INV-OBK904 Gerichtsweibelhaus, 1820 (Dossier (Bauinventar))

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Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-OBK904
Signatur Archivplan:OBK904
Titel:Gerichtsweibelhaus
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Oberkulm
Ortsteil / Weiler / Flurname:Obersteg
Adresse:Oberstegstrasse 12
Versicherungs-Nr.:109
Parzellen-Nr.:194
Koordinate E:2651690
Koordinate N:1238494

Chronologie

Entstehungszeitraum:1820
Grundlage Datierung:Inschrift (Ziegel); Schätzung

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Landwirtschaftliche Bauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Bäuerlicher Vielzweckbau

Dokumentation

Inschriften:"1820" (Ziegel); "G[ottlie]B H[unzi]K[er]" und das Baujahr "1860" (Scheunenanbau)
Würdigung:Im Ortsteil Obersteg unmittelbar beim denkmalgeschützten Strohdachspeicher (OBK002) gelegenes, stattliches Bauernhaus, das als Mauerbau mit elegantem Walmdach bernischer Prägung den gehobenen ländlich-bäuerlichen Hausbau in der Zeit um 1800 bezeugt. Der 2008-09 um- und ausgebaute Vielzweckbau bewahrt am Wohnteil die spätklassizistische Fassadengestaltung, während der teilweise umgenutzte Ökonomietrakt eine sorgfältige Umgestaltung erfahren hat. Das biedermeierliche Interieur dürfte sich in Teilen erhalten haben. Als Wohnhaus einer bekannten ortsansässigen Familie, deren Angehörige im frühen 19. Jh. mehrfach das Amt des Gerichtsweibels innehatten, kommt dem Gebäude neben dem Situationswert eine gewisse lokalhistorische Bedeutung zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Das mutmassliche Baujahr des Gebäudes "1820" findet sich auf einem originalen Biberschwanzziegel, der aus der ortsansässigen Ziegelei stammt und nebst weiteren verzierten Ziegeln von den Eigentümern aufbewahrt wird [1]. Bauherr war vermutlich Joachim Hunziker, der im ersten verfügbaren Brandkataster von 1829 als Eigentümer aufgeführt ist [2]. Der Hof, der sich bis heute in Familienbesitz befindet, wurde 1843 von Jakob Hunziker übernommen und fünf Jahre später gemeinsam von den Gebrüdern Gottlieb und Jakob Hunziker weitergeführt. Wohl durch Todesfall ging die Liegenschaft 1886 an Marianne Hunziker, geb. Müller, und 1907 an Emil Hunziker. Zum Gebäude hat sich die Bezeichnung "Gerichtsweibelhaus" überliefert, da Angehörige der Familie abwechselnd das Amt des Gerichts- und Amtsweibel bekleideten. Bekanntheit erlangte auch Dr. med. Rudolf Hunziker (1808-1871), der einen Teil seiner Kindheit im Gerichtsweibelhaus verbrachte und als Feldarzt am zweiten Freischarenzug teilnahm. Später amtete er einige Jahre als Bezirksarzt und praktizierte in der Schoren, im Landhaus Dr. Hunziker (Bauinventarobjekt OBK909) [3].
Im Jahr 1860 erweiterte Gottlieb Hunziker die Scheune durch einen rückseitigen Quergiebelanbau; dieser trägt die Initialen "G[ottlie]B H[unzi]K[er]" und das Baujahr "1860" (gemäss Kurzinventar 1993).
Der Wohnteil, der möglicherweise schon früh zwei stockwerksweise angelegte Wohneinheiten enthielt, wurde 2008-09 im Obergeschoss umgebaut und in den Ökonomieteil (über Tenn und Stall; Futtertenn mit Heubühne ausgenommen) erweitert. Das ehemalige Tenn nimmt seither im vorderen ebenerdigen Bereich die separate Erschliessung der Obergeschosswohnung auf. Auch das Dachgeschoss, in dem bereits seit ca. 1930 zwei über kleine Lukarnen belichtete Kammern eingebaut waren, wurde ausgebaut und zur oberen Wohnung geschlagen.
Beschreibung:Der in der Talsohle westlich der Wyna gelegene Vielzweckbau ist Bestandteil der historischen Bebauung entlang des alten Fahrwegs im Obersteg, der hier, dem Flusslauf folgend, eine enge Kurve macht. Mit der repräsentativen traufseitigen Stubenfront nach Südosten ausgerichtet, ist er wie die meisten Gebäude an diesem locker bebauten Siedlungsast giebelständig zur Strasse gestellt. Die Hofanlage, zu der noch ein freistehendes Ökonomiegebäude gehört, befindet sich gegenüber dem exponiert am Strassenknie gelegenen denkmalgeschützten Strohdachspeicher von 1508 (kantonales Denkmalschutzobjekt OBK002).
