INV-EGW906 Seengerstrasse 12, 1798 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-EGW906
Signatur Archivplan:EGW906
Titel:Seengerstrasse 12
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Egliswil
Adresse:Seengerstrasse 12
Versicherungs-Nr.:20, 21 (Scheune), 22 (Schopf)
Parzellen-Nr.:542
Koordinate E:2656514
Koordinate N:1244476

Chronologie

Entstehungszeitraum:1798
Grundlage Datierung:Inschrift (Türsturz Hauseingang)

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Landwirtschaftliche Bauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Bäuerlicher Vielzweckbau

Dokumentation

Inschriften:"17 SB 98" (Türsturz Hauseingang)
Würdigung:Giebelbetonter Vielzweckbau von 1798, der an der Hauptverkehrsachse die zeilenförmige Bebauung des Dorfkerns einleitet. Dem baugeschichtlich interessanten Bauernhaus kommt im Ortsbild seit je her ein hoher Situationswert zu. Im Unterschied zu den ehemals nordwestlich anschliessenden Strohdachhäusern überdauerte der ziegelgedeckte Bau die Dorfbrände des 19. Jahrhunderts. Er bewahrt im Wesentlichen seine ursprüngliche Bausubstanz, ergänzt durch wenige Heimatstilelemente an der Süd- und Ostfassade. Aussergewöhnlich sind die weitgehend unveränderten Interieurs, die ein wertvolles Zeugnis der Bau- und Wohnkultur um 1800 und der Zeit bis um 1900 darstellen. Als Rarität hat sich in beiden Täferstuben die mit einem Klappladen versehene Zwischenwand zur Nebenstube erhalten, ein nutzungsgeschichtlich interessantes Element, das die frühere Bedeutung des Gebäudes als Pintwirtschaft unterstreicht.
Die Bausubstanz des seit einiger Zeit leerstehenden Gebäudes ist unseres Erachtens schutzfähig, bedarf aber mittelfristig baulicher Massnahmen zur Erhaltung.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Das Bauernhaus wurde 1798 für Gemeindeammann Samuel Bolliger errichtet. Vom Bauherrn ging die Liegenschaft 1833 an den Sohn Jakob Bolliger über, der dasselbe Amt bekleidete und im Haus eine Pinte betrieb [1]. Der Bau überstand als eines der wenigen Häuser an der Hauptachse die verheerenden Dorfbrände des 19. Jh. (1816, 1824, 1846). Als 1846 die nordwärts anschliessende Häuserreihe in Flammen aufging, blieb das mit Bruchsteinmauern und Ziegeldach solide gebaute Haus unbeschadet bestehen. 1866 übernahmen die Enkel die Liegenschaft, von welchen 1876 nur noch Samuel genannt wird. Ab 1888 führte der Urenkel Friedrich als neuer Eigentümer die Pinte weiter. Von ihm wechselte die Liegenschaft 1908 an Elise Wipf-Bolliger, "Rudolfs Witwe", bei der es sich wohl um dessen Schwester handelte. Ihre Söhne Rudolf Wipf-Häusermann und Walter Wipf, beide Landwirte, übernahmen den Betrieb 1926.
Die frühe Bau- und Nutzungsgeschichte des Hauses erschliesst sich anhand der greifbaren Quellen nicht vollständig. Vor dem Brand von 1846 muss es Teil eines ausgedehnten Gebäudekomplexes gewesen sein, der in seiner Grösse alle anderen Hofanlagen des Dorfes übertraf. Die Michaeliskarte von 1840 hält diesen als ungewöhnlich lange zusammenhängende Zeile fest, die sich im südlichen Teil zudem stark nach hinten ausdehnt. Obwohl anlässlich des Dorfbrands in nordwestlicher Richtung eine Umgestaltung der Parzellierung und strassenbegleitenden Bebauung vorgenommen wurde und im selben Zug auch die damalige Anlage in ihrem Ausmass verkleinert worden sein muss, verweisen die Massangaben in den Versicherungsakten von 1850 noch auf die vorgängigen Verhältnisse [2]. Diesen zufolge erstreckte sich der Gebäudekomplex über eine Länge von 158,5 Fuss (etwa 47,5 Meter) und im südlichen Teil über eine Tiefe von 95,5 Fuss (etwa 28.65 Meter). Er umfasste neben dem Vielzweckbau zwei heute nicht mehr bestehende Schöpfe samt Tremkeller, die sich vermutlich nordseitig an die fensterlose Giebelmauer sowie rückseitig anschlossen. Spätestens 1875 wies das Gebäude die heutigen Masse auf. Der Brandkataster von 1875 verzeichnet nun neben einem Schopf mit Schweinställen auch einen Wagenschopf mit Tremkeller, bei dem es sich um den heutigen nordseitigen Anbau unter Pultdach handelt. Unter Elise Wipf-Bolliger erfuhr der Wohnteil 1918 am Äusseren eine sanfte "Modernisierung" im damals verbreiteten Heimatstil. Damals erhielt er einen grobkörnigen Besenwurf-Verputz, neue Holzläden und am Vordereingang ein neues Türblatt. Das Fluggespärre am südseitigen Giebel wurde zu einer stichbogigen Ründe mit vertikaler Bretterschalung umgestaltet. Das Volumen der Scheune wurde durch einen rückseitigen Quergiebelanbau mehr als verdoppelt, was sich in einer deutlichen Erhöhung des Versicherungswertes niederschlug.
