INV-OBK902 Gasthof zum Rössli, 1834-1838 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-OBK902
Signatur Archivplan:OBK902
Titel:Gasthof zum Rössli
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Oberkulm
Ortsteil / Weiler / Flurname:Neudorf
Adresse:Gontenschwilerstrasse 2
Versicherungs-Nr.:156
Parzellen-Nr.:535
Koordinate E:2651796
Koordinate N:1238956

Chronologie

Entstehungszeitraum:1834 - 1838
Grundlage Datierung:Brandkataster; Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Gasthaus, Gasthof
Epoche / Baustil (Stufe 3):Biedermeier

Dokumentation

Autorschaft:Zimmermann Jakob Schlatter, Oberkulm
Würdigung:Stattliches, 1834-38 im Auftrag der Gemeinde errichtetes Landgasthaus. das in seiner Funktion einen gleichfalls der Gemeinde gehörenden Vorgängerbau bei der Mühle im Unterdorf ablöste. Mit dem neuen Standort wurde der im 19. Jahrhundert als Verbindungsstück zur Kantonsstrasse zunehmend besiedelte Bebauungsast "Neudorf" und damit auch der Dorfeingang an der Gabelung der Strassen nach Zetzwil und Gontenschwil akzentuiert. Insofern kommt dem markanten Eckbau eine hohe lokal- und siedlungsgeschichtliche Relevanz zu. Trotz der durchgreifenden Modernisierung im Innern und dem teilweise überformten Ökonomietrakt ist dem Gasthaus "Rössli" ein erheblicher baulicher Zeugenwert zuzusprechen. So bewahrt es die solide Grundkonstruktion und wesentliche Elemente der spätklassizistisch-biedermeierlichen Fassadengestaltung.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die schriftliche Erwähnung eines Wirts und Müllers Cunrad um 1460 weist möglicherweise auf die Mühle an der Wyna als mittelalterlicher Standort der Taverne hin. Eigentümerin dieser Taverne war ab dem späteren 17. Jh. die Gemeinde, welche das Gebäude samt dem damit verbundenen, von der Berner Obrigkeit erteilten Recht in der Regel auf drei Jahre für einen jährlichen Pachtzins dem Meistbietenden verlieh. 1736 liess die Gemeinde ein neues Wirtshaus erbauen, das nun gemäss einer späteren Beschreibung neben der Mühle zwischen Wyna und Dorfstrasse stand. Die Bezeichnung "zum Rössli" ist seit 1743 belegt. 1742 eröffnete Junker Friedrich Graviset zu Liebegg an der Landstrasse eine Gegentaverne, worauf die Oberkulmer ihr Wirtshaus wieder schliessen mussten. Proteste beim Landvogt auf der Lenzburg vermochten nichts dagegen zu bewirken. Glücklicherweise ging die Konkurrenzwirtschaft schliesslich von selbst wieder ein, so dass die Gemeinde ab 1760 wieder ihr eigenes Wirtshaus verpachten konnte. Darin wurde bis 1830 gewirtet [1].
Nach einer kurzen Übergangszeit im Gebäude der einstigen Gegentaverne wurde 1832 der Bau eines neuen Wirtshauses gegenüber, im Baumgarten von Jakob Gloor, alt Gemeinderat, beschlossen. Den Zuschlag für die Ausführung erhielt der im Soodhof wohnhafte Zimmermann Jakob Schlatter, der später auch mit dem neuen Schulhausbau (Bauinventarobjekt OBK901) beauftragt wurde [2]. 1834 konnte das Wirtshaus zum Rössli bezogen werden, wobei sich der Abschluss des Innenausbaus noch bis 1838 hinzog. Laut Brandkatastereintrag von 1899 umfasste das Gasthaus einen Tanzsaal, der wohl im Obergeschoss der Scheune eingerichtet war [3].
1871 verkaufte die Gemeinde das Gebäude an Johann Rudolf Heuberger, Gerichtsweibel von Unterkulm, der im "Rössli" bereits seit 1865 gewirtet hatte [4]. Durch ihn wurde 1874 eine nicht näher beschriebene bauliche "Verbesserung" vorgenommen [5]. Die Familie Heuberger prägte den Gasthof, der auch als Unterkunft beliebt war, bis 1921 [6]. Eine Postkarte aus der Zeit um 1900 zeigt neben dem schmucken Bahnhofsgebäude als weitere Sehenswürdigkeit Oberkulms das "Rössli" mit lauschiger Gartenwirtschaft auf der Giebelseite (siehe Fotodokumentation).
