INV-UNS930 Getreidemühle "Schiffmühle", 1658 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-UNS930
Signatur Archivplan:UNS930
Titel:Getreidemühle "Schiffmühle"
Bezirk:Baden
Gemeinde:Untersiggenthal
Ortsteil / Weiler / Flurname:Schiffmühle
Adresse:Schiffmühlestrasse 30
Versicherungs-Nr.:2
Parzellen-Nr.:2125
Koordinate E:2662240
Koordinate N:1260133
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2662240&y=1260133

Chronologie

Entstehungszeitraum:1658
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:Altes Kraftwerk Schiffmühle (Bauinventarobjekt UNS931A), Magazin/Spedition Schiffmühle (Bauinventarobjekt UNS931B)
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Mühle

Dokumentation

Inschriften:"1658" (gemäss Literatur, Ort nicht präzisiert)
Würdigung:Die ehemalige Getreidemühle "Schiffmühle" ist ein langgestreckte Mauerbau unter steilem Satteldach, der aus der Erbauungszeit um 1658 seine Gesamtform, Teile des Mauerwerks und der Dachkonstruktion, an der östlichen Stirnseite ein Rundbogentor und flussseitig zwei barocke Fenstergewände bewahrt. Ihre Bezeichnung, die ab 1895 auf das unmittelbar daneben entstehende Fabrikareal übertragen wurde, geht auf eine ehemals im Wasser installierte Mühlenanlage des mittleren 16. Jahrhunderts zurück. Um 1910 wurde das inzwischen zu Wohnzwecken und als Werkstatt mit Stall umgenutzte Gebäude umgebaut, wobei ein markanter Fachwerkgiebel auf der Nordseite und eine Reihe kleiner Giebelgauben auf der nach Süden gerichteten Flussseite hinzukamen. Als ältestes vor Ort bestehendes Gebäude hat die "Schiffmühle" die meisten jüngeren Bauzeugen überdauert und bildet heute zusammen mit dem mit dem rechtwinklig dazu stehenden Alten Kraftwerk von 1894 (Bauinventarobjekt UNS931A) ein letztes Relikt, das an die Anfänge des Schiffmühleareals als Gewerbe- und Industriegebiet erinnert.
Bau- und Nutzungsgeschichte:1551 stellten die Siggenthaler vor der Tagsatzung zu Baden den Antrag, in der Limmat eine Schiffmühle errichten zu dürfen. Indem die wenig später gebaute Anlage samt Wasserrädern auf einem mit Tauen festgebundenen Floss untergebracht wurde, war der Mühlenbetrieb bei dieser andernorts noch bis weit ins 19. Jh. verbreiteten Sonderform weniger stark den Schwankungen des Wasserstandes ausgesetzt. Laut einem Urbar von 1600 wurde die Untersiggenthaler Schiffmühle jedoch schon nach einem halben Jahrhundert durch ein Gebäude auf dem angrenzenden Kählacker ersetzt, wobei der Name "Schiffmühle" auf dieses überging [1]. Ob es sich dabei um das heute noch bestehende Gebäude handelt, ist unklar. Gemäss früheren Beobachtungen verweist eine Inschrift im Innern des alten Mühlengebäudes auf das Jahr 1658, diese könnte sich aber auch auf einen Umbau beziehen [2]. Zur Mühle gehörte seit alters her ein Bauernhofbetrieb, der sich noch heute östlich der Anlage befindet. Ausserdem bestand vor Ort ein Fährbetrieb nach Wil bei Turgi (siehe historische Karte Fotodokumentation).
Die Wasserräder befanden sich traufseitig, wo einst ein von der Limmat abgezweigter Kanal längs des Mühlengebäudes floss. 1717 umfasste der Betrieb zwei Mahlhäufen, eine Rölle (Rönnle), Reibe, Stampfe, Säge und Schleife. 1840 richteten die damaligen Eigentümer Dominik, Philipp und Leonz Widmer ein weiteres, früher für eine Gipsmühle verwendetes Wasserrad für einen dritten Mahlhaufen ein.
1854 wurde die Schiffmühle vom Turgemer Fabrikanten Rudolf Bebié gekauft, nach dessen Tod sie an den Schwiegersohn Louis Kappeler-Bebié (1824-94) überging. Dieser stellte den Mühlenbetrieb 1890 infolge rückläufiger Getreideproduktion ein und liess die Schiffmühle stattdessen zu einem kleinen Elektrizitätswerk umbauen, das anfangs noch mit einem grossen Wasserrad Strom erzeugte. 