INV-BRG913 Hängeturm in der Au, 1823 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
1/2

Identifikation

Signatur:INV-BRG913
Signatur Archivplan:BRG913
Titel:Hängeturm in der Au
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Bremgarten (AG)
Ortsteil / Weiler / Flurname:Au
Adresse:Bleicheweg 2
Versicherungs-Nr.:285
Parzellen-Nr.:772
Koordinate E:2668104
Koordinate N:1245337

Chronologie

Entstehungszeitraum:1823
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:BRG912
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Färberei, Bleiche

Dokumentation

Würdigung:Seit dem späten 19. Jahrhundert zu Wohnzwecken genutzter ehemaliger Hängeturm, der 1823 für die Bleiche in der Bremgarter Au errichtet wurde. Das Gebäude zeigt, wie dies für den nahezu gänzlich verschwundenen Bautypus charakteristisch ist, eine turmartige Gestalt mit ausladendem geknicktem Walmdach, dessen Untersicht zum Aufhängen der langen Stoffbahnen diente. Zusammen mit dem 1993 durchgreifend sanierten früheren Bleichegebäude (Bauinventarobjekt BRG912) bildet der einstige Hängeturm eine typologisch und gewerbegeschichtlich wertvolle kleine Baugruppe, die sich in landschaftlich reizvoller Lage am Reussufer erhebt.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Bleiche und Hängeturm:
Die Bleiche oder «Bleiki» auf der Au ist aktenmässig bereits 1695/97 belegt, indem die Witwe Katharina Honegger von der Bleicherei und Färberei «zur Auw» (Bleiche) damals Anteile an der Walke bei der Bruggmühle hatte [1]. Die Anlage in der Au, die aus zwei Walkmühlen mit unterschlächtigen Wasserrädern in der Laufreuss bestand, ist aus den Stadtplänen von Scheuchzer/Ridiger (1712) und Baille (1748) bekannt; letzterer bezeichnet an dieser Stelle zwei Gebäude für Färben, Walken und Bleichen, von denen das obere etwa an der Stelle des heutigen liegt, sowie ein Wächterhäuslein [2]. Das heute bestehende Bleichegebäude sowie der Hängeturm wurden gemäss Angaben im Brandkataster gleichzeitig 1823 für Stadtrat Wietlisbach erbaut. Die Einträge lauten auf «Ein Bleichegebäude 1 Stok hoch gemaurt, 51 Fuss lang und 47 Fuss breit, mit Ziegel gedekt, ganz neuer Bau» (1823 Vers.-Nr. 266) sowie «Ein ganz neu erbautes Gebäude zum Tröknen, 1 Stok gemaurt, 3 Stok Riegel, 34 Fuss hoch und 24 breit mit Ziegel gedekt» (1823 Vers.-Nr. 267) [3]. 1828 wurde der Bleichebetrieb von Leodegar Weissenbach, dem Vater des späteren Ständerats Placidus Weissenbach d.Ä., erworben [4]. 1838 gründeten Jakob und Xaver Weissenbach unmittelbar reussabwärts in Stadtnähe die mechanische Baumwollspinnerei in der Au (Bauinventarobjekt BRG911). Ein Plan von 1857 in den Konzessionsakten des Kantons dokumentiert die damalige Anlage; ein im gleichen Jahr entstandener zweiter Plan zeigt die Bleiche zudem zusammen mit dem Wasserwerk der benachbarten Spinnerei (vgl. Bilddokumentation) [5]. Ein aus Steinen aufgeschüttetes Streichwehr in der Reuss leitete das Wasser der Bleiche zu, wo ein unterschlächtiges Wasserrad gemäss zugehörigen Beschrieb sechs Hämmer sowie eine Mange antrieb; unterhalb floss es dem Oberwasserkanal der Spinnerei zu, der auch einen Zufluss direkt aus der Reuss besass. Bei Niedrigwasser wurden die Steinschüttungen «durch hölzerne fliegende Wuhre verlängert» [6]. Die beiden Gebäude der Bleiche sind auf den beiden Plänen als «Tröckne-» resp. «Hängethurm» einerseits sowie als «Bleiche-Waschhaus» resp. «Bleiche» anderseits bezeichnet.
Der Bleichebetrieb wurde wohl kurz vor 1876 aufgegeben, zumal der Hängeturm im ersten verfügbaren Brandkataster aus jenem Jahr bereits als «Wohnhaus v[on] Stein u. Rieg mit 2 Tremkellern» erscheint, die Bleiche hingegen als «Magazingebäude u. Anbau v[on] Stein & Rieg», beide mit harter Bedachung. Es ist anzunehmen, dass der Hängeturm in diesem Zusammenhang sin einzelne Wohnungen unterteilt wurde. Die Gebäude befanden sich nun im Eigentum der Aktien-Spinnerei zur Auw und erlebten in der Folge auch dieselben Handänderungen (1879 Kölliker, Honegger & Co., 1893 Robert Honegger & Cie.) [7]. Erst 1881 wurde das Wasserrecht der Bleiche offiziell aufgehoben und der Spinnerei zugeschlagen; ein Plan zu den Wehranlagen der Spinnerei aus demselben Jahr bezeichnet den Hängeturm als «Kosthaus», was bedeutet, dass er zur Unterbringungen von Fabrikarbeitern genutzt wurde [8]. In den 1940er Jahren wurden die Gebäude vom Fabrikanten Joseph Honegger an einen engen Mitarbeiter veräussert [9]. Seit längerem wird die Umgebung der beiden Gebäude als kleiner Campingplatz genutzt.
Jüngere Veränderungen am Hängeturm:
In der Folge der Handänderung in den 1940er Jahren erfuhren die Wohnungen im Hängeturm eine Modernisierung. Weitere Innenrenovationen im ersten und zweiten Obergeschoss wurden wohl sukzessive in den letzten Jahrzehnten ausgeführt.
