INV-BRG911 Spinnerei in der Au, 1837 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-BRG911
Signatur Archivplan:BRG911
Titel:Spinnerei in der Au
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Bremgarten (AG)
Ortsteil / Weiler / Flurname:Au
Adresse:Augraben 2
Versicherungs-Nr.:278
Parzellen-Nr.:790
Koordinate E:2668238
Koordinate N:1245132

Chronologie

Entstehungszeitraum:1837
Grundlage Datierung:Schriftliche Quelle

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Fabrikgebäude, Manufakturgebäude
Epoche / Baustil (Stufe 3):Spätklassizismus

Dokumentation

Würdigung:1837 für Jakob und Xaver Weissenbach erbautes Spinnereigebäude, das in der Au unmittelbar ausserhalb der Bremgarter Unterstadt an einem alten Gewerbestandort an der Reuss entstand. Als grossvolumiger viergeschossiger Giebeldachbau, der von streng monoton aufgereihten Rechteckfenstern belichtet wird, entspricht das Gebäude der zeittypisch nüchternen und schmucklosen spätklassizistischen Fabrikarchitektur, die augenfällig das Nützlichkeitsdenken hinter diesen frühindustriellen Zweckbauten spiegelt. Das heute von der Firma Utz genutzte Gebäude ist äusserlich weitgehend intakt erhalten. Im Inneren bewahrt es noch die Deckenkonstruktion mit Gusseisensäulen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert das ursprüngliche hölzerne Traggerüst ersetzte und in den unteren Geschossen nachträglich ummantelt wurde. Es bezeugt die Bremgarter Gewerbegeschichte und besitzt mit seiner markanten Erscheinung im Kontrast zur Altstadt und zum Hermansturm der alten Stadtbefestigung (Kantonales Denkmalschutzobjekt BRG003) erheblichen Situationswert.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die Au (früher auch «Auw») ist mit dem auch als «Ferwerturm» (Färberturm) bekannten Hermansturm und der flussaufwärts gelegenen Bleicherei (vgl. Bauinventarobjekte BRG912/913) ein traditioneller Gewerbestandort. Die Baumwollspinnerei wurde 1837 durch Jakob und Xaver Weissenbach gegründet; das heute noch bestehende Gebäude fand im selben Jahr als «Eine Baumwollenfabrik, 4 Stok hoch, 96’ lang, von Stein mit Ziegeldach» Eingang in den Brandkataster [1]. Nach einem Eigentümerwechsel gehörte die Firma gemäss Konzessionsakten von 1857 nun dem Herrn Schwarzenbach u. Cie. [2]. 1865 wurde sie in eine Aktiengesellschaft «Baumwollspinnerei zur Auw» überführt, die 1883 durch die Firma Kölliker, Honegger & Co. übernommen wurde. Ab 1887 firmierte das Unternehmen als Kommanditgesellschaft Gebrüder Kölliker, Honegger & Co., ab 1893 unter dem Namen Robert Honegger & Co.
Verschiedene Ausbauschritte erfolgten in den 1870er und 80er Jahren. Nach dem Baujahr der erhaltenen Jonval-Turbine (vgl. Kraftwerk Bruggmühle, Bauinventarobjekt BRG905) ersetzte man wohl 1875 die unterschlächtigen Wasserräder durch diesen neuen Antrieb. Im Brandkatastereintrag von 1876 erscheint neben dem «Baumwollenspinnerei-Gebäude» denn auch ein «Turbinenhaus von Holz» [3]. 1881 musste das Wehr oberhalb der alten Bleiche nach Zerstörung durch Hochwasser erneuert werden. Im gleichen Jahr wurde die alte Bleiche stillgelegt und die Wasserkraft der Spinnerei zugeschlagen. 1884 nahm man in einer neu erbauten Sheddachhalle eine mechanische Seidenweberei in Betrieb. Wohl um 1890 entstand auf der Nordseite des Fabrikgebäudes ein Kesselhaus samt Hochkamin (Vers.-Nr. ab 1899: 381). 1896 wurde flussabwärts von der bisherigen Lage ein eisernes Klappenwehr erbaut [4]. Im selben Zeitraum erfuhr das Fabrikgebäude laut Brandkataster einen «Umbau (Bauerweiterung)». Dabei dürfte das zuvor 7 Meter kürzere Gebäude auf die heutigen Abmessungen verlängert worden sein; im Inneren ersetzte man wohl gleichzeitig die ursprüngliche hölzerne Tragstruktur durch Gusseisensäulen und Eisenträger [5].
