INV-SAF912 Villa Lindenrain, 1914 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-SAF912
Signatur Archivplan:SAF912
Titel:Villa Lindenrain
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Nordwesten (2022)
Bezirk:Zofingen
Gemeinde:Safenwil
Adresse:Lindenrain 6
Versicherungs-Nr.:270
Parzellen-Nr.:948
Koordinate E:2641557
Koordinate N:1241110

Chronologie

Entstehungszeitraum:1914
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:Ökonomiegebäude (SAF925)
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa

Dokumentation

Autorschaft:Ernst Hüssy, Architekt; Adolf Vivell, Gartenarchitekt (1878-1959)
Würdigung:Für Fritz Hochuli (1860-1934), den Gründer des Textilunternehmens HoCoSa (Hochuli & Co. Safenwil, vgl. Bauinventarobjekte SAF913 und SAF924), in einer neobarocken Spielart des Heimatstils errichtete Fabrikantenvilla aus dem Jahr 1914. Das landschaftlich reizvoll am Hang gelegene, weithin sichtbar über dem Dorf thronende Anwesen, zu dem auch ein stattlicher Ökonomiebau (Bauinventarobjekt SAF925) gehört, ist von einem gepflegten Park des bekannten Gartenarchitekten Adolf Vivell (1878-1959) umgeben. Es bildet zusammen mit einer benachbarten Villa der Familie Hochuli (Bauinventarobjekt SAF926) eine ausgesprochen herrschaftliche Baugruppe. Der elegant proportionierte Mauerbau unter steil aufragendem Walmdach ist mit aufwendigem Fassadenschmuck aus Sandstein instrumentiert. Das Innere birgt eine qualitätvolle Ausstattung, die sich in nahezu bauzeitlicher Vollständigkeit erhalten hat. Aufgrund der industriegeschichtlichen Bedeutung, des Situationswertes und der hochwertigen, gut erhaltenen Bausubstanz stellt die Villa Lindenrain ein herausragendes Baudenkmal dar.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die Villa Lindenrain ist ein eindrückliches Zeugnis der einst blühenden Schweizer Textilindustrie, die mit der Weberei und Färberei Hüssy & Co. und der Strickerei Hochuli & Co. zwei grosse Unternehmen in Safenwil besass. Während erstere ihren Anfang 1816 im Webkeller des Bauwollwebers Johann Rudolf Hüssy (1789-1857, vgl. Bauinventarobjekt SAF901) nahm, produzierte die 1897 eröffnete HoCoSa von Anfang an maschinell. Gegründet wurde sie von Fritz Hochuli (1860-1934), der in Safenwil aufgewachsen und anfangs wie sein Vater Lehrer war. Schon als junger Mann gab er seinen Beruf wieder auf und ging ins Ausland, um Erfahrungen zu sammeln. Nach zehn Jahren, die er in Paris und London verbrachte, kehrte er in die Schweiz zurück und arbeitete zunächst in der Strickerei His & Co. in Murgenthal sowie in Strickereibetrieben in Montbéliard und Winterthur. 1897 wagte er den Schritt in die Selbständigkeit und gründete in Safenwil ein eigenes Unternehmen zur maschinellen Herstellung gestrickter Kinder- und Damenunterwäsche [1]. Daneben gab es bis 1935 den Zweig der Handhäkelei, der Heimarbeiterinnen in der Schweiz und in Frankreich beschäftigte. Dank des sich gut entwickelnden Geschäfts besass Hochuli für seine Feinstrickwaren schon bald einen internationalen Kundenkreis, zu dem England und dessen Kolonien als Hauptabnehmer zählten [2]. Der 1917 aus Amerika zurückgekehrte und in den väterlichen