U5 Lebensräume für Tiere und Pflanzen, Artenvielfalt
Die Fläche wertvoller Lebensräume für Tiere und Pflanzen hat weiter zugenommen. Für einen langfristigen Erhalt der Biodiversität reichen die vorhandenen Flächen und ihre Vernetzung jedoch nicht aus. Insbesondere seltene und gefährdete Arten sind weiterhin unter Druck.
Tiere und Pflanzen sind für ihr Überleben auf Landschaften und Lebensräume angewiesen, die ihren Ansprüchen an Qualität, Quantität, Vernetzung und Funktionalität entsprechen. Eine hohe Artenvielfalt ist zudem Voraussetzung für Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Luft- und Wasserreinigung sowie Bodenfruchtbarkeit und Grundlage für natürliche Rohstoffe. Sie ist damit auch wesentlich für das Wirtschaften des Kantons Aargau. Zugleich dienen ökologisch wertvolle und vielfältige Lebensräume zur Erholung für Menschen.
Für die langfristige Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen wäre im Kanton Aargau gemäss der Bedarfsanalyse der Ökologischen Infrastruktur Aargau der Bedarf an natürlichen und naturnahen Flächen von insgesamt 29 % der Kantonsfläche, darin eingeschlossen Wald, Offenland, Siedlungen und Gewässer. 18 % der Kantonsfläche müssten Kerngebiete (eigentliche Schutzgebiete, ergänzt mit anderweitig erhaltenen BFF von hoher ökologischer Qualität), 11 % als Vernetzungsgebiete ausgewiesen werden (BVU 2020). Ebenso ist zum Erhalt der einheimischen Arten die Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten einzudämmen und die Neuansiedlung zu verhindern. Das Programm Natur 2030, die Umsetzung und Erhaltung des Auenschutzparks, die Sanierung der Wildtierkorridore, das Programm Labiola in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft, das Waldnaturschutzprogramm sowie die Gewässerrevitalisierungsplanung sind die wichtigen Eckpfeiler für den Natur- und Landschaftsschutz im Kanton Aargau (BVU 2020).
Indikatoren: Flächen wertvoller Lebensräume und Kessler-Index
Der Anteil wertvoller Lebensräume wird anhand der Schutzgebiete sowie weiterer ökologisch wertvoller Flächen im Kanton gemessen. Die mittlere Artenvielfalt wird über einen Index repräsentativer Artengruppen (Pflanzen, Tagfalter, Brutvögel, Mollusken) aufgenommen, wobei die Aufnahmeflächen in der "normalen Landschaft" liegen und die Nutzungen Wald, Landwirtschaft und Siedlung differenziert werden. Beide Indikatoren sollen steigen.
Der Indikator entspricht der Summe der nationalen und kantonalen Naturschutzgebiete, der qualitativ hochwertigen Biodiversitätsförderflächen in der Landwirtschaft sowie der Naturschutzflächen im Wald.
Flächen wertvoller Lebensräume, Aargau, 2000 - 2023
langfristig (seit 2000) | positiv |
kurzfristig (seit 2020) | positiv |
Der Kessler-Index zeigt die Veränderung der mittleren Artenvielfalt bei Brutvögeln, Tagfaltern, Schnecken und Pflanzen. Der Index unterscheidet die Nutzungen Wald, Siedlung und Landwirtschaft.
