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INV-BIR902 Pächterhaus, "Pestalozzi-Haus", 1770-1771 (Dossier (Bauinventar))
Ansichtsbild: |
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Chronologie |
Entstehungszeitraum: | 1770 - 1771 |
Grundlage Datierung: | Literatur |
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Typologie |
Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.): | Teil einer Baugruppe |
Weitere Teile der Baugruppe: | Herrenhaus (kantonales Denkmalschutzobjekt BIR004) |
Nutzung (Stufe 1): | Profane Wohnbauten |
Nutzungstyp (Stufe 2): | Ländlicher Oberschichtbau |
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Dokumentation |
Autorschaft: | Ulrich Spillmann, Villnachern; David Vogel, Zürich |
Würdigung: | Das Pächterhaus, auch "Pestalozzi-Haus" genannt, ist ein gut proportionierter klassizistischer Bau unter geradem Vollwalmdach. Der kubische Baukörper, der sein heutiges Gesicht 1858 mit dem Wiederaufbau und der Erweiterung des abgebrannten Pestalozzi-Wohnhauses von 1770-71 erhielt, bewahrt vom Vorgängerbau noch Teile des alten Mauerwerks sowie einige der sorgfältig aus Muschelkalk gehauenen Fenstergewände mit zugehörigen Brüstungsfeldern. Somit birgt er die ältesten Bauteile des Neuhofs und verweist auf die Gründungszeit von Pestalozzis Wirkungsstätte in Birr. Das Pächterhaus ist ein wichtiger sozialgeschichtlicher und lokalgeschichtlicher Bauzeuge und wesentliches Element des Ensembles Neuhof, welches auch das Herrenhaus von 1820-21 umfasst (kantonales Denkmalschutzobjekt BIR004). |
Bau- und Nutzungsgeschichte: | Mit dem Bau des Neuhofs im Birrfeld 1770-71, der ersten Wirkungsstätte von Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), begann für den jungen Stadtzürcher und seine Frau Anna Schulthess ein "Experiment als Landwirt und als Leiter einer Armenanstalt" [1]. Das Gehöft bestand aus einem Wohnhaus, dem späteren Pächterhaus, und einer zugehörigen Scheune. Als Baumeister wurde Spillmann beauftragt, der vom Zürcher Architekten und Wickelmann-Schüler David Vogel (1744-1808) Unterstützung erhielt [2]. Das Wohnhaus, das ursprünglich im Stil einer italienischen Villa geplant war, war sehr herrschaftlich konzipiert, was bei den Bauern in der Nachbarschaft auf wenig Verständnis stiess. Auf historischen Darstellungen sind eine Pilastergliederung und über dem Eingang eine Giebelbekrönung zu erkennen (vgl. Bilddokumentation). Wegen Geldmangels musste man sich aber mit einer einstöckigen Anlage begnügen. Auf seinem Landgut nahm das Ehepaar Pestalozzi arme Kinder auf, die hier sowohl zum praktischen Arbeiten angeleitet wurden als auch eine Schulbildung erhielten. Wegen Finanzierungsproblemen musste die Anstalt schon 1779 wieder geschlossen und das Gut teilweise veräussert werden. Pestalozzi widmete seine Zeit dem Schreiben und zog 1799 nach Stans. Nach längerer Abwesenheit kehrte er 1825 nach Birr zurück, wo er sich bis zu seinem Tod 1827 erneut für die Realisierung eines Armenhauses einsetzte (Pestalozzi-Denkmal mit Grabstätte am Schulhaus, Bauinventarobjekt BIR901). Das bereits 1821-22 begonnene Anstaltsgebäude und Armenhaus, das spätere Herrenhaus (kantonales Denkmalschutzobjekt BIR004), konnte jedoch erst in den 1830er Jahren von seinem Enkel Gottlieb vollendet werden, der es 1840 zusammen mit dem ganzen Gut verkaufte. Gemäss Michaeliskarte war im Neuhof um 1840 eine Stärkefabrik untergebracht. 1858 brannten das Pächterhaus von 1770-71 und die dazugehörende Scheune nieder. Ersteres wurde unter Verwendung der alten Mauerzüge wieder aufgebaut, wobei es um ein zweites Geschoss ergänzt wurde. Das Landgut wechselte achtmal den Besitzer. 1891 gehörte es Graf de Béon aus Paris, der 1891 und 1893 Verbesserungen an der Fassade vornehmen liess [3]. Als er 1904 Verkaufsabsichten äusserte, gelang es schliesslich dem Arzt Dr. Robert Glaser aus Muri, den Neuhof zu kaufen und weiteren Spekulationen zu entziehen. Bis 1912 konnten dank einer öffentlichen Sammlung in den Schulen 250'000 Franken zusammengebracht werden, um damit eine "Stiftung einer landwirtschaftlich-gewerblichen Kolonie zur Erziehung und Berufslehre für Knaben, für die sich besondere Erziehungsmassnahmen als notwendige erweisen" zu realisieren. 1914 wurde der Heimbetrieb durch die Stiftung Schweizerisches Pestalozziheim aufgenommen, nachdem 1909-12 unter Architekt Meier, Wetzikon, die gesamte Baugruppe renoviert worden war [4]. Lange Zeit diente das Pächterhaus als Wohnhaus für die Jugendlichen, während im Herrenhaus die Heimleiterfamilie, Angestellte und auch Jugendliche wohnten. 1988-89 wurde das Pächterhaus innen stark umgebaut und im OG eine Wohnung für die Heimleiterfamilie eingerichtet. Seit dem jüngsten Umbau von 2007 befinden sich im EG Empfangs-, Warte- und Besprechungsräume für die Gäste, während im OG die Büro- und Sitzungszimmer der Betriebsleitung untergebracht sind [5]. |
