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INV-UNS929A Zwirnerei Stroppel, 1868-1869 (Dossier (Bauinventar))
Ansichtsbild: |
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Chronologie |
Entstehungszeitraum: | 1868 - 1869 |
Grundlage Datierung: | Literatur |
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Typologie |
Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.): | Teil einer Baugruppe |
Weitere Teile der Baugruppe: | Bauten der Nähfadenfabrik Stroppel (Bauinventarobjekte UNS929B-M) |
Nutzung (Stufe 1): | Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten |
Nutzungstyp (Stufe 2): | Fabrikgebäude, Manufakturgebäude |
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Dokumentation |
Würdigung: | Dreigeschossiger Mauerbau in spätklassizistischen und historistischen Formen unter zeittypisch knapp vorspringendem Satteldach, der 1868-69 als Zwirnerei und stattlichstes aller Gebäude der Nähfadenfabrik Stroppel errichtet wurde. Die verputzten Fassaden zeigen eine hübsche Gliederung mit Ecklisenen und Zahnschnittfriesen. Sandsteingewände fassen die elegant proportionierten Fensteröffnungen ein, welche am Erdgeschoss analog zu den anderen Bauten der Gründungszeit mit Stichbogen und Schlussstein ausgebildet sind. Im Innern haben sich die aus Gusseisensäulen und Eisenträgern bestehende Tragkonstruktion, das hölzerne Treppenhaus und einfache Riemenböden erhalten. Das mehrheitlich in zwei Bauetappen um 1868-69 und 1907-11 entstandene Ensemble der ehemaligen Nähfadenfabrik Stroppel zählt aufgrund seiner nahezu vollumfänglichen Erhaltung zu den bedeutendsten frühindustriellen Zeugen des Kantons Aargau. Seine Lage im Wasserschloss, einer Landschaft von nationaler Bedeutung, ist einzigartig. |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | Fabrikanlage allgemein: Pläne von alt Ammann Johann Baptist Umbricht und "Löwen"-Wirt Josef Leonz Müller aus Untersiggenthal, im Stroppel am rechten Limmatufer eine Baumwollspinnerei und -weberei zu eröffnen, wurden trotz der 1864 regierungsrätlich erteilten Konzession für ein Wasserrad nicht umgesetzt. 1867 erwarb der Zürcher Unternehmer Emil Escher-Hotz sowohl Land als auch Radrecht und nahm 1869 in der neu erstellten mechanischen Nähfadenfabrik die Produktion auf [1]. Gemäss Brandkataster von 1875 umfasste das Fabrikareal damals folgende Gebäude: "1. Färberei- und Bleichereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929D], einstöckig, von Stein erbaut mit Dampfkamin und zwei gewölbten Räumen im Erdgeschoss; 2. Zwirnereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929A, hier beschrieben], dreistöckig, von Stein erbaut; 3. Poliergebäude [Bauinventarobjekt UNS929C], einstöckig, zwischen dem 1. und 2. Gebäude eingebaut, mit Blech- und Glasdach; 4. Turbinenhaus [Vorgängerbau des heutigen Kraftwerks von 1908/1932, Bauinventarobjekt UNS929B], einstöckig, von Stein, Riegel und Holz; 5. Sägegebäude [Bauinventarobjekt UNS929G], an das Werkstattgebäude angebaut, einstöckig, von Stein, Holz und Riegel, mit Anbau, 1 Vertikalsäge, 2 Zirkularsägen, 1 Bandsäge nebst Getriebe; 6. Werkstattgebäude [Bauinventarobjekt UNS929H], zweistöckig; 7. Ökonomiegebäude mit angebauter Stallung [Bauinventarobjekt UNS929I] [2]." Zur Anlage gehörten ausserdem ein unmittelbar neben dem Ökonomiegebäude stehendes zweistöckiges Wohnhaus mit drei Wohnungen (sog. "Meisterhaus", Bauinventarobjekt UNS929J) und im Roost zwei zweistöckige Arbeiterwohnhäuser (beide abgebrochen). Um das Einzugsgebiet für auswärts wohnende Arbeitskräfte auch auf die andere Uferseite erweitern zu können, unterhielt Escher-Hotz 1869-72 eine Fähre und 1872-1881 einen Fussgängersteg über die Limmat [3]. Mit 259 Arbeiterinnen und Arbeitern erreichte die Fabrik 1883 einen Spitzenwert [4]. 1885 beschäftigte sie noch 225 Personen – zu drei Viertel Frauen und Mädchen – und war damit die achtgrösste Fabrik im Kanton [5]. 