INV-LEN904B Wedekind-Haus, 1735 (ca.) (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-LEN904B
Signatur Archivplan:LEN904B
Titel:Wedekind-Haus
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Lenzburg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Steinbrüchli
Adresse:Steinbrüchliweg 2
Versicherungs-Nr.:517
Parzellen-Nr.:2632
Koordinate E:2656130
Koordinate N:1248863

Chronologie

Entstehungszeitraum:approx. 1735
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa

Dokumentation

Würdigung:1735 für Seckelmeister Johann Seiler errichteter, barocker Mauerbau, der sich im „Steinbrüchli“ am Fuss des Schlossbergs erhebt. Nach seiner späteren Besitzerin Emilie Wedekind-Kammerer und deren oft in Lenzburg weilendem Sohn, dem Dichter Frank Wedekind, ist das Gebäude als „Wedekindhaus“ bekannt. Es beeindruckt durch seinen wuchtigen gemauerten Baukörper, der axial bezogene Einzelfenster mit schönen Muschelkalkgewänden zeigt und quer zum Hang von einem geknickten Gerschilddach abgeschlossen wird; die nordseitige Laubenfront stammt aus der Zeit um 1900. In der äusseren Erscheinung weitgehend intakt erhalten, besitzt das Haus im Inneren insbesondere noch eine Täferstube aus der Bauzeit. Mit der auf einer Terrasse hoch aufragenden, breitgelagerten Stirnseite tritt das Gebäude ebenso wie sein Nachbarhaus Steinbrüchliweg 1 (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN029) prominent in Erscheinung, womit ihm auch ein hoher Situationswert zuzusprechen ist. Etwas zurückversetzt hinter dem Gebäude steht das um 1800 als zugehöriges Nebengebäude entstandene klassizistische Sommerhaus Steinbrüchliweg 6 (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN030).
Bau- und Nutzungsgeschichte:Das Wohnhaus wurde als eines der ersten im „Steinbrüchli“ 1735 für Seckelmeister Johann Seiler (1683-1758) erbaut, der in jenem Jahr den Rat mehrmals um Holz für sein „Gebäuw vor dem oberen Thor“ ersuchte. Die Stadt knüpfte die Holzverkäufe an die Bedingung, dass Seiler aus dem Haus keine Wirtschaft mache [1]. Der Sohn des Bauherrn, Kaufmann und Schultheiss Samuel Seiler (1720-1791), liess 1767/68 das benachbarte, mächtige Wohnhaus Steinbrüchliweg 1 errichten (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN029) [2]. Nach der Überlieferung wird das Haus mit dem Quartier des französischen Generals Masséna identifiziert, der 1799 vor der letzten Schlacht bei Zürich in Lenzburg nächtigte [3]. Um 1800 liess wohl der damals im Haus wohnhafte Samuel Seiler, Sohn des gleichnamigen Schultheissen und Enkel des Erbauers, im zugehörigen Garten ein klassizistisches Sommerhaus (Steinbrüchliweg 6, Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN030) errichten [4].
1895 wurde die Liegenschaft von Emilie Wedekind-Kammerer (1840-1916) erworben, die mit ihrem Ehemann Friedrich Wilhelm Wedekind (1816-1888) seit 1872 auf dem damals erworbenen Schloss gewohnt hatte; 1892 war das Schloss von der Erbengemeinschaft an den Käufer August Edward Jessup übergegangen [5]. Der Dichter Frank Wedekind soll anlässlich eines seiner häufigen Besuche bei seiner Mutter einen Puttenfries auf das Stubentäfer gemalt haben (nicht mehr vorhanden). Um 1900 wurde gemäss den Bauformen ein nordseitiger Anbau mit den Badezimmern errichtet. Nach Emilie Wedekinds Tod ging die Liegenschaft 1919 an die Bauunternehmung Theodor Bertschinger und 1921 an Ludwig Baumgartner und dessen Gattin Marie über, die hier ein Institut für Söhne aus wohlhabenden Familien einrichtete. 1947 wurde das Haus durch Architekt Paul Scherwey renoviert, der seit 1944 als Teil einer Eigentümergemeinschaft von Geschäftsleuten an der Liegenschaft beteiligt war und selbst das benachbarte, ebenfalls von ihm renovierte Sommerhaus Steinbrüchliweg 6 bewohnte; wenig später wurde das Gebäude wieder veräussert. In denselben Jahren wurde eine Gedenktafel für Frank Wedekind an der Stützmauer des Gebäudes angebracht.