1891 erhielt er von der Regierung die Bewilligung, die Kanalanlage zu erweitern und anstelle des Wasserrades zwei Turbinen einzubauen. Ein rechtwinklig zum alten Mühlengebäude errichtetes Turbinenhaus löste dieses 1894 in seiner Funktion als "Kraftwerk" ab [3]. Mit dem gewonnenen Gleichstrom wurden zunächst die Industriebetriebe von Turgi versorgt, ab 1895 auch die vom Nachfolger, Peter Zai-Kappeler, im Schiffmühleareal gegründete "Gesellschaft für elektrochemische Industrie" und später die Gemeinde Untersiggenthal. Die elektrochemische Fabrik, die im elektrolytischen Verfahren aus Kochsalz verschiedene Chlorprodukte herstellte, wurde 1909 samt dazugehörendem Elektrizitätswerk und ehemaliger Mühle von Zai-Kappelers Schwiegersohn, dem aus Zürich stammenden Chemiker Dr. Hans Landolt-Zai (seit 1897 Direktor der elektrochemischen Fabrik), übernommen [4]. Gemäss Brandkataster von 1898 diente das alte Mühlengebäude nun als Wohnhaus mit Stall und Schlosserwerkstatt. Die Wohnräume dürften sich ursprünglich ausschliesslich im Obergeschoss, über den ehemaligen Mühleneinrichtungen, befunden haben, wobei der westliche Teil möglicherweise erst um 1914 zu einer Wohnung umgebaut wurde. Im frühen 20. Jh., wohl im Kontext der Betriebserweiterungen der elektrochemischen Fabrik, erfuhr das Gebäude mehrere Umbauten. Als wesentlichste Veränderung wurde um 1914 – sicher jedoch vor 1919 (siehe Aquarell von 1919 in der Bilddokumentation) – im Dachgeschoss der östlichen Gebäudehälfte eine dritte Wohnung eingebaut, wobei zur Belichtung flussseitig fünf Giebelgauben (die sechste wohl später) und landseitig ein zweiachsiger Fachwerkgiebel ergänzt wurden [5]. Spätere Erneuerungen und Sanierungen betrafen vor allem das Erdgeschoss mit den Kellerräumen und die ostseitige Obergeschosswohnung. 1973 wurde die Fabrik durch die Chemische Fabrik Uetikon (heute CU Chemie Uetikon AG) übernommen, welche das Elektrolyseverfahren 1987 einstellte. Im selben Jahr erwarben die Aargauischen Elektrizitätswerke AEW zusammen mit dem durch die Basler Architekten Suter & Suter erstellten neuen Kraftwerk von 1960 (Vers.Nr. 411) auch den alten Mühlenbau. 1995 gingen beide Gebäude an die heutige Eigentümerin, die Limmatkraftwerke AG, über [6]. Die Kellerräume werden heute teilweise als Lager und Werkstatt genutzt. In der ehemaligen Müllerwohnung befinden sich Aufenthaltsräume der Limmatwerke AG, während die anderen beiden Wohnungen leer stehen.
Beschreibung:Seit der Zuschüttung des alten Kanals um 1960 steht die "Schiffmühle" etwas zurückversetzt und abgewinkelt zur heutigen Wasserführung. Der langgezogene Baukörper ist unter einem steilen geknickten Satteldach mit ausladenden Walmen geborgen. Nach Süden, zur Limmat hin, ist das Dach in der östlichen Hälfte mit einer Reihe von sechs kleinen Giebelgauben ausgestattet. Auf der Landseite ist unter Querfirst ein zweiachsiges Zwerchhaus mit Fachwerkgiebel ausgebildet. An der östlichen Stirnseite wird das vollständig mit vertikalen Brettern verkleidete Giebelfeld durch einen Fusswalm vom darunter liegenden Mauerwerk geschieden. Unter der Schalung liegt ein noch vorhandenes Fenster verborgen (im Innern sichtbar). Die westliche Stirnfront ist demgegenüber bis unters Dach und mit diesem bündig als Mauer aufgeführt und mit Ausnahme eines Giebellichts fensterlos.
Der verputzte, zweigeschossige Mauerbau ist im östlichen Teil mit einigen Mauerankern stabilisiert. Er gliedert sich in ein hohes, nur leicht eingetieftes Kellergeschoss mit den ehemaligen Mühlenräumen und ein Obergeschoss mit zwei Wohnungen. Das östliche Dachgeschoss mit den Dachaufbauten enthält ebenfalls eine Wohnung, während der westliche Teil nur eine Dachkammer besitzt. Alle Wohnungen werden auf der Nordseite über Hocheingänge erschlossen, bestehend aus hölzernen Treppen und Podesten, die zu den Haustüren am ersten Obergeschoss führen. Am Erdgeschoss hat sich auf der östlichen Stirnseite ein grosses Rundbogentor mit gefastem Hausteingewände erhalten, hinter dem sich ein modernisierter Kellerraum mit Kappendecke befindet. Der daneben liegende Eingang dürfte zum ehemaligen Mühlenraum auf der Flussseite führen, zu dem an der Südfassade auf leicht unterschiedlicher Höhe zwei kleine barocke Rechtecklichter mit gefastem Gewändeprofil gehören. Weitere Lagerräumlichkeiten sind von Norden her zugänglich und mit