Betrieb eingetretene Sohn Max Hochuli brachte für das Geschäft wohl neue Impulse. Um den Betrieb ausbauen zu können, beauftragte man Architekt Heinrich Meili-Wapf (1860-1927) und dessen Sohn, Architekt Armin Meili (1892-1981) mit der Projektierung eines grösseren Fabrikgebäudes (Bauinventarobjekt SAF913), welches 1917-18 östlich der alten Anlage gegenüber dem Bahnhof ausgeführt wurde. Bereits vier Jahre davor, 1914, liess Fritz Hochuli als neuen repräsentativen Wohnsitz und Ausdruck des wirtschaftlichen Aufstiegs auf dem Lindenfeld, oberhalb des Dorfes thronend, die Villa Lindenrain errichten. Sowohl die Planung des Hauptbaus als auch des stattlichen zugehörenden Ökonomiegebäudes mit Pferdeställen, Einstellplätzen für Wagen und Kutschen samt einer Angestelltenwohnung lag bei Architekt Ernst Hüssy, Safenwil [3]. Für die Anlage des weitläufigen Parks mit grossem Brunnen (Bauinventarobjekt SAF904B) zog Hochuli den aus dem Schwarzwald stammenden, seit 1904 in Olten lebenden Gartenarchitekten Adolf Vivell (1878-1959) bei, der just im Jahre 1914 an der Landesausstellung in Bern für seinen Garten mit dem Grossen Ausstellungspreis ausgezeichnet wurde. Adolf Vivell entwarf viele Architekturgärten für den Berner Architekten des Neobarock Henry Berthold von Fischer. Er war Mitbegründer des Bunds Schweizer Gartenarchitekten, offiziell "Bund Schweizer Gartengestalter" (heute Bund Schweizer Landschaftsarchitekten) und hatte drei Söhne, Adolf, Edgar und Helmut, die ihm alle in der Berufswahl folgten [4]
Die Villa Lindenrain wurde seit ihrer Fertigstellung 1914 fachgerecht instandgehalten und nur sanft modernisiert, so dass sie sich nahezu vollständig in bauzeitlichem Zustand erhalten hat. Auch der südliche, mit einer teils geometrischen, teils organischen Wegstruktur und Bepflanzungen gestaltete Teil des Parks ist intakt überliefert, während der nördliche, näher zum Dorf hin gelegene Teil inzwischen zur Überbauung abparzelliert wurde. Damit wird in naher Zunkunft die zur Bauzeit angelegte, repräsentative Zufahrt von der Dorfstrasse her aufgehoben werden.
Beschreibung:Die Villa Lindenrain ist inmitten eines Parks, an der Hangkante des Lindenfelds im Südosten des Dorfes gelegen. Das mit Hecken eingefasste Anwesen ist von Nordwesten her über eine direkte Zufahrt erschlossen und von Südwesten her über einen verschlungenen Weg, der zu wesentlichen Teilen bereits vor der Bebauung des Landstücks existierte und seither die beiden hier errichteten Wohnsitze der Familie Hochuli miteinander verbindet. Die ältere Villa Lindenrain bildet mit der zugehörigen Ökonomie (Bauinventarobjekt SAF925) den Kern der herrschaftlichen Baugruppe.
Mit ihren mächtigen, steil aufragenden Mansarddächern bieten Villa und Ökonomiebau einen imposanten Anblick, wobei erstere mit zwei Hauptgeschossen schlossartige, elegante Proportionen aufweist und zweiter mehr Behäbigkeit ausstrahlt. Um der Villa noch mehr Monumentalität zu verleihen, wurde sie zusätzlich auf eine kleine Terrasse gestellt, auf die von zwei Seiten her grosszügige Treppen mit neoklassizistischen, im Profil geschweiften Schmiedeeisengeländer führen (östlicher Zugang wohl später ergänzt).
