INV-RUF906 Röm.-kath. Pfarrkirche Christkönig, 1962-1964 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-RUF906
Signatur Archivplan:RUF906
Titel:Röm.-kath. Pfarrkirche Christkönig
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Nordosten (2020)
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Rudolfstetten-Friedlisberg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Rudolfstetten
Adresse:Alte Bremgartenstrasse 14a.
Versicherungs-Nr.:361
Parzellen-Nr.:96
Koordinate E:2671040
Koordinate N:1246807
Situationsplan (AGIS):https://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2671040&y=1246807

Chronologie

Entstehungszeitraum:1962 - 1964
Grundlage Datierung:Baugesuch; Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Sakrale Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Kirche (röm.-kath.)

Dokumentation

Autorschaft:Hermann Baur (1894–1980)
Würdigung:Nach Plänen des renommierten Basler Architekten Hermann Baur von 1962–1964 errichtete römisch-katholische Pfarrkirche der Nachkriegsmoderne, die Christus König und dem Hl. Wendelin geweiht ist. Der in kubischen Formen gestaltete Baukörper aus weiss gestrichenem Beton unter einem zum Chorraum aufsteigenden Pultdach folgt dem Typus einer diagonal ausgerichteten Quadratkirche mit einem grossen Einheitsraum im Innern. Mit ihrer präzisen Situierung in die Topographie, dem grosszügigen Vorplatz, den differenzierten Höhen und Lichtverhältnissen sowie der Integration von Kunst am Bau verkörpert die Christkönigkirche exemplarisch Baurs Prinzipien des Kirchenbaus, die ebenfalls Anliegen der liturgischen Bewegung und des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgreifen. Da Rudolfstetten zusammen mit Bergdietikon gleichzeitig mit der Weihe der Kirche zu einer eigenständigen Pfarrei erhoben wurde, kommt ihr auch eine lokalhistorische Bedeutung zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die Katholiken von Rudolfstetten waren bis 1861 nach Dietikon kirchgenössig, danach nach Berikon. Seit dem 18. Jh. bestand eine Wendelinskapelle, die 1960 aufgrund des Ausbaus der Bernstrasse als Hauptverbindung zwischen den Städten Bern und Zürich abgebrochen wurde [1]. Im selben Jahr schrieb der katholische Kirchenbauverein einen Wettbewerb für einen Kirchenneubau aus, an dem fünf eingeladene Architekten teilnahmen. Den Teilnehmenden war es freigestellt, für den Bauplatz eine Parzelle beim Schulhaus oder eine beim Friedhof Richtung Friedlisberg zu wählen. Nachdem alle Projekte den Standort beim Schulhaus favorisiert hatten, schloss sich die Kirchgemeinde dieser Auffassung an [2]. Die Expertenkommission empfahl, den renommierten Basler Architekten Hermann Baur (1894–1980) zu beauftragen [3]. 1962 am Christkönigsfest, dem letzten Sonntag des Kirchenjahres, erfolgte der erste Spatenstich. Am 12. Mai 1963 segnete Bischof Franziskus von Streng auf dem Bauplatz den Grundstein ein. Am 23. August weihte er den fertiggestellten Kirchenbau Christus dem König und dem Heiligen Wendelin. Gleichzeitig wurde Rudolfstetten zusammen mit Bergdietikon zu einer eigenständigen Pfarrei erhoben [4]. Von der abgebrochenen Wendelinskapelle blieben zwei Glocken und eine Marienstatue erhalten. Während die Glocken über dem Eingang zum Pfarrhaus angebracht sind, wurde die Marienstatue in der Tauf- und Werktagskapelle aufgestellt.
Gleichzeitig mit der Rudolfstetter Christkönigkirche arbeitete Baur auch an der römisch-katholischen Pfarrkirche St. Michael in Ennetbaden (Kantonales Denkmalschutzobjekt ENN001), deren Bauzeit die Jahre von 1960 bis 1966 umfasste und die eine sehr ähnliche Grundrissdisposition aufweist.
In die Bauzeit fiel das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965), nach dessen zweiter Sitzungsperiode Papst Paul VI. am 4. Dezember 1963 die Konstitution über die heilige Liturgie promulgierte. Die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossene Liturgiereform umfasste einige Bestimmungen, die starke Auswirkungen auf den Kirchenbau mit sich brachten, wie beispielsweise die Position des zelebrierenden Priesters hinter dem Altar mit Ausrichtung zum Volk hin sowie die Reduktion von Nebenaltären im Hauptraum der Kirche [5]. Mit ihrer Entstehungszeit ist die Rudolfstetter Christkönigkirche somit liturgiehistorisch in einer Umbruchsphase zu situieren.
