INV-BES908 Alte Wollspinnerei, 1835 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-BES908
Signatur Archivplan:BES908
Titel:Alte Wollspinnerei
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Beinwil am See
Adresse:Plattenstrasse 3
Versicherungs-Nr.:319
Parzellen-Nr.:876
Koordinate E:2657942
Koordinate N:1235414
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2657942&y=1235414

Chronologie

Entstehungszeitraum:1835
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Fabrikgebäude, Manufakturgebäude
Epoche / Baustil (Stufe 3):Biedermeier

Dokumentation

Würdigung:Biedermeierlich gestaltetes Fabrikgebäude von 1835, das ursprünglich als Wollspinnerei errichtet wurde. Das zeittypisch schlicht gehaltene und durch regelmässige Fensterachsen streng gegliederte Gebäude, das durch ein obergadenartig zurückspringendes zweite Obergeschoss auffällt, ist in der äusseren Erscheinung weitgehend intakt erhalten und besitzt auch noch die bauzeitliche Tragkonstruktion im Inneren. Als erstem Fabrikgebäude der Gemeinde kommt der Alten Wollspinnerei erhebliche gewerbegeschichtliche Bedeutung zu. In der Nähe des Schul- und Gemeindehauses und schräg gegenüber der Alten Turnhalle (Bauinventarobjekt BES901) gelegen, besetzt das Fabrikgebäude zudem eine prominente Stelle im Dorfbild von Beinwil am See zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Nachdem sich die Heimweberei von Baumwolltüchern seit dem 18. Jh. in Beinwil am See wie auch in anderen Ortschaften des Berner Aargaus etabliert hatte, errichtete Johann Rudolf Hintermann (sen.) mit der Wollspinnerei 1835 das erste Fabrikgebäude vor Ort [1]. Die Kenntnisse dazu hatte Hintermann bei einem Besuch der Wollspinnerei der Gebrüder Hefti im glarnerischen Hätzingen erworben, wohin er auf Anregung seines Sohns gereist war [2]. 1835 erhielt er von der Gemeinde die Bewilligung, bei der steinernen Dorfbachbrücke, die nördlich des bestehenden Gebäudes lag, eine Wollspinnerei zu errichten und einen Teil des Dorfbachwassers auf ein Wasserrad zu leiten. Der etwas spätere Zustand der Anlage ist in Konzessionsplänen von 1859 und einer wohl etwa zeitgleichen Ansichtszeichnung überliefert (vgl. Bilddokumentation): Bergseits des Hauses lagen zwei Weiher, von denen der weiter entfernte dem Antrieb der Fabrik diente. Über einen auf Stützen befestigten Kännel wurde das Wasser in das an der nördlichen Stirnseite des Gebäudes gelegene Radhaus geführt, wo es ein oberschlächtiges Waserrad antrieb und sich anschliessend mit dem Abflusskanal des zweiten Weihers vereinigte. Von diesem wiederum zweigte unmittelbar talseits der Brücke ein weiterer Kännel zu einem freistehend am Bach gelegenen Radhaus ab, von wo ein eiserner Wendelbaum die Kraft in das talseits der Strasse gelegene Haus (Vers.-Nr. 318) übertrug [3].
Nach der Aufgabe der finanziell glücklosen Wollspinnerei wurde die Konzession für das damals bereits nicht mehr bestehende Wasserrad 1892 gelöscht [4]. Im Gebäude hielten verschiedene Betriebe Einzug. Der Bonbonkocher Otto Halter und der Kaufmann Albert Schillig mieteten im ersten Obergeschoss ihre ersten Fabrikationsräumlichkeiten, nachdem sie 1907 ihre Firma „Halter & Schillig“ (heute „Halter Bonbons“) gegründet und zunächst in Heimarbeit produziert hatten. Im Erdgeschoss befand sich eine Kartonagefabrik; im zweiten Obergeschoss betrieb Karoline Hintermann-Gloor ab 1898 eine Zigarrenfabrik. Ganz dem industriellen Zeitgeist entsprechend tauchte das Gebäude so gleich auf mehreren Briefköpfen auf (vgl. Bilddokumentation) [5].
1983 wurde in dem Gebäude durch Felix Lehner eine Kunstgiesserei gegründet, die 1994 in das Sittertobel bei St. Gallen übersiedelte [6]. Heute dient die Liegenschaft ausschliesslich zu Wohnzwecken.
