INV-SAF908 Landhaus Dr. Mast, 1794 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-SAF908
Signatur Archivplan:SAF908
Titel:Landhaus Dr. Mast
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Norden (2022)
Bezirk:Zofingen
Gemeinde:Safenwil
Adresse:Dorfstrasse 45
Versicherungs-Nr.:73
Parzellen-Nr.:824
Koordinate E:2640749
Koordinate N:1240829

Chronologie

Entstehungszeitraum:1794
Grundlage Datierung:Literatur; Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Landhaus

Dokumentation

Inschriften:"1794 HI S[cheur]M[ann]" (Schlussstein Hauseingang), "HM" (Türblatt)
Würdigung:Landhaus von malerischer Gesamtwirkung, das sich im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert durch Umbauten und Erweiterungen in mehreren Etappen um den stattlichen Wohnteil eines bäuerlichen Vielzweckbaus mit Scheune von 1794 herum gebildet hat. Der Gebäudekomplex vereint den herrschaftlichen Wohnteil eines ländlichen Oberschichtbaus barocker Prägung mit einem quer dazu erstellten Wohnhaus im Heimatstil und einem historistischen Eckturm. Im Innern bewahrt er eine aussergewöhnlich qualitätvolle Ausstattung, teils aus der Zeit um 1800, mehrheitlich jedoch aus der Bauzeit der Erweiterungen um 1900. Mit dem Umschwung samt altem Baubestand, historischer Brunnenanlage und Nebengebäuden besteht noch die zugehörige Umgebung. Dem Landhaus kommt aufgrund seiner spannenden Baugeschichte und seines hervorragenden Erhaltungszustands ein erheblicher baukultureller Zeugenwert zu. Als ehemaliger Wohnsitz der alteingesessenen Familie Scheurmann und später von Hermann Hüssy-Merian (1847-1923) ist es ausserdem von lokalgeschichtlicher Bedeutung.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Der Gebäudekomplex entstand in mehreren Bauetappen. Ältester Kern der Anlage ist der nordwestliche Baukörper, der am Schlussstein ins Jahr "1794" datiert ist. Er gehörte ursprünglich zu einem stattlichen bäuerlichen Vielzweckbau mit über dreissig Metern Länge und umfasste gemäss Brandkataster um 1850 ein "Wohnhaus von Mauer, 2stöckig, 2 gewölbte Keller, & Scheune v. Mauer, Rigel & Holz, ausgebaute Remise von Mauer & Holz, Mansarde auf der Remise, Ziegeldach", wobei die Scheune drei Fuss niedriger war als der Wohnteil [1]. Die Bauherrschaft stammte aus dem alteingesessenen Bürgergeschlecht der Scheurmann, wie das Wappenzeichen und die Inschrift im Schlussstein über dem Hauseingang "HI S[cheur]M[ann]" verraten. Um 1850 gehörte das Gebäude Johann Rudolf Scheurmann. 1865 ging es an Elise Hüssy-Scheurmann (1818-1898) und ihre Kinder über. Elise Hüssy-Scheurmann war im Jahr davor als Gattin von Jakob Hüssy-Scheurmann (1816-1864), dem zweitältesten Sohn des Webereigründers Johann Rudolf Hüssy (1789-1857), verwitwet. Seit dem Tod des Schwiegervaters 1857 wohnte sie mit ihrer Familie im Stammhaus der Familie Hüssy [2]. Als 1866 die Erbschaft von Johann Rudolf Hüssy geteilt wurde, erhielten Elise Hüssy-Scheurmann und ihre Kinder nun auch das Stammhaus der Familie Hüssy auf dem Striegel samt Magazin, Scheune, Waschhaus, Schweinestall, Chaisenhaus und Pflanzenhaus, Blumengarten sowie 12,5 Jucharten Wiesen und Ackerland (1 Jucharte = 2'500 m2). Wie sich die Erben von Jakob Hüssy-Scheurmann in der Folge auf die Liegenschaften verteilten, erschliesst sich aus dem Brandkataster nicht. Beim Tod von Elise Scheurmann-Hüssy wurde der Wohnsitz der Familie Scheurmann an die Erben überschrieben und im Jahr 1900 an den Sohn Hermann Hüssy-Merian (1847-1923). Nach ihm gelangte die Liegenschaft 1924 in den Besitz des Dorfarztes Dr. med. Alphons Mast, von dem sich der heutige Name des Hauses "Landhaus Dr. Mast" ableitet.
