INV-LEN957 Bleichegebäude am Aabach, 18. Jh. (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-LEN957
Signatur Archivplan:LEN957
Titel:Bleichegebäude am Aabach
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Nordosten (2016)
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Lenzburg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Bleicherain
Adresse:Bleicherain Vers.-Nr. 221/222
Versicherungs-Nr.:221, 222
Parzellen-Nr.:356
Koordinate E:2655689
Koordinate N:1248708

Chronologie

Entstehungszeitraum:18th cent.
Nutzungen:Mitte 20. Jh. Betriebseinstellung

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Färberei, Bleiche

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2017

Dokumentation

Würdigung:Zwei zu einer Zeile verbundene Gebäude der Hünerwadelschen Bleiche, von denen das südliche im 18. Jahrhundert als Walke, das nördliche 1843 als Waschhaus und Bleicherei erbaut wurde. Die mit ihrer Längsseite hart an den Aabach gestellten, gegeneinander leicht abgeknickten Gebäude sind in der äusseren Erscheinung intakt erhalten und zeigen im Inneren noch die unterschiedlich ausgeführte Deckenkonstruktion der Fabrikationsräumlichkeiten aus dem 19. Jahrhundert; das südlich gelegen Walkegebäude bewahrt noch ein grosses eisernes Wasserrad. Die Anlage dokumentiert damit die Geschichte des Gewerbes, welches dem Bleicherain seinen Namen gab und Ausgangspunkt für die Bedeutung Lenzburgs im Baumwoll-Verlagsgeschäft war. Als Zeuge der Wasserkraftnutzung am Aabach bildet sie einen Bestandteil eines Ensembles, zu dem im näheren Umfeld auch das Bleiche-Wohnhaus, die Mittlere Mühle (Bauinventarobjekt LEN910/912) sowie die stärker veränderten Wohnhäuser am östlichen Aabachufer gehören.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die Bleichen am Aabach sind eng mit dem Aufstieg der Familie Hünerwadel verbunden, die für die Bedeutung Lenzburgs im Baumwoll-Verlagswesen des 18. Jh. die tragende Rolle spielte [1]. 1683 meldete der Lenzburger Rat der bernischen Obrigkeit, Hans Martin Hünerwadel sei gewillt, in Lenzburg eine Bleiche zu errichten, die als – willkommene – Konkurrenz zu den neu errichteten nichtbernischen Bleichen in Villmergen und Beromünster dienen sollte. 1685 konnte die Bleiche am Aabach vor dem Unteren Tor erbaut werden. Dank dem Aufkommen der Baumwollweberei nahm der Betrieb einen grossen Aufschwung; zum Bleichen und Ausrüsten kam bald auch das Verlagsgeschäft hinzu. Der Sohn des Erbauers, Ratsherr Johann Hünerwadel (1698-1748), gliederte der Bleicherei eine Rotfärberei an. Nach seinem frühen Tod führte seine Frau Anna Maria (1712-1781), eine geborene Bertschinger aus Lenzburg, das Geschäft weiter. Ihr Sohn und Nachfolger als Firmeninhaber Gottlieb Hünerwadel (1744-1820) liess für sich 1770 das noch bestehende Wohnhaus am Aabach (Bauinventarobjekt LEN910) erbauen [2]. Später verlegte er seinen Wohnsitz in das ungleich repräsentativere nachmalige „Müllerhaus“ (begonnen 1784/85, Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN025), bevor er mit dem Haus Aavorstadt 4 (1810-13, Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN022) ein drittes Mal als Bauherr eines eigenes Wohnhauses in Erscheinung trat [3].
