INV-DUR913 Hallwilerstrasse 11, 1897 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-DUR913
Signatur Archivplan:DUR913
Titel:Hallwilerstrasse 11
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Süden (2015)
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Dürrenäsch
Adresse:Hallwilerstrasse 11
Versicherungs-Nr.:111
Parzellen-Nr.:51
Koordinate E:2654304
Koordinate N:1241538
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2654304&y=1241538

Chronologie

Entstehungszeitraum:1897
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:DUR914
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa
Epoche / Baustil (Stufe 3):Historismus

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2016

Dokumentation

Würdigung:Stattliche Historismusvilla von 1897, welche als prestigeträchtiger Wohnsitz für den Seidenfabrikanten Otto Bertschy erstellt wurde. Das intakt erhaltene, harmonisch in die Nahumgebung eingebettete Gebäude zeigt mit seinen malerisch aufgelösten Fassaden und der vielgliedrigen Dachlandschaft ein zeittypisches Erscheinungsbild. Das Hausinnere wurde unter Wahrung der angestammten Raumstruktur und von Teilen der historischen Ausstattung in Stockwerkwohnungen aufgeteilt. Zusammen mit dem gegenüberliegenden "Geschäftshaus" von 1906 (Bauinventarobjekt DUR914) bildet das markante Gebäude eine ortsbildprägende Torsituation am nördlichen Dorfausgang. Als wichtiger Bestandteil des Industrieensembles und als späteres "Auslandschweizer-Home" kommt dem Gebäude auch eine grosse lokal- und regionalgeschichtliche Bedeutung zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Nach lokalgeschichtlichen Angaben soll ein gewisser Karl Bertschi 1852 die Seidenbandweberei in Dürrenäsch eingeführt haben [1]. Als eigentlicher Firmengründer aber gilt Jakob Bertschi-Leutwiler (1838-1890), auch "Seidenbertschi" genannt. Jakob Bertschi war der Sohn eines Dürrenäscher Landwirts, welcher in seiner Jugend in die Westschweiz ausgewandert war und sich dort Kenntnisse der Seidenbandindustrie angeeignet hatte. Nach seiner Rückkehr 1864 übernahm er ein "kleines Bandfabrikationsgeschäft" vermutlich vom erwähnten Karl Bertschi und richtete in einem Bauernhaus im Dorf, dem so genannten "Stammhaus" (Liegenschaft Hallwilerstrasse 14; Vers.-Nr. 121), seine Textilfirma ein. Unter seiner Führung waren in mehr als 40 Bauernhäusern von Dürrenäsch und Umgebung Webstühle im Einsatz. Nach dem frühen Tod von Jakob Bertschi übernahm sein Sohn Otto Bertschy-Hiltbrunner (1870-1938) die Leitung der Firma und baute sie zu einem internationalen Handelsgeschäft aus. Eine Werbepostkarte von 1915 zeigt die Produktions- und Verwaltungsliegenschaften in der Blütezeit des Unternehmens (vgl. Bilddokumentation).
In den 1890er Jahren liess sich Otto Bertschy auf dem Betriebsareal ein standesgemässes Wohnhaus errichten; 1906 sollte auf der gegenüberliegenden Strassenseite das so genannte "Geschäftshaus" folgen (Bauinventarobjekt DUR914). Die angesprochene Fabrikantenvilla ist im Brandkataster 1897 als "Wohnhaus von Stein, Riegel, Holz, mit 5 Kellern mit Eisenbalken" neu eingetragen und mit einer ungewöhnlich hohen Summe von 32'000 Franken versichert [2].
Der Ausstieg aus der mittlerweile unrentabel gewordenen Seidenbandproduktion erfolgte 1950 unter Herbert Bertschy-Ringier (1901-1979), dem Sohn von Otto Bertschy. In der Folge wurden die Gebäulichkeiten in Dürrenäsch Auslandschweizern als Feriendomizil zur Verfügung gestellt. Hierfür beschloss man an der Generalversammlung vom 1. Sept. 1953 die Gründung einer Gesellschaft "zum Betrieb eines Wohlfahrtswerkes und Homes für Auslandschweizer" [3]. Nach gewissen baulichen Anpassungen wurde das "Home" 1956 eröffnet, und schon im ersten Jahr betrug die Zahl der Übernachtungen über 1300. Auslandschweizer, die einen Heimaturlaub planten, waren ebenso willkommen wie junge Menschen, die zur beruflichen Weiterbildung oder zur Absolvierung der Rekrutenschule in die Schweiz reisten. Da die "Homes" nie selbsttragend oder gar gewinnbringend betrieben wurden, waren die Unterkunftspreise sehr tief, was auch minderbemittelten Personen einen Aufenthalt ermöglichte.
