INV-OBK915 Turnhalle, 1935-1936 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-OBK915
Signatur Archivplan:OBK915
Titel:Turnhalle
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Norden (2018)
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Oberkulm
Ortsteil / Weiler / Flurname:Neudorf
Adresse:Neudorfstrasse
Versicherungs-Nr.:314
Parzellen-Nr.:540
Koordinate E:2651654
Koordinate N:1238851

Chronologie

Entstehungszeitraum:1935 - 1936
Grundlage Datierung:Brandkataster; Literatur
Nutzungen:Bis in die 1970er Jahre auch Gemeindekanzlei

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:Schulhaus (OBK901)
Nutzung (Stufe 1):Öffentliche Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Turnhalle

Dokumentation

Autorschaft:Eugen Schneider (1880-1953), Ennetbaden
Würdigung:Vielfältig genutztes Turnhallengebäude, das 1935-36 vom bekannten Ennetbadener Architekten Eugen Schneider (1880-1953) in zeittypischer Formensprache zwischen Traditionalismus und gemässigter Moderne errichtet wurde. Der sorgfältig gestaltete Bau beruht in der Grundanlage auf einem bereits zuvor von Schneider realisierten Projekt, ist in der Proportionierung, Detailgestaltung und konsequenten Umsetzung des Fensterbandes als Gliederungselement aber überzeugender gestaltet. Die Hauptansicht bildet ein markanter Kopfbau unter Walmdach, mit monumental angelegtem Haupteingang und Glockentürmchen, während die eigentliche Halle nach hinten anschliesst. Trotz kleinerer Umbauten und einem Küchenanbau blieb das Gebäude im äusseren Erscheinungsbild und in der Raumstruktur weitgehend erhalten und bewahrt noch einzelne Elemente des bauzeitlichen Innenausbaus sowie das originale Uhrwerk. Dem lokalgeschichtlich bedeutenden Bauwerk kommt aufgrund der zentralen Lage im Ortsteil Neudorf auch ein hoher Situationswert zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Als Reaktion auf die bundesrätliche Verordnung von 1909, dass der Turnunterricht zwingend ganzjährig durchzuführen sei, entstanden im frühen 20. Jh. vermehrt auch in den Landgemeinden freistehende Turnhallen, die oft in Ergänzung zum bereits bestehenden Schulhaus oder mit diesem zusammen in einer neuen Gesamtanlage errichtet wurden. Oftmals ersetzten sie wie in Oberkulm das zuvor im Untergeschoss des Schulhauses eingerichtete, den Ansprüchen nicht mehr genügende Turnlokal. Weil eine Bauaufgabe dieser Dimension besonders kleinere Gemeinden vor eine finanzielle Herausforderung stellte, versuchte man – aus der Not eine Tugend machend – das Gebäude so zu gestalten, dass es zu möglichst vielen Gelegenheiten genutzt werden konnte. Die Idee der Mehrzweckhalle existierte schon im späteren 19. Jh. und war in ländlichen Gegenden Anfang 20. Jh. eher die Regel als die Ausnahme. Typischerweise besitzen die Turnhallen dieser Zeit deshalb zwei Eingänge: einen repräsentativen zur Strasse hin für öffentliche Anlässe wie Gemeindeversammlungen, Theater, Konzerte und Zusammenkünfte aller Art sowie einen unauffälligeren zum Schulhaus hin für die Schüler, die für den Turnunterricht auf möglichst direktem Weg ins Gebäude gelangen sollten [1].
Mit Eugen Schneider (1880-1953) aus Ennetbaden beauftragte die Einwohnergemeinde Oberkulm einen erfahrenen Architekten, der sich unter anderem mit dem Bau und Umbau zahlreicher Schulhäuser und Turnhallen im Kanton einen Namen gemacht hatte. 1934 wurde gerade die von ihm entworfene Turnhalle in Mellingen (2013 abgebrochen) fertiggestellt. Das nun in Oberkulm 1935-36 von ihm realisierte Mehrzweckgebäude stellt eine ausgereifte Weiterentwicklung des Projekts in Mellingen dar, welchem bereits unverkennbar dasselbe volumetrische Gestaltungskonzept zugrunde lag (siehe Bilddokumentation und Beschreibung weiter unten). Dank einer Stiftung des Oberkulmer Bürgers Charles Müller in Genf erhielt die Turnhalle in Oberkulm zudem eine Turmuhr mit Glocke, welche von der Turmuhren-Fabrik J. G. Baer in Sumiswald, Kanton Bern, geliefert wurde [2]. Das Gebäude umfasst neben der eigentlichen, vielseitig bespielbaren Turnhalle mit angegliedertem Bühnenhaus ein ehemaliges Schwinglokal sowie einen Singsaal. Bis zum Bau des neuen Gemeindehauses 1971 war hier auch die Gemeindekanzlei mit einem Schalter eingerichtet. Von Anfang an diente die Halle auch als Versammlungslokal bei Gemeinde- und Vereinsanlässen sowie –
