INV-ROT930 Gasthaus "Rössli", 1770 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-ROT930
Signatur Archivplan:ROT930
Titel:Gasthaus "Rössli"
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Nordwesten (2003)
Bezirk:Zofingen
Gemeinde:Rothrist
Ortsteil / Weiler / Flurname:Rothrist
Adresse:Bernstrasse 53
Versicherungs-Nr.:83
Parzellen-Nr.:929
Koordinate E:2634875
Koordinate N:1239472

Chronologie

Entstehungszeitraum:1770
Grundlage Datierung:Inschrift (Büge Giebelründe)

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Gasthaus, Gasthof
Epoche / Baustil (Stufe 3):Barock

Dokumentation

Inschriften:"HIEG 17", "AMEG 70" (Büge Giebelründe)
Würdigung:1770 für Wirt Jakob Egger und seine Ehefrau erbautes spätbarockes Wirtshaus, dessen Entstehung im Zusammenhang mit dem Bau der neuen Bern- resp. Aargauerstrasse steht. Der stattliche zweigeschossige Mauerbau, der unter einem Gehrschilddach mit Fachwerkgiebeln und Berner Ründe liegt, hat sich im Wirtshausteil im wesentlichen in seinen Grundformen erhalten. Angefügt ist ein intakt erhaltener Tanz- und Theatersaal in Jugendstilformen von 1908, der als Vertreter dieser einst im ländlichen Raum verbreiteten, aber zunehmend selteneren Baugattung heute eine ausgesprochene Rarität bildet. Als Gasthaus an der wichtigen Bern-Zürich-Strasse, die um 1770 anstelle der älteren Route über die Rishalden und Aarburg neu über Rothrist und die Kreuzstrasse bei Oftringen trassiert wurde, kommt dem Gebäude ebenso wie der nahen Pfaffnernbrücke (Bauinventarobjekt ROT938) grosser verkehrsgeschichtlicher Zeugenwert zu. In seiner prominenten Lage im Zentrum des alten Weilers Rothrist entfaltet es zudem eine erhebliche ortsbauliche Wirkung.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Der Bau des Gasthauses „zum Rössli“ ist eng verknüpft mit dem Neubau der Bernstrasse oder „dritten Aargauerstrasse“ zwischen 1750 und etwa 1770 [1]. Nachdem die Strasse 1764 an der Murg bei Murgenthal die Westgrenze des damaligem Amts Aarburg erreicht hatte, stellte sich die Frage nach der weiter ostwärts einzuschlagenden Route. 1764 plädierte der bernische Strasseninspektor Anton Renner für die bisherige Route vom Dietiwart über die Rishalden nach Aarburg, um von dort weiter über Oftringen und den Strigel in Richtung Zürich und Baden zu führen, was Renner 1766 mit einem Gutachten untermauerte. In gleichem Sinn äusserte sich auch der Aarburger Landvogt Anton Ludwig Effinger. Die bernische Munizipalstadt Zofingen hatte allerdings ebenfalls Interesse, die neue Strasse möglichst nahe an ihrem Gebiet vorbeizuführen. Sie bot dem Berner Grossen Rat an, sich mit 8000 Pfund an den Strassenbauten und mit 2000 Pfund an den Brücken zu beteiligen, wenn die neue Strasse über Rothrist geführt würde; bis dahin existierte nur eine wenig ausgebaute Verbindung von Zofingen über die Wiggerbrücke bei Aesch, Säget und Fleckenhausen Richtung Bern. Der Wirt Jakob Egger in Rothrist bot ebenfalls 600 Pfund an. Schliesslich entschied der Grosse Rat 5. Mai 1766 zugunsten der Route über Rothrist, womit auf damals noch freiem Feld auch die „Kreuzstrasse“ bei Oftringen als zwischenzeitlich wichtigste Strassenkreuzung der Schweiz entstand. Ein Grund dürfte neben dem Drängen der Stadt Zofingen und der etwas direkteren Verbindung auch im Wunsch gelegene haben, die Route soweit als möglich über bernisches Territorium zu führen und die solothurnische Jurasüdfussroute grossräumig zu umgehen. Noch 1766 wurden die Bauarbeiten aufgenommen.
