INV-DOT911 Villa César mit Waschhaus und Park, 1899 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-DOT911
Signatur Archivplan:DOT911
Titel:Villa César mit Waschhaus und Park
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Dottikon
Ortsteil / Weiler / Flurname:Mitteldorf
Adresse:Hedschikerstrasse 8
Versicherungs-Nr.:134, 24
Parzellen-Nr.:210
Koordinate E:2660471
Koordinate N:1248404

Chronologie

Entstehungszeitraum:1899

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa

Dokumentation

Autorschaft:Theodor Bertschinger jun. (1875–1972), Baumeister, Lenzburg
Inschriften:"1899" und "1923" (über dem Hauseingang)
Würdigung:Romantisch-verspielte Villa im Stil des Späthistorismus, die 1899 vom bekannten Lenzburger Baumeister Theodor Bertschinger jun. (1875–1972) für den Strohhutfabrikanten Jacob Julius César Fischer-Züllig (1864–1921) errichtet wurde und 1923 durch denselben Architekten eine kongeniale Erweiterung und Umgestaltung erfuhr. Der originelle Bau stellt die prominenteste aller noch bestehenden Villen der Unternehmerfamilie Fischer und der bedeutendste Bauzeuge der Strohindustrie in Dottikon dar. Er ragt durch eine reich instrumentalisierte, malerisch aufgelöste architektonische Gestaltung hervor und besitzt eine hochwertige, bisher nur ansatzweise dokumentierte Innenausstattung. Der grosszügigen Parkanlage mit Nebengebäuden, Ziergehölzen und altem Baumbestand kommt im Ortskern eine hohe räumliche Qualität zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die nach ihrem Bauherrn, dem Strohhutfabrikanten Jacob Julius César Fischer-Züllig (1864–1921) benannte Villa entstand nach Plänen des bekannten Lenzburger Baumeisters Theodor Bertschinger jun. (1875–1972). Dieser projektierte 1923 auch die von dessen Sohn Guido J. Fischer in Auftrag gegebene Erweiterung des Bauwerks [1].
Jacob Julius César Fischer-Züllig war der Enkel des Dorflehrers Jacob Leonz Fischer (1797–1887), der 1828 mit seiner Frau ergänzend zur kleinen Landwirtschaft eine Detailhandlung mit angegliederter Strohmanufaktur eröffnete [2]. Damit gründete dieser in Dottikon den ersten Fabrikationsbetrieb der in den Freien Ämtern und insbesondere in Wohlen bereits seit dem 18. Jh. angesiedelten Strohflechterei. Die Fabrikation von Strohhüten florierte Mitte des 19. Jh. dank des internationalen Handels in Europa und in Übersee. Ab 1861 führten drei der Söhne von Jacob Leonz Fischer die Hutmanufaktur samt Geflechthandel und Detailgeschäft unter dem Namen "J. L. Fischer's Söhne" weiter, wobei der älteste Sohn Jacob Julius Fischer (gest. 1903) als Unternehmer den grössten Ehrgeiz zeigte.
Die zweite Hälfte des 19. Jh. war geprägt von einer Experimentierphase mit neuartigen Fasern und Qualitäten sowie ersten Hut-Nähmaschinen, die eine Rationalisierung in der Herstellung ermöglichten. Anstelle der Heimarbeit setzte sich zunehmend die Fabrikarbeit durch. Der Betrieb musste 1874, 1885 und 1892/93 (neue grössere Hutfabrik am Platz der 1860 abgebrochenen St. Agathakapelle) baulich erweitert werden. Jacob Julius Fischer hatte wiederum drei Söhne, die 1891 als dritte Generation ins Geschäft einstiegen, während die Brüder von Jacob Julius ihre Anteile abgaben. Der älteste Sohn, Jacob Julius César (geb. 1864) pflegte nach einer kaufmännischen Ausbildung in Genf und Frankreich die Kundenkontakte im Inland und leitete die Abteilung der Hutfabrikation, während sein Bruder Julius Robert den Geflechthandel betreute sowie die Auslandreisen tätigte und Ernst Hugo die Verantwortung für die Strohbleicherei und die Aufsicht über das Unternehmen als Ganzes übernahm. Die Firma wurde 1902 auf "J. J. Fischer's Söhne" umbenannt und 1908 in eine Familien-Aktiengesellschaft umgewandelt. Der stark auf Saisonarbeit ausgelegte Betrieb beschäftigte während der Winterzeit 150 bis 200 Personen (im Sommer 50 bis 75) und produzierte innerhalb von acht Arbeitsmonaten 450–500'000 Strohhüte. Die Hutpresser und –näher wurden teilweise in Italien angeworben; sie kamen mit ihren Familien und wurden häufig sesshaft. Die übrige Belegschaft stammte aus den umliegenden Dörfern, während die Heimarbeit auch in entferntere Kantone vergeben wurde. In den 1920er-Jahren stieg die Nachfrage nach Strohhüten nochmals kurz an – der Betrieb zählte 350 Beschäftigte – bevor sie schliesslich zusammenbrach.
