INV-SSI905 Gasthaus "Löwen", 16. Jh.-17. Jh. (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-SSI905
Signatur Archivplan:SSI905
Titel:Gasthaus "Löwen"
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Norden (2017)
Bezirk:Zurzach
Gemeinde:Schneisingen
Ortsteil / Weiler / Flurname:Mittelschneisingen
Hist. Name Objekt:„Leuehof“
Adresse:Dorfstrasse 39
Versicherungs-Nr.:59
Parzellen-Nr.:661
Koordinate E:2669548
Koordinate N:1263640

Chronologie

Entstehungszeitraum:16th cent. - 17th cent.
Grundlage Datierung:Schätzung

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Gasthaus, Gasthof
Epoche / Baustil (Stufe 3):Spätgotik

Dokumentation

Inschriften:"1551" (Fenstergewände, entdeckt beim Umbau 1984/85)
Würdigung:Aus einem Meierhof des Klosters St. Blasien entstandenes Gasthaus, das in seinem heutigen Bestand vermutlich noch ins 16., allenfalls ins frühe 17. Jahrhundert zurückgeht. Das mächtige spätgotische Gebäude ist teils massiv gemauert, teils aus Fachwerk errichtet und besitzt ein dreiseitiges Walmdach. Es bewahrt an den massiv gemauerten Fassaden gekehlte Fenstergewänden aus Sandstein; das zweite Obergeschoss zeigt bemerkenswertes, altertümlich gekrümmtes Fachwerk. Bei einem durchgreifenden Umbau wurde das Gebäude 1984/85 am Äusseren schonend renoviert und im Inneren stark umgestaltet; gleichzeitig ersetzte man einen ostseitigen Nebentrakt durch einen historisierenden Neubau (nicht Bestandteil des Schutzumfangs). Durch seine Grösse und markante Stellung dominiert der Gasthof den Dorfkern von Mittelschneisingen. Mit dem westlichen Nachbarhaus (Schlössliweg 2, Kantonales Denkmalschutzobjekt SSI005) sowie dem erneuerten Nebentrakt definiert er einen südseitig offenen Hofraum rund um das auf die freie Landschaft ausgerichtete barocke „Schlössli“ (Kantonales Denkmalschutzobjekt SSI001).
Bau- und Nutzungsgeschichte:Der heutige „Löwen“ wie auch das „Schlössli“ (Kantonales Denkmalschutzobjekt SSI003) stehen in der Tradition des alten sanktblasianischen Meierhofkomplexes in Schneisingen, der durch die Urbare von 1357, 1406 und 1490 bezeugt ist [1]. Das Kloster trat im Spätmittelalter als Niedergerichtsherr in Schneisingen auf, vertreten durch den Propst in Klingnau. 1666 verlieh das Kloster die Niedergerichtsherrschaft als Mannlehen an Johann Franz Zwyer von Evibach, den bischöflichen Obervogt in Klingnau. Diesem folgte 1681 Kaspar Ludwig von Schnorff, ein Angehöriger der Badener Oberschicht, der als Hofkanzler des Klosters St. Gallen ein wichtiges Amt bekleidet hatte und damit Untervogt in Schneisingen wurde. Unter ihm erhielt das „Schlössli“ im späten 17. Jh. seine heutige barocke Gestalt und die bedeutende Ausstattung [2].
Wann ein Wirtshaus an dieser Stelle entstand, ist nicht bekannt. Die Erwähnung eines Hospizes im Jahr 1329 wurde schon auf einen Vorgängerbau des „Wysshuses“ an der alten Landstrasse von Baden über die Murzeln und Hüniken Richtung Kaiserstuhl bezogen. Nach derselben Deutung hätte man diese ältere Taverne nach Mittelschneisingen verlegt, als Mitte des 17. Jh. die neue, erstmals in einem Urbar von 1663 erwähnte Route über den Schladwald in Gebrauch kam [3]. Dies scheint allerdings unwahrscheinlich, da sich in den Quellen keine Belege für ein Wirtshaus an der Stelle des „Wysshuses“ finden lassen und bereits im Urbar von 1490 ein Wirtshaus in Mittelschneisingen genannt wird [4]. Auch dürfte das heute bestehende Gebäude nach seinen spätgotischen Bauformen und nach dem altertümlichen Fachwerk im zweiten Obergeschoss noch ins 16. oder zumindest ins frühe 17. Jh. zurückreichen. Bei den Umbauarbeiten soll 1985 an einem Fenstergewände die durchaus plausibel scheinende Jahrzahl 1551 entdeckt worden sein, die sich allerdings nicht mehr nachprüfen lässt [5]. Aus unbekannter Quelle ist die Jahrzahl 1665 überliefert, die ungefähr mit der neuen Strassenroute über den Schladwald korrespondieren würde, als Baujahr aber zu spät scheint [6].
