INV-THA919 Gislifluh mit Alpenzeiger, 1819 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-THA919
Signatur Archivplan:THA919
Titel:Gislifluh mit Alpenzeiger
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Situation von Westen (2018)
Bezirk:Aarau
Gemeinde:Thalheim (AG)
Ortsteil / Weiler / Flurname:Gislifluh
Adresse:Gislifluh, Gipfel
Parzellen-Nr.:574
Koordinate E:2650533
Koordinate N:1252947

Chronologie

Entstehungszeitraum:1819
Grundlage Datierung:Schriftliche Quelle

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Baugruppe
Nutzung (Stufe 1):Öffentliche Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Park, Gartenanlage

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2020

Dokumentation

Autorschaft:J. J Güller, Graveur, Hüttikon ZH (Alpenzeiger)
Würdigung:1819 oder 1829 aus dem anstehenden Fels gehauene Aussichtsplattform, die später mit einem Alpenzeiger ergänzt wurde und lange auch als wichtiger Vermessungspunkt diente. Die Anlage auf dem Gipfel der Gislifluh besteht aus zwei Reihen von Sitzstufen, die sich nach Süden zur Aussicht wenden; an der steil abfallenden Nordseite wird sie durch einen Steinkranz abgeschlossen. Sie wurde durch die Aarauer Sektion der «Gesellschaft für vaterländische Cultur» (die heutige Kulturgesellschaft des Bezirks Aarau) angelegt und sollte dem Genuss der Aussicht dienen. Damit bildet sie ein bemerkenswertes Dokument der im 19. Jahrhundert verbreiteten Faszination für die Landschaft und insbesondere den Blick auf die Alpen. Der im Jahr 1900 durch den Verkehrs- und Verschönerungsverein Aarau aufgestellte Alpenzeiger, der aus einer gravierten Messingplatte und einem gusseisernen Fuss samt Deckel besteht, gehört zu den früheren Beispielen für diese im ausgehenden 19. Jahrhundert aufkommende Gattung fest installierter Orientierungstafeln, die sich aus den zuvor schon verbreiteten gedruckten Alpenpanoramen entwickelten.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Aufgrund der guten Erreichbarkeit und der vollständigen Rundsicht, die vom Säntis über den Glärnisch bis zum Berner Oberland nicht nur die Alpen, sondern nach Norden auch den Schwarzwald und den Hegau erfasst, wurde die Gislifluh schon früh zu einem beliebten Aussichtspunkt. Im frühen 19. Jh. wurde der Fels im Gipfelbereich zu einem Plateau mit Stufen abgearbeitet, um damit eine bequemere Sitzgelegenheit zum Genuss der Aussicht zu schaffen. Geschaffen wurde die Anlage durch die Aarauer Sektion der «Gesellschaft für vaterländische Cultur». Diese war 1811 von einer Reihe liberaler, durch die Freimaurerei verbundener Aarauer um Heinrich Zschokke gegründet worden und bildet die Vorläuferin der heute noch existierenden Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Aargau. Ihre 1814 gegründete Aarauer «Bezirksgesellschaft» firmiert heute als Kulturgesellschaft des Bezirks Aarau. Beide widmeten sich einem ganzen Spektrum von Aktivitäten, das von der naturwissenschaftlichen und historischen Forschung über Volksbildung und -erziehung bis zur gemeinnützigen Tätigkeit im engeren Sinn reichte. Der Hinweis auf die Gislifluh findet sich in einer Jubiläumsschrift zum 50jährigen Bestehen der Gesellschaft von 1861: «Einer der schönsten Aussichtspunkte im Aargau, der Gipfel der Gisulafluh, wurde im […] Jahre 1819 durch bequemere Zugänge, durch Einhauen einer Brustwehr in den lebendigen Fels und durch Anbringung von Ruhebänken besuchbarer hergerichtet», rapportierte dort der Pfarrer und Schriftsteller Emil Zschokke, um gleich eine Begründung hinterherzuschieben, weshalb eine solche Unternehmung den gemeinnützigen Zielen der Gesellschaft entspreche: «Vergnügen, das man Andern bereitet, ist auch eine Wohlthat und Freude an Naturgenuss immer ein Zeichen steigender Civilisation.» [1]
