INV-SAF906 Chalet Jurablick 3, 1865 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-SAF906
Signatur Archivplan:SAF906
Titel:Chalet Jurablick 3
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Südosten (2022)
Bezirk:Zofingen
Gemeinde:Safenwil
Ortsteil / Weiler / Flurname:Striegel
Adresse:Jurablick 3
Versicherungs-Nr.:26
Parzellen-Nr.:452
Koordinate E:2639947
Koordinate N:1240913

Chronologie

Entstehungszeitraum:1865
Grundlage Datierung:Brandkataster; Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa

Dokumentation

Würdigung:Villa von 1865, die in ihrer ausserordentlich reichen, detailfreudigen Ausgestaltung als Chalet ein typischer Vertreter des Schweizer Holzstils ist, einer internationalen Ausprägung des Historismus, die ihre Ursprünge in der Begeisterung für das ländliche Leben in den Alpenländern hat. Das stattliche Wohnhaus wurde für Hermann Hüssy-Künzli (1826-1897) errichtet, der mit seinen Brüdern die väterliche Weberei und Färberei Hüssy weiterführte. Prägten bis vor kurzem noch die zugehörigen Industriegebäude entlang der Hauptverkehrsachse den westlichen Dorfeingang, sind es heute die locker gruppierten Wohnbauten der Familie Hüssy, welche die siedlungsgeschichtliche Bedeutung der Textilindustrie für die bauliche Entwicklung des Striegels vor Augen führen. Im Innern hat sich die gehobene Innenausstattung in Teilen erhalten. Aufgrund der aussergewöhnlich qualitätvollen Ausführung kommt der Villa trotz des Verlusts eines Teils der bauzeitlichen Substanz nach wie vor ein hoher Bauzeugenwert zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die zehn Kinder von Johann Rudolf Hüssy (1789-1857), dem Gründer der Weberei und Färberei Hüssy, wohnten teilweise bis weit ins Erwachsenenalter in den beiden Wohnsitzen der Familie, im elterlichen Stammhaus (Bauinventarobjekt SAF901) und im benachbarten Wohn- und Geschäftshaus Schnepfwinkelstrasse 2 (Bauinventarobjekte SAF903). Nach und nach entstanden in lockerer Distanz dazu weitere Wohnhäuser der Familie [1].
Das Chalet wurde 1865-66 für Hermann Hüssy-Künzli (1826-1897), Bataillons-Kommandant und zweitjüngster der fünf Söhne von Johann Rudolf Hüssy (1789-1857), erbaut [2]. Es dürfte längere Zeit das stattlichste aller Gebäude in Safenwil gewesen sein. Dies geht weniger aus der ersten Beschreibung im Brandkataster hervor, lautend auf ein "Wohnhaus, 2 Stock hoch, 1ter Stock von Mauer, 2ter Stock von Holz, mit Schnitzerarbeit, 4 gewölbte Keller, auf jeder Giebelseite eine Laube von Holz mit Glaseinwandungen; unter Schieferdach". Vielmehr beeindruckt der nach Abschluss des Ausbaus um 1866 auf 40'000 Franken veranschlagte Schätzwert, der somit ein Vielfaches des Hüssy-Stammhauses (Bauinventarobjekt SAF901) betrug und später auch denjenigen der Villa Striegelstrasse 41 (Bauinventarobjekt SAF905) übertraf [3].
Nach dem Tod von Hermann Hüssy gelangte das Haus in den Besitz einiger bekannter Personen. Zunächst ging es an die Erben und wurde 1910 vom Architekten Ernst Hüssy übernommen, der wenig später mit der Projektierung der Villa Lindenrain (Bauinventarobjekt SAF912) für Fritz Hochuli beauftragt wurde [4]. Ab den 1920er-Jahren wechselte das Haus in kurzer Folge die Hand. Es gehörte 1925 Gottlieb Zimmerli, der wohl aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis stammte, besass er doch in Aarburg eine Fabrik zur Herstellung chemischer Hilfsmittel für die Behandlung von Textilfasern in der Spinnerei und Weberei. 1926 wohnte Martha Alice Francey-Roth darin, die in erster Ehe mit Jean Blaise Saniez, dem Mechaniker des Aviatikpioniers Oskar Bider verheiratet war [5]. 1930 war die Schweizerische Volksbank Basel Eigentümerin des Hauses, bis es 1932 von Karl Otto Hunziker-Degen erworben wurde. Von diesem ging es 1936 an die Erben von Landwirt Adolf Müller sowie vier Mithafte über und 1937 an Lina Eschmann-Müller, Karls, einer Vorfahrin der heutigen Eigentümerin.