Jacob Julius César verstarb 1921. Im selben und drauf folgenden Jahr traten in vierter Generation sein ältester Sohn Guido J. Fischer (geb. 1896) und zwei Söhne seines Bruders Ernest Hugo Fischer ins Geschäft ein: Kurt W. Fischer (geb. 1902) und 1922 Ernest H. Fischer jun. (geb. 1900). Die Brüder von Jacob Julius César zogen sich von der Geschäftsleitung zurück: Ernest Hugo Fischer amtete ab 1920 als Präsident des Verwaltungsrats und Julius Robert schloss sich mit Oscar Bruggisser in Wohlen zusammen, der eine Bleicherei und Färberei mit Handel in Materialien für die Hutindustrie betrieb.
Im Gegensatz zur Hutfabrikation und zum Geflechthandel konnte sich der Bereich der Bleicherei und Färberei weiterentwickeln, weshalb die Betriebszweige getrennt wurden. Aus der 1930 aufgelösten Aktiengesellschaft "J. J. Fischer's Söhne" gingen somit die Firmen "Ernest H. Fischer's Söhne" und "J. C. Fischer's Söhne Hutfabrik" hervor. Letztere musste 1935 den Betrieb ganz einstellen und fungiert heute als Gebäudeverwaltung. Die Firma "Ernest H. Fischer's Söhne" übernahm aus der Liquidationsmasse die im Fildigebiet liegenden Gebäude der Bleicherei und Färberei samt Werkstätten und Lagerhäuser und liess 1930 ergänzend dazu ein neues Bürogebäude errichten (Bauinventarobjekt DOT920). Die Firma diversifizierte in die Textil- und Maschinenindustrie und änderte den Namen in den 1980er-Jahren auf "Fischer Dottikon AG". 1996 übernahm die im Maschinenbau tätige Firma "Tuboly AG, Dottikon" die Maschinenfabrik. Sie ist heute Eigentümerin des gesamten Industrieareals, in das sich verschiedene Handel- und Gewerbebetriebe eingemietet haben.
Beschreibung:Das Anwesen der Fabrikantenvilla nimmt im Westen des alten Dorfkerns, unmittelbar an der Kreuzung von Bleicheweg, Hendschiker-, Kirch- und Mitteldorfstrasse sowie nördlich der inzwischen abgebrochenen zugehörigen Hutfabriken einen zentralen Platz ein. Der schmucke Jahrhundertwendebau erhebt sich inmitten eines grosszügig angelegten Parks, der noch von der bauzeitlichen Einfriedung, einem Schmiedeeisenzaun auf einer Rustikasockelmauer mit zinnenbekrönten Backsteinpostamenten, eingefasst wird. Eine ausserordentlich reiche Bepflanzung aus zahlreichen Ziergehölzen und ein alter Baumbestand umgeben ihn. Von den Grasflächen waren ehemals im Westen mehrere Beetreihen und im Norden ein Tennisplatz geschieden. In Ergänzung dazu bestehen zwei Nebengebäude, darunter ein 1909 errichtetes ehemaliges Wasch- und Holzhaus mit Garage.
Als charakteristischer Vertreter des Späthistorismus vereint die Villa in fantasievoll verspielter Weise verschiedene Architekturstile. Der zweigeschossige Mauerbau weist einen verschachtelten Grundriss mit einer entsprechend komplexen Dachlandschaft auf. (verstärkt durch die Anbauten von 1923). Um einen Kubus unter Walmdach sind im Süden ein leicht vorspringender Eckturm und auf der Nordwestseite ein Eckrisalit und ein Altan angeordnet. In variierender Weise springt nach Nordosten auch der Eingangsbereich turmartig vor, während ein zweiter Altan mit vorgelagerter Terrasse den restlichen Teil der Gebäudelänge einnimmt. Von den über einem Kellersockel in Rustika durchwegs in gelborangem Backstein gehaltenen Fassaden sind die Gewände sowie Gliederungs- und Zierelemente wie Gurtgesimse, Lisenen, Brüstungsfelder, Postamente und einzeln gesetzte Eckquader mit Bossenschlag in hellem Savonnière-Kalkstein abgesetzt. Grösstenteils zu Zweier- und Dreiergruppen zusammengefasste Fenster mit Rundbogen wechseln sich mit breiten Korbbogenöffnungen ab. Die geohrten Gewände mit Stabprofil werden im Bogenscheitel mit einem Schlussstein akzentuiert. Am Eingang und angegliederten Altan sind die Gewände mit reicher Profilierung, Bogenanfängern, einbeschriebenen Rauten und gewellten Schlusssteinen deutlich aufwendiger gestaltet. Den Hauptakzent in üppigem Neobarock bildet hier ein gesprengter Giebel mit Früchte- und Blumengirlanden, der die Brüstung des Balkons über dem Hauseingang ziert und letzteren bekrönt. Er zeigt ein gerahmtes Feld mit den Baujahren "1899" und "1923".