1904 wurde die Baumwollspinnerei im alten Hauptgebäude stillgelegt. 1911 liess sich Fabrikant Robert Honegger in der Nordwestecke des Firmenareals nach Plänen des Brugger Architekten Alwin Rüegg eine Villa in gepflegten Heimatstilformen erbauen (Sonnmattweg 2, Vers.-Nr. 391, ehem. Kurzinventarobjekt BRG914, abgebr. 2013) [6], womit die bauliche Entwicklung des Areals für einige Jahrzehnte abgeschlossen war. Nachdem das Hauptgebäude längere Zeit leer gestanden hatte, wurde es 1937 von der Firma «Howisa» (Hosenträgerfabrik Winterthur S.A.) bezogen. Seit 1944 hatte die Firma Robert Honegger, die wohl nach wie vor Eigentümerin des gesamten Areals war und die Seidenweberei im Fabrikgebäude von 1884 betrieb, die Rechtsform einer Aktiengesellschaft [7]. 1957 wurde das Fabrikareal mit Ausnahme des aus der Wasserkraftanlage entstandenen Kraftwerks an die Georg Utz AG verkauft, die seit 1953 in Bremgarten ansässig war und bis heute am selben Standort Lager- und Transportbehälter wie auch weitere Produkte im Kunststoffspritzguss herstellt [8]. Das kleine Kraftwerk ging 1957 an das Aargauische Elektrizitätswerk (AEW) über, welches die Anlage noch bis 1970 weiterbetrieb [9]. Der Fabrikkanal wurde in der Folge zugeschüttet.
Ab 1966/67 erfuhr das alte Fabrikgebäude einige Umbauten, u.a. mit Ummantelung und evtl. teilweisem Ersatz der Gusseisensäulen in den unteren Geschossen [10]. 1999 entstand ein gläserner Eingangsvorbau [11]. Nachdem auf dem Areal für die Firma Utz seit 1972 diverse Erweiterungsbauten entstanden waren, wurde 2013 das Kesselhaus samt Hochkamin abgebrochen und durch eine neue Werkhalle ersetzt. Ebenfalls 2013 erfolgte der Abbruch der seit längerem nicht mehr zum Fabrikareal gehörenden Villa Honegger (ehem. Kurzinventarobjekt BRG914). 2016/17 wurde die Seidenweberei von 1884 durch eine weitere neue Werkhalle ersetzt [12].
Beschreibung:Die ehemalige Baumwollspinnerei liegt unmittelbar ausserhalb der Unterstadt am nördlichen, unteren Ende der Bremgarter Reussschleife, in Nachbarschaft zum Hermansturm der alten Stadtbefestigung (Kantonales Denkmalschutzobjekt BRG003). Das 1837 errichtete und nachträglich verlängerte Fabrikgebäude entspricht dem zeittypisch nüchternen spätklassizistischen Typus, der durch den völligen Verzicht auf schmückenden Zierat auffällt. Als grossvolumiger viergeschossiger Baukörper wird es streng regelmässig von vier auf neun Fensterachsen gegliedert und von einem geraden Satteldach abgeschlossen. Es handelt sich um einen verputzten Mauerbau, dessen Innenkonstruktion ursprünglich in üblicher Weise wohl aus einem rasterförmigen Holzgerüst bestand, bevor sie im ausgehenden 19. Jh. durch ein Eisenskelett ersetzt wurde. In ihrer mehrgeschossigen Anlage ist die Baumwollspinnerei für die Entstehungszeit typisch und spiegelt die damalige Maschinen- und Antriebstechnik: Die Spinnstühle mussten wegen der für den Antrieb genutzten Transmissionsanlagen möglichst kompakt und in mehreren Geschossen übereinander angelegt werden, was dank ihres eher geringen Gewichts gut möglich war. Alte Luftbilder und Stadtansichten verdeutlichen, wie imposant sich der Grossbau im Kontrast zu den Altstadthäusern auf der einen und der noch unbebauten Umgebung ausnahm (vgl. Bilddokumentation).