Gemäss Brandkataster besass das Gebäude ursprünglich ein Schieferdach. Bei der Renovation des Dachs 1986 wurden einzelne Teile des aus Brettern gesägten Zierwerks, ersetzt (gemäss Kurzinventar 1995). Im Rahmen der jüngsten Renovation 2018 erfolgte die Erneuerung der verwitterten Westfassade. Dabei erhielt diese eine schlichte, vertikal gegliederte Holzverkleidung. Zusätzlich wurde am Quergiebel auf dieser Seite ein Balkon angehängt. Die ehemals hölzernen Jalousieläden wurden bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Aluminium ersetzt.
Beschreibung:Die Villa ist an der Hangkante nördlich der Hauptverkehrsachse, schräg gegenüber dem Hüssy-Stammhaus gelegen. Eine annähernd parallel zur Strasse verlaufende Zufahrt führt zum Grundstück, das im Nordwesten ein kleines Wäldchen umschliesst.
Der Bau ist als zweigeschossiges Chalet konzipiert, mit einem gemauerten Erdgeschoss und einem in Blockbauweise mit vorstossend verkämmten Kanthölzern aus Holz gezimmerten Oberbau. Das charakteristische, weit vorkragende Satteldach mit in Nord-Süd-Richtung verlaufenden First weist an beiden Traufseiten breite Quergiebel auf. Den Stirnseiten sind jeweils zweigeschossige Lauben vorgelagert. Die nördliche präsentiert sich stark erneuert und dürfte nur noch volumetrisch der ursprünglichen Situation entsprechen. Die nach Süden orientierte Laube prägt als filigranes, reich verziertes Gehäuse die südöstliche Hauptansicht des Gebäudes. Sie ist im Erdgeschoss als offene Veranda mit Treppe zum Garten gestaltet und im Obergeschoss als verglaster Balkon. Das Grundgerüst bilden zierliche, polygonale Säulchen mit geschnitzten Rosetten, profilierten Gesimsen und oben winkelförmig angesetzten Zierbrettchen mit ausgesägter vegetabiler Ornamentik. Diese bilden im Erdgeschoss eine partielle gitterartige Abtrennung der Veranda zum Aussenraum und erinnern im Zusammenspiel mit ihren annähernd hufeisenförmigen Einschnitten an die gleichfalls hölzernen Maschrabiyyas in der islamischen Architektur – vielleicht eine gewollte Anlehnung an den neomaurischen Stil, der eine Strömung des Historismus war. Die beiden Geschosse trennt ein kräftig vorspringendes Gesims auf winzigen Konsölchen. Dekorativ ausgesägt sind auch die Brüstungsbretter und der Lambrequin, der das gesamte Dach umrandet. Der Balkon besticht durch die hübsche bauzeitliche Befensterung mit schlanken Sprossen und über Eck gestellten, quadratischen Mittelfeldern aus buntem Glas.
Die Süd- und Ostseite des Hauptbaukörpers bewahren noch weitgehend die bauzeitliche Fassadengestaltung mit Schindelschirm und einer Vielfalt an teilweise weiss akzentuierten Friesen und Gesimsen. Blickfang ist eine aufwendige Reliefschnitzerei mit Blattranke, die den Baukörper auf Höhe der Fensterbrüstung wie ein Band umläuft. Weiterer Bauschmuck besteht in Form von beschnitzten und dekorativ ausgesägten Fenstergewänden, Kranzgesimsen, Balkenvorstössen und winkelförmigen Bughölzern, wobei letztere wie die Hängesäulen gedrechselte Hängezapfen besitzen. Ein typisches Element des Schwezer Holzsstils sind ausserdem die Verkleidungen des Fluggespärres mit Laubsägeschnitt (am ostseitigen Quergiebel durch ein gwöhnliches Brett ersetzt). Die ostseitige Trauffassade zeigt eine achsensymmetrische Gliederung mit gekuppelten Rechteckfenstern, wobei die äusseren Achsen Zwillingsfenster und die Mittelachse im Ober- und Dachgeschoss (Quergiebel) dreiteilige Fenster aufweisen (drittes Fenster im Quergiebel verschlossen, stattdessen daneben ein zusätliches Einzelfenster eingelassen). Ein dreiteiliges Fenster befindet sich auch im südlichen Giebelfeld. Beidseits dürften ursrünglich zwei kleine, oben spitz zulaufende Fensterchen bestanden haben, von welchen eines erhalten ist und das andere in leicht abgeänderter Form ersetzt wurde.
