INV-LEN959 Kino "Urban", 1946-1947 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-LEN959
Signatur Archivplan:LEN959
Titel:Kino "Urban"
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Südosten (2017)
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Lenzburg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Bleicherain
Adresse:Bleicherain 8
Versicherungs-Nr.:1458
Parzellen-Nr.:1943
Koordinate E:2655635
Koordinate N:1248678

Chronologie

Entstehungszeitraum:1946 - 1947
Grundlage Datierung:Baugesuch

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Öffentliche Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Kino
Epoche / Baustil (Stufe 3):Konservative Moderne

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2017

Dokumentation

Autorschaft:Richard Hächler (1897-1966), Architekt, Lenzburg
Inschriften:"Kino Urban" (Balkon Strassenfront)
Würdigung:In gepflegten Heimatstilformen der 1940er Jahre gehaltenes Kino, das 1946/47 nach Plänen des bekannten Lenzburger Architekten Richard Hächler für Kinobetreiber Robert Baumann errichtet wurde. Das Gebäude, das durch seine sorgfältige Gestaltung wie auch Detailausführung auffällt, hat sich, wie es bei Kinobauten ausgesprochen selten der Fall ist, mit Ausnahme der Saalbestuhlung weitgehend im bauzeitlichen Zustand erhalten. Auch vertritt es den eher seltenen Fall eines einheitlichen Kinoneubaus in traditionalistischen Architekturformen der 1940er Jahre, womit ihm ein erheblicher bautypologischer und architekturgeschichtlicher Zeugenwert zukommt. Mit seiner auffallenden Grösse steht der Bau für die Blütezeit des Films in der Unterhaltungskultur des mittleren 20. Jahrhunderts, womit im auch im lokalgeschichtlichen Kontext Bedeutung zukommt. In exponierter Lage am Hangfuss unterhalb des Bezirksschulhauses (Bauinventarobjekt LEN918) gelegen, entfaltet das Gebäude zudem eine erhebliche Wirkung im Stadtbild des Bleicherains.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Das Kino ist ein Werk Richard Hächlers, der seit den 1920er Jahren vor allem in Lenzburg zahlreiche Bauten errichtet hatte und als bedeutendster Lenzburger Architekt seiner Zeit gelten kann [1]. Es wurde 1946/47 für Kinobetreiber Robert Baumann errichtet und ersetzte ein volumetrisch ähnlich gestaltetes barockes Ökonomiegebäude (vgl. Bilddokumentation), das ursprünglich zum Müllerhaus (Kantonales Denkmalschutz LEN025) gehörte [2]. Die Fassadengestaltung wie auch die Erschliessung wurden noch vor der Ausführung in einer zweiten Baueingabe modifiziert. Diese umfasste zudem ein hangaufwärts zum Bezirksschulhaus hin anschliessendes Wohnhaus, auf dessen Realisierung man wegen der Lärmbelastung des Bauplatzes schliesslich aber verzichtete [3]. Wohl ursprünglich ist auch der zeittypische Kinoname „Urban“ [4]. Eine Skurrilität bildet ein alter Gewölbekeller auf dem Grundstück, der beim Bau des Gebäudes wegen eines bestehenden Nutzungsrechts erhalten und zugänglich bleiben musste [5].
Um 1970/80 wurde die Bestuhlung des Saals ersetzt. Im übrigen hat das Gebäude keine grösseren baulichen Eingriffe erfahren.
Beschreibung:Das Kino erhebt sich als freistehendes Gebäude unterhalb des Bezirksschulhauses (Bauinventarobjekt LEN918) am Hangfuss des Bleicherains und ist in gepflegten Heimatstilformen der 1940er Jahren gehalten. Typologisch stellt es damit einen bei städtischen und kleinstädtischen Kinos eher seltenen Fall dar, wurden diese doch häufiger entweder in bestehende Gebäude integriert oder mit anderen Nutzungen kombiniert [6]. In Bezug auf die Architekturformen steht das Gebäude für das spätere Schaffen Hächlers, der in den 1920er Jahren zu den frühen Vertretern des Neuen Bauens gehört hatte; im Lauf der 1930er Jahre wandte er sich einem Heimatstil, der hier insbesondere stark an Bauten der sogenannten Stuttgarter Schule um Paul Schmitthenner erinnert [7].