Den kompakten, mit einem zeittypischen Kellenwurf verputzten Mauerbau gliedert über einem hohen, mit Granitplatten verkleideten Kellersockel reicher architektonischer Schmuck aus behauenem Sandstein. An den Ecken wird der Baukörper von einer pilasterartigen, kräftig gefugten Eckquaderung mit Volutenkapitellen eingefasst. Die hohen, in drei bis vier Achsen angeordneten Stich- und Rundbogenfenster mit profilierten Gewänden und Gesimsen sind über ihre kassettierten Brüstungsfelder und Schlusssteine in der Vertikalen miteinander verbunden. Ein als Rollenfries gestaltetes, umlaufendes Gurtgesims und ein fein profiliertes Kranzgesims unterteilen die Fassaden uns schliessen sie nach oben ab. Die vierachsige, nach Norden ausgerichtete Eingangsfront akzentuiert in der Mitte ein trutzig wirkender, rustizierter Portalvorbau, dessen rundbogiger Einlass mit wappengeschmücktem Schlussstein auf eingestellten dorischen Säulen ruht. Darüber befindet sich ein Balkon mit vollplastischen Sandsteinbalustern. Die dreiachsige, hangseitige Fassade bestimmt ein nur wenig vortretender, gleichfalls von einer Quaderung eingefasster Mittelrisalit mit Haustein-Giebelaufbau und einem über beide Geschosse reichenden Rundbogenfenster zur Belichtung des Treppenhauses. Hier wie auch an der Ostseite, wo die Axialität durch einen Gebäudevorsprung mit verglaster Veranda im Obergeschoss aufgebrochen wird, tritt das Mansarddach kräftig vor. Die Fenster des Dachgeschosses sind als steinerne Häuschen mit Dreiecksgiebeln gestaltet. Den mit zwei Kugelaufsätzen bekrönten Walmbereich des Hauptdachs besetzen zwei Reihen kleiner Lukarnen mit glockenförmigem, blechverkleidetem Abschluss. Zu den fast komplett erhaltenen bauzeitlichen Fensterrahmen haben sich in den Hauptgeschossen auch die Klappläden erhalten, welche im Obergeschoss in Holz mit partiell eingesetzten Jalousien und im Erdgeschoss in Metall ausgeführt sind. In der Ecke des ostseitigen Gebäudevorsprungs befindet sich ein Dienstboteneingang mit eichenem Türblatt und ovalem Oberlicht.
Im Innern besticht das Haus durch die umfassend erhaltene bauzeitliche Ausstattung, welche respektvoll und fachgerecht gepflegt wird. Vom grün ausgekleideten Portalvorbau mit zeittypischer Laterne gelangt man durch die eichene Tür mit halbrundem Oberlicht in den Vorraum. Ein reizvolles kunsthandwerkliches Detail dieses mit geometrisch gemusterten Bodenfliesen ausgestatteten Raums ist das in die Wand eingelassene, grün glasierte Waschbecken mit wasserspeiendem Frosch. Die Haustür flankieren Türen zur Toilette und Garderobe (?), während eine verglaste Doppelflügeltür frontal zum nächsten Raum überleitet. Dieser ist in seiner grosszügigen Dimensionierung und wohnlichen Einrichtung Erschliessungs-, Aufenthalts- und Repräsentationsraum in einem. Wie in Anlehnung an das englische Herrenhaus in der zeitgenössischen Villenarchitektur beliebt, ist der Raum als Wohndiele (Hall) mit einem offenen Kamin und einer Sitzecke ausgestattet. Die dreiläufig herumgeführte Treppenanlage mit Brettbalustern und polygonalem Antrittspfosten lenkt den Blick in die Höhe des über beide Geschosse hinweg offenen, mit einer Balkendecke abgeschlossenen Raums. Eichener Fischgratparkett und Wandtäfer mit intarsierter Rhombengliederung prägen das Interieur. Licht dringt durch das grosse rundbogige Treppenhausfenster in der Südwand mit ornamentaler Glasmalerei und zentral angeordnetem Medaillon mit Hochuli-Wappen. Nach Westen ist diesem Empfangsbereich - nur durch eine triumphbogenartige Arkade in Eichenholz getrennt - wohl der ehemalige Salon angegliedert. Die Wände heben sich hier durch Täfer in Kirschbaumholz mit Profilen aus Ebenholz ab. Wie in allen anderen Räumen haben sich zu den bauzeitlichen Radiatoren der Zentralheizung die hölzernen Kästen erhalten, deren Türchen Füllungen aus kunstvoller