Beschreibung: | Der am Fuss des Kestenbergs gelegene Neuhof umfasst heute eine Gruppe von locker angeordneten Gebäuden, von welchen das Pächterhaus und das weiter nordwestlich parallel dazu erstellte Herrenhaus die beiden historischen Ankerpunkte des Landguts bilden. Beim Wiederaufbau des 1858 niedergebrannten Pächterhauses wurden Teile des alten Mauerwerks übernommen. Wie der Vorgängerbau von 1770-71 trägt der nun zweigeschossig über quadratischem Grundriss aufgeführte Kubus ein gerades Vollwalmdach mit doppelt gedeckten Biberschwanzziegeln. Nach Nordosten und Südosten ist eine kleine abgewalmte Lukarne ausgebildet, während sich auf der Nordwestseite eine etwas breitere Aufzugslukarne befindet. Die einzig durch die Fensterachsen gegliederten Fassaden zeigen nach allen Seiten eine individuelle Rhythmisierung, welche im Laufe der Zeit vereinzelt Veränderungen erfuhr. Die nordöstliche Eingangsfront zeichnet sich durch fünf gleichmässig verteilte Achsen aus, während an der gegenüber liegenden Südwestfront die mittleren drei Achsen näher zusammengerückt sind. An der Südostfassade sind es jeweils die äusseren beiden Achsen, die eine paarweise Anordnung zeigen, wobei der östlichste Mauerabschnitt - wie vermutlich bereits durch den Bau von 1770-71 vorgegeben - fensterlos geblieben ist. Auf der Nordwestseite besetzen ein Zwillingsfenster und eine Tür die Mittelachse, welche beidseits von einzelnen Fenstern begleitet wird. Sämtliche Fenster werden von gefalzten Gewänden mit Blockgesimsen aus Muschelkalk gefasst. Das Erdgeschoss bewahrt zum Teil (Haupt- und Rückfassade teilweise, Südostfassade vollständig) noch die etwas breiter und mit zugehörigem steinernem Brüstungsfeld gearbeiteten Gewände von 1770-71, welche dem Gebäude eine vertikale Struktur geben und die ungewöhnliche, elegante Gestaltung des Vorgängerbaus erahnen lassen. Heute verfügt das Gebäude neben dem Haupt- und Garteneingang über eine dritte Tür auf der Nordwestseite. Der Vordereingang bewahrt zum schlichten Gewände noch eine Biedermeier-Füllungstür mit Oberlicht. Im Innern trennt ein durchlaufender Mittelgang die seitlich aufgereihten Räume (gemäss Stettler/Müller 1953, S. 250). In der südlichen Ecke befand sich ehemals das Wohnzimmer von Pestalozzi [6]. Inneres mehrfach verändert und modernisiert. Laut Brandkataster von 1875 verfügt das Gebäude über vier Gewölbekeller. |
Erwähnung in anderen Inventaren: | - ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Birr 4092-5. |
Anmerkungen: | [1] Zitat: http://www.neuhof.org/geschichte/. [2] Vermutlich Hans Ulrich Spillmann aus Villnachern, der Erbauer der Strandmauer der Petersinsel (1770-74) und der Schlossscheune Wildenstein (1762), vgl. Stettler/Maurer 1953, S. 248, Anm. 5. [3] Staatsarchiv Aargau, ZwA 1942.0001 Birr, Akten Bezirksamt: Brandkataster 1875. [4] www.neuhof.org/geschichte/; Stettler/Maurer 1953, S. 249. [5] Belart 2007, S. 9. [6] Stettler/Maurer 1953, S. 250. |
Literatur: | - Der Pestalozzi-Neuhof. Aus Vergangenheit und Gegenwart, hg. v. Pestalozzi-Neuhof-Stiftung, Brugg 1927. - Neuhof. Stiftung Schweizerisches Pestalozziheim Birr (zum 75-jähr. Jubiläum), Birr 1989. - Michael Stettler/Emil Maurer, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 2, Basel 1953, S. 248-250 (Abb.). - Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 83. |
Quellen: | - http://www.neuhof.org/geschichte/ - Peter Belart, "Nur der Wandschmuck fehlt. Birr: Im Neuhof ist die Innenrenovation des Pächterhauses abgeschlossen", in: AZ, 25. Juli 2007, S. 9. - Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv. - Staatsarchiv Aargau, ZwA 1942.0001 Birr, Akten Bezirksamt: Brandkataster 1875. |
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URL for this unit of description |
URL: | http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=30366 |
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