modernen, gewändelosen Eingängen und Fenstern versehen. Am Obergeschoss des östlichen Gebäudeteils verteilen sich fünf verschieden grosse Rechteckfenster mit teils aus Stein gehauenen, teils in Holz gefertigten Gewänden in unregelmässigen Abständen. In westlicher Richtung setzt sich das Gebäude mit einer streng achsenbetonten Verteilung von vier Fenstern je Geschoss fort. Die nördliche Traufseite zeigt ein stark überprägtes Fassadenbild mit unregelmässig gesetzten Fenster- und Türöffnungen, von welchen nur der westliche Wohnungseingang mit den daneben liegenden Rechtecklichtern sowie ein Fenster am östlichen Teil des Obergeschosses mit Gewänden ausgestattet sind. Eine einheitliche, dunkelrote Farbfassung hebt die aus unterschiedlichen Bauzeiten stammenden Fenster- und Türgewände von der weiss gestrichenen Fassade ab (Ausnahmen an den Stirnseiten).
Am Gebäude lassen sich mehrere Bauetappen ablesen. Die älteste Bausubstanz aus dem 17. Jh. ist am Keller des östlichen Gebäudeteils auszumachen (Rundbogentor und Kellerfenster Mühlenraum). Die Oberkante des Kellergeschosses zeichnet sich sowohl auf der Nord- als auch an der Südfassade am östlichen Ende als Mauervorsprung ab. Die spätklassizistische, achsenbetonte Fassadengestaltung auf der Südseite des westlichen Gebäudeteils lässt auf eine Überprägung oder einen Umbau (zum Beispiel eines ehemaligen Ökonomietrakts) des 19. Jh. oder frühen 20. Jh. schliessen. Alle drei Wohnungen sind mit Eingangstüren aus den 1910er oder 1920er Jahren ausgestattet.
Im Innern sind die Räume sowohl der Obergeschoss- als auch der Dachwohnung im östlichen Gebäudeteil um einen firstparallelen Längsgang herum angeordnet. Die obere Wohnung weist mit Türen und Fussleisten aus dem späten 19. und frühen 20. Jh. durchgehend ältere Bausubstanz auf, in der unteren Wohnung haben sich aus dieser Umbauetappe einzelne Türen samt Rahmen erhalten. Die Wohnung in der westlichen Gebäudehälfte ist um einen kurzen, querverlaufenden Stichgang herum organisiert. Sie zeigt mit Holzböden, Gipsdecken, hohen Fussleisten, Knietäfer, Tapeten und Türen mehrheitlich den Ausbaustand aus der Zeit um 1910. Der Treppeneinbau in der Küche, welcher den Dachboden erschliesst, ist mit demjenigen im Wohnhaus am Oberrütiweg 4/6 (Bauinventarobjekt UNS932E) von 1912 identisch. Teilweise finden sich an den Türblättern wiederverwendete biedermeierliche Beschläge und Schlösser aus dem späten 18. oder frühen 19. Jh. Die westliche Wohnung und das Dachgeschoss bewahren noch ältere Fenster aus der Zeit um 1900 und dem frühen 20. Jh. mit unterschiedlicher Sprosseneinteilung.
Das Dachwerk, das in seiner steilen Form und möglicherweise in Teilen der Konstruktion ins 17. Jh. zurückgehen dürfte, ist über dem gesamten Gebäude aus dünnen Hölzern als Sparrendach errichtet. In der östlichen Gebäudehälfte sind zusätzlich zwei Firstständer eingesetzt, während das Dachwerk in der westlichen Gebäudehälfte zu einer Kehlbalkendachkonstruktion erweitert ist, die von einem liegenden Stuhl und zusätzlichen Streben unterstützt wird.
Anmerkungen:[1] Boner 1983, S. 105-106.
[2] Hoegger 1995, S. 177-179.
[3] Boner 1983, S. 178-179. Meier/Steigmeier 2008, S. 134.
[4] Meier/Steigmeier 2008, S. 134, 136.
[5] Auf dem Aquarell von 1919 sind die östlichen fünf Gauben festgehalten. Vgl. die im Brandkataster verzeichnete Wertsteigerung um 1914: Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938.
[6] Meier/Steigmeier 2008, S. 136.
Literatur:- Georg Boner, Geschichte der Gemeinde Untersiggenthal, Baden 1983, S. 105, 178-179, 191-197.
- Peter Hoegger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 7, Basel 1995, S. 177-179.
- Fabrikanlage und Kraftwerk Schiffmühle, in: Der Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss im Raum Turgi-Untersiggenthal-Vogelsang, Baden 1995, S. 9-11.
- Bruno Meier/Andreas Steigmeier, Untersiggenthal. Eine Gemeinde im Umbruch, Untersiggenthal 2008, S. 134-136 (Abb.).
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938.
 

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