Der streng kubische gestaltete, mit seiner Längsrichtung parallel zum Hang gestellte Baukörper wird von einem markanten, mittelsteilen Vollwalmdach mit hochliegendem Knick abgeschlossen. Entsprechend der inneren funktionalen Gliederung, die hier im Unterschied zu vielen anderen Kinobauten am Äusseren nur zurückhaltend nachgezeichnet wird, liegt die Eingangsfassade schmalseitig im Rücken des Saals. Als repräsentative Strassenfront zum Bleicherain gestaltet, ist sie streng axialsymmetrisch angelegt und im Sinn eines klassischen Fassadenaufrisses in drei Geschosse gegliedert. Ebenerdig liegt in der Mittelachse der stichbogige Eingang, der von einem Kunststeingewände mit wuchtiger Hohlkehle und scharrierter Randleiste gerahmt wird, zu beiden Seiten flankiert von den Leuchtkästen für die Filmplakate. Den eigentlichen Blickfang bildet das Obergeschoss, das in strenger Achsenteilung mit fünf ausgesprochen schlanken, hochrechteckigen Fenstertüren und einem annähernd gebäudebreiten Balkon vor dem Pausenfoyer besetzt ist. Diesen antworten knapp unterhalb der Dachuntersicht fünf Fensteröffnungen, die in der Art klassizistischer Mezzaninfenster quadratisch gestaltet sind. Der Balkon trägt am Geländer den wohl bauzeitlichen, auf den Baueingabeplänen des Architekten allerdings noch nicht eingezeichneten Neonschriftzug „Cinema Urban“ in zeittypischen, handschriftartig-schwungvollen Lettern. Die sorgfältige Detailgestaltung der Fassade ist vollständig im bauzeitlichen Zustand erhalten. Die Fenstertüren des Obergeschosses und die aus goldeloxiertem Aluminium gefertigte, zweiflüglige Eingangstür zeigen eine zeittypische, stark hochrechteckige Sprossenteilung; die seitlichen Leuchtkästen sind innerhalb von scharrierten Kunststeingewänden ebenfalls mit goldeloxierten Aluminiumprofilen gerahmt. Die Fassaden zeigen einen eher feinkörnigen Besenwurf.
Die übrigen Fassaden sind, der Funktion eines Kinos entsprechend, weitgehend ungegliedert. In ungewöhnlicher Weise sind aber selbst die beiden Seitenfassaden mit jeweils vier schlanken hochrechteckigen Fenstern besetzt. Gänzlich fensterlos ist nur die nördliche Stirnseite im Rücken der Leinwand. Einen zeittypischen Akzent bildet im Bereich des Foyers ein grosses Blumenfenster an der zum Aabach und damit zur Stadt gewandten Ostfassade. An der Westfassade springt entlang der Strasse ein satteldachgedeckter, sehr kurzer Quertrakt vor, welcher das Treppenhaus des Kinos enthält, in der volumetrischen Gliederung aber bereits als Anfang des hangseitig geplanten Wohnhauses gedacht war. Er ist zum Bleicherain hin mit drei auffälligen, bullaugenartigen Okuli (Rundfenstern) mit diagonaler Vergitterung versehen.
Im Inneren schliesst in einer für Kinos ebenso naheliegenden wie verbreiteten Disposition unmittelbar an den Eingang das Foyer mit Kassenhäuschen und Garderobe an, unmittelbar hinter diesem der Kinosaal. Über das seitlich angeordnete Treppenhaus erfolgt der Aufstieg in das Obergeschoss mit grosszügigem Pausenfoyer und Zugang zum Balkon. Zuoberst liegt strassenseitig über dem Pausenfoyer die Projektionskabine. Garderoben sind axialsymmetrisch beidseits des Eingangs sowie unter dem ansteigenden Saalboden im Pausenfoyer angeordnet. Die Räume samt ihrer Oberflächen sind weitgehend im bauzeitlichen Zustand erhalten. Das Foyer besitzt eine