Ab den 1920er Jahren wechselten die Eigentümer und Wirte in rascher Folge. Auf Emil Heuberger folgten Walter Wehrli Rudolfs, Wirt, und Fritz Güdel, 1925 Albert Michel, Christians, Wirt, 1935 Jakob Basler, Heinrichs, alt Gemeindeschreiber in Köniz, und 1936 Alma Widmer-Gautschi, Friedrichs Ehefrau. Anfang 20. Jh. wurde die rückseitige Laube durch einen Abortanbau ersetzt. [7].
Um die Mitte des 20. Jh. wurde das Gasthaus einer durchgreifenden Innenrenovation unterzogen (gemäss Kurzinventar 1993). In diesem Zusammenhang verlor das Gebäude nicht nur die historische Ausstattung der Gaststube, sondern infolge der Umnutzung auch die charakteristische Fassadengestaltung der Scheune mit Korbbogentoren zu Tenn und Futtertenn. Deren Gewände sind wohl noch erhalten, jedoch nur rückseitig sichtbar, während sie sich strassenseitig im Verputz abzeichnen. Das Restaurant im Erdgeschoss erhielt in jüngerer Zeit an der südlichen Giebelfront einen Türdurchbruch zur Gartenwirtschaft. Darüber sind im mehrmals umgebauten und weitgehend ausgekernten Gebäude Kleinstwohnungen bzw. Zimmer untergebracht.
Beschreibung:Das traufständig zur Gontenschwilerstrasse, direkt an deren Abzweigung von der Hauptstrasse stehende Gasthaus zum Rössli nimmt einen verkehrsgünstigen Standort ein. Zum Zeitpunkt seiner Erbauung bildete es das Pendant zur ehemaligen Konkurrenztaverne (später Bäckerei Speck, 1970 abgebrochen), die 1742 gegenüber an der Hauptstrasse eröffnet worden war. Es markiert zudem in prominenter Eckstellung die Einmündung der Neudorfstrasse, welche den alten Bebauungsast entlang der Wyna mit der Kantonsstrasse verbindet. Als 1904 die Strecke der Wynentalbahn eröffnet wurde, erhielt das Gasthaus mit dem Bahnhof in der Gabelung quasi eine eigene Haltestelle. Im Spickel zwischen Geleise und Hauptstrasse befand sich der von zwei Bäumen beschattete Rösslibrunnen, an dem die Pferde der Mehlfuhrwerke von Schöftland und Aarau über Jahrzehnte getränkt und gefüttert wurden (siehe Bilddokumentation).
Das Gasthaus wurde als stattlicher Vielzweckbau spätklassizistisch-biedermeierlicher Prägung errichtet. Der aus Bruchsteinen gefügte, in der ersten Hälfte des 20. Jh. mit einem neuen Kratzputz versehene Baukörper ist unter einem imposanten durchlaufenden Satteldach geborgen, das an der Untersicht noch die bauzeitliche Holzverkleidung zeigt. Er gliedert sich in einen zweigeschossig über niedrigem Kellersockel angelegten Wohnteil mit giebelseitig vier auf traufseitig sechs Fensterachsen und einen ebenso stattlichen ehemaligen Scheunentrakt mit der rückseitig noch ablesbaren Nutzungsabfolge Tenn, Stall und Futtertenn (stark überprägt). Der über eine doppelläufige Freitreppe – ursprünglich eine sechsstufige Pyramidentreppe – erreichbare Eingang zur Wirtewohnung und Gaststube befindet sich nach einem geläufigen Muster in der Achse neben dem Tenn. Er wird von einem karniesförmig profilierten Kranzgesims bekrönt, während die zeittypisch schlicht gestalteten Gewände der Fenster nur mit einem Ladenfalz ausgestattet sind. Für die Hausteinelemente wurden Muschelkalk und gelblicher Sandstein verwendet. Neben dem Eingang hat sich das klassizistische Wirtshausschild erhalten, welches ein vollplastisches Pferd auf filigran geschmiedetem Ausleger mit Voluten, Rosetten, Blütenkelchen und Kugeln zeigt.