1986 fand eine Renovation der Kirche statt, bei der das Kreuz auf dem Turm restauriert, die schadhaft gewordene ursprüngliche Gipsdecke durch die heutige Holzdecke ersetzt und im Chorbereich ein traditionell gestaltetes Kruzifix aus dem Südtirol aufgehängt wurde [6].
1997 wurde der Vorplatz der Kirche durch den Architekten Othmar Brem mit einer rollstuhlgängigen Zugangsrampe ausgestattet [7].
Beschreibung:Die römisch-katholische Pfarrkirche Christkönig steht auf leicht erhöhtem Terrain auf der Westseite der Bernstrasse, der Hauptverkehrsachse von Rudolfstetten. Der kubische Baukörper aus weiss gestrichenem Beton erhebt sich über einem quadratischen Grundriss, dessen Nordost-Südwest-Diagonale die Hauptachse des Kirchenraums bildet [8]. Der Chorbereich in der Nordostecke ist von aussen durch die leicht vorkragenden und durch Fensterbänder abgesetzten Mauern sowie durch die Höhe des bündigen Pultdaches gekennzeichnet, da diese in der Diagonalen Richtung Nordosten ansteigt. An der Gebäudeecke des Chores befindet sich ein schmales hochrechteckiges Fenster. Am anderen Ende der Hauptdiagonalen im Südwesten liegt die Tauf- und Werktagskapelle, die ähnlich wie der Chor als Kubus aus dem Hauptraum vorspringt. Über der nordwestlichen Ecke erhebt sich der Glockenturm mit fünf in der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau gegossenen Glocken sowie zwei roten quadratischen Ziffernblättern und einem Kreuz. Der Eingang liegt an der Nordfassade neben dem Glockenturm und ist über einen grosszügigen, terrassierten und ebenfalls quadratischen Vorplatz zu erreichen. Geschützt ist er von einem wuchtigen Vordach. Östlich neben dem Eingang befindet sich ein als «Grundstein» inszenierter Steinblock aus grauem Granit, dessen griechische Majuskelinschrift den Bibelvers «Denn einen anderen Grund[stein] kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.» (1 Kor 3,11) [9] wiedergibt. Somit verweist er einerseits auf die Grundsteinlegung 1963 des Kirchengebäudes wie auch auf Christus als Fundament der Kirchengemeinschaft.
Westlich neben der Kirche steht das Pfarrhaus, über dessen Eingang zwei Glocken aus dem 18. Jh. aus der Wendelinskapellen angebracht sind [10].
Das Innere der Kirche bildet einen grossen Raum, den die Diagonale als Mittelachse bestimmt. Der in der nordöstlichen Ecke platzierte Altarbereich nimmt knapp einen Viertel des Raumes ein. Die Bänke sind wie in einem Auditorium konzentrisch auf den Altar hin ausgerichtet. Eine eindeutige Trennung von Chor und Volksraum ist dabei nicht wahrnehmbar. Stattdessen verwirklichte Baur das Konzept des Einheitsraums. Indem die holzverkleidete Decke leicht ansteigt, weitet sich der Kirchenraum zum Altarbereich hin. Diese optische Hinführung wird noch verstärkt durch die suggestive Lichtführung mit den seitlichen vertikalen Fensterbändern und das zentrale Eckfenster, das von oben gefiltertes Licht in den Chor strömen lässt. Unterhalb der rückwärtigen Empore mit der Orgel ist die Tauf- und Werktagskapelle eingepasst. Neben dem Altar steht auf einer Konsole an der Wand die Marienstatue aus der Wendelinskapelle. Es handelt sich um eine farbig gefasste und teilvergoldete Skulptur aus Lindenholz, welche die thronende Muttergottes mit dem Jesuskind und einer Spindel als Hinweis auf die Passion zeigt und wahrscheinlich aus dem 18. Jh. datiert.
Die modernen Kunstwerke und Prinzipalien im Kirchenraum stammen vom österreichischen Bildhauer Alfred Gruber (1931–1972) und der englischen Bildhauerin und Goldschmiedin Jacqueline Stieger Gruber (*1936) [11], die in den 1960er-Jahren in Dittingen (BL) ein Atelier führten.
Baur hat den Kirchenbau der Schweiz im 20. Jh. stark geprägt und sich sowohl praktisch als auch theoretisch für dessen Weiterentwicklung engagiert. Seine Entwürfe experimentieren mit rechteckigen, quadratischen, trapezförmigen oder elliptischen Grundrissvariationen. Ein wichtiger Impuls für sein Schaffen kam von der Architektur Le Corbusiers, für den Kirchenbau insbesondere von dessen Wallfahrts-Kapelle in Ronchamp (1950–1955) [12]. Die Rudolfstetter Christkönigkirche veranschaulicht exemplarisch Baurs architektonische, liturgische und künstlerische Prinzipien für den Kirchenbau: Eine präzise Situierung in die Topographie; einen bewussten Übergang von aussen nach innen durch einen Vorbereitungsweg und Vorplatz; ein spannungsreiches Verhältnis von Volks- und Chorraum durch differenzierte Höhen, Lichtverhältnisse, Materialien und Proportionen; eine adäquate Integration von Malerei und Plastik sowie insgesamt einen sakralen Anspruch des Raumeindruckes [13].
