INV-WIN910A Kosthaus 1, 1837 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-WIN910A
Signatur Archivplan:WIN910A
Titel:Kosthaus 1
Bezirk:Brugg
Gemeinde:Windisch
Ortsteil / Weiler / Flurname:Unterwindisch
Adresse:Kanalstrasse 2-10
Versicherungs-Nr.:6, 1918-1920
Parzellen-Nr.:2911, 2920-2922
Koordinate E:2659887
Koordinate N:1259367
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2659887&y=1259367

Chronologie

Entstehungszeitraum:1837
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:WIN910B, WIN910C, WIN910D
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Kosthaus
Epoche / Baustil (Stufe 3):Biedermeier

Dokumentation

Würdigung:Kosthaus der Kunz’schen Spinnerei in Windisch, das 1837 als erster von später insgesamt vier Bauten seines Typus in unmittelbarer Nachbarschaft des Fabrikareals errichtet wurde. Trotz empfindlicher Veränderungen im Zug einer durchgreifenden Modernisierung nach dem Jahr 2000 bewahren die langgestreckten Gebäude in Gliederung und Volumetrie noch wesentliche Elemente ihrer ursprünglichen Erscheinung. In nüchternen spätklassizistisch-biedermeierlichen Architekturformen gehalten und ursprünglich von äusserst einfachem Ausbau, dokumentieren sie ebenso die charakteristische Fabrikarchitektur ihrer Entstehungszeit wie auch die Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft. Zusammen mit den drei jüngeren Bauten (Bauinventarobjekte WIN910B–D) und den umgenutzten Bauten der ehemaligen Spinnerei (Kantonale Denkmalschutzobjekte WIN018-022, Bauinventarobjekte WIN909–914, GEB906–909, 912) ergibt sich ein eindrückliches und einzigartiges Ensemble von hohem industriegeschichtlichem Zeugenwert, dem mit seiner Gruppierung entlang der Reuss zudem ein erheblicher Situationswert zukommt.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Im Jahr 1828 gründete der aus Oetwil im Kanton Zürich stammende Heinrich Kunz in Windisch eine Spinnerei, die zusammen mit den anderen Kunz'schen Fabriken in der Nordostschweiz nach rascher Expansion zeitweise als eines der wichtigsten Unternehmen seiner Art in Europa galt. Die 1829 und 1835 in Betrieb genommenen Windischer Fabrikgebäude (Kantonale Denkmalschutzobjekte WIN018 und WIN019) boten über 400 Personen Arbeit [1]. Fehlender günstiger Wohnraum für die zum grossen Teil von auswärts stammenden Arbeiter bewog Kunz, 1837 ein erstes „Kosthaus“ samt separatem Wasch- und Holzhaus für seine Stammbelegschaft zu errichten. Diese im frühen und mittleren 19. Jh. verbreiteten Arbeiterwohnhäuser boten ihren Bewohnern eine wenngleich sehr bescheidene Unterkunft; sie dienten aber auch dazu, die Belegschaft umso stärker an die Fabrik zu binden und waren hier wie anderswo für ihre schlechten Wohnverhältnisse und auch ihre Überbelegung berüchtigt [2]. Seinen Namen hatte der Bautypus des Kosthauses ursprünglich wohl von Einrichtungen erhalten, die in der Fabrik arbeitende Kinder als „Kostgänger“ beherbergten; die Bezeichnung war zu dem Zeitpunkt aber bereits auf die fabrikeigenen Arbeiterwohnhäuser allgemein übergegangen [3]. Erst mehrere Jahrzehnte später erfolgte ab 1865 der Bau von drei weiteren Kosthäusern in Windisch (Bauinventarobjekte WIN910B-D) und ebensovielen im Gebenstorfer Weiler Reuss (zwei davon erhalten: Bauinventarobjekte GEB907/908).