1839 erteilte der Regierungsrat Oberst Friedrich Hünerwadel zur Belebung einer projektierten Walke und einiger anderer landwirtschaftlicher Maschinen ein Wasserrecht (Nr. 521) [4]. 1858 wechselte die Konzession an Louise Hünerwadel-Kupferschmid. Zugleich erlaubte man ihr, ein Bleiche- und Appreturgeschäft zu betreiben. 1879 ging die Konzession an die Söhne von Gottlieb Hünerwadel und 1896 an Emil Hünerwadel. 1899 musste die Firma mit Verlust liquidiert werden, als der Niedergang der Lenzburger Baumwollindustrie schon lange eine Tatsache war [5]. Trotzdem lebte die Firma unter Carl Pfister, an den 1926 das Wasserrecht übertragen wurde, noch einmal auf. Als letzte Konzessionsinhaberin folgte 1976 die AG für Bauproduktion, Zürich. Erst 1981 wurde das Wasserrecht gelöscht.
Die Ausdehnung und jeweilige Erscheinung der Bleiche ist aus verschiedenen historischen Ansichten und Plänen bekannt. Insbesondere gibt ein „Grundriss und Gefällprofil der Bleicherei der Frau Louise Hünerwadel-Kupferschmid in Lenzburg“ aus dem Jahr 1858 (vgl. Bilddokumentation) Auskunft über die damalige Anordnung und Funktion der einzelnen Bauten, von denen heute einige wenige noch erhalten sind [6]. Das erste Bleichegebäude lag nördlich des hier beschriebenen Wohnhauses [7]. Auf dem Plan von 1858 ist sie vielleicht mit dem Bau zu identifizieren, der unmittelbar nordwestlich des Wohnhauses an einem westseitig abzweigenden zweiten Kanal lag. Eine markante Erscheinung war die nördlich anschliessende „Hänke“ oder „Kalthänke“, eine turmartige, offene Holzkonstruktion zum Trocknen der Baumwollstoffe, die laut Jahrzahlen auf den Ziegeln zusammen mit der ersten Bleiche im Jahr 1686 wurde und auf verschiedenen historischen Ansichten dargestellt ist (vgl. Bilddokumentation) [8]. Bachabwärts unmittelbar an das Wohnhaus anschliessend lagen die beiden hier beschriebenen Gebäude, bestehend aus der südseitigen Walke aus dem 18. Jh. und dem leicht abgewinkelt anschliessenden Bleichegebäude von 1843. Weiter nördlich erhob sich über einem kleinen Kanal das Chlorbad (Vers.-Nr. 223, abgebrochen um 2000) und nach diesem die „Warmhänke“. Zur Baugruppe gehörten ausserdem ein 1777 errichtetes weiteres Wohnhaus (Vers.-Nr. 230, „in der Bleiche“/ „Clavadetscherhaus“, abgebr. 1999) und eine mächtige gemauerte Scheune (Vers.-Nr. 227, abgebrochen 1947 zugunsten des Kinos „Urban“) auf dem gegenüberliegenden Aabachufer. Nordwestlich der Gebäude erstreckten sich die „Bleichematten“, auf denen die Tücher zum Bleichen ausgebreitet wurden und die mit der Zeit das ganze Gebiet vom Aabach bis zur heutigen Augustin-Keller-Strasse einnahmen [9].
Das südlich gelegene Walkegebäude (Vers.-Nr. 221) dürfte nach Ausweis seiner noch barocken Fensterformen im späteren 18. Jh. entstanden sein; vielleicht sogar zusammen mit dem benachbarten Wohnhaus. Im ersten verfügbaren Brandkataster von 1829 wird es als ein „Gebäud mit Wohnung, Secht und Waschhaus mit Walke, grosse[s] Walkehaus genannt, von Stein mit Ziegeldach“ beschrieben [10]. 1847 wird ein „Zuwachs wegen Bauten & dem Wasserrad“ eingetragen. Eine weitere wesentliche Erhöhung der Versicherungssumme wurde im Jahr 1871 vorgenommen. Vielleicht ist der Einbau einer neuen Geschossdecke auf Gusseisensäulen in dieses Jahr zu datieren. Der Eintrag von 1876 listet die einzelnen Bestandteile auf: „1 Wasserrad u. Getrieb […], Transmissionen […], Dampfturbine […], 1 Walke […], 1 Mange u. Getrieb […], 1 Reservoir […], Gaseinrichtung“.