Anmerkungen:[1] Archiv Kantonale Denkmalpflege Aargau, Bericht der Kantonsarchäologie RF59.1 (2006); Felder 1967, S. 350.
[2] Schweizerische Bauzeitung, Bd. 78 (1960), 80; Humbel Schnurrenberger 1997, S. 94.
[3] Zu Hermann Baur siehe Isabelle Rucki, Dorothee Huber (Hg.), Architektenlexikon der Schweiz. 19./20. Jahrhundert, Basel 1998, S. 42–43. Im Aargau hat Baur auch die Kirchen in Möhlin von 1938/39 (Bauinventarobjekt MLI901); in Döttingen von 1960/61 (Kantonales Denkmalschutzobjekt DTT003) und in Ennetbaden von 1960–66 (Kantonales Denkmalschutzobjekt ENN001) entworfen.
[4] AZ 20.08.2014.
[5] Brentini 1994, S. 145–146.
[6] AZ 20.08.2014.
[7] Rudolfstetten Baugesuchsarchiv, Baugesuch Nr. 97/18.
[8] Einen quadratischen, diagonal ausgerichteten Grundriss hatte Baur bereits bei der von 1956 bis 1958 errichteten katholischen Kirche St. Nicolas in Biel umgesetzt. Auch die St. Michaelskirche in Ennetbaden folgt diesem Schema.
[9] Der griechische Text zu 1 Kor 3,11 lautet «θεμέλιον γὰρ ἄλλον οὐδεὶς δύναται θεῖναι παρὰ τὸν κείμενον, ὅς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός.»
[10] Zur Ikonographie der Glocken gemäss Felder 1967, S. 350: «1. Am Hals, über stilisiertem Akanthusblattfries, Antiquainschrift «ME RESONANTE PIA POPULO SUCCURRE MARIA 1715». Am Mantel Reliefs der Strahlenkranzmadonna und des Wappens Abt Franz Baumgartner (1652–1721) von Wettingen. Durchmesser 40 cm. – 2. Halsinschrift zwischen Groteskenblattwerkfries «ZUR GOTTES UND MARIA EHR BIN ICH GEGOSSEN». Reliefs: Gekreuzikter, die Heiligen Wendelin und Antonius von Padua. Laut Inschrift von Peter Ludwig Keiser aus Zug, 1720. Durchmesser 40 cm.»
[11] Humbel Schnurrenberger 1997, S. 94; zu den beiden Kunstschaffenden siehe Kiki Lutz, «Gruber, Alfred (1931-1972)», Lexikon des Jura / Dictionnaire du Jura (DIJU), https://www.diju.ch/d/notices/detail/1000200-gruber-alfred-1931-1972 u. ebd. «Gruber Stieger, Jacqueline (1936-)», https://www.diju.ch/d/notices/detail/1000201-gruber-stieger-jacqueline-1936 (14.12.2022).
[12] Rucki, Huber 1998, S. 42.
[13] Hermann Baur. Ausst.Kat. Basel 1994, S. 133.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
Literatur:- Architekturmuseum in Basel (Hg.), Hermann Baur. Architektur und Planung in Zeiten des Umbruchs, Ausstellungskatalog, Basel 1994.
- Fabrizio Brentini, Bauen für die Kirche. Katholischer Kirchenbau des 20. Jahrhunderts in der Schweiz, Luzern 1994, S. 182; 278.
- Jörg Baumann, Eine neue Kirche für die neu gebildete Pfarrei. in: Aargauer Zeitung, 20.08.2014.
- Hermann Baur, Dominierende Tendenzen im Schweizer Kirchenbau, in: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaften, Nr. 18 (1965), S. 374f.
- Ingrid Fahrtmann, Innovationen im Sakralbau der Nachkriegsmoderne. Die Architektengemeinschaft Albert Dietz und Bernhard Grothe, Diss. Universität Trier 2018, S. 32.
- Peter Felder, Die Kunstdenkmäler des Kanton Aargau. Bd. 4: Der Bezirk Bremgarten, Basel 1967, S. 350.
- Carmen Humbel Schnurrenberger, Hermann Baur (1894–1980). Ein Architekt mit ethischer Gesinnung im Aufbruch zur Moderne, Diss. ETH Zürich 1997, S. 94.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau (StAAG): CA.0001/0100, Brandkataster Gemeinde Rudolfstetten, 1899–1938.
- Gemeinde Rudolfstetten-Friedlisberg Baugesuchsarchiv, Baugesuch Nr. 97/18
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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