Pfarrer Keller berichtet in seinen Notizen aus der Mitte des 19. Jh. von einer damals wohl bereits seit geraumer Zeit abgegangen Ringmauer, welche das „Schlössli“, respektive dessen Vorgängerbau, und den „Löwen“ umfriedet haben soll [7]. Im ersten verfügbaren Brandkatastereintrag von 1851 wird das Gebäude als „3stökiges Gast- u. Wohnhaus zum Löwen mit Tremkeller von Mauer & Rieg unter Ziegeldach“ beschrieben; im Eintrag von 1876 werden zudem „1 gew[ölbter] & 2 Tremkeller“ erwähnt, die sicherlich auch schon zuvor bestanden hatten. Zur Liegenschaft gehörte ferner eine „Tanzlaube mit Schopf & Fruchtschütte von Mauer unter Ziegeldach“. Eigentümerin beider Bauten war 1851 „die Ehefrau des Franz Joseph Bucher“ [8]. Verschiedene Mitglieder der Familie Bucher waren im Wechsel noch bis 1893 Eigentümer, worauf die Liegenschaft an Levi Bloch und Kilian Guggenheim, 1895 an Wilhelm Widmer und später an zwei weitere Generationen Widmer überging [9].
1984/85 erfolgte, teilweise unter Beizug der Kantonalen Denkmalpflege, eine durchgreifende Umgestaltung, bei der man das Gasthaus am Äusseren renovierte und das Fachwerk des zweiten Obergeschosses freilegte. Das Innere wurde unter Verstärkung der Decken weitgehend neu ausgebaut und die Dachkonstruktion erneuert. Das aus der früheren Tanzlaube und Scheune hervorgegangene Nebengebäude wurde abgebrochen und durch einen historisierenden Neubau ersetzt [10].
Beschreibung:Das spätgotische Gasthaus „Löwen“ („Leuehof“) dominiert mit seinem grossen Volumen wie auch der markanten Stellung den um eine Strassenkreuzung gruppierten Dorfkern von Mittelschneisingen. Zusammen mit dem 1984/85 durch einen Neubau ersetzten Nebentrakt (nicht Bestandteil des Schutzumfangs) und einem bäuerlichen Vielzweckbau (Schlössliweg 2, Kantonales Denkmalschutzobjekt SSI005) definiert das traufständig an die Strasse gesetzte Gebäude einen nach Süden offenen Hof, welcher das auf die Landschaft ausgerichtete barocke „Schlössli“ (Kantonales Denkmalschutzobjekt SSI001) rahmt. Der mächtige dreigeschossige Baukörper, welcher der einstigen Bedeutung des Gasthofs Ausdruck gibt, setzt auf einem talwärts teilweise freiliegenden Kellersockel auf und wird von einem dreiseitigen, geknickten Walmdach abgeschlossen. Das Erdgeschoss, der gesamte talseitige Gebäudetrakt mit der ostseitigen Giebelwand sowie die westliche Stirnseite sind aus verputztem Bruchsteinmauerwerk aufgeführt; dazwischen bestehen die längsseitigen Obergeschossfassaden aus Fachwerk, das bei der Renovation von 1984/85 mit Ausnahme des strassenseitigen ersten Obergeschosses freigelegt wurde. Die Fachwerkwand im zweiten Obergeschoss der Strassenfassade weist bemerkenswerte, altertümlich gekrümmte Streben auf. Die Strassenfassade schmückt ein hübsches biedermeierliches Wirtshausschild.
Die Ostfassade und die massiv gemauerten Teile besitzen eine spätgotische Befensterung mit gekehlten Sandsteingewänden, die einzeln oder in Zweier- sowie in einem Fall als Dreiergruppe angeordnet sind (Gewände wohl teilweise erneuert). An der Nordfassade gewährt ein gefastes Rundbogenportal Zugang von der Strasse. Von ehemals zwei eng benachbarten Rundbogenportalen auf der Südseite wurde beim Umbau von 1984/85 das eine verschlossen und das andere durch einen Windfang verdeckt. Im ostseitigen Giebel besteht eine rundbogige ehemalige Aufzugsöffnung. Vor der westlichen Schmalseite erhebt sich eine mit Pultdach abgeschlossene Laube auf kräftigen Holzpfosten, die der Erschliessung des ersten Obergeschosses dient. Die Brüstungen sind mit dekorativ ausgesägten Brettern aus der Zeit um 1900 versehen. Die südliche Traufseite zeigt jüngeres, geschossweise abgebundenes Fachwerk mit einer axial bezogenen Einzelbefensterung. Das erneuerte Dach wurde nach beiden Seiten mit Lukarnen versehen.
