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INV-UNS929F Kesselhaus Stroppel, 1910 (ca.) (Dossier (Bauinventar))
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Chronologie |
Entstehungszeitraum: | approx. 1910 |
Grundlage Datierung: | Brandkataster |
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Typologie |
Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.): | Teil einer Baugruppe |
Weitere Teile der Baugruppe: | Bauten der Nähfadenfabrik Stroppel (Bauinventarobjekte UNS929A-E, G-M) |
Nutzung (Stufe 1): | Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten |
Nutzungstyp (Stufe 2): | Kesselhaus, Turbinenhaus, Maschinenhaus |
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Dokumentation |
Würdigung: | Verputztes, durch Lisenen und Kranzgesimse gegliedertes Kesselhaus von guten Proportionen, zu dem ein frei stehender, backsteinsichtiger Hochkamin auf der Rückseite gehört. Es bildet von Süden her das erste Element einer lockeren Aufreihung fabrikbezogener Bauten, welche die landeinwärts gelegene Seite der Werkstrasse säumen. Das giebelbetonte, mit leicht über die Dachflächen ragenden Stirnfronten ausgestaltete Gebäude ist an den Fassaden mit grosszügigen Stichbogenlichtern besetzt, die als Rarität ihre kleinformatigen, hochrechteckigen Scheiben samt originalen filigranen Metallsprossen bewahrt haben. Das in den letzten Jahren mit Sorgfalt instandgesetzte, zu einem Saal für Veranstaltungen umgebaute Gebäude ist bezüglich seines äusseren Erhaltungszustandes einer der Höhepunkte des Stroppelareals. Im Innern sind beim Umbau 2008 von der ehemaligen Ausstattung einzelne an die Fabrikzeit erinnernde Teile in neuer Inszenierung erhalten geblieben. |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | Fabrikanlage allgemein: Pläne von alt Ammann Johann Baptist Umbricht und "Löwen"-Wirt Josef Leonz Müller aus Untersiggenthal, im Stroppel am rechten Limmatufer eine Baumwollspinnerei und -weberei zu eröffnen, wurden trotz der 1864 regierungsrätlich erteilten Konzession für ein Wasserrad nicht umgesetzt. 1867 erwarb der Zürcher Unternehmer Emil Escher-Hotz sowohl Land als auch Radrecht und nahm 1869 in der neu erstellten mechanischen Nähfadenfabrik die Produktion auf [1]. Gemäss Brandkataster von 1875 umfasste das Fabrikareal damals folgende Gebäude: "1. Färberei- und Bleichereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929D], einstöckig, von Stein erbaut mit Dampfkamin und zwei gewölbten Räumen im Erdgeschoss; 2. Zwirnereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929A], dreistöckig, von Stein erbaut; 3. Poliergebäude [Bauinventarobjekt UNS929C], einstöckig, zwischen dem 1. und 2. Gebäude eingebaut, mit Blech- und Glasdach; 4. Turbinenhaus [Vorgängerbau des heutigen Kraftwerks von 1908/1932, Bauinventarobjekt UNS929B], einstöckig, von Stein, Riegel und Holz; 5. Sägegebäude [Bauinventarobjekt UNS929G], an das Werkstattgebäude angebaut, einstöckig, von Stein, Holz und Riegel, mit Anbau, 1 Vertikalsäge, 2 Zirkularsägen, 1 Bandsäge nebst Getriebe; 6. Werkstattgebäude [Bauinventarobjekt UNS929H], zweistöckig; 7. Ökonomiegebäude mit angebauter Stallung [Bauinventarobjekt UNS929I] [2]." Zur Anlage gehörten ausserdem ein unmittelbar neben dem Ökonomiegebäude stehendes zweistöckiges Wohnhaus mit drei Wohnungen (sog. "Meisterhaus", Bauinventarobjekt UNS929J) und im Roost zwei zweistöckige Arbeiterwohnhäuser (beide abgebrochen). Um das Einzugsgebiet für auswärts wohnende Arbeitskräfte auch auf die andere Uferseite erweitern zu können, unterhielt Escher-Hotz 1869-72 eine Fähre und 1872-1881 einen Fussgängersteg über die Limmat [3]. Mit 259 Arbeiterinnen und Arbeitern erreichte die Fabrik 1883 einen Spitzenwert [4]. 1885 beschäftigte sie noch 225 Personen – zu drei Viertel Frauen und Mädchen – und war damit die achtgrösste Fabrik im Kanton [5]. 