mangels Kirche und Kapelle – bei Abdankungen und Gottesdiensten. Wiederholt wurde in der Turnhalle ein Strohlager eingerichtet, um im Rahmen der Wiederholungskurse Soldaten einzuquartieren, welche dann aus der ehemals im Untergeschoss angelegten Küche versorgt wurden. 1940 waren hier gar zweihundert internierte Franzosen untergebracht [3].
1975 erfuhr das Gebäude eine erste Renovation, bei der die Böden, Decken, Wände und Türen teilweise erneuert und der veränderten Nutzung angepasst wurden. Die Gemeindekanzlei samt Schalter in der Wand zum Eingangsbereich wurde aufgehoben und zu einem Geräteraum umgewandelt, ansonsten blieb der Grundriss weitgehend unverändert [4]. 2013-14 erfolgte seitlich, auf Höhe der Turnhalle, der Anbau einer grösseren Küche sowie neuer Sanitäranlagen im Untergeschoss. Im gleichen Zug wurden auch einige kleinere Veränderungen in der inneren Raumstruktur und Nutzung vorgenommen. Auf der südwestlichen Hälfte des Turnhallendachs ist heute eine Solaranlage montiert.
Beschreibung:Die südöstlich der Neudorfstrasse hinter einem grossen gekiesten Vorplatz auf die Wiese gestellte Turnhalle ist rechtwinklig zum alten Schulhaus von 1850 angeordnet und bildet so die nordöstliche Begrenzung des Schulareals. Der Baukörper setzt sich im Wesentlichen aus zwei T-förmig aneinandergefügten Riegeln unter knappen, leicht geschweiften Walmdächern zusammen. Der kürzere, parallel zur Strasse ausgerichtete Riegel ist als leicht höherer Kopfbau mit bekrönendem Glockentürmchen, Haupteingang, integriertem Treppenhaus und zusätzlichen Räumen ausgebildet, während der längere, unter leicht niedrigerem First rechtwinklig anschliessende Riegel die eigentliche Turnhalle aufnimmt.
Der Bau ist in teils zurückhaltend moderner, teils traditionalistischer Architektursprache gestaltet. Die mit einem wohl noch bauzeitlichen Kratzputz versehenen Fassaden zeichnen sich durch eine straffe Gliederung aus, indem die regelmässig angeordneten Fenster mittels durchlaufender Sohlbankgesimse und einer Abstufung im Putz bandartig zusammengefasst sind. Der elegant proportionierte Kopfbau ragt über einem nur halb eingetieften Soussol zweigeschossig auf, wobei das vorderseitig mit zehn besonders hohen, schlanken Rechtecklichtern ausgestattete Obergeschoss als Beletage ausgewiesen ist. Im Hochparterre und im Kellergeschoss sind je vier Fenster beidseits des mittig angelegten Haupteingangs angeordnet, welcher über eine breite, frontal zulaufende Freitreppe zugänglich ist. Im Dachgeschoss erstreckt sich über die mittleren vier Fensterachsen eine flach gedeckte Lukarne. Darüber thront in der Mitte des Firsts ein mit Kupferblech verkleideter Dachreiter mit geradem Gesimsabschluss und bekrönendem Fähnchen. Er ist allseitig mit rot-goldenen Zifferblättern versehen und birgt im Innern eine Glocke.
Die östliche Schmalseite des Kopfbaus zählt zwei bis drei Fensterachsen, die in den einzelnen Geschossen unterschiedlich eng gesetzt sind, während sich auf der westlichen Seite drei gleichmässig verteilte Fensterachsen und das mit einer ebenerdigen Aussentür sowie einer vertikalen Verglasung in Erscheinung tretende Treppenhaus befinden. Am rechtwinklig angefügten Turnhallentrakt ist die Länge der eigentlichen Halle anhand von sieben grossformatigen Fensteröffnungen ablesbar, welche in dichter Folge die obere Hälfte der Fassade gliedern, während der hinterste Teil des Riegels mit der Bühne fensterlos ist. Stirnseitig tritt das Bühnenhaus als kastenartiger Vorsprung in Erscheinung, wobei drei grössere, annähernd quadratische Fenster zu einem Raum im Untergeschoss gehören. Ostseitig schliesst an die Bühne und den hinteren Teil der Halle ein gestaffelter Anbau unter Flachdach mit Nebenräumen an.
Die kantigen Kunststeingesimse der Fenster sind von den hellen Kratzputzoberflächen in warmem Hellgrauton abgesetzt. Die sechsteilig sprossierten Fenster waren ursprünglich mit einem klappbaren Oblicht ausgestattet (siehe historische Aufnahme Bilddokumentation).