Kessler-Index der Artenvielfalt, Aargau, 2000 - 2023
langfristig (seit 2000) | positiv |
kurzfristig (seit 2020) | negativ |
Stand 2024
Lebensräume für gefährdete Arten weiterhin unter Druck
Die Fläche wertvoller Lebensräume – repräsentiert durch nationale und kantonale Naturschutzgebiete, qualitativ hochwertige Biodiversitätsförderflächen in der Landwirtschaft sowie Naturschutzflächen im Wald – hat weiter zugenommen und betrug 2023 10,9 % der Kantonsfläche. Die Steigerung in den letzten Jahren resultierte vor allem auf der Zunahme von Biodiversitätsförderflächen mit der Qualität "QII plus Vernetzung" im Landwirtschaftsgebiet, welche über das Programm Labiola gefördert werden. Die Fläche der 350 Naturschutzgebiete von kantonaler Bedeutung (NkB) ausserhalb des Waldareals beträgt 1'137 ha oder weniger als 1 % der unbewaldeten Kantonsfläche und ist in den letzten Jahren nur stabil geblieben. Gerade für seltene und gefährdete Tier- und Pflanzenarten sind diese Flächen jedoch besonders wertvoll. Im Rahmen der Aufnahme der Flächen für die Ökologische Infrastruktur wurden 2020 insgesamt rund 16 % der Kantonsfläche als Kern- und Vernetzungsgebiete identifiziert. Bezogen auf die ausgewiesenen notwendigen 29 % besteht damit weiterhin grosser Handlungsbedarf. Insbesondere muss mit einem funktionierenden Vernetzungssystem die Isolation von Populationen verringert werden. Empfindliche Naturschutzflächen wie Trockenwiesen und Flachmoore werden durch übermässige Stickstoffeinträge aus der Luft weiterhin geschädigt. Ursache dieser Einträge sind neben Stickoxiden (ein Drittel) vor allem Ammoniak-Emissionen (zwei Drittel) aus der Landwirtschaft und dabei insbesondere aus der Nutztierhaltung. Im Kanton Aargau sind die Belastungsgrenzen (Critical Loads) für den Stickstoffeintrag nahezu auf allen Flächen mit sensiblen Ökosystemen überschritten (Rihm, Künzle 2023).
Vom Klimawandel besonders betroffen sind Gewässerlebensräume. Die veränderten Lebensraumbedingungen können sich drastisch auswirken. Kältebedürftige Fisch- und Libellenarten, sowie solche die sensibel auf längere Trockenphasen reagieren, werden seltener. Bei den Amphibien konnte durch die Neuschaffung diverser Gewässer für die meisten Zielarten, ausser für die Kreuzkröte, eine positive Wirkung erreicht werden (Schmit, Burger 2023).
Der Kessler-Index hat insgesamt über alle Nutzungen hinweg seit 2011 stetig zugenommen. Seit seinem Höchststand vor zwei Jahren ist er erstmals seit langem wieder rückläufig. So hat sich der positive Trend im Wald seit rund 5 Jahren abgeschwächt und ist aktuell eher rückläufig. Auch im Landwirtschaftsgebiet ist zum ersten Mal seit langem eine Stagnation festzustellen. In Siedlungen verharrt der Index seit Beginn der Aufnahmen weiterhin auf tiefem Niveau. Die Resultate der erfolgten Anstrengungen im Siedlungsgebiet sind damit ernüchternd. Bezogen auf die drei Nutzungsräume weisen die Gefässpflanzen in den landwirtschaftlich genutzten Flächen gegenüber dem Wald und dem Siedlungsgebiet die höchste Artenzahl auf, mit einem steigenden Trend seit 1996. Die Artenzahl ist im Landwirtschaftsgebiet seit dem bisher höchsten Wert im Jahr 2021 in den letzten zwei Jahren allerdings leicht zurückgegangen. In den beiden anderen Nutzungsräumen ist sie währenddessen konstant geblieben. Auch bei den Tagfaltern ist im Landwirtschaftsgebiet die grösste Artenzahl zu finden. 2023 war für die Tagfalter jedoch ein durchzogenes Jahr. In allen drei Nutzungsräumen zeigt ihre Entwicklung nach unten. Die Artenzahl der Brutvögel ist im Wald am grössten. Hier und im Siedlungsgebiet weist die Artenzahl leicht schwankend ein konstantes Niveau auf. Im Landwirtschaftsgebiet ist die Artenzahl demgegenüber in den letzten zwei Jahren leicht zurückgegangen (BVU 2024).