Die bauliche Umgestaltung zum heute bestehenden Gebäudekomplex dürfte ihren Anfang mit dem Abbruch der Scheune noch vor 1875 genommen haben. Der Eintrag im Brandkataster von 1875 lautet nur noch auf ein "Wohnhaus von Stein und Holz mit 2 gewölbten Kellern unter Ziegeldach", das mit einer Länge von 12,1 Metern dem heutigen nordwestlichen Hausteil entspricht. An diesen wurden 1886 ein "Seitenbau von Stein" und 1889 eine Laube angebaut, welche heute in Form des Eckturms und der rückseitigen Erweiterung der Küche fassbar sind [3]. Bereits um 1880 ist auf der Siegfriedkarte auch ein rechtwinklig zum Wohnhaus angefügter Baukörper eingezeichnet, bei dem es sich jedoch am ehesten um ein Nebengebäude gehandelt haben dürfte.
Eine wesentliche Erweiterung des Gebäudekomplexes erfolgte unter Hermann Hüssy-Merian mit dem Anbau eines zweiten, östlichen Wohnhauses unter Kreuzgiebel Anfang 20. Jh., wofür Architekt Ernst Hüssy beigezogen wurde (gemäss Kurzinventar 1991) [5]. Aufgrund der Versicherungssumme, die gemäss Brandkataster von 34'900 auf über 60'000 Franken anstieg, lässt sich diese Bauetappe auf die Jahre zwischen 1907 und 1912 eingrenzen. Aus dieser Zeit stammt auch zu einem grossen Teil die Innenausstattung. Äusserlich zeigt sich die Bauetappe am Kernbau im neobarocken Türblatt mit den Initialen "H[üssy] M[erian]". Vielleicht wurde der südwestliche Eckanbau erst damals zu einem Turm unter Pyramidendach aufgestockt. Und die rückseitige Laube von 1889 wurde eingewandet und der Küche zugeschlagen.
Der heute auf zwei Eigentümerschaften aufgeteilte Gebäudekomplex wurde seither vorbildlich gepflegt und nur wenig verändert. Die beiden Hauptwohnungen sind heute stockwerkweise konzipiert und über zwei verschiedene Hauseingänge zugänglich. Bereits früher wurde in der Mauer zwischen dem alten und dem neuen Wohnteil ein Durchbruch mit niveauausgleichender Treppe geschaffen. Zur Erschliessung einer später eingebauten Dachwohnung wurde das Treppenhaus des alten Wohnteils vom Gang abgetrennt. Im Bereich über der rückwärtigen Laube wurde mit einem Dacheinschnitt ein Balkon geschaffen, der im vorliegenden Fall kaum einsehbar ist und daher wenig stört.
Beschreibung:Der stattliche Wohnkomplex liegt am Hangfuss, etwas abseits der weiter nördlich verlaufenden Dorfstrasse, inmitten eines Grundstücks mit altem Baumbestand. Aus Distanz fällt insbesondere die sich durch die verschiedenen aneinandergefügten Baukörper ergebende vielfältige Dachlandschaft auf. Die Anlage gliedert sich in zwei zueinander rechtwinklig stehende Wohnhäuser sowie einen Eckturm und eine nachträglich eingewandete Laube auf der Rückseite des westlichen Wohnhauses.
Bausubstanz von 1794 hat sich im westlichen Wohnteil erhalten, der den Typus eines bernischen Bauernhauses mit geknicktem Satteldach (Sparrendach mit Aufschieblingen), Gehrschild und Giebelründe vertritt, wobei die Dachkonstruktion im Zusammenhang mit dem Abbruch der Scheune und dem Anbau des zweiten Wohnteils unter Kreuzfirst erneuert worden sein dürfte. Die zweigeschossig aufgeführten Mauern tragen einen wohl auf die Umbauphase im frühen 20. Jh. zurückgehenden grobkörnigen Putz mit glatten Ecklisenen. Die der Strasse zugewandte Trauffront ist mit vier Achsen stichbogiger Fenster regelmässig gegliedert, die westliche Stirnfront mit deren zwei. Die hellgrau gefassten Hausteingewände zeigen für die Bauzeit typische, wulstig profilierte Gesimse. Zum vorderseitigen Hauseingang, der ehemals wohl neben dem Tenn lag, führt eine doppelläufige Steintreppe mit schmiedeeisernem Geländer. Den Scheitel des gekehlten, stichbogigen Sandsteingewändes ziert ein Schlussstein mit der Jahrzahl "1794", den Initialen "HI SM" und dem Wappen der Familie Scheurmann.
