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INV-BRU921 Aufnahmegebäude Bahnhof, 1867-1868 (Dossier (Bauinventar))
Ansichtsbild: |
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Chronologie |
Entstehungszeitraum: | 1867 - 1868 |
Grundlage Datierung: | Literatur |
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Typologie |
Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.): | Teil einer Baugruppe |
Weitere Teile der Baugruppe: | BRU922, BRU923 |
Nutzung (Stufe 1): | Verkehrs- und Infrastrukturbauten |
Nutzungstyp (Stufe 2): | Bahnhof |
Epoche / Baustil (Stufe 3): | Heimatstil |
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Dokumentation |
Autorschaft: | Friedrich Wanner, Architekt, u. Friedrich Seitz, Ingenieur, Schweizerische Nordostbahn, Zürich; Albert Froelich (1876-1953), Architekt, Zürich |
Würdigung: | Im Kern 1868 erbautes Aufnahmegebäude, das 1919–22 nach Plänen des Brugger Architekten Albert Froelich durchgreifend umgestaltet und auf seine heutige Grösse erweitert wurde. Der von Friedrich Wanner, dem Architekten des Zürcher Hauptbahnhofs, und Ingenieur Friedrich Seitz errichtete Kernbau wurde von Froelich beim Umbau geschickt als Mitteltrakt in das erweiterte Gebäude integriert. Dieses tritt seither als wuchtiger, neoklassizistisch strenger Baukörper mit hohem Walmdach in Erscheinung. Charakteristische Elemente sind die beiden stadtseitigen Halbrundtürme, das von dorischen Säulen gestützte Perrondach und die von Akroterien bekrönte bahnseitige Attika, welche dem Bau ebenso eigenständiges, in den Details antikisierendes Aussehen verleihen. Dem Gebäude kommt damit ein hoher baukünstlerischer Eigenwert zu, wie es gleichzeitig auch die historische Entwicklung des Eisenbahnknotens von Brugg dokumentiert. Mit dem Bezug zur ebenfalls von Froelich gestalteten Randbebauung des Bahnhofsplatzes (Bauinventarobjekte BRU922/923), die zusammen mit dem Aufnahmegebäude als Ensemble zu betrachten ist, ist dem Gebäude zudem ein ausgesprochen hoher Situationswert zuzusprechen. |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | Brugg erlebte seinen Anschluss an das Eisenbahnnetz im Jahr 1856 mit der Eröffnung der von der Schweizerischen Nordostbahn (NOB) erbauten Strecke Baden-Brugg. 1858 folgte die Eröffnung der Strecke nach Aarau, womit über Olten und den von der Schweizerischen Centralbahn erbauten Hauensteintunnel eine direkte Verbindung nach Basel bestand, noch bevor 1859 die NOB mit der Linie Turgi-Waldshut eine eigene Verbindung nach Basel und zum deutschen Eisenbahnnetz eröffnete. Zum gegenseitigen Ärger der Brugger und Windischer wurde der Bahnhof auf Windischer Boden angelegt, war aber von Anfang an mit dem Namen Brugg bezeichnet. Erst mit einer Gebietsabtretung im Jahr 1863 kam er mehrheitlich auf Brugger Gebiet zu liegen [1]. Anfänglich besass Brugg nur eine als Provisorium errichtete kombinierte Güterschuppenstation in Gestalt eines langgestreckten, teilweise verbretterten Fachwerkbaus, der an der Stirnseite mit einer Laube in den Formen des Schweizer Holzstils versehen war (vgl. Bilddokumentation). Das Gebäude entsprach damit einem Projekt, das von Friedrich Wanner, Architekt bei der NOB, in denselben Jahren auch für Provisorien in Bülach und Aarau verwendet worden war [2]. Ein eigenes Aufnahmegebäude wurde erst 1868 errichtet, nachdem die aargauische Regierung 1866 in dieser Sache bei der NOB-Direktion interveniert hatte. Es folgte wiederum einer Idee von Wanner, der mittlerweile Chefarchitekt der NOB war und in jenen Jahren mit dem Bau seines Hauptwerks, des neuen Zürcher Bahnhofs, beschäftigt war. Die Pläne zeichnete der bei der NOB beschäftigte Ingenieur Friedrich Seitz. Für den Bau verwendete man Steinmaterial und andere Bauteile, die aus dem Abbruch des ersten Zürcher Bahnhofs gewonnen worden waren [3]. Zu einem eigentlichen Bahnknotenpunkt entwickelte sich Brugg mit der Eröffnung der Bözberglinie 1875 und dem Anschluss an die Südbahn durch das Freiamt 1882. An baulichen Erweiterungen kamen 1892 sowie 1911–13 Dienstgebäude für das Lokomotivdepot und neue Werkstätten hinzu (vgl. Bauinventarobjekte BRU931, WIN939). 1918 folgten in der westlichen Fluchtlinie des Bahnhofs eine neue WC-Anlage und ein dreigeschossiges, walmdachgedecktes Dienstgebäude mit Postanbau. 