1906 wurde die Firma von den Erben Eschers an die weltweit tätige schottische Unternehmergruppe für Nähfaden und Handarbeitsgarne, J. & P. Coats Ltd. in Glasgow verkauft und 1907 in die "Zwirnerei Stroppel AG" umgewandelt. Es folgten ein Umbau und eine Modernisierung der Anlagen, wobei das Turbinenhaus zu einem Kraftwerk (Bauinventarobjekt UNS929B) umgebaut und die Fabrik elektrifiziert wurden [6]. Neu hinzu kamen in dieser zweiten Bauetappe zwischen 1907 und 1911 flussaufwärts die neue Färberei (Bauinventarobjekt UNS929E), die Mitte 20. Jh. ein Sheddach erhielt, das Kesselhaus mit Hochkamin (Bauinventarobjekt UNS929F) und das Wasseraufbereitungsgebäude am südöstlichen Ende des Areals (nicht Bestand des Bauinventars). Ausserdem wurden in nordwestlicher Verlängerung der Anlage eine Direktorenvilla, ein Angestelltenwohnhaus und ein Arbeiterinnenheim mit Waschhaus (Bauinventarobjekte UNS929K-M) errichtet. Nach einem Brand im Jahr 1932 musste das Maschinenhaus des Kraftwerks neu gebaut werden [7]. Im Laufe der 1980er Jahre stellte Coats Stroppel AG die Produktion ein (Aufgabe der Zwirnerei 1985) und fokussierte sich auf den Handel mit Merceriewaren, was mit einer Stilllegung auch des Wasserkraftwerks einherging [8]. 1995 erwarb die Proma Energie AG das Kraftwerk und die historische Fabrikanlage. Nach einer sanften Nachrüstung und Automatisierung setzte sie das Kleinkraftwerk wieder in Betrieb. Seit 2011 wird es von der Axpo betrieben, welche die verbliebenen alten Maschinengruppen (Turbinen und Generatoren) auswechselte. Die anderen technischen Einrichtungen blieben teilweise museal vor Ort erhalten. Im Industrieareal entwickelte sich währenddessen ein Gewerbezentrum. Heute sind in den Gebäuden der ehemaligen Nähfadenfabrik verschiedene Nutzungen vereinigt, vom Kleingewerbe und Büroarbeitsplatz über Kunstateliers und Kulturbetriebe bis zu Wohnungen.
Kesselhaus: Nach dem Verkauf der Nähfadenfabrik an die neue Eigentümerin J. & P. Coats Ltd. erfolgte in einer zweiten Bauetappe um 1909-10 die Erstellung des Kesselhauses mit Hochkamin, das sich bis heute äusserlich weitgehend im ursprünglichen Zustand erhalten hat [9]. Das Gebäude wurde 2008 sorgfältig instandgesetzt, wobei die bauzeitlichen Fenster als ausserordentliche Rarität bewahrt wurden. An der Nordfassade wurde ein zusätzliches, sich auf den Pultdachanbau öffnendes Fenster ausgebrochen. Im Innern sind ausgewählte Teile der originalen Einrichtung erhalten geblieben. Einige Requisiten erinnern noch an die Drehtage im Stroppelareal vor wenigen Jahren, als das Kesselhaus für die Fernsehserie "Der Bestatter" als Kulisse diente und darin das Bestattungsinstitut der Filmfigur Luc Conrad eingerichtet war. |
Beschreibung: | Das um 1909-10 erbaute Kesselhaus steht auf der zum Land hin gelegenen Seite der Werkstrasse, auf gleicher Höhe wie die 1908 zur Winderei umgebaute Färberei (Bauinventarobjekt UNS929D). Der frei stehende Baukörper eröffnet damit von Südosten her eine Reihe von locker angeordneten fabrikbezogenen Bauten, welche die Erschliessungsachse landeinwärts säumen. Der längs zur Strasse ausgerichtete Baukörper zeigt eine giebelbetonte Fassadengestaltung in Richtung der Zufahrt von Nordwesten her. Die verputzten Fassaden sind wie bei allen sowohl aus der Gründungszeit als auch aus der zweiten Bauetappe stammenden Produktionsgebäuden mit Lisenen gegliedert. Traufseitig werden so drei Felder mit je einer Achse voneinander geschieden, von welchen ein dreifach abgetrepptes Kranzgesims zum mauerbündigen Dach überleitet. Die beiden Stirnfronten sind an den Kanten und Giebelschrägen mit Lisenen eingefasst. Sie überragen leicht die ehemals mit Ziegeln, heute mit Wellblech eingedeckten Dachflächen, wobei die horizontal abschliessenden Ecklisenen über der Traufe markant in Erscheinung treten. Die Mauerkronen sind ebenfalls mit Blech verkleidet. Von besonderem Reiz und zunehmendem Seltenheitswert sind die noch aus der Bauzeit des Gebäudes stammenden Fenster, die sich vollständig erhalten haben. Sie sind mit Ausnahme der aus Backsteinen gefügten Gesimse ohne Gewände ins Mauerwerk eingelassen, wie dies auch an der erneuerten Nordfassade der Zwirnerei und am Färberei-Erweiterungsbau der Fall ist. Mit ihren einzeln von filigranen