Das Wirtepaar Egger liess ihr Wirtshaus im Rothrist 1770 unmittelbar an der Strasse neu errichten, was mit dem Baudatum 1770 und den Initialen „HIEG“ für Hans (?) Jakob Egger an der Dachkonstruktion bezeugt ist; die Initialen „AMEG“ am gegenüberliegenden Bug dürften auf Eggers Ehefrau verweisen. Gleichzeitig profitierte Egger auch als Fuhrmann für die Steintransporte zum Bau der neuen Wiggerbrücke vom Strassenbau. Wie auf einem Aquarell von 1802 ersichtlich ist, schloss an das Gasthaus ursprünglich eine niedrigere, vielleicht ältere Scheune an, die wohl auch zum Einstellen der Pferde diente [2]. Franz Xaver Bronner nannte Rothrist in seiner Beschreibung des Kantons Aargau 1844 einen „Weiler an der Hauptstrasse von Bern nach Zürich, dessen Wirthshaus die Fuhrleute lieben“ [3].
Im ersten verfügbaren Brandkataster von 1875 wird das Gebäude als „Gasthaus ‚z. Rössli‘ v. Stein, Rieg u. Holz, mit 2 gew[ölbten] Kellern“ beschrieben; dazu gehörte eine „Scheune mit Bierbrauerei, Tanz- und Trinksaal v. Stein, Rieg u. Holz“, die offenbar im Lauf des 19. Jh. aus der ursprünglichen Scheune entstanden war und eine separat aufgeführte Brauereieinrichtung umfasste [4]. Eigentümer war Joh. Grossenbacher, Rössliwirth, dem in den folgenden Jahrzehnten eine ganze Reihe weiterer Wirte folgte: 1887 Samuel Lüdi, 1890 Gottfried Lüdi, Sohn, 1891 Katharina Lüdi, 1894 Jakob Bertschi, 1898 G. Wacker, 1904 Siegrist Wächter A., Buchhalter, 1906 Iseli Friedr., Käser, 1914 Blum-Loosli Ad., Gipser, 1916 Gebr. Senn z. Klosterbräu Zofingen. 1877 ist eine Verbesserung des Wirtshauses verzeichnet; 1898 wurde die Scheune mit dem Wirtshaus vereinigt und verbessert. Der teilweise Neubau dieses Gebäudetrakts samt neuem Tanzsaal ist gemäss einer massiven Steigerung des Versicherungswerts wohl in das Jahr 1908 zu datieren, was auch mit den Jugendstilformen des Saals korrespondiert. Wohl kurz nach 1900 entstand nach den Bauformen ein strassenseitiger, eingeschossiger Flachdachvorbau. Um 1940/50 wurde die Wirtsstube in zeittypischen Heimatstilformen neu ausgestattet, was sich auch in einer neuen Befensterung an der Stirnseite und einem Eingangsvorbau niederschlug. 1999 erfolgte eine Gesamtrenovation, wobei man das Wirtshaus samt Tanzsaal unter neuer Betreibergesellschaft aussen wie innen sanft auffrischte [5].
Beschreibung:Das Gasthaus „zum Rössli“ steht in prominenter Lage südlich längs zur Bernstrasse im alten Kern des Weilers Rothrist, welcher der Gemeinde seit 1890 ihren Namen gibt. Unmittelbar vor dem Haus kreuzt sich am heutigen „Rössliplatz“ die Bernstrasse mit den zwei lokalen Strassenverbindungen nach Vordemwald und in die Rieshalden. Es handelt sich um einen breitgelagerten, spätbarocken Mauerbau, der unter einem mächtigen Gehrschilddach mit hochliegendem Knick und Berner Ründegiebel liegt. Unter durchlaufendem First schliesst daran ein Tanzsaal von 1908 an. Der zweigeschossige, verputzte Baukörper ist an der zur Bernstrasse gewandten nördlichen Traufseite mit sieben, stirnseitig mit drei Achsen von Einzelfenstern besetzt, die im Erdgeschoss gefalzte rechteckige Steingewände, im Obergeschoss Holzeinfassungen mit wulstig profilierten Simsen aufweisen. Das Giebelfeld ist in Sichtfachwerk ausgeführt. Der weit vorkragende Ründegiebel stützt sich auf zwei zierbeschnitzte Büge, von denen der nördliche die Initialen „HIEG“ und die erste Hälfte der Jahrzahl 1770, der südliche deren zweite Hälfte sowie die Initialen „AMEG“ zeigt. Ursprünglich lag der Eingang strassenseitig in der dem damaligen Ökonomieteil benachbarten Achse. Heute ist auf dieser Seite ein eingeschossiger Flachdachvorbau aus dem frühen 20. Jh. angefügt. Der Zugang erfolgt über einen Eingangsvorbau, der wohl um 1940/50 ebenso wie die stirnseitige Befensterung im Erdgeschoss zusammen mit dem Umbau der Wirtsstube in Heimatstilformen entstand.