Im Zusammenhang mit der Anlage setzte man auch einen steinernen Wegweiser im «Gatter», dem Sattel zwischen Biberstein und Thalheim, den man beim üblichen Aufstieg von Aarau über Biberstein auf die Gislifluh passiert (Bauinventarobjekt THA910). Dort ist neben den Initialen der Gesellschaft die Jahrzahl 1829 eingetragen. Ob der Wegweiserstein erst zehn Jahre nach der Entstehung der Sitzstufen gesetzt wurde oder ob sich der Chronist von 1861 in der Jahrzahl irrte, ist nicht bekannt. Ob die Sitzstufen nun 1819 oder 1829 entstanden sind, bildet die Anlage jedenfalls ein ausgesprochen frühes Beispiel für die im 19. Jh. beliebte Anlage von Aussichtspunkten, welche den Blick auf die Landschaft und insbesondere auf das Gebirgspanorama gestalterisch inszenierten und damit die breite Faszination für die Alpen in der damaligen Zeit dokumentieren [2]. Die Besonderheit der Anlage vermerkte auch Franz Xaver Bronner, der in seinem landeskundlichen Werk über den Aargau von 1844 schrieb: «Die Gisläfluh ist ein langgestreckter waldiger Bergrücken, dessen oberster Grath gegen Norden etwas steil abfällt. Auf dem westlichen Ende desselben haben Liebhaber einer vorzüglich schönen Fernsicht ein Kreissegment bequemer Felsensitze aushauen lassen und einen freien Platz davor abgeebnet.» [3]
Im Lauf des 19. Jh. gewannen das Wandern und auch das Aufsuchen von Aussichtspunkten umso breitere Beliebtheit. So fand die Gislifluh, «über welche ein Fussweg ins Schinznacher Bad führt, mit Aussicht auf den Hallwyler und Baldegger See» im ausgehenden 19. Jh. auch im «Baedeker» Erwähnung [4], und in einem Aarauer Stadtführer von 1908 liest man: «Die nahe Gislifluh empfängt ihres grossartigen Rundblickes wegen stetsfort zahlreichen Besuch. Am besten verbindet man ihren Besuch mit einer Rundtour: Aarau-Biberstein- (altes Berner Schloss, jetzt Erziehungsanstalt) Gislifluh-Thalheim-Oberflachs-Veltheim-Schloss Wildenstein-Wildegg (Schloss).» [5]
1900 liess der Verkehrs- und Verschönerungsverein Aarau auf dem Berggipfel gemäss Inschrift den bestehenden Alpenzeiger aufstellen. Die kartografischen Grundlagen hatte Kantonsgeometer Peter Basler erstellt; die Messingplatte war von Graveur J.J. Güller in Hüttikon ZH angefertigt, der sich auf einer zeitgenössischen Werbung nebst vielem anderem auch für solche Produkte empfahl [6]. Nur wenig später war in der nächsten Auflage des «Baedeker» denn auch vermerkt: «oben Orientierungstafel» [7]. Fest installierte Alpenzeiger hatten sich offensichtlich aus den seit dem ausgehenden 18. Jh. beliebten, gedruckten und faltbaren Alpenpanoramen entwickelt. Sie kamen wohl erst im späteren 19. Jh. auf, womit es sich bei dem Exemplar auf der Gislifluh um ein relativ frühes Beispiel handeln dürfte [8]. Gemäss Inschrift auf dem Deckel wurde der Alpenzeiger 1974 instandgestellt. 2017 wurde die gravierte Platte des Alpenzeigers fachgerecht restauriert und das Säulenpodest mit einem Neuanstrich versehen [9].