Metallsprossen gefassten, hochrechteckigen Glasscheiben tragen sie wesentlich zum Fassadenbild bei und lassen das sonst eher schlicht gestaltete Kesselhaus als schmucken Baukörper erscheinen. Längsseitig erstrecken sich drei bzw. gegen die Werkstrasse hin zwei hohe, schlank proportionierte Segmentbogenfenster über nahezu die gesamte zweigeschosshohe Wandfläche, und verweisen auf die ungeteilte, hallenartige Nutzung des Innenraums. Im südwestlichsten Wandfeld ist statt eines Fensters in der äusseren Ecke des Gebäudes ein kleiner stichbogiger Durchgang eingelassen. An der als Schauseite ausgestalteten, zweiachsig konzipierten nordwestlichen Giebelfront öffnet sich im Erdgeschoss ein breites, heute erneuertes Werkstatttor mit Eisenträgersturz, daneben befindet sich anstelle eines Vorgängers unter Pultdach ein zweiseitig offener Anbau. Auf einer zweiten, darüber liegenden Ebene befinden sich zwei querliegende, breite Fenster mit Segmentbogenabschluss. Das Giebelfeld ist von einem breiten Rundbogenlicht besetzt. Fensterlos ist dagegen die nach Süden gewandte Stirnseite, die nur einen mittigen Hinterausgang zum Hochkamin besitzt, der neben dem Kesselhaus freistehend als wahrzeichenhafter Backsteinschlot aufragt. Das Innere gewährt freie Sicht auf die Dachhaut sowie auf First und Rafen, welche aus Eisenträgern bestehen und in Kombination mit zwei filigranen, genieteten Gitterfachwerkträgern das Tragegerüst bilden. Der grosse Raum wird von jüngeren Einbauten, einem galerieartigen Einbau im Norden und einer mehrstufigen Bühne im Süden, strukturiert. Darin verteilt finden sich ausgewählte Einrichtungsteile aus der Fabrikzeit. Eindrücklich ist insbesondere die drei Tonnen schwere Front des Heizkessels, die 2008 beim Abbau des mächtigen Kessels bewahrt und an die Rückwand der Bühne versetzt wurde. Mit dem Wasserröhrenkessel vom Typ Babcock & Wilcox war früher Dampf für das Einfärben der Nähfäden erzeugt worden, um ihn unterirdisch ins Färbereigebäude zu leiten [10]. |
Anmerkungen: | [1] Hoegger 1995, S. 175-176. [2] Boner 1983, S. 188. Die abweichenden Bezeichnungen der Gebäude auf der Schautafel des Industriekulturpfads 1996 beziehen sich auf die Zeit nach dem Umbau und der Modernisierung der Bauten 1907-09. [3] Lang/Steigmeier 1995, S. 23. [4] Meier/Steigmeier 2008, S. 130. [5] Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss 1996, S. 21. [6] Lang/Steigmeier 1995, S. 5-6; Hoegger 1995, S. 175. [7] Meier/Steigmeier 2008, S. 132 (Bildlegende Abb. 10) [8] Hoegger 1995, S. 175-176; Lang/Steigmeier 1995, S. 6-7; AZ vom 22. Juni 2012, S. 31; Meier/Steigmeier 2008, S. 131. [9] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938. [10] Lang/Steigmeier 1995, S. 20. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung BLN, BLN 1019 Wasserschloss beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat (Schutzziel 3.8 Die kulturhistorischen Zeugen der Wasserkraftnutzung und der frühen industriellen Entwicklung erhalten). |
Literatur: | - Georg Boner, Die Geschichte der Gemeinde Untersiggenthal, Baden 1983, S. 186-190. - Peter Hoegger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 7, Basel 1995, S. 175-177. - Der Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss im Raum Turgi-Untersiggenthal-Vogelsang (Dokumentation 5), Baden 1996, S. 19-21. - Norbert Lang/Andreas Steigmeier, Fabrikanlage und Kraftwerk Stroppel (Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss, Dokumentation 2), Baden 1995. - Bruno Meier/Andreas Steigmeier, Untersiggenthal. Eine Gemeinde im Umbruch, Untersiggenthal 2008, S. 130-133. - Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 135. |
Quellen: | - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938. - Dieter Minder, Die Ofenfront wird zur Kulisse, in: Aargauer Zeitung vom 16.02.2008. |
Reproduktionsbestimmungen: | © Kantonale Denkmalpflege Aargau |
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URL: | http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=130279 |
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