1919 übertrug die SBB-Kreisdirektion dem aus Brugg stammenden, in Zürich tätigen Architekten Albert Froelich die Planung für eine Vergrösserung und Umgestaltung des Aufnahmegebäudes [4]. Froelich konnte damals in seiner Heimatstadt bereits auf eine Reihe prestigeträchtiger Aufträge zurückschauen; unter anderem ging auch die Blockrandbebauung, die mit dem Bahnhof ein geschlossenes Ensemble bildet, hauptsächlich auf ihn zurück [5]. Die Detailbearbeitung und die Bauleitung des neuen Bahnhofgebäudes besorgte hingegen das Hochbaubüro des SBB-Kreises III. Froelich integrierte das alte Aufnahmegebäude geschickt als Kern in sein weitgehend neu gestaltetes Projekt, indem er die Seitenflügel verlängerte und unter einem durchgehenden Dach zusammenfasste. Die benötigen Hausteine konnten grösstenteils aus den Gebäudeflügeln des alten Kernbaus gewonnen werden, womit zumindest ein Teil des Steinmaterials vom alten Zürcher Bahnhof bereits ein zweites Mal neu versetzt wurde. Bis 1922 war der Umbau abgeschlossen. Ab 1925 wurde der Bahnhof elektrifiziert. 1931–1934 erhielt er eine Personenunterführung und vollständig gedeckte Bahnsteige. |
Beschreibung: | Das Aufnahmegebäude zeigt sich heute weitgehend als Resultat des Umbaus durch Albert Froelich in den Jahren 1919–22, welcher dem Bau seine wuchtige, neoklassizistische Erscheinung gab. Der langgestreckte Baukörper ist stadt- und bahnseitig auf unterschiedliche Weise in jeweils drei annähernd gleichlange Abschnitte gegliedert, von denen der mittlere dem Kernbau von 1868 entspricht, während die beiden Seitenflügel von 1919–21 stammen. Stadtseitig bildet der Bau zusammen mit den beiden spiegelbildlich angeordneten Baukomplexen auf der gegenüberliegenden Strassenseite (Bauinventarobjekte BRU922 und BRU923) ein Ensemble, das als „spätes, aber glanzvoll orchestriertes Szenario einer klassizistisch gefärbten Stadtbauschule“ gewertet werden kann: „Mit Achse (Bahnhofstrasse) und Monument (Aufnahmegebäude) wird einem in vielen Zeitepochen erprobten Gestaltungsmittel städtischer Repräsentation nachgelebt. Mit den beiden Halbrundtürmen des Bahnhofs und den Eckerkern der Eckbauten wird sogar auf ein selten interpretiertes Muster des antiken Städtebaus zurückgegriffen: Ein Tetrapylon, ein viergliedriger Torbau zur gestalterischen Überhöhung eines wichtigen Achsknotens“ [6]. Der zweigeschossige Baukörper des Aufnahmegebäudes wird von einem hohen, unten leicht geknickten Walmdach abgeschlossen. Er ist mehrheitlich in Haustein aufgeführt und wird an den Gebäudekanten von Eckquadern gefasst, während ein kräftiges Stockwerk- und ein Sohlbankgesims die Horizontale betonen. Lediglich die Obergeschosse der Seitenflügel sind oberhalb des Sohlbankgesims verputzt. Das Erdgeschoss ist durchgehend mit rundbogigen Öffnungen besetzt, das Obergeschoss mehrheitlich mit hochrechteckigen Einzelfenstern samt Jalousieläden. An der zum Bahnhofplatz gewandten Stadtfassade wird der Mitteltrakt von 1868 durch die beiden apsidenartig vorspringenden Türme gerahmt, welche die Treppenhäuser zu den Obergeschossen enthalten. Sie sind an den Aussenseiten mit je drei hochformatigen, barock geschweiften Fensterchen besetzt und enden in geschweiften Spitzdächern samt Urnenaufsatz, welche in der Ansicht die lange Abfolge der Walmdachlukarnen auf dem Hauptdach rhythmisieren. Zwischen den beiden Treppentürmen betont eine Portikus mit fünfjochiger Arkade den repräsentativen Haupteingang. Noch am stärksten dem ursprünglichen Zustand entspricht das Obergeschoss des Mitteltrakts, das von Zweier- und Dreierfenstern mit geschweifter Verdachung besetzt ist. Die barockisierenden Kartuschen in den beiden Fassadenintervallen dürften hingegen aus der Umbauzeit stammen und setzen einen auffälligen Kontrapunkt zum klassizistischen Fassadenbild. Auf der Bahnseite ist der Altbau von 1868 ohne Veränderung der Fassaden als Mittelrisalit integriert und wird seit dem Umbau einer streng gestalteten, flach gedeckten Attika mit markanten Eckakroterien überhöht. Er zählt ebenso wie die beiden Seitenflügel fünf Einzelfenstern, womit die Fassade als imposante Abfolge von fünfzehn monoton gesetzten Fensterachsen