Der Ausbau des ersten Windischer Kosthauses war denkbar einfach. Die Aborte befanden sich ursprünglich ausserhalb des Hauses, und Wasser musste vom Fabrikkanal geholt werden. „Zu jeder Wohnung gehörte ein Pflanzplatz in der Grösse von ungefähr 100 m2.“ Erst nachträglich erhielten die Wohnungen durch Unterteilung der Küchen eigene Aborte; um 1880 wurden Laufbrunnen aufgestellt. Aus einem Verzeichnis von 1850 ist die Bewohnerschaft des hier beschriebenen Kosthauses bekannt: „In den zehn Wohnungen lebten damals 15 Familien und 10 Einzelpersonen, insgesamt 105 Menschen, von denen mindestens 70 in der Fabrik arbeiteten, alles Fremde. In fünf Wohnungen hausten 12-13 Personen, in den übrigen etwas weniger.“ [4].
Bis zur Einstellung der Produktion auf dem Kunz-Areal in den 1990er Jahren wurde das Gebäude als Arbeiterwohnhaus genutzt und nur geringfügig verändert. Ab dem Jahr 2000 erfuhren die vier Kosthäuser eine durchgreifende Erneuerung, wobei die Raumdisposition durch den Einbau von Eigentumswohnungen grundlegend umgestaltet und das bis dahin als Abstellraum genutzte Dachgeschoss ausgebaut wurde. An den Zugangsseiten kamen langgezogene Carports zu liegen. Das zum hier beschriebenen ersten Kosthaus gehörende Waschhaus wurde durch Umbau zu einem Wohnhaus und Erweiterung stark verändert und ist nicht mehr Teil des Schutzumfangs.
Beschreibung:Das älteste Kosthaus der Spinnerei Windisch liegt unmittelbar hinter dem Fabrikgelände am Reusskanal und bildet den Anfang der insgesamt vier, in gleicher Firstlinie aneinandergereihten Gebäude dieses Typus. Als einziges der Windischer Kosthäuser vertritt dieses erste Gebäude den älteren Reihenhaustypus mit aneinandergereihten, jeweils vertikal organisierten Wohneinheiten, während die übrigen drei (Bauinventarobjekte WIN910B-D) dem später in Gebrauch gekommenen Geschosswohnungstypus entsprechen. Im äusseren Erscheinungsbild handelt es sich aber wie bei den jüngeren Kosthäusern um einen langgestreckten, dreigeschossigen Baukörper, der in den charakteristisch nüchternen, spätklassizistisch-biedermeierlichen Bauformen der damaligen Fabrikarchitektur gehalten ist.
Der verputzte Mauerbau wird von einem mittelsteilen, leicht geknickten Satteldach abgeschlossen. An seiner nordwestlichen Trauffassade, welche die Hauseingänge aufnimmt, ist er mit 16 Fensterachsen besetzt, die jeweils paarweise etwas enger gestellt sind und so die Teilung des Hauses in acht Wohneinheiten nachzeichnen. Die schmalen Fenster werden von einfachen Muschelkalkgewänden gerahmt. Die Hauseingänge der benachbarten Wohnungen liegen entsprechend der inneren Raumaufteilung jeweils spiegelbildlich gegenüber. An der zum Kanal gewandten südwestlichen Traufseite besitzen die Wohneinheiten nur jeweils eine Fensterachse mit etwas breiteren Rechteckfenstern. Jene im Erdgeschoss wurden bei der Renovation zu Balkontüren umgestaltet. Die südwestliche Stirnseite ist mit zwei Achsen von Doppel-, die nordöstliche mit Einzelfenstern versehen. Beide besitzen als charakteristisch biedermeierliches Schmuckmotiv im Dachgeschoss eine lünettenförmige Lüftungsöffnung (Halbrundfenster), die nordöstliche Stirnseite zudem ein dreigeteiltes Fenster in Form einer Serliana (Rundbogenfenster mit zwei flankierenden Rechtecklichtern). Die Jalousieläden sind am ganzen Haus in Metall ersetzt. Seit der Renovation zeigen die Gebäudekanten für diese Architekturepoche unpassende freigelegte Eckquader. Das Dach ist mit einer Wärmedämmung versehen und weitgehend erneuert; die heute angedeuteten Giebelansätze waren ursprünglich nicht vorhanden.