Nach dem überraschenden Tod von Herbert Bertschy 1979 entschied sich die Familie zur Schliessung der in der Zwischenzeit nicht mehr so gut frequentierten "Auslandschweizer-Homes". 1982 wurde das ehemalige Fabrikantenwohnhaus nach Plänen des Reinacher Architekten Hans Hauri in drei Stockwerkwohnungen aufgeteilt, unter Beibehaltung der angestammten Raumstruktur und von Teilen der historischen Ausstattung [4].
Beschreibung:Unmittelbar an der Hallwilerstrasse erhebt sich die späthistoristische Fabrikantenvilla in zeittypischer Ausprägung mit malerisch aufgelösten Fassaden und einer vielgliedrigen, lebendigen Dachlandschaft. Die massiven Aussenwände sind im Sockelbereich und im Eckverband mit rustikal beschlagenen Kalksteinen gefasst, die übrigen Mauerflächen sind glatt verputzt. Ostseitig zur Strasse hin bildet ein leicht vorkragender Mittelrisalit mit Zinnengiebel den eigentlichen Blickfang, während ein zweiter Quergiebel mit steilem Krüppelwalm, beschnitztem Fluggespärre und Zierriegel im Giebelfeld nach Süden blickt, bekrönt von einem kleinen Dachhelm. Die südöstliche Hausecke nahm ursprünglich eine offene hölzerne Veranda in der Art des Schweizer Holzstils ein (vgl. Postkartenansicht um 1905). Schon nach wenigen Jahren wurde diese eingewandet und mit gereihten Fensteröffnungen sowie Jugendstilmalereien sorgfältig ausgestaltet. Die rückwärtige, gartenseitige Westfassade nimmt mittig den ebenerdigen Eingang ins Treppenhaus auf, linker Hand schliesst eine offene Veranda an. Ein zusätzlicher Eingang zur Direkterschliessung der Parterreräume befindet sich auf der Nordseite des Hauses. Dieser ist leicht erhöht und über eine einläufige Aussentreppe mit kunstvollem schmiedeisernem Geländer erreichbar. Rundum zeichnet sich das Haus durch ein intaktes Fassadenbild in zeittypisch vielfältiger Gestaltung aus. Die Tür- und Fenstergewände sind aus Sandstein gehauen, letztere weisen profilierte Gesimse, Ohren und teils gotisierende Kehlen auf. Ebenfalls noch aus der Bauzeit stammen die Rollladenkästen und Lambrequins aus getriebenem Blech. Das gekappte Walmdach ist mit kleinen Giebellukarnen und einer Zinne besetzt, die von einem kunstvollen schmiedeisernen Geländer gefasst wird.
Der auf der Nordost- und Südostseite leicht eingezogene Hausgrundriss erschliesst sich auf allen Stockwerken über einen mittigen Stichgang, der in einem rechten Winkel mit dem nordseitigen Treppenhaus verbunden ist. Die heute bestehenden Treppenhausabschlüsse dürften von 1982 stammen, als die Stockwerkwohnungen eingerichtet wurden. Beide Hauptgeschosse wie auch das Dachgeschoss weisen eine identische Raumordnung mit dem Esszimmer samt Veranda in der Südostecke, einer rückwärtig anschliessenden Küche mit wohl nachträglich abgetrennten Badezimmern, zwei strassenseitig neben dem Esszimmer gelegenen Wohn- und Schlafräumen sowie einem weiteren rückwärtigen Zimmer auf. An historischer Ausstattung sind teils naturbelassene, teils hell gestrichene Brusttäfer, gestemmte Türen, Parkettböden sowie schlichteres Krallentäfer im Dachgeschoss erhalten. Das Treppenhaus bewahrt das originale hölzerne Geländer mit Brüstung aus gedrechselten Balustern.
Die ehemalige Fabrikantenvilla ist eingebettet in eine parkartige Umgebung mit Grünflächen, Büschen und teils hohen Bäumen. Im rückwärtigen Teil des länglichen Grundstücks steht ein eingeschossiges abgewinkeltes Nebengebäude, welches früher wohl als Waschhaus, Abstellraum und möglicherweise auch als Bedienstetenwohnung diente.
Anmerkungen:[1] Zur Geschichte der Seidenbandweberei und der Firma Bertschy vgl. Walti 1923, S. 9-11; Hochstrasser 1980, S. 85-88; Sauerländer/Schneiter 2013, S. 115-118; Schwarzenbach 2007.
[2] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0234-0237: Brandkataster Dürrenäsch 1850-1938.
[3] Sauerländer/Schneiter 2033, S. 142-151.
[4] Gemeindearchiv Dürrenäsch, Bauakten.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
Literatur:- Alexis Schwarzenbach, Seidenbänder aus Dürrenäsch, Firmengeschichte der J. Bertschy Jgr. AG 1860-1953, Dürrenäsch 2007.
- Dominik Sauerländer/Stefan Schneiter, Dürrenäsch, Baden 2013.
- Samuel Hochstrasser-Humbel, Dürrenäsch, Menziken 1980.
- Hans Walti, Heimatkunde von Dürrenäsch, 1923.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0234-0237: Brandkataster Dürrenäsch 1850-1938.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=130333
 

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