INV-MEL904 Lenzburgerstrasse 7, 1845 (ca.) (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-MEL904
Signatur Archivplan:MEL904
Titel:Lenzburgerstrasse 7
Bezirk:Baden
Gemeinde:Mellingen
Ortsteil / Weiler / Flurname:St. Antonius-Vorstadt
Hist. Name Objekt:"Rohr-Haus"
Adresse:Lenzburgerstrasse 7
Versicherungs-Nr.:140
Parzellen-Nr.:675
Koordinate E:2662951
Koordinate N:1252178
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2662951&y=1252178

Chronologie

Entstehungszeitraum:approx. 1845
Grundlage Datierung:Landkarte; Schätzung

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Wohn- und Geschäftshaus
Epoche / Baustil (Stufe 3):Biedermeier

Dokumentation

Würdigung:Das kurz nach 1840 als eines der ersten Gebäude in der St. Antonius-Vorstadt errichtete Wohn- und Geschäftshaus ist ein stattlicher dreigeschossiger Biedermeierbau mit repräsentativem Hauseingang. Der in der äusseren Gesamterscheinung weitgehend intakte Bau zeichnet sich durch streng axial gegliederte Fassaden und originellen Laubsägedekor im Schweizer Holzstil aus. Zur Strasse hin bewahrt es noch den bauzeitlichen, von einem schmucken Eisenzaun eingefassten Vorgartenbereich. Das ehemalige Wohn- und Geschäftshaus der Strohmanufaktur Halter ist ein wichtiger Bauzeuge der in der Mitte des 19. Jahrhunderts florierenden Strohflechterei. Als markanter Pfeiler der vorstädtischen Siedlungsentwicklung nimmt es an der südlichen Stadtzufahrt eine ortsbildprägende Stellung ein.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Das grossvolumige Wohn- und Geschäftshaus gehört zu den wenigen Gebäuden, die bereits in der 1. Hälfte des 19. Jh. in der St. Antonius-Vorstadt entlang der Lenzburgerstrasse entstanden. Das auf der Michaeliskarte von 1840 noch nicht verzeichnete Wohn- und Geschäftshaus stammt wohl aus den Jahren kurz danach. Auf der Siegfriedkarte von 1880 ist bereits auch das dazugehörende Fabrikgebäude eingezeichnet, das rückwärtig etwas versetzt neben einem Garten stand (vgl. Fotodokumentation). Gemäss Vedute auf einem Briefkopf von 1906 handelte es sich dabei um ein zumindest teilweise gemauertes Gebäude mit grosszügiger Befensterung (vgl. Fotodokumentation). An seiner Stelle steht seit den 1960/70er Jahren ein Mehrfamilienhaus. Zur Anlage gehörte laut Brandlagerbuch von 1898 auch ein hölzernes, ziegelgedecktes Tröcknehaus, das später zum Gartenhaus umfunktioniert wurde [1].
Vermutlich wurde das Haus mit dem zugehörigen Fabrikgebäude von der Familie Halter erbaut. Belege für die von Christian Halter betriebene Hanf- und Pferdehaargeflecht-Fabrik ("Fabrique de tresse de crin") reichen bis 1862 zurück. Sein Sohn Joseph stieg spätestens 1883 ins Geschäft ein, weshalb die für ihre Strohmanufaktur und Litzenfabrikation bekannte Firma in "C. Halter & Sohn" umbenannt wurde. Um 1902 warb Joseph Halter für "Reclamebändchen" und Schuhnestel. Diese Diversifizierung entspricht der ständigen Weiterentwicklung der Geflechtindustrie, die neben Roggen- und Weizenstroh zu Beginn des 19. Jh. später auch Bast, Hanf, Rosshaar sowie nach 1900 synthetische Stoffe verarbeitete [2]. 1911/14 wurde die Liegenschaft auf die Erben Oskar, Hugo & Germann Halter übertragen, welche etwas später an Hermann Rohr, Inhaber einer Kartonage-Fabrik und Vice-Ammann, verkauften [3]. Wie eine Postkarte zeigt, galt das stattliche Haus der Familie Halter um 1900 nebst Kirche, Stadttor und Bahnhofsquartier als Sehenswürdigkeit (vgl. Fotodokumentation). Und auch die ab dem frühen 20. Jh. als Eigentümer verzeichneten Rohr galten als angesehene Leute. Zu dieser Zeit dürfte das Haus noch als stattliches Einfamilienhaus genutzt worden sein, erst später erfolgte die Unterteilung nach Stockwerken. Das Haus befindet sich heute im Besitz der Nachkommen von Hermann Rohr. Das Innere wurde im Laufe des 20. Jh. mehrfach modernisiert (neue Wand- und Bodenbeläge, teilweise neue Raumaufteilung), bewahrt aber einzelne Ausstattungsteile aus der Bauzeit.