Gipsdecke, die mit rautenförmigen Stuckleisten verziert ist und über Hohlkehlen zu den Wandflächen vermittelt. Den Bodenbelag bilden dazu passend diagonal verlegte, im Farbwechsel durch rautenförmige Bänder akzentuierte, marmorierte Zementplatten mit grauem und gelbem Grundton. Eine Rarität stellt heute das Kassenhäuschen dar, das genau in der Achse gegenüber dem Eingang angeordnet ist. Es ist als hölzerner Kabine mit gerundeten Ecken und aufwendigen, ebenfalls gerundeten Glasscheiben gestaltet und wird von einer Uhr bekrönt. Eine Reihe von schalenförmigen Leuchten aus Messing, die mit langen Stäben von der Decke abgehängt sind, sorgen für eine indirekte Beleuchtung des Raums. Die Garderoben besitzen noch die sorgfältig gestalteten bauzeitlichen Kleiderständer.
Der grossvolumige Saal fasste ursprünglich 302 Plätze im Parterre und 100 auf dem Balkon; mit der bestehenden, etwas grosszügigeren Bestuhlung aus der Zeit um 1970/80 wurde die Platzzahl leicht reduziert. Saalwände, -boden und -decke sind gekrümmt, wie sich dies im Kinobau seit den 1930er Jahren vor allem aus akustischen Gründen etabliert hatte [8]. Die Decke greift seitlich mit einer Hohlkehle über die Wandscheiben aus und wird hier von einer indirekten Beleuchtung erhellt. Die Leinwand ist in der Art einer hier allerdings nie vorhandenen Bühnennische von einer gerundeten, profilierten Umrahmung eingefasst. Ungewöhnlich erscheinen auch aus der Perspektive des Saals die Fenster in den Seitenwänden, die innen von Verdunkelungsstoren verschlossen sind. Beide Seitenwände besitzen je zwei ebenerdige (Not-)Ausgänge. Unter dem Saal liegt der beim Bau erhaltene alte Gewölbekeller, der über einen eigenen Aussenzugang zugänglich ist.
Anmerkungen:[1] Zu Richard Hächler (1897-1966) vgl. Schweizerische Bauzeitung, 84. Jg. (1966), S. 375f. (Nekrolog); Isabelle Rucki / Dorothee Huber (Hrsg.), Architektenlexikon der Schweiz, 19./20. Jahrhundert, Basel 1998, S. 245; Michael Hanak, Architekturgeschichtliches Inventar Industrieareal Hero, Lenzburg, im Auftrag des Stadtbauamtes Lenzburg, 2009 (Stadtbauamt Lenzburg), S. 27.
[2] Pläne im Baugesuchsarchiv; zum 1947 abgebrochenen Ökonomiegebäude vgl. Michael Stettler / Emil Maurer, Die Bezirke Lenzburg und Brugg (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. II), Basel 1953, S. 96.
[3] Freundl. Hinweise des Eigentümers (2017).
[4] Zu Kinonamen vgl. Christoph Bignens, Kinos. Architektur als Marketing. Kino als massenkulturelle Institution. Themen der Kinoarchitektur. Zürcher Kinos 1900-1963, Diss. Universität Zürich, 1988, S. 31-35.
[5] Schreiben von Architekt Richard Hächler an den Gemeinderat, 19.4.1948, im Baugesuchsarchiv.
[6] Vgl. etwa Bignens 1988, S. 21.
[7] Vgl. zu dieser Entwicklung im Werk Richard Hächlers etwa seine dem Neuen Bauen zuzuordnenden frühen Werke wie insbesondere das Fabrikgebäude Wisa-Gloria (Bauinventarobjekt LEN928), von den späteren Bauten neben dem hier beschriebenen Kino das parallel dazu entstandene eigene Wohnhaus samt umgebautem Rebhäuschen (Bauinventarobjekte LEN946, 956).
[8] Vgl. Bignens 1988, S. 51f.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Literatur:- Liebes altes Lenzburg, Fotos von anno dazumal, hrsg. von der Ortsbürger-Kommission Lenzburg und der Stiftung Pro Museum Burghalde Lenzburg, Lenzburg 1986, S. 90 (histor. Aufnahme Vorgängerbau).
Quellen:- Stadt Lenzburg, Baugesuchsarchiv: Baupläne 1946/47.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv (Vorgängerbau).
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=132665
 

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