Nach Osten schliesst anstelle der früheren Scheune unter einem Kreuzfirst ein zweiter, aus der Zeit um 1907 bis 1912 stammender Wohnteil an, dessen nördliche Giebelseite mit der Traufseite des alten Wohnteils fluchtet. Auch dieser trägt ein Gehrschilddach mit Ründe (hier konstruiert als Pfetten-Rafendach), wobei doppelte, geflechtartig beschnitzte Büge zusätzliche Akzente setzen. Übernommen wird vom Kernbau an der vorderen Giebelseite auch die barocke Formensprache der Befensterung mit Stichbogenlichtern, welche hier etwas höher ausfallen. Das Giebelfeld ziert eine grosse Lünette. Von dieser einheitlich wirkenden Schauseite heben sich die östliche Traufseite und die rückseitige Giebelfront durch ihre für den Heimatstil charakteristische, abwechslungsreiche Gestaltung mit axial gesetzten, rechteckig, rund- und segmentbogig abschliessenden Einzel- und Zwillingslichtern ab. Das südseitige Giebelfeld ist als Sichtfachwerk mit in die Brüstungsfelder einbeschriebenen Vierpässen sowie beschnitzten Bügen und Pfettenköpfen ausgeführt. Mehrheitlich aus Holz besteht auch die zweigeschossige, durchgängig verglaste Laubenpartie im hinteren Teil der östlichen Traufseite, in die im Erdgeschoss der Hauseingang integriert ist.
Nach Süden springen die Giebelfront dieses Hausteils und der Eckturm des Kernbaus gegenüber der ehemaligen Laubenfront risalitartig vor. Deren gemauerte Fassade ist grosszügig befenstert und mit Gartenausgängen versehen (OG mit moderner gewendelter Aussentreppe), wobei die kleinen seitlichen Fenster wohl ehemals zu Toiletten gehörten. Der dreigeschossige Eckturm trägt ein geschweiftes Pyramidendach mit Kugelaufsatz. Seine Fassaden sind glatt verputzt und zwischen dem zweiten und dritten Geschoss mit einem schlichten Gurtgesims vertikal gegliedert. Die gekuppelten Rechteckfenster sind im Erdgeschoss mit einem profilierten Kranzgesims bekrönt.
Beide Hausteile sind traufseitig erschlossen. Die zur Wohnung im Obergeschoss gehörende vorderseitige Haustür des Kernbaus besitzt ein reich verziertes Türblatt mit den Initialen "HM" für Hermann Hüssy-Merian (1847-1923). Sie öffnet auf ein nachträglich vom ehemals durchlaufenden Gang abgetrenntes Treppenhaus mit bunten Zementfliesen, einläufiger Treppe und aufwendig beschnitztem Antrittspfosten. In der Wohnung bildet das verbleibende Gangstück mit einem Wanddurchbruch die Verbindung zwischen dem alten und dem jüngeren Wohnteil. Im Kernbau ist die ursprüngliche vierteilige Raumstruktur mit angebautem Turmzimmer und Laubenbereich weitgehend aufgehoben, aber noch ablesbar. Im jüngeren Hausteil sind die Wohnräume und ein Laubenzimmer beidseits eines Mittelgangs angelegt. Zur Wohnung im Erdgeschoss gelangt man durch die ostseitige Haustür mit schmuckem bauzeitlichem Türblatt im jüngeren Wohnteil, welche auf den Mittelgang öffnet. Die innere Erschliessung der Wohnung und Verbindung zum Kernbau erfolgt analog zum Obergeschoss.