Beschreibung:Das ehemalige Wohn- und Geschäftshaus der Manufaktur Halter steht im südlichen Vorstadtbereich, nur wenige Häuser vom Zeitturm entfernt. Der stattliche dreigeschossige Bau beherrscht mit seinem grossen Volumen den östlichen Strassenraum. Er ist im spätklassizistisch-biedermeierlichen Stil errichtet und trägt ein gerades, knappes Satteldach, das an der strassenseitigen Traufe von eng gesetzten, dekorativ ausgeschnittenen Konsolen im Schweizer Holzstil begleitet wird. Ausgesägte Blatt- und Sternmotive zieren die Dachunterseite und den oberen Wandabschluss. Dasselbe Sternmotiv ist als hölzernes Gitter in die stirnseitigen Giebelluken eingelassen. Der strassenseitig in die Mittelachse gesetzten Giebelgaube ist auf der Rückseite ein Treppenhausrisalit mit Satteldach gegenübergestellt . Zwischen Erdgeschoss und erstem Obergeschoss wird der Baukörper von einem umlaufenden Gurtgesims gegliedert, ein Mauerabsatz verweist auf ein weiteres ehemaliges Gesims am Übergang zum zweiten Obergeschoss. Die Fassaden überzieht ein regelmässiges Raster aus traufseitig sieben auf giebelseitig drei Fensterachsen. Die sorgfältig aus Muschelkalk gehauenen Gewände weisen einen Ladenfalz auf und orientieren sich mit ihrem gerundeten Karniesprofil an spätbarocken Formen. Die vom Dach geschützten Fenster im zweiten Obergeschoss haben hölzerne Einfassungen. Leider wurden die zugehörigen, mit Lamellen versehenen Holzläden bei einer nach 1998 erfolgten Fenstersanierung allesamt durch Rollläden aus Aluminium ersetzt.
Den Hauptakzent der Strassenfassade setzt das um drei Stufen erhöhte Portal, das von einem tiefen, kräftig profilierten Rechteckgewände aus Muschelkalk gerahmt wird. Von herausragender Qualität und bemerkenswert gutem Erhaltungszustand ist die zweiflüglige Eichentür, die mit biedermeierlichen Motiven beschnitzt ist und filigran gearbeitete Messingbeschläge aufweist. Sie zeigt in präziser Ausführung schild- und rautenförmige Platten mit fein gefältelten Rosetten- und Fächermotiven.
Geschützt wird der Hauseingang von einem auf steinernen Konsolen ruhenden Balkon, der mit einem reich verzierten Gusseisengeländer ausgestattet ist. Während die von gusseisernen Konsolen gestützten rückseitigen Balkone im zweiten Obergeschoss noch dem 19. Jh. zuzuordnen sind (vgl. Postkarte um 1900), wurden die unteren, weiter ausladenden Balkone mit Sicherheit später angefügt.
Ein hübsches Detail stellen die beiden gusseisernen Schuhabtreter in Lyraform dar, die in die Steinplatte neben der Treppe zum Vordereingang eingelassen sind.
Die Strassenfassade schmückt ein schmaler Vorgartenbereich, der teilweise noch die alte Einfriedung mit dem Eisenzaun aufweist. An diesem entlang und zum Balkon empor sind zwei üppig wachsende Glyzinien gezogen, die dem Zugang einen laubenartigen Charakter verleihen.
Die innere Erschliessung erfolgt über ein rückwärtig angelegtes Treppenhaus, das noch das bauzeitliche Holzgeländer mit filigranen Gitterstäben bewahrt. An originaler Ausstattung haben sich in den strassenseitigen Räumen des 1. Obergeschosses Stuckdecken mit vegetabilen Mittel-, Rand- und Eckmotiven erhalten [4]. Auf den repräsentativen, die drei mittleren Fensterachsen einnehmenden Wohn- und Empfangsraum, öffnet sich eine zweiflüglige Tür mit Biedermeierbeschlägen. Der Boden ist mit einem zweifarbigen Tafelparkett ausgelegt. Eine Besonderheit sind die vier hohen Gewölbekeller mit Steinböden aus grossen Muschelkalkplatten, die ehemals wohl auch der Lagerung von Ausgangsmaterialien und Erzeugnissen der Strohindustrie dienten.
Erwähnung in anderen Inventaren:- ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Mellingen 4033-5.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Anmerkungen:[1] www.vamus.ch/Industriekultur. - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0051: Brandkataster Gemeinde Mellingen 1899-1938.
[2] www.vamus.ch/Industriekultur. – Dieter Kuhn, Strohflechterei in: www.hls-dhs-dss.ch/ textes/d/D13968.php.
[3] 1911 lautet der Eintrag auf "Erben", 1914 werden die drei Nachfolger namentlich genannt. - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0051: Brandkataster Gemeinde Mellingen 1899-1938.
[4] Vgl. dazu Hoegger 1976, S.433 [unter Lenzburgerstrasse 25 statt 7].
Literatur:- Mellingen. Bilder einer aargauischen Kleinstadt, 1996, S. 69 (Abb. Hauseingang).
- Peter Hoegger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 6, Basel 1976, S. 69.
- Kunstführer durch die Schweiz Bd. 1, Bern 2005, S. 86.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0051: Brandkataster Gemeinde Mellingen 1899-1938.
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=41112
 

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