Über einem niedrigen, mit gestockten Kalkplatten verkleideten Kellersockel ist das gemauerte Erdgeschoss grobkörnig verputzt. Die Fenster und der in der Mittelachse angelegte Hauseingang werden entsprechend von schlichten Hausteingwänden eingefasst. Die Tür, die ehemals ein hohes Oberlicht besass (heute verschlossen), öffnet auf das Treppenhaus, das mit kunstvoll maseriertem Täfer, Füllungstüren, einer verlgasten Zwischenwand, den Wandverkleidungen und der Holztreppe samt einem Geländer mit gedrechselten Staketen und aufwendig beschnitzten Pfosten viel originale Bausubstanz bewahrt. Die Räume sind in beiden, heute als Stockwerkswohnungen voneinander unabhängigen Hauptgeschossen beidseits eines firstparallelen Korridors angelegt, der einen Ausgang auf die Laube bzw. Veranda besitzt. Die nördliche Laube ist in die Erdgeschosswohnung einbezogen. Teile der bauzeitlichen Innenausstattung zeugen in beiden Wohnungen von den einst gehobenen Intérieurs. Im Erdgeschoss haben sich teilweise Türrahmen, Knietäfer, getäferte Fensterlaibungen und im Wohnzimmer die Kamineinfassung mit Marmorkonsolen erhalten. Eine Stuckdecke mit Putten wurde entfernt [freundliche Mitteilung der Eigentümerin]. Das Obergeschoss zeigt noch weitgehend das bauzeitliche Täfer und Füllungstüren. Wohnung im Dachgeschoss nicht besichtigt. Die windradförmig angeordneten Gewölbekeller weisen gepflästerte und mit Backsteinen belegte Böden auf. Unter der Veranda befindet sich ein flach gedeckter Kellerraum mit einer Decke aus Sandsteinplatten auf Brettern und Eisenträgern, welche ursprünglich den sichtbaren Boden der Veranda bildeten.
Als wesentliche Bestandteile der historischen Gartenanlage haben sich westlich der Villa ein Brunnenbecken und mit Kalkbruchsteinen umrandete Wege und Beete erhalten. Diese waren im späten 19. Jahrundert beliebte Gestaltungselemente der Gartenarchitektur und finden sich auch in anderen Villengärten in Safenwil. Der einst ebenfalls zur Liegenschaft gehörende Brunnen (ehemaliges Kurzinventarobjekt SAF907) auf der gegenüberliegenden Seite der Zufahrt wurde im Zusammenhang mit der Bebauung jener Parzelle entfernt.
Anmerkungen:[1] Zur Bau- und Besitzergeschichte siehe Hüssy, Staelin-Hüssy, Zwicky 1939, S. 111-122 insbesondere 114.
[2] Der Bau erfolgte noch durch die Firma, die Privatliegenschaften wurden erst 1866 unter den Erben aufgeteilt, vgl. Hüssy, Staelin-Hüssy, Zwicky 1939, S. 114.
[3] Staatsarchiv Aargau (StAAG): CA.0001/0651 (1850-1874), Vers.-Nr. 190, CA.0001/0652 (1875-1898) Vers.-Nr. 36, CA.0001/0653 (1899-1938), Vers.-Nr. 26, Brandkataster Gemeinde Safenwil. Zum Vergleich: das Elternhaus der Familie Hüssy (SAF901) hatte zur selben Zeit einen Schätzwert von 11'000 Franken, das Wohn- und Geschäftshaus Schnepfwinkelstrasse 2 (SAF903) einen solchen von 28'000 Franken. 1898 betrug der Schätzwert des Chalets 52'550 Franken und übertraf somit die nur drei Jahre zuvor neu erstellte Villa Striegelstrasse 41 (SAF905) mit einem Schätzwert von 48'000 Franken.
[4] Über Ernst Hüssy ist wenig bekannt, auch seine verwandtschaftliche Beziehung zur Familie Hüssy ist nicht geklärt. Als Architekt wirkte er ausserdem beim Umbau 1910 der benachbarten Villa an der Obersumpfstrasse 44, 1914 bei der Villa Lindenrain (SAF912), um 1907-12 beim Landhaus Dr. Mast (SAF908) und 1920 beim Bau des Schwimmbads mit Badehalle für das Franke-Gut in Aarau (Kantonales Denkmalschutzobjekt AAR089).
[5] Zu Martha Alice Francey-Roth siehe Johannes Deutwiler-Riesen, Biografie über Jean Blaise Saniez (1889-1976), Thun 2020: https://docplayer.org/191267767-Biografie-jean-blaise-saniez-ueber-bleriot-mechaniker-bei-aviatikpionier-oskar-marcus-bider-januar-2020.html (Zugriff: 20.12.2022).
Literatur:- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 40.
- A. Hüssy, C. Staelin-Hüssy, J.P. Zwicky, Die Hüssy vom Strigel. Vorfahren und Nachfahren des Johann Rudolf Hüssy-Zimmerli von Safenwil 1789–1857, Zürich 1939, S. 111-122, insbesondere 114.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau (StAAG): CA.0001/0651 (1850-1874), Vers.-Nr. 190, CA.0001/0652 (1875-1898) Vers.-Nr. 36, CA.0001/0653 (1899-1938), Vers.-Nr. 26, Brandkataster Gemeinde Safenwil.
- ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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