Wie auf historischen Aufnahmen zu erkennen ist, wies die strassenseitige Scheunenfront im ebenerdig zugänglichen Bereich ehemals zwei Rundbogentore und dazwischen eine Rechtecktür mit Fenster zum Stall auf. Das Obergeschoss aber war in formaler Fortsetzung des Wohnteils mit fünf gleichmässig verteilten Einzelfenstern besetzt (siehe Bilddokumentation). Es handelt sich vermutlich um die bauzeitliche Befensterung des Tanzsaals, welche heute noch erhalten ist. Hingegen ist das Erdgeschoss aufgrund der Umnutzung von Tenn und Stall strassenseitig stark überprägt. Der Stalleingang und die Umrisse der Tore, von deren Einfassungen sich zumindest einzelne Werkstücke wie Sockel und Kämpfer erhalten haben, zeichnen sich noch im Verputz ab. Weitgehend erhalten und farblich abgesetzt sind die umfunktionierten, teils überprägten Durchgänge noch auf der Rückseite, wo die ehemalige Stalltür als weiterer Hauseingang dient. Auf der Rückseite des Wohnteils ist – über einen Anbau aus der Mitte des 20. Jh. zugänglich – noch der bauzeitliche Hintereingang vorhanden. Diese Tür, die ehemals durch einen Korridor entlang dem Tenn mit dem strassenseitigen Haupteingang verbunden war, bewahrt noch die in der Mitte mit einem Schlussstein akzentuierte Einfassung aus Muschelkalk. Der nach beiden Seiten schräg auslaufende Sockelbereich des Gewändes deutet auf eine ehemals zweiläufig oder - wie vorne - pyramidenförmig angelegte Treppe hin. Im Übrigen zeigt die Rückfassade zwei Fensterachsen, von welchen die eine gekuppelte Rechtecköffnungen aufweist (Höhe im Erdgeschoss verändert). Während die Stirnmauer der Scheune im unteren Bereich mit kleinformatigen Rechtecklichtern und schartenartigen Aussparungen nur zurückhaltend mit Öffnungen versehen ist, zeigt das Giebelfeld hier wie auf der gegenüberliegenden Seite als weithin sichtbarer Teil des Gebäudes eine betont dekorative Gestaltung mit je zwei auffallend grossen Rundbogenfenstern, die früher eine zehnteilige Sprossierung und im Bogenfeld eine schmucke radiale Gliederung besassen (siehe historische Aufnahmen in der Bilddokumentation). Ihre Gewände sind mit einer flachen Profilierung am Bogen etwas aufwändiger gestaltet. Darüber ist jeweils eine für biedermeierliche Bauten charakteristische Lünette eingelassen.
Im Innern des Wohn- und Wirtshausteils zeugt eine aus Muschelkalk gehauene Spindel, welche zur Innentreppe vom hinteren Korridorbereich ins Obergeschoss gehört, noch vom qualitätvollen bauzeitlichen Ausbau des Gebäudes. Das imposante Dachwerk, eine Sparrenkonstruktion auf liegendem Stuhl, ist durch Tauben, die ungehindert durch die Fenster fliegen können, stark verschmutzt.
Unter dem Wohnteil befinden sich zwei wohl quer zum First angeordnete Gewölbekeller [8].
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), Einzelelement, Erhaltungsziel A.
Anmerkungen:[1] Gemäss Steiner 1989/90, S. 75-77.
[2] Steiner 1991, S. 96.
[3] Staatsarchiv Aargau, BA.05/0075; CA.0001/0257-0259: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1829-1938 (Vers.-Nr. 200; 158; 160; 156).
[4] Steiner 1991, S. 96-97.
[5] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0257: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1850-1875 (Vers.-Nr. 158).
[6] Steiner 1991, S. 97.
[7] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0259: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1899-1938 (Vers.-Nr. 156).
[8] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0257: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1850-1875 (Vers.-Nr. 158).
Literatur:- Karl Steiner, Oberkulm. Zeitbilder aus der dörflichen Vergangenheit bis zur Gegenwart, 2. Ausgabe, Oberkulm 1991, S. 94-100.
- Hans Walti, Oberkulm. Vergangenheit und Gegenwart in Bildern, Oberkulm 1995, S. 22, 24 und 66.
- Peter Steiner, Die alten Gasthäuser im Wynental und seiner Umgebung, in: Jahresschrift der Historischen Vereinigung Wynental, 1989/90, S. 75-77.
- Michael Stettler, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 1, Basel 1948, S. 211.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, BA.05/0075; CA.0001/0257-0259: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1829-1938 (Vers.-Nr. 200; 158; 160; 156).
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
 

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