Die schlichten rechteckigen Fenstergewände aus Muschelkalk sind mit Falz und kantigem Sins versehen. Die nachträglich ergänzten Fensterläden im dritten Obergeschoss weisen auf den Einbau einer Abwartwohnung hin. Die langgezogenen Schleppgauben im Dach bestanden nach einer alten Fabrikansicht schon im ausgehenden 19. Jh. und dienten der Belichtung der auch dort vorhandenen Arbeitssäle. Der Treppenhausrisalit auf der Südseite dürfte seine heutige Erscheinung im ausgehenden 19. Jh. erhalten haben; der Anbau in den unteren Geschossen stammt von 1966/67. Die grosse stirnseitige Toröffnung ist eine spätere Zutat. Vor der Nordfassade erhebt sich der in Sichtbeton konstruierte Liftanbau von 1966/67.
Im Inneren hat sich das Skelett aus Gusseisensäulen und Eisenträgern weitgehend erhalten. Im ersten Obergeschoss wurde es mit einer Betonummantelung versehen, die noch knapp die Säulenform erkennen lässt; im Erdgeschoss wurde es durch breite betonierte Wandscheiben evtl. ersetzt. Im nördlichsten Bereich sind Erd- und erstes Obergeschoss zu einem doppelgeschossigen Raum zusammengefasst, der wohl die Kraftwerksanlagen enthielt. Das zweite Obergeschoss ist mit jüngeren Büroeinbauten stark verändert. Noch in einem älteren Zustand zeigt sich mit Gusseisensäulen, Doppel-T-Trägern und Bretterböden das dritte Obergeschoss ausserhalb der Abwartwohnung. Das original erhaltene bauzeitliche Dachgerüst ist eine stuhllose Sparrenkonstruktion mit Kehlbalken, bei welcher der Sparrenfuss über die Fassadenflucht hinausragt. Eine Ansatzstelle im Firstbalken ist wohl als Hinweis auf die nachträgliche Verlängerung des Gebäudes zu verstehen.
Ein Plan in den Konzessionsakten von 1857 gibt Auskunft über die damalige Anlage (vgl. Bilddokumentation) [13]: Ein Streichwehr in der Reuss leitete das Wasser, das wenig oberhalb der Spinnerei auch von der älteren Bleiche (Bauinventarobjekte BRG912/913) genutzt wurde, einem Oberwasserkanal zu, der von der Reuss durch eine kleine Insel getrennt war. Das Radhaus, das ein unterschlächtiges Wasserrad enthielt, schloss an die Stirnseite des senkrecht zum Kanal ausgerichteten Fabrikgebäudes an und überbrückte den Kanal in seiner gesamten Breite. Über den Unterwasserkanal spannte sich zudem eine «Mechan. Werkstätte», welche wohl die Wasserkraft eines weiteren, zum Fluss hin gelegenen Kanals nutzte. Unterhalb der Werkstätte vereinigten sich die beiden Kanäle, um weiter flussabwärts unterhalb einer zweiten, langgestreckten Insel wieder in die Reuss zu münden. Zwei Nebengebäude lagen auf der oberen Reussinsel. Ein Wasserwerksplan von 1879 (vgl. Bilddokumentation) zeigt die Anlage nach dem Einbau zweier Turbinen, die in einem Turbinenhaus an der Stelle des ehemaligen Radhauses lagen und in vertikaler Anordnung vom Wasser durchströmt wurden. Das Werkstattgebäude über den Kanälen war in der Zwischenzeit verschwunden und der äussere Kanal zugeschüttet worden [14].