Treibarbeit mit Blumen- und Vasenmotiven zeigen. Die Fensterrahmen tragen eine hochwertige maserierte Farbfassung. Auf der gegenüberliegenden Seite der Hall schliesst sich nach Osten das Esszimmer mit Fischgratparkett und Wandtäfer in Eiche sowie weitgehend ursprünglicher Möblierung an. Die verglaste Schiebetür ist innenseitig als Portal gestaltet mit einem geschweiften Giebel auf kannelierten Säulen mit Volutenkapitellen, dem ein Medaillon mit geschnitztem Früchtekorb einbeschrieben ist. Nach Norden folgt ein kleiner, fast museal überlieferter Nebenraum zur Küche mit Bodenfliesen, Wandplättchen, Küchenschrank und Meldeanlage für den Zimmerservice. Von der modernisierten Küche gelangt man ins Dienstbotentreppenhaus, welches eine eichene Treppe mit hübschem kannelierten Antrittspfosten und Wände mit Krallentäfer und Rupfen besitzt. Über diese Treppe ist auch der grosszügige Keller erschlossen, in dem sich noch der bauzeitliche Räucherofen befindet. Ober- und Mansardgeschoss nehmen zahlreiche Schlafzimmer, Büros und Badezimmer auf, welche mit grösstenteils historischen Tapeten, Lichtschaltern, Lampen, Lavabos, Knietäfern, Radiatorenkästen, Fischgratparkett, Dielenböden aus Pitch Pine (Pechföhre) und teilweise Möblierung ihren Charme bewahrt haben. Füllungstüren und Wandschränke sind aus Tannenholz gefertigt und mit einer künstlerisch hochwertigen Maserierungsmalerei gefasst. Das Dachwerk besteht aus einer Dreieckskonstruktion mit Firstständern.
Das von einer Thujahecke eingefasste Grundstück kombiniert in seiner Anlage als Park die architektonische Strömung des Barockgartens mit jener des naturgemäss wirkenden Landschaftsgartens. Im Südlichen Teil umgibt ein dichtes Netz von Wegen und Plätzen sowie diversen, teilweise im Formschnitt gehaltenen Pflanzungen den Haupt- und Ökonomiebau. Durch den teilweise mit Einzelbäumen durchsetzten nördlichen Teil des Parks führt einzig die breite, als Allee angelegte Zufahrt zur Villa. Der Park geht im Wesentlichen noch auf die ursprüngliche, von Adolf Vivell konzipierte Anlage zurück. Blickfang ist ein grosser Muschelkalkbrunnen (Bauinventarobjekt SAF904B) nordöstlich der Villa, der am Stock einen kunstvollen metallenen Lampenaufsatz mit Jugendstilmotiven sowie ein als Fisch geformtes Auslaufrohr besitzt.
Anmerkungen:1] Striegel-Nachrichten 2013, S. 2-3.
[2] Zum Kundenkreis der HoCoSa siehe https://www.industriekultur.ch/admin/gui/object_manage.php, Objekt: ID: 23177 5745-2 Hochuli & Co./HOCOSA (Zugriff: 14.12.2022).
[3] Über Ernst Hüssy ist wenig bekannt, auch seine verwandtschaftliche Beziehung zur Familie Hüssy ist nicht geklärt. Als Architekt wirkte er ausserdem beim Umbau 1910 der Villa an der Obersumpfstrasse 44, um 1907-12 beim Landhaus Dr. Mast (SAF908) und 1920 beim Bau des Schwimmbads mit Badehalle für das Franke-Gut in Aarau (Kantonales Denkmalschutzobjekt AAR089).
[4] Zu Adolf Vivell siehe https://www.georges-buergin.ch/vivell/werke-adolf-sen-2/adolf-ernst-senior-ausstellungen-ehrungen/ (Zugriff: 13.12.2022). – Die Berufsbezeichnung "Gartenarchitekt" durfte Vivell nach Dekret des Bundeverwaltungsgerichts erstmals ab 1936 führen. - Thomas Freivogel: "Vivell, Adolf", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.12.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/049202/2014-12-27/, (Zugriff: 13.12.2022).
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), Einzelelement, Erhaltungsziel A.
- ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Safenwil 4283-04.
Literatur:- Striegel-Nachrichten Nr. 20, hg. v. Kulturchreis Sodhubel, Safenwil 2013, S. 2-10.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau (StAAG): CA.0001/0653 (1899-1938), Vers.-Nr. 270, Brandkataster Gemeinde Safenwil.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=139910
 

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