1906 wurde die Firma von den Erben Eschers an die weltweit tätige schottische Unternehmergruppe für Nähfaden und Handarbeitsgarne, J. & P. Coats Ltd. in Glasgow verkauft und 1907 in die "Zwirnerei Stroppel AG" umgewandelt. Es folgten ein Umbau und eine Modernisierung der Anlagen, wobei das Turbinenhaus zu einem Kraftwerk (Bauinventarobjekt UNS929B) umgebaut und die Fabrik elektrifiziert wurden [6]. Neu hinzu kamen in dieser zweiten Bauetappe zwischen 1907 und 1911 flussaufwärts die neue Färberei (Bauinventarobjekt UNS929E), die Mitte 20. Jh. ein Sheddach erhielt, das Kesselhaus mit Hochkamin (Bauinventarobjekt UNS929F) und das Wasseraufbereitungsgebäude am südöstlichen Ende des Areals (nicht Bestandteil des Bauinventars). Ausserdem wurden in nordwestlicher Verlängerung der Anlage eine Direktorenvilla, ein Angestelltenwohnhaus und ein Arbeiterinnenheim mit Waschhaus (Bauinventarobjekte UNS929K-M) errichtet. Nach einem Brand im Jahr 1932 musste das Maschinenhaus des Kraftwerks neu gebaut werden [7]. Im Laufe der 1980er Jahre stellte Coats Stroppel AG die Produktion ein (Aufgabe der Zwirnerei 1985) und fokussierte sich auf den Handel mit Merceriewaren, was mit einer Stilllegung auch des Wasserkraftwerks einherging [8]. 1995 erwarb die Proma Energie AG das Kraftwerk und die historische Fabrikanlage. Nach einer sanften Nachrüstung und Automatisierung setzte sie das Kleinkraftwerk wieder in Betrieb. Seit 2011 wird es von der Axpo betrieben, welche die verbliebenen alten Maschinengruppen (Turbinen und Generatoren) auswechselte. Die anderen technischen Einrichtungen blieben mehrheitlich museal vor Ort erhalten. Im Industrieareal entwickelte sich währenddessen ein Gewerbezentrum. Heute sind in den Gebäuden der ehemaligen Nähfadenfabrik verschiedene Nutzungen vereinigt, vom Kleingewerbe und Büroarbeitsplatz über Kunstateliers und Kulturbetriebe bis zu Wohnungen.
Zwirnerei: An das 1868-69 erstellte Gebäude der Zwirnerei wurde um die Jahrhundertwende an der östlichen Traufseite ein Wasserturm angebaut, der in der zweiten Hälfte des 20. Jh. in ein Liftgehäuse umfunktioniert wurde. Eine Ergänzung ist auch die unmittelbar daran anschliessende Vorhalle unter Pultdach. Spätere Eingriffe in die Fassadengestaltung blieben minim (Verkürzung der zum Wasser liegenden Südfenster zu quadratischen Öffnungen); einzig die nördliche Stirnfront dürfte aufgrund der breiten, stichbogigen Fensterform (vgl. Kesselhaus von 1909, Bauinventarobjekt UNS929F) im frühen 20. Jh. komplett umgestaltet worden sein. 2015 wurden die Fassaden des Gebäudes einer sanften Renovation unterzogen, Spenglerarbeiten ausgeführt und schadhafte Stellen an Verputz, Sandsteingewänden und Verkleidungen wieder instand gestellt. Die erneuerten Fenster wurden teilweise mit Rollläden versehen. |
Beschreibung: | Die Anlage der ehemaligen Nähfadenfabrik Stroppel erstreckt sich auf einem rechtsufrigen Landstreifen zwischen dem Limmatkanal und dem Bahndamm der Linie Turgi-Waldshut, nur wenige hundert Meter oberhalb der Flussmündung in die Aare. Die Fabrikbauten sind in zwei parallelen Zeilen angeordnet, erschlossen durch eine dazwischen entlanggeführte Werkstrasse. Unmittelbar am Kanal, direkt gegenüber dem Kraftwerk, erhebt sich die längsgerichtete Zwirnerei von 1868-69 als repräsentativstes aller Fabrikgebäude und Kopfbau der Reihe mit den Produktionsgebäuden. Der mächtige Baukörper ist dreigeschossig aus verputztem Bruchsteinmauerwerk aufgeführt und unter einem nur knapp vorspringenden, schwach geneigten Satteldach mit beschnitzten Pfettenköpfen geborgen. Die Fassaden zeigen eine schmucke Rahmung durch Ecklisenen und Zahnschnittfriese, wie sie in ähnlicher Form auch an den beiden anderen Fabrikationsbauten aus der Gründungszeit, am eingeschossigen Poliergebäude (Bauinventarobjekt UNS929C) und an der quergiebligen alten Färberei (später Winderei, Bauinventarobjekt UNS929D), zu beobachten sind. Mit Ausnahme der nordwestlichen Stirnseite präsentieren sich die Fassaden der Zwirnerei noch weitgehend in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild mit einer dichten Abfolge hoher, schlanker Fensteröffnungen, die von Sandsteingewänden gefasst werden. Die Fenster des im Sockelbereich mit Kalksteinplatten verkleideten Erdgeschosses sind - wiederum in Übereinstimmung mit den übrigen Bauten aus der Gründungszeit - stichbogig gestaltet und in diesem Fall im Scheitel mit einem