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung, Erhaltungsziel A.
Anmerkungen:[1] Bronner 1844, Bd. I, S. 502. Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
[2] StAAG, DB.W01/0008/07, Plan und Verficationsverbal von 1857.
[3] Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
[4] StAAG, DB.W01/0008/07; StAAG, DB.W01/0066/04.
[5] Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938. Das Fabrikgebäude hatte gemäss Brandkatastereintrag wie auch gemäss Wasserwerksplan von 1857 (StAAG, DB.W01/0008/07) Abmessungen von rund 18 auf 28 Meter und war damit etwa 7 Meter kürzer als heute.
[6] Pläne im Baugesuchsarchiv.
[7] Gemäss VAMUS; Strebel 1946, S. 28; Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
[8] Georg Utz hatte 1947 in Zürich-Höngg als Werkzeugbauer begonnen und war seit 1953, nun vor allem mit der Fertigung von Zickzack-Apparaten für Nähmaschinen, in Bremgarten ansässig. In der Folge verlegte sich das Unternehmen rasch auf den Kunststoffspritzguss und ab 1965 insbesondere auf Lager- und Transportbehälter (https://www.utzgroup.com/de/utz-gruppe/geschichte/, Zugriff 9.11.2018).
[9] Hiltmann 1999, S. 14.
[10] 1966/67 wurde gemäss Plänen im Baugesuchsarchiv ein nordseitiger Liftanbau erstellte, der südseitige Treppenhausrisalit erweitert und im dritten Obergeschoss eine Abwartwohnung eingebaut. Die Ummantelung der Gusseisenstützen und der Ersatz der alten Treppe durch eine Wendeltreppe sind im Baugesuchsarchiv nicht dokumentiert. Die Umbaupläne von 1966/67 wurden von den bekannten Zürcher Architekten Schwarz & Gutmann gezeichnet, die in Bremgarten einige Jahre zuvor das Promenadenschulhaus erbaut hatten und in denselben Jahren auch die Erweiterungsbauten für die Firma Utz projektierten.
[11] Umbaupläne im Baugesuchsarchiv.
[12] https://www.utzgroup.com/de/utz-gruppe/geschichte/ (Zugriff 9.11.2018).
[13] StAAG, DB.W01/0008/07, Plan von 1857.
[14] StAAG, DB.W01/0008/07, Überzeichnung von 1879 auf Plan von 1866.
Literatur:- VAMUS, Datenbank Industriekultur: http://www.vamus.ch/industriekultur/index.cfm, Art. 'Kölliker und Honegger & Co.’, 'Howisa’ (Zugriff 9.11.2018).
- Michael Hiltmann, Die Schifferzunft zur Oele und die Geschichte der Flösserei auf der Reuss und der Bremgarter Wasserwerke, in: Bremgarter Neujahrsblätter, 1999, S. 9-24, hier S. 23f.
- Karl Strebel, Das Freiamt. Heimatgeschichte und Wirtschaft (Bezirkschroniken des Kantons Aargau, Bd. II), Zürich 1946, S. 28f.
- Bremgarten und die Bremgarten-Dietikon-Bahn, Bremgarten 1909, S. 7 (histor. Ansicht).
- Franz Xaver Bronner, Der Kanton Aargau, historisch, geographisch, statistisch geschildert, 2 Bde., St. Gallen 1844, Bd. I, S. 502.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau (StAAG): DB.W01/0008/07, DB.W01/0066/04, Wasserwerkskonzessionen Gemeinde Bremgarten.
- Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
- Stadt Bremgarten, Baugesuchsarchiv: Umbauten 1966/67, 1999.
- Firmenarchiv Utz AG, Bremgarten.
- ETH-Bibliothek, Zürich, Bildarchiv: LBS_MH01-002776, LBS_H1-015297, LBS_MH01-000112, LBS_MH01-005120B, Hs_1458-GK-B000-1925-10, Dia_280-179.
- Eigentümer Alte Bleiche (Bauinventarobjekt BRG912): histor. Aufnahme.
 

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