INV-DOT926 Bahnhofstrasse 65, 1911 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-DOT926
Signatur Archivplan:DOT926
Titel:Bahnhofstrasse 65
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Südwesten (2019)
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Dottikon
Adresse:Bahnhofstrasse 65
Versicherungs-Nr.:162
Parzellen-Nr.:21
Koordinate E:2660127
Koordinate N:1247565

Chronologie

Entstehungszeitraum:1911
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Wohn- und Geschäftshaus

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2022

Dokumentation

Würdigung:1911 für die Steinhauerfamilie Fischer erbautes Wohn- und Geschäftshaus in romantisch-verspielter Architektursprache, die Elemente des Heimat- und Jugendstils vereint. Der würfelförmige Baukörper mit rückseitig vorspringendem Treppenhausturm zeichnet sich durch eine differenzierte Ausgestaltung mit einem als Rustika abgesetzten Erdgeschoss, gliedernden Gesimsen, Balkonen, Blumenerkern sowie einem originell ausgebauten Mansarddach aus. Im Innern haben sich das Treppenhaus und die gepflegte bauzeitliche Ausstattung erhalten. Den Garten zieren einige bildhauerische Erzeugnisse, die ehemals wohl als Musterstücke für die Verarbeitung des von der Familie Fischer in Mägenwil, Eckwil (seit 1905 Gemeinde Mägenwil) und Othmarsingen abgebauten Muschelkalks dienten. Trotz zunehmender baulicher Verdichtung tritt das Gebäude an der Hauptverkehrsachse zwischen Ortskern und Industriequartier sowie Bahnhof bis heute strassenraumprägend in Erscheinung.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Das Wohnhaus mit Ladenlokal wurde 1911 für "Jakob Fischer, Steinlieferanten" errichtet [1]. Die Familie Fischer hatte seit den 1860er-Jahren die bedeutendsten Anteile an den beiden Steinbrüchen von Mägenwil und Eckwil und dominierte das Gewerbe. Über mehrere Familienmitglieder gelangte das Gebäude im frühen 20. Jh. in den Besitz von Emil Fischer, der bereits 1908 21-jährig den Betrieb von seinem verstorbenen Vater übernommen hatte. Da der aufkommende Kunststein die Natursteinindustrie zunehmend konkurrenzierte, hatte Emil 1912 am Mägenwiler Bahnhof eine Steinmühle eröffnet, wo er Steinabfälle zu Körnern und Mehl verarbeiten liess und an die Kunststeinproduzenten verkaufte. Mit der Erweiterung im Eckwiler Steinbruch 1921 und dem Kauf des Steinbruchs "Steinhof" auf Othmarsinger Boden 1923 vom Lenzburger Bauunternehmer Theodor Bertschinger sicherte er sich die Monopolstellung für die 1959 in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Firma [2].
Das Gebäude war als eines der ersten an der Hauptverkehrsachse zwischen Ortskern und Bahnhof errichtet worden, was strategisch und verkehrstechnisch begründet gewesen sein dürfte. Das sich zur Strasse hin mit zwei grossen Schaufenstern öffnende Erdgeschoss diente dem Steinhauerbetrieb der Familie Fischer möglicherweise als eigene Geschäftsstelle und Verkaufslokal. Darauf deuten auch die wie ausgediente Ausstellungsstücke versatzstückartig im Garten aufgestellten Erzeugnisse aus Muschelkalk und die geräumigen, vermutlich auch als Warendurchlass dienenden Lichtschachte einiger Kellerfenster.
Beschreibung:Das Wohn- und Geschäftshaus ragt östlich der Bahnhofstrasse als dreigeschossiger Würfel unter einem geschweiften Mansarddach auf, das noch weitgehend die originale Biberschwanzeindeckung mit zeittypisch gemörtelten Firstgratziegeln und Dachaufsätzen (Blitzableiter, Knauf) bewahrt. Rückseitig springt in der Mittelachse ein polygonaler Treppenturm vor, der knapp über der Traufe des Hauptdachs mit einem gedrungenen Zeltdach abschliesst. Der ansonsten kompakte, drei auf drei fast durchwegs regelmässig gesetzte Achsen zählende Baukörper ist in den Grundformen als Vertreter des Heimatstils anzusehen, während in der Detailgestaltung auch Historismus und Jugendstil anklingen. Er zeichnet sich durch einen differenzierten Fassadenaufbau und eine abwechslungsreiche Materialisierung insbesondere bei den Hausteinarbeiten aus.
Über einer niedrigen Basis aus Muschelkalkstein ist das Sockel- und Ladengeschoss als Rustika von den darüber liegenden Geschossen abgesetzt, wobei die grünlichen Steinquader je nach Einsatzort unterschiedlich bearbeitet sind und ein lebhaftes Fassadenbild erzeugen. Nach Westen, zur Strasse hin, sind zwei grosszügige, korbbogenförmig abschliessende Schaufenster ins Mauerwerk eingelassen. Die Kanten der angrenzenden Hausteine sind derart glatt gearbeitet, dass sich der Eindruck eines separaten Gewändes ergibt. Dazwischen befindet sich der über zwei Granitstufen erreichbare Ladeneingang, der noch das eichene, teilverglaste Türblatt samt Rahmen mit Jugendstil-Maiglöckchen-Ornament bewahrt. Das vermutlich in Kunststein gefertigte Gewände behauptet sich mit grossmassstäblichen Perlstäben und einem kräftig profilierten Kranzgesims mit üppigem Volutenaufsatz gegenüber der lebhaften Rustika. Den oberen Abschluss dieser Zone bildet ein kräftiges Gurtgesims.