Der östlich an das alte Wirtshaus anschliessende Tanz- und Theatersaal stammt von 1908 und ersetzte eine frühere, ebenfalls zu einem Saal umgebaute Scheune. Er ist an beiden Längsseiten mit drei grossformatigen, hochliegenden Stichbogenfenstern belichtet, die in eine aufwendige Pilastergliederung in Jugendstilformen eingebunden sind. Wiederum westlich schliesst daran der unbefensterte Bühnentrakt an. An der rückwärtigen, südlichen Längsseite sind Vorbauten für die Küche an das Haus gefügt.
Das Erdgeschoss des Wirthauses wurde mit dem Umbau um 1940/50 vollständig neu eingerichtet. Es präsentiert sich heute samt dem Säli im strassenseitigen Vorbau in durchaus gepflegten, „rustikal“ gestimmten Heimatstilformen, wie sie damals gerade für Wirtsstuben beliebt waren. Der Tanz- und Theatersaal, der über einen Durchgang von der Wirtsstube her oder über einen direkten Eingang in der Nordfassade betreten wird, hat sich in seltener Vollständigkeit mitsamt seiner Jugendstilausstattung intakt erhalten. Der hohe Saal, der in der Höhe den beiden Vollgeschossen des Wirtshauses entspricht, wird von einem etwas mehr als mannshohen, holzsichtigen Hartholztäfer mit geschwungenen Füllungen umfasst; darüber sind die Wände heute hell gestrichen, wobei ein wohl an die ursprüngliche Situation angelehnter, schablonierter Palmettenfries die Basis bildet. Die korbbogige Bühnenöffnung wird von zwei Pilastern gerahmt. Die weit gespannte Täferdecke ist quadratisch kassettiert, der Boden mit einem Fischgratprakett wohl von der Renovation belegt. (Obergeschosse nicht gesehen.)
Anmerkungen:[1] Strassenbau nach Heitz 1991, S. 34-40; Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS), AG 10.2 (1992), AG 10.2.6 (1992).
[2] Emanuel II. Jenner (1755-1813): „Im Rotherisch bey Arburg 1802“, Aquarell, in: Unbekannter Aargau 1994, S. 75 (vgl. Bilddokumentation).
[3] Bronner 1844, S. 376.
[4] Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0647-0649, Brandkataster Gemeinde Rothrist, 1875-1938.
[5] AZ, 27.3.1998, 25.1.1999, 17.8.1999, 14.10.1999.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
- Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS), AG 10.2.6 (1992), nationale Bedeutung, Wegbegleiter.
Literatur:- Markus Widmer-Dean, Rothrist im Lauf der Zeit, Rothrist 2012, S. 160f., 246 (histor. Ansicht).
- Aargauer Zeitung (AZ), 27.3.1998, 25.1.1999, 17.8.1999.
- Unbekannter Aargau. Ansichten des 18. und 19. Jahrhunderts aus der Sammlung Laube, Ausst.Kat. Aarau/Baden, Aarau 1994, S. 75 (histor. Ansicht).
- Fritz Heitz, Von Strassen und Brücken in und um Aarburg, Aarburg 1991, S. 34-40.
- R[olf] Hofer, Rothrist in alten Ansichten, Zaltbommel (NL), 2. Auflage, 1981, Abb. 6 (histor. Ansicht).
- Franz Xaver Bronner, Der Kanton Aargau, historisch, geographisch, statistisch geschildert, Bd. 2, St. Gallen / Bern 1844, S. 376.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0647-0649, Brandkataster Gemeinde Rothrist, 1875-1938.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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