Der in Bruchsteinmauerwerk aufgeführte Baukörper vereinigt einen stattlichen, bürgerlich geprägten Wohnteil mit einem gleichfalls gemauerten Scheunentrakt, getrennt durch eine massive Brandmauer. Das geknickte Walmdach, das den Vorplatz der Scheune mit einem ausladenden Vorscherm schützt, bewahrt am Ökonomieteil noch die ältere Eindeckung aus doppelt verlegten Biberschwanzziegeln. Die verputzten Fassaden des zweigeschossig über einem niedrigen Kellersockel angelegten Wohnteils sind axial gegliedert, wobei an der repräsentativen Südostseite in dichter Abfolge sechs Fensterachsen gesetzt sind, an der Schmalseite deren zwei und an der Rückseite drei. Nach einem geläufigen Muster ist der Hauseingang in der zum Tenn hin gelegenen Achse angelegt. Sämtliche Hausteinarbeiten, auch die Stufen der Freitreppe und die Terrassenplatten, sind aus Muschelkalk gehauen. Die nur mit Ladenfalz versehenen Fenstereinfassungen sind zeittypisch schlicht gehalten. Dazu bestehen im Erdgeschoss noch die alten Fensterflügel samt Vorfenstern und Lüftungsflügelchen. Das am Sturz mit einem elegant integrierten "Schlussstein" akzentuierte Türgewändes besitzt als steinmetztechnische Besonderheit mit dem Gewände des Tenntors ein gemeinsames, umso breiteres Seitenstück. Dazu hat sich als Rarität das aus der Bauzeit stammende, klassizistische Eichentürblatt mit Louis XVI-Zierelementen wie Zahnschnittfries, Mäanderband sowie kannelierten Pilastern mit Tropfen samt filigran ausgeschnittenem Messing-Beschlägwerk erhalten. Durch einen Kämpfer ist davon ein schmales, mit überkreuzten Spitzbogen gegliedertes Oblicht geschieden. Die Tür öffnet auf einen dem Tenn entlanglaufenden Gang mit Hinterausgang. Bis heute bildet sie den Zugang zur unteren Wohnung, welche eine geläufige Vierteilung der Wohnfläche aufweist. In der hinteren Hälfte ist dem Gang das Treppenhaus angegliedert, wodurch die benachbarte Küche etwas schmaler ausfällt als die nach vorne ausgerichtete Stube. Nach Südwesten schliessen an die Stube die Nebenstube und an die Küche eine zusätzliche Kammer an. In der ehemals nahezu identisch gegliederten Obergeschosswohnung, die heute über eine Treppe im Tenn erschlossen ist, wurden beim letzten Umbau die dazwischenliegenden Binnenwände, nicht aber die unter dem First verlaufende verlängerte Feuerwand entfernt [4].
Trotz der baulichen Veränderungen dürften im Innern noch Teile der historischen Ausstattung vorhanden sein. Typisch für die Bauzeit um 1800 sind der mit Kalksteinplatten belegte Boden und die Gipsdecke mit einfachem Stuckspiegel im Gang. Die eichene Wangentreppe ins Obergeschoss und in Eiche gefertigte Füllungstüren samt Verkleidungen mit kunstvoll geschmiedeten Beschlägen zeugen von einem für ländliche Verhältnisse gehobenen Ausbaustandard (vgl. die gleichartigen Beschläge im Huberhof von 1781, Bauinventarobjekt OBK903). In der Stube des Erdgeschosses gehören Wand- und Deckentäfer mit profilierten Friesbrettern zur ursprünglichen Ausstattung, im Obergeschoss Gipsdecken mit einfachen Stuckspiegeln, Knietäfer und Füllungstüren mit Feldereinteilung (Inneres nicht gesehen; Beschreibung gemäss Kurzinventar 1993).
Sowohl im Erdgeschoss wie auch im Obergeschoss war die Stube ehemals mit einem klassizistischen, blauweissen Kachelofen samt zweistufiger Sitzkunst auf verzierten Sandsteinfüssen ausgestattet. Dieser hat sich im Obergeschoss wohl erhalten, während der Ofen in der unteren Stube zwischenzeitlich samt biedermeierlichem Wandschrank und "Zythüsli" entfernt wurde (gemäss Baugesuchsakten von 2008).
In die zwei quer zum First angelegten Gewölbekeller gelangt man über eine Innentreppe, die unter dem alten Aufgang zum Obergeschoss liegt. Diese führt auf ein Zwischenpodest, von welchem sich zwei separate Türen auf die einzelnen Räume öffnen.
Die sich mit der Nutzungsabfolge Tenn, Stall, Futtertenn nach Nordosten anschliessende Scheune, besitzt zwei Rechtecktore (Torflügel aus Brettern mit aufgenageltem Rahmen ersetzt, teilweise verglast). In die gemauerte Front war neben dem rechteckigen Stallfenster ehemals auch ein Ochsenauge eingelassen (beide überformt). Rückseitig stosst unter Quergiebel ein nachträglich angebauter Schopf von 1860 mit auffälliger, fischgratförmiger Verkleidung aus locker angeordneten Latten an die Scheune.
Zur Anlage gehört ein auf dem Vorplatz stehender Laufbrunnen aus Muschelkalk, der von einer hofeigenen Quelle gespeist wird. Am langestreckten Trog sind das Jahr der Aufstellung "1862" und die Initialen "G[ottlieb] H[unziker]" eingemeisselt. der Stock wird von einem Kugelaufsatz bekrönt.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung (Ortsteil Obersteg).
Anmerkungen:[1] Gemäss Kurzinventar 1993.
[2] Eigentümerangaben gemäss Brandkataster: Staatsarchiv Aargau, BA.05/0075; CA.0001/0257-0259: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1829-1938 (Vers.-Nr. 77; 103; 109; 109).
[3] Steiner 1991, S. 66-68.
[4] Gemäss Baugesuchsakten von 2008.
Literatur:- Karl Steiner, Oberkulm. Zeitbilder aus der dörflichen Vergangenheit bis zur Gegenwart, 2. Ausgabe, Oberkulm 1991, S. 66-68.
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 50.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, BA.05/0075; CA.0001/0257-0259: Brandkataster Gemeinde Oberkulm 1829-1938 (Vers.-Nr. 77; 103; 109; 109).
- Baugesuchsarchiv Gemeinde Oberkulm, Baugesuchsakten von 2008.
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=44196
 

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