Beide Wohnteile bewahren ein ausserordentlich hohes Mass an historischer Ausstattung, welche teilweise noch auf die Entstehungszeit des Kernbaus um 1794 und das frühe 19. Jh. zurückgehen dürfte, grösstenteils jedoch aus der Umbau- und Erweiterungsphase im ausgehenden 19. Jh. und frühen 20. Jh. stammt. Insbesondere der Wohnteil von 1907-12 ist nahezu unverändert erhalten. Die im alten Wohnteil eingerichteten Küchen besitzen insgesamt drei alte Eisenherde und qualitätvolle, ornamental dekorierte Bodenfliesen aus der Zeit um 1900. In den zugehörigen Wohnräumen haben sich mehrere klassizistische Fayenceöfen erhalten. Ausserdem Fischgrat- und Tafelparkett, Wandschränke, Täfer, Füllungstüren und Stuckdecken, welche auch im jüngeren Wohnteil zu finden sind. Ebenso schmücken hier gleichartige Bodenfliesen Gänge und Badezimmer. Die Laubenzimmer zeigen bunte Verglasungen, im Obergeschoss Holzmalereien und einen Pitch Pine-Dielenboden, im Erdgeschoss ornamental dekorierte Zementfliesen. Die nordöstlichen Eckzimmer bewahren ihr bauzeitliches Interieur mit dunklem Brusttäfer, Einbaukästen und Gipsdecken mit Jugendstil-Stuckdekor. An historischer Möblierung ist im Obergeschoss ein Nussbaumbuffet mit der Inschrift "JESUS MARIA JOSEPH 1803" erhalten (gemäss Kurzinventar aus der Innerschweiz stammend).
Die gewölbten Kellerräume sind über einen nordseitigen Aussenzugang erschlossen, wobei es einen nachträglich angelegten Innenzugang gibt.
Auf dem weitläufigen Grundstück befindet sich ausserdem südöstlich der Zufahrt ein ehemaliges, zu Wohnzwecken umgebautes Waschhaus (nicht im Schutzumfang enthalten). Hinter dem Landhaus hat sich eine grottenartige Brunnenanlage wohl aus der Zeit um 1900 erhalten, wie sie in ähnlicher Form auch in den Gärten der Villa an der Striegelstrasse 41 (Bauinventarobjekt SAF905) und des Chalets am Jurablick 3 (Bauinventarobjekt SAF906) zu finden sind.
Anmerkungen:[1] Zur Bau- und Besitzergeschichte siehe Staatsarchiv Aargau (StAAG): CA.0001/0651 (1850-1874), Vers.-Nr. 61, CA.0001/0652 (1875-1898) Vers.-Nr. 69, CA.0001/0653 (1899-1938), Vers.-Nr. 73, Brandkataster Gemeinde Safenwil.
[2] Hüssy, Staelin-Hüssy, Zwicky 1939, S. 112-113, 115.
[3] Die Abmessungen im Brandkataster entsprechen der Grundfläche, nicht aber der Höhe des Turms, der offenbar nachträglich aufgestockt wurde.
[4] Im Brandkataster von 1850 werden neben dem Wohnhaus und der Scheune auch eine nicht näher lokalisierbare "ausgebaute Remise von Mauer und Rigel, angeb. Wagenschof von Mauer und Holz, Mansarde auf der Remise" erwähnt.
[5] Über Ernst Hüssy ist wenig bekannt, auch seine verwandtschaftliche Beziehung zur Familie Hüssy ist nicht geklärt. Als Architekt wirkte er ausserdem beim Umbau 1910 der Villa an der Obersumpfstrasse 44, 1914 bei der Villa Lindenrain (SAF912) und 1920 beim Bau des Schwimmbads mit Badehalle für das Franke-Gut in Aarau (Kantonales Denkmalschutzobjekt AAR089).
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
Literatur:- A. Hüssy, C. Staelin-Hüssy, J.P. Zwicky, Die Hüssy vom Strigel. Vorfahren und Nachfahren des Johann Rudolf Hüssy-Zimmerli von Safenwil 1789–1857, Zürich 1939, S. 111-122, insbesondere 112-113, 115.
- Michael Stettler, Die Kunstdenkmäler des Kanton Aargau. Bd. 1: Die Bezirke Aarau, Kulm, Zofingen, Basel 1948, S. 298.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau (StAAG): CA.0001/0651 (1850-1874), Vers.-Nr. 61, CA.0001/0652 (1875-1898) Vers.-Nr. 69, CA.0001/0653 (1899-1938), Vers.-Nr. 73, Brandkataster Gemeinde Safenwil.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=139906
 

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