Beschreibung:Das ehemalige Spinnereigebäude präsentiert sich als dreigeschossiger verputzter Mauerbau, der mit seinem geraden Satteldach traufständig an die Plattenstrasse gestellt und in den zeittypisch schlichten Formen der biedermeierlichen Fabrikarchitektur gehalten ist. Seine Längsseiten sind mit sechs, die Stirnseiten mit drei Achsen von Einzelfenstern streng regelmässig gegliedert. Nach einer im damaligen Fabrikbau bisweilen anzutreffenden Disposition springen die Traufseiten des zweiten Obergeschosses in der Art eines Obergadens hinter die Fassadenflucht des Hauptbaukörpers zurück, so dass sich an den Giebelseiten eine gestufte Umrissform ergibt. Der hier freilich nur geringfügige Rücksprung wird über ein Vordach vermittelt, auf dem die als Holzkonstruktion mit Schindelschirm ausgeführten Traufwände des zweiten Obergeschosses aufsetzen.
Die rechteckigen Tür- und Fenstergewände sind aus Muschelkalkstein gefertigt, ebenso die Sockelplatten und die dreiseitige Freitreppe. Betreten wird das Gebäudes auf der Strassenseite. Das Gewände der breiten Eingangstüre ziert ein Schlussstein mit den Initialen des Bauherrn „HRH“ (Hans Rudolf Hintermann) und der Jahrzahl 1835. Die originale zweiflüglige Füllungstüre aus Eichenholz bewahrt noch die alten Biedermeier-Beschläge. Charakteristische Schmuckmotive für die Entstehungszeit sind die Giebelfenster in Form eines Palladio-Motivs (dreiteilige Fenster mit rundbogigem Mittelteil). Ursprünglich oder zwischenzeitlich besass das Gebäude Fensterläden, die aber seit geraumer Zeit beseitigt sind. An der nördlichen Stirnseite kragt ein sicherlich nachträglicher Abtrittanbau über das Volumen des Kernbaus vor. Der heutige Besenwurf-Verputz stammt aus der Zeit um 1900.
Die Erschliessung erfolgt über ein Treppenhaus in der nordöstlichen Gebäudehälfte, von wo die ursprünglich nicht weiter unterteilten, später jedoch mehrfach umgestalteten Produktionshallen betreten werden können. Das Tragsystem bilden zwei längsgerichtete, recht nahe beieinanderliegende hölzerne Stützenreihen. Auf diesen liegen, über Sattelhölzer vermittelt, die gleichfalls hölzernen Unterzüge auf. Vorhanden sind auch noch die Sichtbalkendecken mit eingeschobenen Bretterböden. Die nördliche Gebäudehälfte weist flache Keller auf, doch ist vom früher mit grosser Wahrscheinlichkeit hier angeordneten Antriebsmechanismus des Wasserrads nichts mehr sichtbar.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung, Erhaltungsziel A.
Anmerkungen:[1] Geschichtliches nach Bronner 1844, S. 501 und Gautschi 1985, S. 163-165.
[2] Zur Fabrik der Gebrüder Hefti in Hätzingen GL vgl. Rolf von Arx / Jürg Davatz / August Rohr, Industriekultur im Kanton Glarus. Streifzüge durch 250 Jahre Geschichte und Architektur, [Chur] 2005, S. 335f.
[3] Staatsarchiv Aargau, DB.W01/0029/09, DB.W01/0070/03: Wasserwerkskonzessionen Gemeinde Beinwil am See: Pläne und Konzessionsakten von 1853, 1893 sowie 1900.
[4] Ebd.
[5] Freundl. Hinweise der Eigentümer (1992); zur Bonbonfabrik vgl. Firmenchronik Halter 2007, S. 11, zur Zigarrenfabrik Gautschi 1985, S. 173.
[6] Vgl. http://www.kunstgiesserei.ch/ueber-uns/ (Zugriff 7.12.2016).
Literatur:- Firmenchronik 100 Jahre Halter Bonbons, Beinwil am See 2007, S. 11.
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. d. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 53.
- Karl Gautschi, Beinwil am See. Das Dorf im Wandel der Zeit, verf. im Auftrag des Gemeinderats Beinwil am See, Beinwil am See [1985], S. 163-165, 173, Tff. 8, 11.
- Franz Xaver Bronner, Der Canton Aargau, St. Gallen / Bern 1844, Bd.1, S. 501.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, DB.W01/0029/09, DB.W01/0070/03: Wasserwerkskonzessionen Gemeinde Beinwil am See.
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=29760
 

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