Im Inneren waren die acht Wohneinheiten jeweils spiegelbildlich identisch organisiert (vgl. Grundriss in der Bilddokumentation). Ihre ursprüngliche Raumaufteilung wird von Max Baumann in der Ortsgeschichte von Windisch beschrieben: „Alle besitzen eine eigene Küche, sechs davon drei, die übrigen vier jedoch fünf Wohnräume. Die Haustüren führen in einen unbeleuchteten Gang, von dem aus eine hölzerne Treppe die oberen Geschosse erschliesst. Neben dem Gang liegt die Küche, hinten – mit Sicht auf den Kanal – die Stube, welche die ganze Breite eines Hausteils einnimmt. In den beiden oberen Stockwerken befinden sich analog dazu je zwei Kammern, deren Grösse der Küche bzw. der Stube entspricht. [...] Jede Stube besass einen grünen Kachelofen, welcher von der Küche aus geheizt wurde, wo auch der Holzherd samt Rauchfang und ein Schüttstein mit Ablauf in den Abort, aber ohne fliessendes Wasser, standen. [...] Die Innenwände sind fein verputzt und geweisselt, also ohne Täfer versehen. Decken und Böden bestehen aus einfachen Holzbrettern. Unterkellert sind lediglich die Stuben, die Estriche waren nie ausgebaut und dienten als Gerümpelkammern.“ [5]
Das Hausinnere ist seit dem Umbau zu Eigentumswohnungen mit neuem Grundriss und neuer Ausstattung modernisiert; die ursprüngliche Unterkellerung der hinteren Hauhälfte hat man beibehalten. Erhalten sind Teile des ursprünglichen Dachgerüsts.
Vor der gesamten landseitigen Trauffassade des Hauses steht heute ein langgestreckter Carport, welcher das Erdgeschoss des Hauses verdeckt. Das Waschhaus (nicht Teil des Schutzumfangs) ist nordöstlich in gleicher Firstlinie neben das Kosthaus gestellt. Es handelt sich um einen eingeschossigen verputzter Mauerbau, der von einem geraden Giebeldach abgeschlossen wird. Seit dem Umbau zu einem Wohnhaus zeigt er sich vor allem mit einem Anbau an der Nordostseite stark verändert.
Anmerkungen:[1] Zur Geschichte der Kunz’schen Spinnerei vgl. allg. Baumann 1983, S. 507–594.
[2] Zu den Windischer Kosthäusern wie auch zum Bautypus allg. vgl. Baumann 1983, S. 567–574 u. Dobler 2016a/b; zum Bautypus allg. zudem Steinmann 1980.
[3] Steinmann 1980, S. 48.
[4] Baumann 1983, S. 569–571, Zitat S. 571.
[5] Baumann 1983, S. 571.
Literatur:– Max Baumann, Geschichte von Windisch vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Brugg 1983, S. 507-594 (zur Geschichte der Spinnerei allgemein, darin S. 567-575 zu den Kosthäusern).
– Heiko Dobler, Leben für die Fabrik. Kosthäuser der frühen Industrialisierung im Kanton Aargau, MAS-Arbeit, BFH Burgdorf, 2016 (= Dobler 2016a).
– Heiko Dobler, Leben für die Fabrik. Kosthäuser der frühen Industrialisierung im Kanton Aargau, in: Kunst + Architektur in der Schweiz (k+a), 67. Jg. (2016), H. 2, S. 20-27 (= Dobler 2016b).
– Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. d. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 80.
– Martin Steinmann, Die Kosthäuser. Einleitung zu einer Typologie von Arbeiterhäusern in ländlichen Gebieten der Schweiz, in: Archithese, 10. Jg. (1980), Nr. 5, S. 48-52.
Quellen:– Unbekannter Aargau. Ansichten des 18. und 19. Jahrhunderts aus der Sammlung Laube. Graphische Sammlung im Staatsarchiv des Kantons Aargau, Ausst.kat. Stadtmuseum Aarau / Historisches Museum Baden, Aarau 1994, S. 26 (histor. Vedute).
– Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
 

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