An der Südseite liegt ein eingeschossiger Vorbau von 1984/85 mit der Küche (nicht Bestandteil des Schutzumfangs). Nach Osten schliesst an der Stelle der früheren Scheune und Tanzlaube der deutlich grössere Wohnhausanbau von 1984/85 (nicht Bestandteil des Schutzumfangs) an, der in üppig historisierenden Formen gehalten ist und mit einem torartigem Verbindungstrakt an das Gasthaus anschliesst.
Das Innere des Gasthofs ist unter teilweiser Beibehaltung der alten, aus Eichenholz gezimmerten Fachwerkwände vollständig modernisiert, wobei die Decken mit Stahlkonstruktionen verstärkt und die Dachkonstruktion erneuert wurde (Inneres gemäss Kurzinventar 1996). Unter dem östlichen Gebäudeteil erstreckt sich quer zur Firstrichtung ein geräumiger Gewölbekeller. Dessen Aussenzugang an der Ostseite wurde beim Umbau 1984/85 mit einer Inschrift versehen, die auf die Ersterwähnung eines Gasthofs in Schneisingen verweist.
Anmerkungen:[1] Herrschaftsverhältnisse und nach Brian Scherer / Meier / Steigmeier 2003, S. 15-27; zum Meierhof ebd., S. 29-31 sowie Meier / Sauerländer 2003, S. 213f.
[2] Schnorff liess das „Schlössli“ mit Stukkaturen von Francesco Antonio Giorgioli sowie Malereien von Giovanni Bettini kunstvoll ausstatten. Zum Gebäude und zu Schnorff vgl. Brian Scherer / Meier / Steigmeier 2003, S. 75-86.
[3] Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz IVS, AG 37.3 (Unterehrendingen-Hüniken-Siglistorf-Kaiserstuhl, 1996).
[4] Brian Scherer / Meier / Steigmeier 2003, S. 33.
[5] Kurzinventar 1993 sowie Schwitter 2013, S. 165, nach einem Zeitungsartikel von 1985.
[6] Materialien Bauernhausforschung (1967) nach Angaben des damaligen Eigentümers. [2]
[7] Pirovano 1987, S. 19.
[8] Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0747-0749, Brandkataster Gemeinde Schneisingen, 1851-1938.
[9] Ebd. Es werden genannt: 1876 Franz Josef, Cölestin und Gottfried Bucher; 1883 Cölestin Bucher; 1892 August und Wilhelm Bucher; 1893 Levi Bloch und Kilian Guggenheim; 1895 Wilhelm Widmer; 1914 Widmer Bernhard, August & Eugen; 1935 Widmer-Graf Agnes, Augusts Witwe und Widmer August, Augusts.
[10] Architekt Rolf Schurgast, Schneisingen. Umbaupläne und Baugesuche im Baugesuchsarchiv; Akten im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
- Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz IVS, AG 37.4 (1996), nationale Bedeutung, Wegbegleiter.
Literatur:- Herbert Schwitter, „Heiliger Antonius, bitte für uns!“ Die Kapelle St. Antonius in Schneisingen, in: Beiträge zur Geschichte des Bezirks Zurzach, 7, 2013, S. 159-184, hier S. 165.
- Sarah Brian Scherer / Bruno Meier / Andreas Steigmeier, Schneisingen – von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart, Baden 2003, S. 29-31, 33.
- Bruno Meier / Dominik Sauerländer, Das Surbtal im Spätmittelalter. Kulturlandschaft und Gesellschaft einer ländlichen Region (1250-1550), Aarau 1995, S. 213f.
- Vincenzo Pirovano-Thalmann, Pfarreigeschichte von Schneisingen/Siglistorf, [Schneisingen 1987], S. 19, 184-186.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0747-0749, Brandkataster Gemeinde Schneisingen, 1851-1938.
- Gemeinde Schneisingen, Baugesuchsarchiv: Umbau 1984/85.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Denkmalschutzakten.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau: Bauernhausforschung Aargau, Materialien, Bestandesaufnahmen 1967, Mappe 174 b1/2.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau: Bauernhausforschung Aargau, Kurzinventar, Schneisingen XI-18/20.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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