Beschreibung:Die beiden Gebäude der ehemaligen Bleiche bilden eine kleine gewerbliche Baugruppe, die in der Au rund 200 Meter oberhalb der Spinnerei auf dem rechten, inneren Ufer der Bremgarter Reussschleife liegt. Nicht nur das eigentliche Bleichegebäude (Bauinventarobjekt BRG912), sondern auch der hier beschriebene Hängeturm erhob sich nach Ausweis alter Pläne und Fotografien ehemals hart am Wasser; heute ist zur Reuss hin ein schmaler Uferstreifen aufgeschüttet. Der Hängeturm, der seit dem späteren 19. Jh. als Wohnhaus dient, ragt viergeschossig über leicht längsrechteckigen Grundriss auf und trägt ein weit ausladendes, stark geknicktes Vollwalmdach. Der Schaft besteht über einem hohen gemauerten Sockelgeschoss aus einem dreigeschossigen verputzten Fachwerkoberbau. Die für die Baugattung charakteristische turmartige Gestalt und das vorspringende Dach erklären sich daraus, dass das Gebäude zum Trocknen langer Stoffbahnen diente. Auf alten Abbildungen anderer Hängeturme ist zu erkennen, wie die Tücher an Gestängen befestigt aus dem obersten Geschoss solcher Türme gehängt wurden, um den Trocknungs- und Bleicheffekt zu beschleunigen (Vergleichsbeispiel aus Lenzburg in der Bilddokumentation) [10]. Ausser dem Bremgarter Hängeturm existiert im Kanton Aargau nur noch ein kärglicher Rest (Sockelgeschoss) des Hängeturms der ehemaligen Indienne-Manufaktur Laué in Wildegg.
Ob die Fachwerkkonstruktion hier von Anfang an weitgehend ausgefacht war oder ob es sich um eine luftdurchlässigere Konstruktion handelte und auch die Innenräume zum Aufhängen von Stoffbahnen diente, ist nicht bekannt. Zum ursprünglichen Bestand gehören noch der Eingang sowie ein liegendes Rechteckfenster im Sockelgeschoss, die gefalzte Muschelkalkgewände besitzen. Die heutige Befensterung mit unregelmässig verteilten Achsen von Einzelfenstern dürfte auf den Umbau zum Wohnhaus im 19. Jh. zurückgehen; die Fenstergewände wurden wohl in den 1940er Jahren ersetzt. An der Nordwestseite ist ein kleiner Toilettenanbau für den Campingplatz an den Turm gefügt.
Das Innere ist wohl seit der Umnutzung zum Wohnhaus im späteren 19. Jh. in drei Geschosswohnungen unterteilt, während die Stockwerkteilung mit auffällig grossen Geschosshöhen (im ersten und zweiten Obergeschoss über 3 Meter) wohl ursprünglich ist. Das Sockelgeschoss enthält Keller- und Nebenräume. Der Erschliessung der Obergeschosse dient ein enges Treppenhaus mit steilem Treppenlauf in der Nordostecke. Die drei Geschosswohnungen sind identisch jeweils in vier Räume sowie ein in den 1940er Jahren abgetrenntes Bad gegliedert. Nennenswerte historische Ausstattung ist nicht vorhanden; die Oberflächen sind im ersten und zweiten Obergeschoss modernisiert, im dritten stark mitgenommen. Das Dachgerüst ist eine kleinmassstäbliche Sparrenkonstruktion mit liegendem Stuhl.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung, Erhaltungsziel A.
Anmerkungen:[1] Lehner 1999, S. 84. w
[2] Auskunft von Stadtarchivar Dr. Bürgisser, Bremgarten, an A. Schlatter, Kantonale Denkmalpflege, 1982, im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege; Hiltmann 1999, S. 23.
[3] Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
[4] Hiltmann 1999, S. 24.
[5] StAAG, DB.W01/0008/07, Pläne von 1857.
[6] Ebd., Verbal vom 19.10.1857.
[7] Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
[8] StAAG DB.W01/0008/07, Notiz von 1942 sowie Plan der Wehranlagen der Spinnerei von 1881.
[9] Freundl. Auskunft des heutigen Eigentümers (2018).
[10] Vgl. etwa Alte Ansichten von Lenzburg. Gemälde und Grafiken von 1470-1900, hrsg. von der Ortsbürgerkommission der Stadt Lenzburg und der Stiftung pro Museum Burghalde, Aarau 1992, S. 113; zum Bautypus vgl. etwa Rolf von Arx / Jürg Davatz / August Rohr, Industriekultur im Kanton Glarus, [Chur] 2005, S. 67-70.
Literatur:- Bruno Lehner, Über den Neubau des Kraftwerks „zur Bruggmühle“, in: Bremgarter Neujahrsblätter 1999, S. 77-86, hier S. 84.
- Michael Hiltmann, Die Schifferzunft zur Oele und die Geschichte der Flösserei auf der Reuss und der Bremgarter Wasserwerke, in: Bremgarter Neujahrsblätter, 1999, S. 9-24, hier S. 23f.
- Peter Felder, Der Bezirk Bremgarten (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. IV), Basel 1967., S. 170.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau (StAAG): StAAG, DB.W01/0008/07, Wasserwerkskonzessionen Gemeinde Bremgarten.
- Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
- ETH-Bibliothek, Zürich, Bildarchiv: LBS_H1-008620, LBS_H1-008621, LBS_MH01-000112, LBS_MH01-002776, LBS_MH01-005120B, LBS_H1-015297.
 

URL for this unit of description

URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=31434
 

Social Media

Share
 
Home|Login|de en fr it
Online queries in archival fonds