Der nach Süden ausgerichtete, prominente dreigeschossige Eckturm trägt ein steiles Walmdach mit farbig glasierten Ziegeln. Nach Südosten und Südwesten sind kleine Giebelgauben mit steilen Satteldächlein ausgebildet. Die von einer Wetterfahne bekrönte Turmspitze ist nicht erhalten. Im ersten Obergeschoss ist der Ecke ein koketter Runderker mit Kugelaufsatz vorgesetzt, der beidseitig von schmalen Balkonen unter Klebdächern flankiert wird. Als Stütze dient ein geböschter Eckpfeiler in Rustika mit vegetabilem Kapitell. Die nach allen Seiten unterschiedlich gestalteten Fassaden zeigen auf der Südwestseite einen Blendbogen mit ziegelbesetztem Absatz und auf der Südostseite zwei übereinanderliegende Korbbogenfenster, die in einem Fassadenrücksprung mit bekrönendem Zahnschnittfries und üppig verziertem Brüstungsfeld zusammengefasst sind. Weiter haben sich Schmiedeeisengeländer sowie in der Art des Schweizer Holzstils beschnitztes Holzwerk (Dachuntersichten, Bughölzer) aus der Bauzeit erhalten. Ein direkter Zugang zum Treppenhaus befindet sich auf der nordwestlichen Hausrückseite. Der Haupteingang ist auf der Nordostseite angelegt. Über eine Freitreppe gelangt man zunächst in einen gedeckten Windfang. Die segmentbogige Tür ist mit vergitterten Glasfüllungen versehen.
Das Erdgeschoss umfasste nebst Wohn- und Esszimmer ursprünglich noch das Entrée mit dem angegliederten Treppenhaus und ein Office, während die Küche in Soussol untergebracht war. Im Zuge der Umbauphase von 1923 wurde die Eingangspartie umgestaltet und mit der prunkvollen neubarocken Bekrönung ausgezeichnet. Einen Teil der L-förmig um die Ostecke geführten Terrasse wandelte man in eine Loggia um. Anstelle des Office rückte nun die Küche ins Erdgeschoss. Das 1923 angefügte Herrenzimmer (heute Büro) bewahrt eine Neorokoko-Stuckdecke und ein Cheminée. Das in ein Wohnzimmerfenster eingelassene Glasgemälde, das möglicherweise den Apostel Paulus zeigt (datiert 1890), stammt von der historistischen Farbverglasung aus der Pfarrkirche, die 1964 anlässlich der damaligen Innenrenovation weichen musste (Angaben zum Inneren gemäss Kurzinventar von 1999).
Das Wasch- und Holzhaus mit Garage von 1909 ist als Mauerbau mit einem wohl nur vorgeblendeten Fachwerk im Dachgeschoss und im östlichen Teil des Erdgeschosses errichtet. Der eingeschossige Baukörper trägt ein Kreuzgiebeldach mit Kniestock und Gehrschilden, wobei der südseitige Quergiebel keinen Unterbau besitzt. Das hier vorspringende Dachgeschoss steht auf Holzstützen, die wie die Pfettenköpfe zeittypisch beschnitzt sind. Es bildet ein Vordach zum darunterliegenden Eingang. Die Befensterung besteht aus einzelnen Rechtecklichtern mit Jalousieläden.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), Einzelelement, Erhaltungsziel A.
- ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Dottikon 4065-3.
Anmerkungen:[1] Gemäss Kurzinventar von 1999.
[2] Firmengeschichte gemäss Plüss-Benguerel 1948, S. 11–83 (insbesondere ab S. 38).
Literatur:- Hermann Plüss-Benguerel, 120 Jahre Fischer's Söhne Dottikon 1828 / 1948, Zürich 1948, S. 11–83 (insbesondere ab S. 38).
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 87.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0084: Brandkataster Gemeinde Dottikon 1898–1937 (Vers.-Nr. 134 (Villa), 24 (Wasch- und Holzhaus)).
- ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv: LBS_MH01-002755, LBS_MH03-1632.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
 

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