Das nördlich anstossende Bleichegebäude (Vers.-Nr. 222) wurde gemäss Angabe im Brandkataster im Jahr 1843-46 erbaut; der Eintrag lautete auf ein „ganz neues von Stein gebautes Waschhaus mit Sechtöfen unter Ziegeldach“. 1868 trug man die „Erstellung einer neuen Dampfbauche [Bleicheapparat] nebst Dampf- und Wasserleitung“ ein. Gemäss einem Eintrag von 1883 bestanden im Gebäude: „Dampfkessel u. Pumpe […], Transmission […], Dampfmaschine […], Gaseinrichtung“. 1886 wurde das Gebäude verbessert; schon 1891 reduzierte man den Versicherungswert aber „wegen Zerfall“.
Die technischen Einrichtungen wurden nach Aufgabe des Betriebs mit Ausnahme eines Wasserrads und Resten des Getriebes entfernt. Im übrigen erfuhren die beiden Bauten seither nur sukzessive kleinere Umbauten. In den vergangenen Jahren wurden für das als „Klein-Venedig“ bekannte Gebiet verschiedene Nutzungsstudien erarbeitet, die zur Zeit noch nicht abgeschlossen sind. Aktuell dient das Gebäude verschiedenen Gewerbebetrieben; der grosse Saal im nordseitigen Obergeschoss beherbergt ein Stoffgeschäft.
Beschreibung:Die beiden stirnseitig verbundenen Gebäude sind als langgestreckte, im Grundriss leicht abgeknickte Zeile hart an das Ufer des Aabachs gestellt, wo unmittelbar südlich in ähnlicher Stellung das ehemalige Wohnhaus der Bleiche von 1770 anschliesst (Bauinventarobjekt LEN910). Beides zweigeschossige Baukörper, werden sie von Satteldächern mit leicht unterschiedlicher Ausgestaltung und Firsthöhe abgeschlossen.
Das südlich gelegene ehemalige Walkegebäude (Vers.-Nr. 221) ist ein noch barock geprägter Mauerbau mit verhältnismässig steilem Knickdach. Die nachträglich freigelegten Gebäudeecken zeigen sorgfältig behauene Muschelkalkquader. Die westliche Traufseite ist im Obergeschoss mit zwei mal zwei Einzelfenstern besetzt, von denen die nördlichen barocke Stichbogengewände aus Muschelkalk mit wulstigen Simsen zeigen, die südlichen augenscheinlich jüngere Rechteckgewände. Im Erdgeschoss öffnen sich ein grosser Rundbogeneingang, der heute von einer Schiebetür verdeckt wird, ein breiter Reckteckeingang sowie zwei unterschiedlich geformte Fensteröffnungen mit Muschelkalkgewänden. In der Südhälfte ist die Fassade durch eine Garageneinfahrt verändert; im Obergeschoss sind hier noch Spuren einer vermauerten Aufzugsöffnung zu erkennen. An der Ostseite spannt sich ein verbrettertes Radhaus über einen eigenen, aus dem Bachlauf des Aabachs abgetrennten Kanal. Darin hat sich ein Poncelet-Wasserrad erhalten, eine Eisenkonstruktion von ca. 4.5 m Durchmesser und ca. 1.8 m Breite, deren eng angeordnete Schaufeln gerundet sind. An der Wasserradachse ist im Gebäude ein grosses Zahnrad aus Grauguss von 4 m Durchmesser montiert [11]. Erhalten ist auch das Wehr am Kanaleinlauf. Im schmalen Zwischenraum zum benachbarten Wohnhaus liegt stirnseitig der Aussenaufgang zum Obergeschoss mit Steintreppe und hölzerner Obergeschosslaube.
Das Innere wurde im ausgehenden 19. Jh. in den beiden Hauptgeschossen vollständig umgestaltet und zeigt heute eine Kappendecke über Gusseisensäulen. Im ursprünglichen Zustand hat sich das Dachgerüst erhalten, eine über das ganze Walkegebäude einheitlich durchlaufende Sparrenkonstruktion mit liegendem Stuhl und Aufschieblingen.