Neben seiner Funktion als Aussichtspunkt diente der Juragipfel ebenfalls wegen der Rundsicht – und umgekehrt wegen seiner Sichtbarkeit aus der Ferne – schon früh auch als Fixpunkt für die Vermessung [10]. Eine Vorreiterrolle spielten hier die kartografischen Aufnahmen für den vom Aarauer Johann Rudolf Meyer Vater zusammen mit Johann Heinrich Weiss und Joachim Eugen Müller 1796-1802 herausgegebenen «Atlas Suisse, den sog. «Meyer-Weiss-Atlas» [11]. 1837 stellte Ernst Heinrich Michaelis bei den Vorarbeiten für die aargauische Kantonskarte sein Triangulationsgerät auf den damals bereits bestehenden Sitzstufen auf, wie dies Bronner 1844 ebenfalls vermerkte [12]. Im Rahmen der Landesvermessung unter Guillaume-Henri Dufour und dessen Nachfolger Hermann Siegfried («Siegfriedkarte», 1870-1926) wurde der Gipfel später zu einem Vermessungspunkt zweiter Ordnung bestimmt. 1867 erstellte man als Markierung zu diesem Zweck eine hölzerne Pyramide, die 1903 durch eine eiserne ersetzt wurde. Die heutige Pyramide stammt aus der zweiten Hälfte des 20. Jh.
Die landschaftliche Wertschätzung der Gislifluh spiegelt sich auch darin, dass um 1980 ein zunächst hier geplanter Sendeturm nach Protesten gegen den Eingriff ins Landschaftsbild schliesslich auf der Wasserfluh realisiert wurde [13]. 2014 wurden Pläne der Jura-Cement-Fabriken AG Wildegg für einen Abbau von Kalk- und Mergel am östlichen Grat der Gislifluh nach Protesten aus der Bevölkerung rasch zurückgezogen.
Beschreibung:Die Gislifluh (772 m) bildet mit ihrer hohen, nach Westen gerichteten Felsnase einen markanten Punkt in dem auf der Nordseite des Aaretals aufragenden Kettenjura, der sich durch pultartig ansteigende Südhänge und steil abfallende Felshänge («Flühe») nach Norden auszeichnet. Geologisch ist sie Teil des geschuppten Kettenjuras und bildet den Südschenkel einer zerbrochenen Jurafalte, der auf den Nordschenkel hinaufgeschoben wurde [14]. Ihr Name leitet sich von der ansonsten praktisch unbekannten hl. Gisela her, die als Einsiedlerin auf dem Berg gelebt haben soll und vorreformatorisch in der Pfarrkirche von Veltheim verehrt wurde [15].
Rund um den höchsten Punkt ist der Kalksteinfels zu einem langgestreckten Plateau abgearbeitet, das sich mit zwei langen, geraden Sitzstufen nach Süden zur Aussicht wendet. Nordseitig ist der anstehende Fels so bearbeitet, dass das Plateau von einem gestreckten, halbrunden Steinkranz umfasst und so gegen die steil abfallende und für die Aussicht weniger attraktive Nordseite geschützt ist.
An der Westseite des Plateaus ist der Alpenzeiger aus dem Jahr 1900 aufgestellt, der aus einer Gusseisensäule mit wulstiger Basis und einem tischartigen, annähernd halbrunden Aufsatz besteht. Ein schwerer, ebenfalls gusseiserner Deckel, der sich entlang der geraden Vorderkante aufklappen lässt, schützt die gravierte Metallplatte mit dem eigentlichen Alpenzeiger. Im Unterschied zu anderen Exemplaren zeigt die Platte nicht eine Ansicht des Bergpanoramas, sondern in etwas einfacherer, wohl als «wissenschaftlicher» betrachteten Darstellung nur die strahlenförmigen Blickrichtungen mit den Namen der entsprechenden Bergspitzen. Im Zentrum der Darstellung ist die Inschrift eingraviert: «Errichtet / und dem Schutz des Publikums empfohlen / vom Verkehrs- und Verschönerungs-Verein Aarau / Sommer 1900 / Aufgenom. durch Kantonsgeometer P. Basler in Aarau / Gravirt durch J.J. Güller, Graveur in Hüttikon / Orte, deren Namen eingeklammert, sind hier nicht sichtbar».
Einige Meter östlich des Alpenzeigers steht die Triangulationspyramide, die in ihrer heutigen Form mit verzinkten Stahlprofilen und weissen Blechen aus der zweiten Hälfte des 20. Jh. stammt. Am Boden ist in einem betonierten Quader ein Zylinder eingelassen, der unterhalb der zum Anpeilen genutzten Pyramidenspitze den genauen Vermessungspunkt markiert.