Vor wenigen Jahren wurde das Haus durch die heutige Eigentümerschaft sanft renoviert, wobei man unter anderem das bauzeitliche Täfer der erdgeschossigen Stube wieder freilegte.
Beschreibung:Das sogenannte „Wedekindhaus“ erhebt sich im „Steinbrüchli“ am Fuss des Schlossbergs, wo es zusammen mit dem mächtigen Nachbarhaus Steinbrüchliweg 1 (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN029) den Aufgang zum Schloss flankiert. Im südlich anschliessenden Garten erhebt sich ein ehemals zugehöriges, reizvolles klassizistisches Sommerhaus mit Gartensaal aus der Zeit um 1800 (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN030). Der quer zum Hang gerichtete, Baukörper des hier beschriebenen Haupthauses ragt in erhöhter Lage über mächtigen Terrassenanlagen auf, mit denen man die beträchtliche Hangneigung ausglich. Es handelt sich um einen wuchtigen, barocken Mauerbau von zwei Geschossen, der unter einem geknickten Gerschilddach liegt. Die Mitte der nach Süden zum Garten gerichteten dreiachsigen Trauffassade nehmen der ursprüngliche Hauseingang (heute als Gartenausgang genutzt) sowie ein Portalbalkon auf Steinkonsolen ein. Zum ursprünglichen Bestand gehören die rechteckigen Fenstergewände aus Muschelkalk mit Ladenfalz und lippenförmig profilierten Simsen. Die Brettläden wurden beim Umbau von 1947 im Estrich aufgefunden und in Anlehnung an die noch erkennbare, in Braun und Weiss gehaltene Bemalung, in anderen Farben, aber gleichem Muster neu gestrichen; heute präsentiert sich die Musterung wiederum in anderen Farben. Auf der südlichen Dachfläche sitzt eine Giebellukarne von 1947.
Die hangabwärts nach Westen gerichtete, breitgelagerte Stirnseite ragt nordseitig um Laubentiefe über den Hauptbaukörper hinaus. Sie ist im Bereich des Hauptbaukörpers gleichfalls dreiachsig befenstert; der Giebel ist mit vier eng gereihten, kleinformatigeren Einzelfenstern besetzt, die in ihrer Gestaltung den grösseren entsprechen. Eine deutlich abgerückte weitere Achse am nordseitigen Laubenanbau bestand schon auf einer historischen Aufnahme von 1903 (vgl. Bilddokumentation); nach Ausweis des obergeschossigen Fenstergewändes ist sie wohl ebenfalls in die Entstehungszeit des Hauses einzuschätzen. Im Erdgeschoss führt hier in eigenwilliger Anordnung ein Portal stirnseitig in die Laube, gerahmt von einem gequaderten Muschelkalkgewände in ähnlicher Gestaltung wie am etwas jüngeren Haus Steinbrüchliweg 1 (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN029). Ebenfalls dreiachsig mit Einzelfenstern besetzt ist die zum ansteigenden Hang gerichtete östliche Stirnseite. Die nördliche Traufseite besitzt etwas aus der Mitte gerückt einen risalitartigen Vorbau mit Stichbogenbefensterung aus der Zeit um 1900; beidseitig stösst eine Laubenschicht an diesen an. Die talseitige, verglaste Laube erhielt ihre heutigen Formen mit kielbogenförmigen Verblendungen und Lisenengliederung wohl ebenfalls um 1900. Sie dient zur Erschliessung des Hauses und umfasst daher auch den heutigen Hauseingang. Die hangseitige Obergeschosslaube und die grosse Giebellukarne stammen vom Umbau von 1947. Das Dach ist mit alten Biberschwanzziegeln eingedeckt.