Beschreibung:Das längs zur Seengerstrasse stehende Bauernhaus bildet den südlichen Abschluss der zusammenhängenden Bebauung im Dorfkern von Egliswil; entsprechend zeigt der nach Südosten ausgerichtete Wohnteil eine architektonisch betonte Giebelfassade. Wohn- und Ökonomietrakt sind unter einem durchlaufenden geknickten Satteldach zusammengefasst, das auf einer liegenden Stuhlkonstruktion mit hoch angesetzten Aufschieblingen ruht. Das ehemals mit beschnitzten Hängesäulen auf Sicht konstruierte Flugsparrenpaar am Südgiebel ist mit einer stichbogenförmigen Ründe verkleidet, deren vertikale Bretterschalung mit einer für das frühe 20. Jh. typischen wellenförmigen Kante abschliesst. Der zweigeschossige Wohnteil ist in seiner Umfassung in Bruchsteinmauerwerk aufgeführt. Die Fassaden sind mit einem groben Besenwurf verputzt, der strassenseitig eine Dekoration in der Art einer gezahnten Eckquaderung zeigt. Traufseitig sind zwei, stirnseitig drei Fensterachsen in unregelmässigen Abständen angeordnet. Sie werden von schlichten Muschelkalkgewänden mit Ladenfalz eingefasst. Der Fensterbestand ist unvollständig und uneinheitlich, umfasst neben unterschiedlichen historischen Varianten aber noch einzelne Flügel aus der Bauzeit mit barocken Beschlägen und Lüftungsfensterchen.
Die Holzläden dürften aus dem frühen 20. Jh. stammen. Zwei kleinere, zusammengerückte Fenster belichten das untere Dachgeschoss, während der hölzerne Vorbau des Giebels eine Recktecköffnung mit Jalousieläden besitzt. Strassenseitig liegen die beiden Fensterachsen weit auseinander. Dazwischen, fast unmittelbar neben dem tennseitigen Fenster, befindet sich der Hauseingang. Das breite Muschelkalkgewände weist einen stichbogig ausgeschnittenen Türsturz auf, der die Jahreszahl "1798" und in der schlusssteinartig akzentuierten Mitte die Initialen "S[amuel]B[olliger]" trägt. Das zweiflüglige Türblatt aus Eichenholz mit geschweiften Füllungen und fein sprossiertem Oblicht ist eine barockisierende Neuanfertigung des frühen 20. Jh.
Nach Nordwesten erstreckt sich der Ökonomietrakt mit Tenn, Futtertenn und aussenliegendem Stall. Den stirnseitigen Abschluss der sonst hölzernen Konstruktion bildet eine kräftig vorspringende Bruchsteinmauer, an welche sich ein Wagenschopf unter Pultdach anlehnt. Dieser bildet einen für ländliche Vielzweckbauten typischen Anbau, der hier in reizvoller gestaffelter Anordnung zum Hauptbaukörper steht, so dass zur Strasse hin ein kleiner Vorplatz bleibt. Sein Mauerwerk ist demjenigen der Scheune ähnlich, und er weist zwei holzgefasste Fenster mit Bretterläden auf. Bis auf den nachträglich aufgemauerten Stall hat sich die hölzerne Strassenfront des Scheunentrakts erhalten. Sie besteht an der Heubühne aus einer Verschalung aus breiten Brettern mit dekorativ ausgeschnittenen Lüftungsschlitzen, kleinen Sternen und Punkten. Das bauzeitliche Tenntor zeigt einen geschweiften, reich profilierten Jochbalken. Die Torflügel sind aus vertikalen Brettern zusammengefügt und mit einem aufgenagelten Rahmenwerk versehen. Die ehemals gleichartig beschaffenen Torflügel des Futtertenns sind in jüngerer Zeit erneuert worden.
Der Wohnteil zeigt in seiner ursprünglichen, noch gut lesbaren Anlage einen geläufigen vierteiligen Grundriss. Stube und Nebenstube nehmen in beiden Stockwerkswohnungen das nach Südosten ausgerichtete, hier stirnseitig angelegte Vorderhaus ein, während Küche und Nebenkammer neben dem Tenn liegen. Die Durchgänge zwischen Küche und Stube bzw. Hinterkammer und Nebenstube sind jeweils unmittelbar an der Aussenmauer angelegt. In beiden Geschossen wurde jedoch nachträglich in der Küche direkt neben der Herdstelle eine zweite Tür zur Stube geschaffen. Im Obergeschoss geschah dies anlässlich der Abtrennung einer schmalen Kammer, im Erdgeschoss wurde mit dem Einbau eines einfachen hölzernen Vorraums in der Küche die Möglichkeit geschaffen, Gäste