Anmerkungen:[1] Zschokke 1861, S. 46. Zur Geschichte der Muttergesellschaft wie auch ihrer Aarauer Sektion vgl. neben dieser frühen Jubiläumsschrift Rudolf Wernly, Geschichte der Aargauischen Gemeinnützigen Gesellschaft (Gesellschaft für Vaterländische Kultur) und ihrer Bezirkszweige, 1811-1911. Zur Feier ihrer hundertjährigen Wirksamkeit, Aarau [1912] sowie Dominic Sauerländer, 200 Jahre Kulturgesellschaft des Bezirks Aarau (2011): http://www.kulturgesellschaft-aarau.ch/joomla/images/pdf/Geschichte%20DS.pdf (Zugriff 18.3.2019). Auszuschliessen ist damit die von Ammann 2012, S. 77 geäusserte Vermutung, wonach die Sitzstufen auf der Gislifluh zur Aufstellung eines Vermessungssignals angelegt wurden. Zudem hätte sich dies wie auf anderen Bergen auch ohne aufwendige Bearbeitung des Felsens hätte bewerkstelligen lassen.
[2] Vgl. etwa Daniel Speich, Alpenblick mit Geländer. Technisch hergestellte Landschaftserlebnisse in der Moderne, in: David Gugerli / Barbara Orland (Hrsg.), Ganz normale Bilder. Historische Beiträge zur visuellen Herstellung von Selbstverständlichkeit, Zürich 2002, S. 47-65.
[3] Bronner 1844, Bd. I, S. 185.
[4] Baedeker 1887, S. 19.
[5] Führer durch Aarau 1908, S. 31.
[6] Schweizerische Bauzeitung, Bd. 33, 30.6.1899, o.S. (vgl. Bilddokumentation).
[7] Baedeker 1911, S. 20.
[8] Zur Geschichte von Alpenzeigern vgl. etwa die Hinweise bei Thomas Müller, Aussichtstürme – ein Weitblick in die Zürcher Kulturlandschaft, in: Zürcher Denkmalpflege, 19. Bericht, 2007-2008, Zürich / Egg 2012, S. 1-15, hier S. 3, 6; Speich 2002, S. 49, 54.
[9] Restaurierung: Haute Ecole Arc, Neuchâtel (freundl. Hinweis Jürg Lanz, Gemeindeschreiber Auenstein).
[10] Ammann 2012, S. 77.
[11] Vgl. zum «Atlas Suisse» vgl. Gerhard Ammann, 200 Jahre «Atlas Suisse», in: Aarauer Neujahrsblätter, 2. Folge, 78. Jg. (2004), S. 75-94, zur Gislifluh hier kurz S. 84.
[12] Bronner 1844, Bd. I, S. 185.
[13] Ammann 2012, S. 71.
[14] Vgl. Ammann 1985 u. ders. 2012; Inventareintrag BLN.
[15] Michael Stettler / Emil Maurer, Die Bezirke Lenzburg und Brugg (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. II), Basel 1953, S. 432f.; Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Art. ‚Gisela ‘ (2005): http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12650.php.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung BLN: 1017 Aargauer und östlicher Solothurner Faltenjura.
Literatur:- Gerhard Ammann, Die Gislifluh – der zweite Hausberg von Aarau, in: Aarauer Neujahrsblätter, 2. Folge, 86. Jg. (2012), S. 70-96.
- Gerhard Ammann, Die Landschaft in und um Auenstein, in: [ders. et al.], Auenstein, hrsg. v. d. Gemeinde Auenstein, Auenstein 1985, S. 7-61.
- Karl Baedeker, Die Schweiz nebst den angrenzenden Teilen von Oberitalien, Savoyen und Tirol. Handbuch für Reisende, 34. Aufl., Leipzig 1911, S. 20.
- Führer durch Aarau und Umgebung / hrsg. vom Verkehrs- und Verschönerungs-Verein Aarau, Aarau 1908, S. 31.
- Karl Baedeker, Die Schweiz, nebst den angrenzenden Theilen von Oberitalien, Savoyen und Tirol. Handbuch für Reisende, 22. Aufl., Leipzig 1887, S. 19.
- Emil Zschokke, Geschichte der Gesellschaft für vaterländische Cultur im Kanton Aargau zur 50jährigen Gedenkfeier ihres Bestehens, Aarau 1861, S. 46.
- Franz Xaver Bronner, Der Kanton Aargau, historisch, geographisch, statistisch geschildert. Beschreibung aller in demselben befindlichen Berge, Seen, Flüsse, Heilquellen, Städte, Flecken, Dörfer und Weiler, so wie der Schlösser, Burgen und Klöster, nebst Anweisung, denselben auf die genussreichste und nützlichste Weise zu bereisen, 2 Bde., St. Gallen 1844, Bd. I, S. 185.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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Related units of description:siehe auch:
INV-AUS912 Gislifluh mit Alpenzeiger, 1819 (Dossier (Bauinventar))
 

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