Gesamtschweizerisch zeigt sich, dass knapp die Hälfte von 167 untersuchten Lebensraumtypen bedroht sind (BAFU 2023b). Zudem gelten von bisher über 10'800 beurteilten Pflanzen-, Tier- und Pilzarten, 35 % als ausgestorben oder gefährdet, 12 % gelten als potenziell gefährdet (BAFU 2023a). Im Kanton Aargau wurde daher bereits 2008 ein Artenschutzkonzept erarbeitet und 2021 im Rahmen des Programms Natur 2030 überarbeitet. Dieses definiert für den Kanton Aargau 120 Arten (61 Pflanzen- und 59 Tierarten) für die der Kanton eine hohe Verantwortung aufweist. Für rund die Hälfte dieser "Handlungsarten" sind aktuell (Stand Dez. 2023) Fördermassnahmen in Umsetzung.
Invasive Neophyten und Neozoen setzen die einheimische Flora und Fauna zusätzlich unter Druck. Der Kanton Aargau setzt sich mit der Umsetzung der Neobiota-Strategie dafür ein, die schädlichen Auswirkungen von invasiven Neobiota zu minimieren.
Herausforderungen
- Die bestehenden Flächen an wertvollen Lebensräumen und deren Vernetzung reichen bei weitem noch nicht aus, um einen langfristigen Erhalt einer reichhaltigen Biodiversität, welche sich gegenüber Veränderungen (z. B. Klimaerwärmung) anpassungsfähig zeigt, zu sichern.
- Der übermässige Stickstoffeintrag über die Luft schädigt empfindliche Lebensräume wie Trockenwiesen und Flachmoore und ist eine Herausforderung für die Qualitätsverbesserung dieser Lebensräume.
- Das Bevölkerungswachstum verstärkt den Druck auf die wertvollen Lebensräume und Landschaften durch intensive Nutzungen, den Verkehr, Licht- und Lärmimmissionen, Naherholung und Freizeitaktivitäten weiter und gefährdet diese.
- Die Förderung der Siedlungsentwicklung nach innen kann zu einem Zielkonflikt mit den Bestrebungen nach mehr und qualitativ hochwertigen naturnahen Lebensräumen im Siedlungsgebiet führen und bremst die Anstrengungen zur Erhöhung der Artenvielfalt im Siedlungsgebiet.
- Steigende Temperaturen führen zu Veränderungen der Artenzusammensetzung. Dies betrifft sowohl Land- wie auch Wasserlebensräume. Einzelne wärmebedürftige Arten profitieren, andere Populationen vieler bereits heute seltener und gefährdeter Arten geraten dadurch noch stärker unter Druck oder verschwinden lokal. In Verbindung mit der unzureichenden Vernetzung der Lebensräume beschleunigt der Klimawandel das Aussterben gefährdeter Arten und erfordert Gegenmassnahmen.
- Hitze- und Trockenheitsereignisse wirken sich namentlich auf Feuchtlebensräume nachteilig aus und erfordern gezielte Aufwertungs- und Vernetzungsmassnahmen aber auch die Wiederherstellung ehemaliger Feuchtflächen. Für Arten, welche zwingend auf Wasser in einer bestimmten Qualität angewiesen sind, rücken Massnahmen zur Erhaltung einer genügenden Mindestwassermenge und zur Verhinderung der Erwärmung durch Beschattung oder Erhaltung kühler Zuflüsse immer mehr in den Fokus.
- Durch die Ausbreitung aus benachbarten Gebieten und begünstigt durch die globale Mobilität und den internationalen Handel ist das Auftreten weiterer invasiver Neobiota absehbar. Zur effizienten Verhinderung von Schäden müssen möglichst frühzeitig angemessene Neobiotamanagement-Massnahmen ergriffen werden.
Verweise
Für das Thema "Lebensräume für Tiere und Pflanzen, Artenvielfalt" relevante SDGs der Agenda 2030
- SDG 6: Sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen
- SDG 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden
- SDG 15: Leben an Land
Das Thema "Lebensräume für Tiere und Pflanzen, Artenvielfalt" ist Teil vom Nachhaltigkeitsbericht des Kantons Aargau:
Quellen
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Referenzen |
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