elegant in die Gaststube zu leiten. Ursprünglich gelangte man durch den ebenerdigen Hauseingang unvermittelt in die Küche, die auch der inneren Erschliessung über die Geschosse hinweg dient. Breite Steinstufen führen hier entlang der Mauer zum Ökonomietrakt in die winkelförmig zueinander angelegten, miteinander verbundenen Gewölbekeller unter der hinteren Haushälfte und dem Tenn hinab. Schmale hölzerne Wangentreppen erschliessen das Ober- und Dachgeschoss, wobei die obere Treppe aus wärmetechnischen Gründen eingewandet ist. Beide Stockwerkswohnungen präsentieren sich weitgehend im Originalzustand, ergänzt durch Ausstattungselemente aus dem 19. Jh. Die untere Küche bewahrt den für herrschaftliche Wohnhäuser um 1800 typischen Bodenbelag aus grossen Muschelkalkplatten sowie den bauzeitlichen Schüttstein in der Leibung des Nordostfensters. Über dem Eisenherd aus der Mitte des 20. Jh. besteht noch ein alte Rauchhurd. Im Obergeschoss ist auf dem Boden der Küche ein zweifarbiger Feinsteinzeugboden aus der Zeit um 1900 verlegt. In den Verputz der Feuerwand ist die Jahreszahl "1824" eingeritzt. Der Herd ist hier noch gemauert. Darüber öffnet sich wie in der unteren Küche der Rauchfang. Der im Raum aufgestellte steinerne Waschtrog ist vermutlich eine Zutat des 20. Jh. Neben der winkelförmig gemauerten Feuerwand bildet jeweils eine Ständerbohlenwand die Binnenunterteilung zur dahinterliegenden Kammer.
Die im Erdgeschoss sowohl über den Vorraum als auch direkt von der Küche her erschlossene Stube bewahrt ihre holzsichtige Ausstattung, bestehend aus einer Sichtbalkendecke mit profilierten Balken und Deckleisten, Wandtäfer sowie einem Hartfriesboden. Eine für Pintwirtschaften typische Einrichtung ist die Trennwand zur Nebenstube, die sich in der oberen Hälfte als Laden hochklappen lässt. Der grüne Kachelofen mit Sitzkunst wurde im Lauf der Zeit mehrfach neu aufgesetzt und dabei mit jüngeren Füll-, Fries-, und Gesimskacheln ergänzt. An der Rückwand sowie an der Seite zur Nebenstube hin besitzt er jedoch noch grün glasierte Kacheln aus der Zeit um 1800. Das wohl um 1920-40 hellgrün gefasste Holzwerk der Nebenstube gestaltet sich mit gefasten Deckenbalken, stehendem Wandtäfer und einer einfachen Brettertür mit Einschubleisten zur hinteren Kammer etwas einfacher. Vergleichbar sind die Räume im Obergeschoss, wo erst in jüngerer Zeit eine dünne Holzwand in der Stube eingezogen wurde. Der Boden besteht aus einfachen Brettern. Der Kachelofen, der auf konischen Füssen mit Kanneluren steht, weist hier noch mehrheitlich grün glasierte Kacheln wohl des frühen 19. Jh. auf. Erhalten hat sich auch die die Brettertür zur Nebenstube mit aufgedoppeltem Rahmen. Im Nebenraum zeigen sich Wandtäfer und Decke noch in ungestrichenem Zustand.
Abgesehen von der Rückwand hat sich auch der Ökonomietrakt in seiner bauzeitlichen Ständerbaukonstruktion mitsamt der Ständerbohlenwand zwischen Tenn und Futtertenn erhalten. Ein mögliches Indiz für zwei verschiedene Bauphasen könnte hier die Kombination von angeblatteten Kopfhölzern im unteren Bereich des Holzwerks mit ausschliesslich verzapften Kopfhölzern in der Dachkonstruktion sein.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
Anmerkungen:[1] Die Angaben zu den Eigentümern und zum Gebäude sind den Brandkatastern entnommen: Staatsarchiv Aargau, AG 50.526 (Vers.Nr. 79): Brandkataster Gemeinde Egliswil 1829-1849; CA.0001/0390 (Vers.Nr. 92): Brandkataster Gemeinde Egliswil 1850-1874; CA.0001/0391 (Vers.Nr. 96): Brandkataster Gemeinde Egliswil 1875-1898; CA.0001/0392 (Vers.Nr. 20): Brandkataster Gemeinde Egliswil 1899-1938.
[2] Bei einer Länge von gut 47 Metern, wie im Brandkataster von 1850 angegeben, würde das Gebäude in den benachbarten Vielzweckbau Seengerstrasse 10 (EGW914) von 1847 hineinragen. Es ist daher anzunehmen, dass der sich nordseitig anschliessende Schopf vor der Neubebauung abgebrochen wurde oder dass er beim Feuer gleichfalls Schaden erlitt. Entsprechende Hinweise fehlen im Brandkataster jedoch.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, AG 50.526: Brandkataster Gemeinde Egliswil 1829-1849; CA.0001/0390-0392: Brandkataster Gemeinde Egliswil 1850-1938.
 

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