in Erscheinung tritt. Die Fenster sind durchwegs erneuert. Erhalten sind hingegen sowohl auf der Bahn- wie auf der Stadtseite die originalen Türen aus beiden Bauphasen. Die Türblätter von 1919–22 am platzseitigen Haupteingang wie auch an den Wohnungseingängen der beiden Türme zeigen dezente, aber gepflegte neobarocke Vergitterungen. Ein charakteristisches Element bildet das Perrondach von Gleis 1, das antikisierend auf dorischen Säulen ruht, wie Froelich dies auch an seinen Aufnahmegebäuden in Augst BL und Schlieren ZH realisierte [7]. Es reicht seitlich weit über das Aufnahmegebäude hinaus und bezieht an beiden Enden zwei Kleinbauten mit ein. Am nordöstlichen Ende ist dies ein bemerkenswerter, in antikisierenden Formen kubisch gestalteter Pavillon, am südwestlichen Ende die 1918 unmittelbar vor der Erweiterung realisierte Abortanlage. Die Säulen des Perrondachs sind aus Kunststein auf der Basis von gewaschenem Seesand gefertigt; sie tragen eine als „Hetzerdach“ ausgebildete Holzkonstruktion [8]. Der Reisende betritt den Bahnhof Brugg durch eine der fünf Rundbogenöffnungen in der Fortsetzung der einladenden Eingangshalle. Die Türblätter mit den Sternenmotivgittern über den unteren Scheibenflächen stammen aus der Bauzeit. Das Innere der Eingangshalle ist heute stark erneuert. Die insgesamt sechs Wohnungen im Ober- und Dachgeschoss sind über die beiden stadtseitigen Treppentürme zugänglich. Weiter südwestlich steht das ebenfalls 1918 realisierte Dienstgebäude (nicht Teil des Schutzumfangs), ein dreigeschossiger Baukörper mit genutetem Erdgeschoss, verputzten Obergeschossen und geknicktem Walmdach, der gegenüber dem Hauptgebäude gestalterisch in den Hintergrund tritt. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung, Erhaltungsziel A. - Inventar historischer Bahnhöfe, Bauabteilung der Generaldirektion SBB, inventarisiert durch H.P. Bärtschi, 1983/84. - Kurzinventar Aufnahmegebäude und Güterschuppen. Kanton Aargau, SBB, Fachstelle für Denkmalpflege, 2013, Einstufung regional. - Kantonale Denkmalpflege Aargau, Kurzinventar der bahnbezogenen Bauten im Kanton Aargau, 2003/04. |
Anmerkungen: | [1] Baumann et al. 2005, Bd. 1, S. 201f. [2] Vgl. zu den Provisorien in Bülach und Aarau Stutz 1976, S. 46f. [3] Stutz 1976, S. 167f. Zu (Jakob) Friedrich Wanner (1830–1903) vgl. ebd., passim sowie Rucki / Huber 1998, S. 560. [4] Zum Umbau von 1919–21 vgl. SBZ 1922. [5] Vgl. zu Albert Froelich (1867–1953) Rucki / Huber 1998, S. 193f. Zu den Werken Froelichs iN gehören in Brugg die Abdankungshalle von 1904 (Kantonales Denkmalschutzobjekt BRU037), das Stapferschulhaus von 1909 (Kantonales Denkmalschutzobjekt BRU041), das Vindonissa-Museum von 1910–1912 (Bauinventarobjekt BRU914) sowie einige Wohnbauten, worunter die Villa Simmen von 1911 die bekannteste ist (Bauinventarobjekt BRU915). [6] Degen, Städtebauliches Gutachten 1999. [7] Zum Bahnhof von Augst BL vgl. SBZ 1922. [8] SBZ 1922, S. 110. |
Literatur: | - Albert Frölich. Architekt B.S.A. Zürich. Ausgeführte Bauten, Zürich 1926, S. 17. - Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. d. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 76. - Max Banholzer / Peter Bieger, Alt Brugg, Brugg 1984, S. 55f. (histor. Fotografien). - Max Baumann et al., Brugg erleben, 2 Bde., Baden 2005, Bd. 1, S. 200-202; Bd. 2, S. 596f. - Peter Degen, Städtebauliches Gutachten Bahnhofumfeld Brugg, 1999 (Fotokopie Kantonale Denkmalpflege). - A. Füllemann / A. Kuhn, Aus der Lebensgeschichte des Brugger Bahnhofs, in: Brugger Neujahrsblätter, 45. Jg., 1935, S. 41–44 u 2 Tff. - Karl J. Lanfranconi, 100 Jahre Bahnhof Brugg, in: Brugger Neujahrsblätter, 67. Jg., 1957, S. 42–56 u. 5 Tff. - Neue Aufnahme-Gebäude der Bahnhöfe Brugg und Augst der S.B.B., in: Schweizerische Bauzeitung (SBZ), 79, 1922, S. 109–113. - Isabelle Rucki / Dorothee Huber, Architektenlexikon der Schweiz, 19./20. Jahrhundert, Basel 1998, S. 193f., 560 (zu den Architekten). - Werner Stutz, Bahnhöfe der Schweiz. Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, Zürich 1976, S. 46f. (Vergleichsbeispiel), 167f. (Kat. 79) |
Quellen: | - Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv. |
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