Zum Haupteingang führt eine Steintreppe mit zeittypisch schlichtem Metallgeländer aus Vierkantstangen und einem gerundeten Handlauf. Der Eingang ist ins Gebäudeinnere hineinversetzt, so dass sich davor ein windfangartiger Vorbereich bildet. Die seitlichen Mauern, welche den Windfang einfassen sind leicht trichterförmig aufeinander zulaufend und mit grossen rechteckigen Steinplatten verkleidet. Das noch aus der Bauzeit stammende Türblatt weist zwei verglaste Flügel aus Eiche auf. Das ehemals zugehörige Fenstergitter (siehe Bilddokumentation) ist entfernt.
Durch den Haupteingang gelangt man in die Vorhalle, welche geradeaus in die Turnhalle führt. Der Bereich östlich, wo sich früher die Gemeindekanzlei befand, ist als Geräteraum umfunktioniert und von der Turnhalle aus erschlossen. Die Schalteröffnung in der Zwischenwand ist jedoch noch vorhanden. Im westlichen Teil der Vorhalle befindet sich das Treppenhaus, vor dem in jüngerer Zeit ein Lift und ein Behinderten-WC eingebaut wurden. Ein zweites, einfacheres Treppenhaus, welches vom Unter- ins Erdgeschoss vermittelt, befindet sich im ostseitigen Anbau neben der Bühne. Es diente früher auch als Verbindung von der Küche (UG, heute Materiallager und Musikzimmer) ins Office, (EG, heute Stuhllager) welche beide im Anbau untergebracht waren.
Hauptmerkmal des Grundrisses im Untergeschoss ist ein in der Längsachse verlaufender Mittelgang, um den herum die Umkleidekabinen mit den Duschen, die Toiletten, und weitere Räume etwa für die Heizung und die Reinigung, eine Werkstatt und das Vereinsarchiv angeordnet sind. Der Gang führt auf einen quadratischen Raum zu, der aufgrund seiner Lage unter der Bühne in Überhöhe dimensioniert und ehemals mit Sägemehl und weichen Matten an den Wänden als Schwinglokal eingerichtet war. Angeblich soll der lange Korridor als Anlaufstrecke für den hier ebenfalls geübten Weitsprung gedient haben [5].
Über das vordere Treppenhaus gelangt man auch ins Obergeschoss des Kopfbaus, wo von einem langen Gang aus zwei Türen in den strassenseitigen Singsaal öffnen. Ein weiteres Zimmer befindet sich im Dachgeschoss.
Neben der weitgehend intakten bauzeitlichen Raumstruktur sind noch einzelne Teile der ursprünglichen Ausstattung vorhanden. So hat sich in der sonst weitgehend modernisierten Turnhalle wie im Singsaal der noch aus der Bauzeit stammende Fischgratparkett aus Eiche erhalten. Ein wesentliches Element ist die in dunkelgrauem Kunststein gefertigte vordere Innentreppe, die ein zeittypisch schlichtes, formschönes Metallgeländer mit hölzernem Handlauf besitzt. Auf den Podesten, in den Korridoren und einzelnen Räume finden sich teilweise noch die ursprünglichen Bodenbeläge aus Feinsteinzeugfliesen. Die Türen wurden fast alle ersetzt. Im Dachgeschoss werden noch einige bauzeitliche Wandschränke aufbewahrt.
Die Dachkonstruktion über der Turnhalle ist als Zangenkonstruktion mit liegendem Stuhl und Firstständer ausgeführt. Im Estrich des Kopfbaus befindet sich – noch im bauzeitlichen Gehäuse – das Uhrwerk, welches 1936 von der Firma J. G. Baer in Sumiswald, Kanton Bern, hergestellt wurde. Daneben steht das in den Dachreiter ragende, eiserne Stuhlgestell mit der Glocke.
Anmerkungen:[1] Zur Entwicklung der frühen Turnhallen im Kanton Aargau vgl. Lesny 2019, S. 42-47.
[2] Vgl. Steiner 1991, S. 150.
[3] Vgl. https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/wyna-suhre/die-turnhalle-in-oberkulm-war-stets-eine-richtige-mehrzweckhalle-ld.1886459 (Zugriff vom 17.02.2021)
[4] Vgl. Steiner 1991, S. 160.
[5] Wie Anm. 3.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
Literatur:- Kunstführer durch die Schweiz, Bern 2005, Bd. 1, S. 50.
- Katja Lesny, Von der Trotte zum Theatersaal. Frühe Turnhallen im Aargau, in: Kunst und Architektur in der Schweiz, hg. v. der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2019, Heft 1, S. 42-47.
- Karl Steiner, Oberkulm. Zeitbilder aus der dörflichen Vergangenheit bis zur Gegenwart, 2. Ausgabe, Oberkulm 1991, S. 150-153, 159-160.
- Hans Walti, Oberkulm. Vergangenheit und Gegenwart in Bildern, Oberkulm 1995, S. 151.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0259: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1899-1938 (Vers.-Nr. 314)
- Baugesuchsarchiv Gemeinde Oberkulm, Baugesuchsakten von 1975 (ca.) und 2013.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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