Schlussstein geschmückt. Den mit zwei kleineren Rechtecklichtern ausgestatteten Südostgiebel besetzen ausserdem im Dreieck angeordnete kreisrunde Lüftungsöffnungen. In die geraden Dachflächen sind zahlreiche liegende Dachfensterchen und vier kleine Giebelgauben integriert, die vermutlich aus dem frühen 20. Jh. stammen. Die sich mit jedem Geschoss leicht verjüngende nordwestliche Stirnmauer ist mit vier Achsen rhythmisch gegliedert. Die beiden mittleren Achsen sind etwas enger gesetzt. Die breiten, segmentbogenförmig abschliessenden Fenster sind ohne Gewände, mit gestufter Leibung ins Mauerwerk eingelassen. Sie zeigen aus roten Backsteinen gefügte Gesimse mit blecherner Abdeckung, wie sie auch am Färberei-Erweiterungsbau und – ohne Blech – am Kesselhaus zu finden sind. Der Eingang zum Gebäude ist in der südlichsten Achse der dem Land zugewandten Traufseite angelegt und heute über eine jüngere Vorhalle unter Pultdach zu erreichen. Unmittelbar daneben erhebt sich in der zweiten Fensterachse ein schlanker, die Zwirnerei überragender Turm aus der Zeit um 1900. Dieser diente einst als Wasserreservoir, woran heute noch der von einem schwach geneigten Pyramidendach abgeschlossene obere Teil erinnert. Später nahm er den Lift auf. Durch ein biedermeierlich anmutendes, verglastes Rundbogentor gelangt man über einen quer zum First durchlaufenden Gang zum Treppenhaus, das sich in seiner bauzeitlichen Ausführung mit Holzstufen (geschützt durch einen jüngeren Belag), gedrechselten Antrittspfosten und schlichten, über Eck gestellten Vierkantstaketen erhalten hat. Das Tragewerk der einzelnen Geschosse bildet ein Stützensystem von teils variierenden Gusseisensäulen mit Eisenträgern, welches trotz jüngerer Trennwände und Einbauten sichtbar geblieben ist. Genagelte Dielenböden erinnern in den umgenutzten Fabrikationsräumen als weiteres historisches Ausstattungselement an die industrielle Vergangenheit. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung BLN, BLN 1019 Wasserschloss beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat (Schutzziel 3.8 Die kulturhistorischen Zeugen der Wasserkraftnutzung und der frühen industriellen Entwicklung erhalten). |
Anmerkungen: | [1] Hoegger 1995, S. 175-176; Meier/Steigmeier 2008, S. 130. [2] Boner 1983, S. 188. Die abweichenden Bezeichnungen der Gebäude auf der Schautafel des Industriekulturpfads 1996 beziehen sich auf die Zeit nach dem Umbau und der Modernisierung der Bauten 1907-09. [3] Lang/Steigmeier 1995, S. 23. [4] Meier/Steigmeier 2008, S. 130. [5] Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss 1996, S. 21. [6] Lang/Steigmeier 1995, S. 5-6; Hoegger 1995, S. 175. [7] Meier/Steigmeier 2008, S. 132 (Bildlegende Abb. 10) [8] Hoegger 1995, S. 175-176; Lang/Steigmeier 1995, S. 6-7; AZ vom 22. Juni 2012, S. 31; Meier/Steigmeier 2008, S. 131. |
Literatur: | - Georg Boner, Die Geschichte der Gemeinde Untersiggenthal, Baden 1983, S. 186-190. - Peter Hoegger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 7, Basel 1995, S. 175-177. - Der Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss im Raum Turgi-Untersiggenthal-Vogelsang (Dokumentation 5), Baden 1996, S. 19-21. - Norbert Lang/Andreas Steigmeier, Fabrikanlage und Kraftwerk Stroppel (Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss, Dokumentation 2), Baden 1995. - Bruno Meier/Andreas Steigmeier, Untersiggenthal. Eine Gemeinde im Umbruch, Untersiggenthal 2008, S. 130-133. - Kraftwerk Stroppel, in: Industriearchäologie 1/1997, S. 2-4. - Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 135. |
Quellen: | - (Lü), Mehr Ökostrom aus dem Wasser der Limmat, in: Aargauer Zeitung vom 14. Juli 1999, S. 13. - Dean Fuss, Neue Turbinen und Abstiegshilfe für die Fische, in: Aargauer Zeitung vom 22. Juni 2012. S. 31. - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938. - Proma Energie AG, Kraftwerk Stroppel, Untersiggenthal, Gesuch Konzessionserweiterung, vom 31. März 1998, Untersiggenthal 1998. |
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URL: | http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=46182 |
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