnungen lediglich die Kamine samt Ofenrückwänden [5]. Heute sind die Wohnungen unterschiedlich stark modernisiert, wobei sich dennoch bauzeitliche Ausstattungselemente in bemerkenswerter Zahl erhalten haben, so einzelne Türen mit handgeschmiedeten Beschlägen, Stiegen samt Geländer und Tannenriemenböden; einzelne Wohnungen zeigen zudem Krallentäfer aus der Zeit um 1900 [6].
Anmerkungen:[1] Geschichtliches nach Dobler 2016, mit Verweis auf ältere Literatur (für den Typus des Kosthauses insbes. Steinmann 1980, für Lokalgeschichtliches zu Turgi Haller / Haller 1984, S. 53); zur Geschichte des Unternehmens vgl. Hoegger Kdm AG VII S. 132-134.
[2] Vgl. Dobler 2016 u. Steinmann 1980.
[3] Hoegger Kdm AG VII, S. 144.
[4] Dobler 2016.
[5] Dobler 2016.
[6] Inneres gemäss Dobler 2016.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung, Erhaltungsziel A.
- Gemeinde Turgi. Kommunales Inventar Bauten und Anlagen, bearbeitet durch das Büro Arcoplan, 1993, Nr. 12.1.
Literatur:- Heiko Dobler, Leben für die Fabrik. Kosthäuser der frühen Industrialisierung im Kanton Aargau, unpublizierte MAS-Arbeit, BFH Burgdorf, Fertigstellung 2016.
- Adolf u. Jürg Haller, Chronik von Turgi (2., erweiterte Auflage) Turgi 1984, S.53.
- Peter Hoegger, Die Landgemeinden des Limmattals, des Surbtals, des Aaretals und des Unteren Reusstals sowie das Kloster Fahr (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Band VII), Basel 1995., S. 132f. (zur Unternehmung), 143f.
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 136.
- Martin Steinmann, Die Kosthäuser. Einleitung zu einer Typologie von Arbeiterhäusern in ländlichen Gebieten der Schweiz, in: Archithese, 10. Jg. (1980), Nr. 5, S. 48-52.
- Verweben. Siedlungsentwicklung und historische Identität in der Gemeinde Turgi, hrsg. von der Gemeinde Turgi, Turgi 2014, S. 20-23.
Quellen:- Gemeinde Turgi, Baugesuchsarchiv; Umbauten ab ca. 1980.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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Related units of description:siehe auch:
DOK-TUR839.003 Sog. Langhaus (Dossier (Dokumentationsobjekte))
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=129076
 

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