Die beiden darüber liegenden, hell verputzten Wohngeschosse sind mit unterschiedlichen Balkonen variiert. Die Beletage besitzt in der Mittelachse der Schauseite einen Balkon, der dem Ladeneingang zugleich als Vordach dient. Seine wuchtigen Konsolen dürften ebenfalls aus Kunststein gefertigt sein. Das schmiedeeiserne Geländer zeigt ovale, mit Blattranken gefüllte Rahmen. Am zweiten Obergeschoss sind die beiden äusseren Achsen als dreiteilige Erker mit hölzernen Mittelpfosten und Blumenbalkon betont. Auf der Hausrückseite befinden sich zwei weitere Balkone, die – möglicherweise seit einer Erneuerung der Podeste – etwas ungelenk an den Treppenhausturm anschliessen. Beiden Geschossen ist gemeinsam, dass die Fenster vorder- und teilweise auch rückseitig als Zwillingsfenster mit steinernem Mittelpfosten gestaltet sind. Dazu haben sich wie im Erdgeschoss hölzerne Klappläden erhalten, die im oberen oder unteren Teil mit Jalousien versehen sind. Die Fenster des oberen Wohngeschosses sind mit der Sohlbank und dem Sturz in umlaufende Gesimse eingebunden. Darüber setzt die Hohlkehle der Dachuntersicht an. Das vermutlich bereits ursprünglich ausgebaute Mansardgeschoss fällt durch seine originelle Belichtung mittels einzelnen Lukarnen unter blechverkleideten Tonnendächlein sowie einem mehrteiligen Fensterband unter Segementbogen an der Schaufront auf.
Zu den Wohnungen gelangt man durch den Hintereingang im Treppenhausturm. Dieser knüpft mit geohrten Fenstergewänden und seitlich eingelassenen Ochsenaugen an altertümliche Baustile an. Das bauzeitliche Vordach bewahrt die gefelderte Untersicht. Wie der Ladeneingang zeigt auch hier der von einem Zahnfries bekrönte Türrahmen an den Seiten das Maiglöckchen-Motiv im organisch-floralen Jugendstil. Das eichene Türblatt mit vergittertem Fensterchen und einer schlichten Verzierung aus Quadraten ist dagegen im geometrischen Jugendstil gehalten. Die Tür öffnet auf einen kleinen Vorplatz mit dekorativem Terrazzoboden (Randbordüre und Blüte als Mittelmotiv), von dem aus eine Tür zum Kellerabgang öffnet und zwei Stufen zum Gang überleiten. Die zweiläufige Treppe ist im unteren Teil aus Eisenträgern und Muschelkalkstufen konstruiert, wobei auf eine Verkleidung der Untersicht pragmatisch verzichtet wurde. Sie besitzt ein Geländer in schlichten Jugendstilformen mit hölzernem Handlauf. Ab dem ersten Obergeschoss ist sie in Eiche mit gedrechseltem Staketengeländer ausgeführt. Die begleitende originale Wandverkleidung aus Rupfen mit Zierleiste ist im ganzen Treppenhaus vorhanden. Im Mansardgeschoss ist zudem die originale verglaste Wohnungstür mit kleinteiliger Sprossierung erhalten. Zu den unteren Wohnungen bestehen jüngere Türeinbauten, wobei nicht klar ist, ob das Haus von Anfang an in Stockwerkswohnungen unterteilt war.
Wie für die Bauzeit Anfang 20. Jh. üblich, verteilen sich die Räume in den Wohnungen um einen Vorplatz herum, wobei Küche und WC im Nordosten und die Hauptwohnräume zur Strasse hin nach Nordwesten und Südwesten angeordnet sind. Der Einbau der Badezimmer erfolgte sekundär. In den Wohnräumen sind bauzeitliche Fischgratparkett- und Dielenböden, Füllungstüren samt Rahmen, Radiatoren sowie schlichte Stuckdecken vorhanden. Das Esszimmer in der Nordwestecke zeigt in den beiden Hauptwohngeschossen gefeldertes Brusttäfer. Im Keller besitzen einige Fenster auffallend grosszügige Lichtschachte, durch die auch Waren hinabgelassen und hinaufgezogen werden konnten.
Im Garten des Hauses, der im Nordosten von einer niedrigen Mauer mit Hagebuchenhecke umfriedet wird, sind mehrere Kleinobjekte aus Muschelkalk aufgestellt. Es handelt sich um eine Sitzbank, einen mit Rosenblüten verzierten Pfosten und eine Urne, die wohl als Erzeugnisse der Familie Fischer anzusehen sind und einerseits als Staffage im Garten, andererseits aber auch als Anschauungsstücke und Anwendungsbeispiele gedient haben dürften.
Anmerkungen:[1] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0084: Brandkataster Gemeinde Dottikon 1898-1937 (Vers.-Nr.. 162).
[2] Vgl. www.steinbruch-maegenwil.ch/geschichte.html (Zugriff vom 25.04.2022), dort der Hinweis auf: Andreas Steigmeier, Mägenwil und Wohlenschwil. Geschichte zweier Nachbargemeinden, Mägenwil, Wohlenschwil 1993.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0084: Brandkataster Gemeinde Dottikon 1898-1937 (Vers.-Nr. 162).
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=138991
 

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