Das Hausinnere wird auf beiden Geschossen durch einen Quergang erschlossen. Intakt erhalten ist insbesondere das aus der Bauzeit stammende Nussbaumtäfer der erdgeschossigen Stube. Ein 1920 erwähnter und dem Aarauer Hafner Balthasar Fischer zugeschriebener Kachelofen ist vermutlich beim Umbau von 1947 verschwunden [6]. Die übrigen Räume zeigen teils noch Knietäfer aus späterer Zeit. In der Obergeschosswohnung ist ein Täfer unter einer jüngeren Wandverkleidung verborgen. Die in der Laube gelegene hölzerne Geschosstreppe stammt aus dem ausgehenden 19. Jh. und besitzt ein einfaches gedrechseltes Staketengeländer. Unter dem Haus erstrecken sich quer zum First zwei geräumige Gewölbekeller, von denen der talseitige über ein Rundbogenportal und einen davor gesetzten Durchgang in der Terrassenmauer ebenerdig vom Steinbrüchliweg zugänglich ist. Das Dachgerüst ist eine nachträglich veränderte Sparrenkonstruktion auf ständergestützter Zwischenpfette.
Der Garten, zu dem ursprünglich auch die heute abgetrennte Parzelle um das Gartenhaus Steinbrüchliweg 6 gehörte, erstreckt sich über zwei Geländeterrassen, die von Bruchsteinmauern gestützt werden. Auf der Mauer zur Schützenmattstrasse hin sitzt an der Einmündung des Steinbrüchliwegs ein erkerartiges Podest mit profilierter Abschlusskante und reliefierter, knaufförmiger Konsole. Der frühere Zugang zum Haus erfolgte über eine breite Muschelkalktreppe mit schönen Eckpfosten, die zwischen den beiden heute getrennten Grundstücken liegt und direkt vom Kronenplatz her über eine weitere Treppe zu erreichen ist. An dem zum Kronenplatz gerichteten Ende der Stützmauer ist eine Gedenktafel für Frank Wedekind eingelassen.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
- Aargauer Heimatschutz AHS / Aargauer Landschaftsarchitekten BSLA, Inventar der Historischen Gärten und Anlagen des Kantons Aargau, Stadt Lenzburg, LEN-G-009.
Anmerkungen:[1] Baugeschichte nach Stettler / Maurer Kdm AG II 1953 sowie Notizen Kunstdenkmäler-Inventarisation: Mitteilungen von Fritz Bohnenblust, Lenzburg, 22.11. u. 5.12.1947.
[2] Vgl. Stettler / Maurer Kdm AG II 1953, S. 109f.
[3] Mitteilungen von Fritz Bohnenblust, Lenzburg, 22.11. u. 5.12.1947; Kopie und Transkription eines Briefs von General Massena, gez. Lenzburg, 18 fructidor 7 (14.9.1799), gemäss freundl. Mitteilung der heutigen Eigentümerschaft (2017).
[4] Notizen Kunstdenkmäler-Inventarisation: Mitteilungen von Fritz Bohnenblust, Lenzburg, 5.12.1947.
[5] Besitzergeschichte nach freundl. Mitteilungen der heutigen Eigentümerschaft (2017); weitere Baugeschichte nach Notizen Kunstdenkmäler-Inventarisation: Mitteilungen von Fritz Bohnenblust, Lenzburg, 22.11. u. 5.12.1947. – Zu Emilie Wedekind-Kammerer vgl. Deutsches Literatur-Lexikon 2009; Wikipedia; Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. 19. und 20. Jahrhundert [Geschichte der Stadt Lenzburg, Bd. III], Aarau 1994 (auch erschienen als: Argovia, Bd. 106/1), S. 507-510.
[6] Lehmann 1920, S. 34f., Anm. 5.
Literatur:- Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, begr. von Wilhelm Kosch, 3. Aufl., Bd. 29, Berlin 2009, Sp. 60f., Art. ‚Emilie Wedekind-Kammerer‘.
- Wikipedia, Art. ‚Emilie Wedekind-Kammerer‘: http://de.wikipedia.org (Zugriff 24.7.2017).
- Hans Lehmann, Zur Geschichte der Keramik in der Schweiz. I. Die Lenzburger Fayence- und Porzellanmanufakturen, in: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde, Neue Folge, Bd. 22 (1920), S. 3-53, hier S. 34f., Anm. 5.
- Liebes altes Lenzburg, Fotos von anno dazumal, hrsg. von der Ortsbürger-Kommission Lenzburg und der Stiftung Pro Museum Burghalde Lenzburg, Lenzburg 1986, S. 145 (histor. Aufnahme).
Quellen:- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Kunstdenkmäler-Archiv: Notizen Kunstdenkmäler-Inventarisation, (Michael Stettler / Emil Maurer, vor 1953).
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=39312
 

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