Das nördlich anschliessende Bleichegebäude von 1843 (Vers.-Nr. 222) ist ein verputzter Mauerbau mit geradem Satteldach. An beiden Längsseiten wird der Baukörper in der zeittypisch nüchternen Art biedermeierlicher Fabrikgebäude von einer gleichmässigen Folge hochrechteckiger Einzelfenster belichtet. Diese werden gleichfalls von Muschelkalkgewänden gerahmt; zum Aabach hin reichen sie bis knapp auf das Fussbodenniveau hinab. Im Erdgeschoss der landwärts gerichteten westlichen Traufseite wurden nachträglich verschiedene Türöffnungen ausgebrochen.
Im Inneren ist die bauzeitliche Tragkonstruktion vollständig erhalten. Die Decken werden von einer Reihe mächtiger Holzstützen mit Dreieckstreben getragen, die in der Längsachse des Gebäudes angeordnet sind und so zu beiden Seiten einen möglichst grossen stützenfreien Raum ergeben. Das Dach ist ein Pfetten-Rafenkonstruktion, die von liegenden Stuhljochen und kurzen Firstständern getragen wird.
Anmerkungen:[1] Nach Neuenschwander 1984, S. 247f.
[2] Stadtarchiv, Rät- und Burgermanual 1770, 28. Juni, nach Stettler / Maurer Kdm AG II 1953, S. 89, Anm. 1.
[3] Zu den beiden Gebäuden vgl. Stettler / Maurer Kdm AG II 1953, S. 89-96.
[4] Wasserrechte nach Badertscher.
[5] Neuenschwander 1994, S. 245; zum allgemeinen Niedergang der Lenzburger Baumwollmanufaktur ebd., S. 165-174.
[6] Abgeb. bei Badertscher 1997, S. 52.
[7] Standort nach dem Plan des erweiterten Burgernziels von 1744, abgeb. bei Neuenschwander 1984, S. 45.
[8] Datierung nach Wirz 1933, S. 80. .
[9] Neuenschwander 1984, S. 307.
[10] Staatsarchiv Aargau, ZwA 1940.0007/4463, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1829-1850; CA.0001/0413-0417, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1850-1938.
[11] Nach Badertscher 1997.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Literatur:- Alte Ansichten von Lenzburg. Gemälde und Grafiken von 1470-1900, hrsg. von der Ortsbürgerkommission der Stadt Lenzburg und der Stiftung pro Museum Burghalde, Aarau 1992, S. 113 (histor. Ansicht).
- Kurt Badertscher, Mühlen am Aabach, in: Lenzburger Neujahrsblätter 1997, S. 24-66, hier 51-53.
- Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. Von der Mitte des 16. zum Ende des 18. Jahrhunderts. Auf dem Weg vom Mittelalter zur Neuzeit, Aarau 1984 (auch erschienen als: Argovia, Bd. 96), S. 45, 247-249, 307.
- Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. 19. und 20. Jahrhundert [Geschichte der Stadt Lenzburg, Bd. III], Aarau 1994 (auch erschienen als: Argovia, Bd. 106/1), S. 245.
- Wasserwerke am Aabach, in: Industriearchäologie, 1997, Nr. 1, S. 5-7 (Übersichtsplan u. Fotos).
- Susanna Wirz: Von der „alten Bleiche“, in: Lenzburger Neujahrsblätter, 1933, S: 80-83.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, ZwA 1940.0007/4463, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1829-1850; CA.0001/0413-0417, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1850-1938.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
- VAMUS, Datenbank Industriekultur: http://www.vamus.ch/industriekultur/index.cfm, Art. ‚Hünerwadel Bleicherei‘ (Zugriff 11.8.2017).
- VAMUS, Datenbank Industriekultur: http://www.vamus.ch/industriekultur/index.cfm, Art. ‚Bleicherei Carl Pfister ‘ (Zugriff 11.8.2017).
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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